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Downtown No. 01

Geschichte Info
Die Odyssee eines Ausgestoßenen.
7.6k Wörter
2.78
22.5k
00
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Downtown - Teil Eins

1

Zwei dunkle Gestalten schleichen durch die Schatten der Nacht. Nahe am Ufer des unsichtbaren Flusses umhüllt zäher Nebel ihre linkischen Bewegungen.

Der Nebel verschlingt beinahe sämtliche Geräusche in seiner drückenden Konsistenz. Hier und da hört man ein leises Gluckern und Plätschern vom Wasser her kommend. Ansonsten herrscht lediglich ein kaum wahrnehmbares Dröhnen vor. Es ist die schnarchende Elektrizität, die zu dieser Stunde in ihrem Bette liegt, einem gigantischen Netz aus Millionen Meilen Kabel und Drähte, welche in abstraktesten Winkeln wie die Blutbahnen eines riesigen Ungeheuers jede einzelne Zelle der modernen Zivilisation mit künstlichem Leben versorgt. Der Lärm ruht sich aus. Der sonst so krankmachende Brei aus ratternden Motoren, ungeduldigen Hupen, Baumaschinendonner, dem viertelstündlichen Läuten der Kirchenglocken, dem hektischen Trappeln von Schuhsohlen unzähliger Passanten, die scheinbar ziellos umher irren, wie die ahnungslosen Versuchskaninchen in dem gigantischen Labor irgendeines übergeschnappten Titanen.

Dies ist die Nacht. In ihr haben die letzten der Geheimnisvollen überlebt und immer, wenn die Sonne sich abwendet, kommen sie hervor, um über alte Zeiten zu plaudern.

Entschließt man sich ein paar Minuten in der Dunkelheit zu verweilen, mit ruhigem Atem und gespitzten Ohren, so spürt man sie und hört die vielen verschiedenen Quellen des nächtlichen Klangorchesters miteinander kommunizieren. Die feinen Härchen unserer Unterarme und eben solche, die unseren Nacken mit zartestem Flaum bedecken, erheben sich, um in den wogenden Wellen akustischer Schwingungen wie berauscht zu tanzen, während diese Geheimnisse ihres Wesens offenbaren, die drängenden alten Fragen mit der Weisheit aus Urzeiten diskutieren. Der Nebel spielt dabei den multilingualen Übersetzer zwischen den einzelnen Diskutanten. Und wenn man nun so dasteht, mit geschlossenen Lidern, den Sternen zugewandter Stirn, als wolle man die Nacht atmen, das Gesicht kalt, mit zartem Tau bedeckt, gefühllose Beine aus Beton von der angespannten Haltung, klamme Füße in billigen Sportschuhen, beginnt man allmähliche diese schreiende Stille wahrzunehmen. Erst ganz leicht, noch fühlt man sich erhaben, auf dem Gipfel des Seins von einem mentalen Orgasmus berauscht, doch verharrt man weiterhin in dieser Position, schleicht sich eine bedrohliche Kälte in die Glieder, welche die Muskeln erzittern lässt, und all die Erhabenheit in einen metallischen Strick verwandelt, der sich langsam um deine Brust schnürt.

Es gibt jedoch Orte, wo der Mensch nicht nur in der Nacht verspottet wird. Abgelegene Orte wie dem Wald. Hier ist die Nacht zu Hause, und die großen Geheimnisvollen der Urzeit sprechen hier lauter als irgendwo anders. So befreiend und romantisch es sein kann, allein durch den Wald zu spazieren, seinen Duft aufzunehmen, die frische Luft zu atmen oder mit den Augen nur dessen natürliche Schönheit zu genießen, so sicher ist es auch, dass die Wenigsten dem Drang widerstehen können, sich nach diesem merkwürdigen Geräusch, welches man immer erst auf dem Heimweg bemerkt, umzudrehen, um mit wachsender Lähmung zu untersuchen, was sich da hinten im Gebüsch auf so geheimnisvolle Weise bewegt hat. Wer schaut nicht mindestens einmal über die Schulter und erhöht sein Schritttempo, wenn die Bäume nur noch alt und verbittert aus Ihren Astnarben gaffen, als hätten sie lange kein frisches Fleisch mehr gesehen, der Wind allmählich zunimmt, und halb verweste Blätter versuchen dir den Weg zu versperren.

Sind dies vor Urzeiten entwickelte und dann schließlich angeborene Instinkte, die uns vor diesen Orten warnen wollen? Und wenn ja, welche Kreatur ist diesen unseren Vorfahren auf deren Jäger- und Sammlerausflügen begegnet, dass diese sich eine solche Ehrfurcht aneigneten. Ist die Freiheit in Wahrheit gar kein Segen, sondern eine verführerische Schlange, welche erst ihr wahres Wesen preisgibt, wenn sie uns mit festem Griff umschlungen hält? Oder war es die Zivilisation, die uns entwöhnte, verweichlichte, Hasenfüße aus uns machte? Nun, sicherlich gibt es tausende Antworten in tausend Büchern zu diesen Fragen, auf die wir hier und heute aber gar nicht eingehen wollen.

Für uns ist es viel wichtiger, dass nicht jeder Nachkomme des Urmenschen ein solches Unbehagen fühlt. Ein gewisser Schlag Menschen begrüßt sogar den schützenden Mantel der Nacht, hat er doch gerade dann die Möglichkeit, seine unmoralischen Machenschaften gekonnt zu verbergen. Unsichtbar für die wachsamen Augen des Gesetzes geht er unbehindert seinen Geschäften nach.

Doch wir wollen hier nicht über den vermummten Einbrecher reden, der gerade ein paar Blocks weiter das kitschig umrahmte Stillleben beiseite schiebt, um besseren Zugang zu dem dahinter verborgenen Wandsafe zu erhalten. Oder über den schmierigen Zuhälter, der ebenfalls in diesem Moment unter Zuhilfenahme seiner reich beringten Fäuste einer billig angezogenen und dazu noch schlecht geschminkten Angestellten auf unkonventionelle Weise zu verdeutlichen versucht, dass spontane Reiseabsichten ohne vorherige Urlaubsgenehmigung unangenehme Folgen mit sich ziehen können.

Nein, wir fokussieren uns fürs Erste auf die schon angesprochenen Gestalten, die im schützenden Ufernebel geheimnisvoll flüsternd umherwandeln. Es ist schwer zu erkennen, was die beiden da treiben. Ich denke wir können es wagen uns ihnen ein wenig zu nähern. Denn der Nebel ist dicht und die Straßenlaternen haben schon genug zu kämpfen, ihren träge schimmernden Heiligenschein aufrecht zu erhalten.

Also schleichen wir katzengleich ein wenig gebückt über den taunassen zum Ufer hin abfallenden Rasen. Und je näher wir unseren zwei Ganoven entgegen huschen, desto lauter werden die Stimmen, schärfer deren Konturen und klarer ihre Absichten.

„Scheiße Rob, pass doch auf! Kannst du nicht aufpassen, Mann?"

„Halts Maul! Der Rasen ist nass du Penner! Außerdem habe ich das schwerere Ende. Scheiße, hier ist überall Blut. Ich weiß echt nicht was das Ganze hier soll, der Kerl machts doch eh nicht mehr lange."

„Ist mir egal! Ok, hast du ihn? ... Los weiter. Du kannst ja glauben was du willst, aber ich für meinen Teil halte das alles hier für einen verdammt glücklichen Zufall. Oder nenn es Schicksal wenn du willst. Du weißt doch, was Haferland gesagt hat. Ein Einzelgänger. Am besten wäre ein Einzelgänger."

„Tja, so wie es aussieht geht der hier nirgendwo mehr hin."

„Nicht mein Problem. Und deins auch nicht. Haferland wird das schon machen. Hauptsache wir kriegen endlich die Kohle."

„Und wenn er sich weigert. Schau dir den Kerl hier doch mal an. Das ist ein Halbtoter, soviel Blut wie der verloren hat. Der machts nicht mehr lange."

„Na ja, so schnell geht das auch nicht. Eine Bauchwunde ist zwar mit das Beschissenste was dir an einem schönen sonnigen Tag passieren kann, bis du dann aber wirklich den Löffel abgibst, kann noch ne ganze Weile vergehen. Ich hab da mal nen Film gesehen, wo so ein Typ -

„Ok, ok, ich glaube ich hab´s kapiert. Würdest du jetzt bitte wieder seine Beine nehmen und diese verdammte Zigarette weg schmeißen? Selbst wenn es Tage dauert, bis man von einer Bauchwunde stirbt, so hat der hier ganz sicher nicht mehr viele vor sich. Ich brauche dem Jungen nur ins Gesicht zu schauen, um zu wissen, dass der es nicht mehr lange macht. Verdammtes Pech hat er gehabt, abgestochen wie ein Schwein. Und selbst wenn Haferland es schafft den Penner wieder aufzupäppeln, am Ende wird aus dem doch eh Fischfutter, oder hast du geglaubt der Haferland entführt Penner, um sie nach ein paar Lehrstunden in gutem Benehmen als Assistenzarzt einzustellen?"

„Keine Ahnung was der mit denen macht. Ist mir auch egal. Aber wenn du es unbedingt so sehen willst, konnte uns doch gar nichts Besseres passieren, als über den Kerl hier zu stolpern. Besser die Halbleiche als irgendein armes Schwein."

„Ein kluges Wort. Wir bringen ihn jetzt zu Haferland, kassieren ab und verpissen uns. Die Sache wird mir langsam zu heiß. Ok. Scheiße, wo ist Fred. Ich sehe hier überhaupt nichts. Verfluchter Nebel."

„Ich glaub der ist schon vorgegangen. Lässt den Motor warm laufen oder so."

„Aha, und warum höre ich dann keinen Motor?"

„Was weiß ich. Vielleicht sitzt er auch nur im Wagen und holt sich einen runter. Außerdem hab ich mal gelesen, dass ganz dichter Nebel sogar Geräusche schlucken kann."

„Soll lieber mal kurz Licht machen. Ich will nämlich echt nicht stundenlang durch diese Mondlandschaft waten. Irgendwie gruselig, findest du nicht?"

Die Stimmen entfernen sich. Auch die schlurfenden Gehgeräusche der beiden Männer werden immer schwächer. Wir warten noch ein wenig in unserer geduckten Haltung bis wir stark gedämpft die ratternden Laute eines PKW-Motors hören, die zwei senkrechten Lichtkegeln folgend ebenfalls rasch in der Dunkelheit verschwinden.

Doch was mussten unsere Augen gerade beobachten? Unsere Ohren an unheilschwangeren Botschaften vernehmen? War das Objekt, welches die beiden Nachtschwärmer so angestrengt stemmten, eben noch irgendein unförmiger Körper, so kennen wir nun die schreckliche Wahrheit.

Und während wir wie gelähmt versuchen, das Vorgefallene zu verdauen, plappern die Geräusche der Nacht, die Großen Geheimnisvollen, völlig unberührt von solch unwichtigem Menschengetue, heiter drauflos.

2

Keine Träume.

Keine Träume.

Keine Tr-

Ein Stoß. Gleißendes Licht. Ich werde hoch gerissen. Verlasse den Raum, zerreiße, während Sterne auf mich einschlagen und Nägel mein Hirn durchbohren. Dann Stille. Und ich falle.

„...zwei, drei, jetzt..."

Ich schlage auf.

Im Wald. Der Nebel verzieht sich. Gebettet auf braunrotem Herbstlaub. Vollkommene Stille. Entspannung, Bewegung nicht notwendig. Die Ewigkeit spüren, sie ist nah, ich will sie greifen. Kann mich nicht bewegen, hänge fest. Der Körper wiegt Tonnen.

Will den Himmel betrachten, doch meine Augen sind geschlossen, verklebt mit süßem Harz. Besser so, draußen ist es hell. Sie würden verbrennen. Frischer Nebel kommt auf -

„...kommt zu sich..."

Bleierne Hämmer in meinen Ohren reißen mich auf die Beine. Das Gehirn poltert gegen den Schädel, um ihn zu sprengen. Ein Laser aus konzentriertem Licht spaltet meine Augenlider.

Kurzes Aufblitzen.

Eine Gestalt. Dicht neben mir. Flimmern.

Schmerzen. Dumpfes Pochen in meinem Kopf. Großer Gott, er wird explodieren. Flimmern.

Aufblitzen.

Ein Gesicht, direkt vor mir. Ein Geräusch aus einer anderen Welt-

„Wachen sie auf!"

Wie ein Faustschlag aufs Ohr. Starkes Flimmern. Die Lider sprengen auseinander. Stechendes Licht. Die Kopfschmerzen sind unerträglich. Feuchtigkeit, Mein eigener Schweiß. Ich liege in ihm. Ich zittere. Will schreien. Kann nicht. Etwas steckt in meinem Mund. Kann nicht mehr atmen. Ich ersticke. Winde mich. Zittere stärker. Mein Arm. Jemand sticht mir in den Arm. Da sind Holzbalken. Eine alte Frau. Ihre Augen, ihre Augen. Will hier weg. Kriege keine Luft. Bin angekettet. Schmerzen, diese Schmerzen...

Zurück in den Nebel, ins Nichts.

Ein schwaches Licht. Ich trete hinaus. Hinaus in die Lichtung.

3

Downtown.

Die Einkaufsstraße. Später Nachmittag. Hektisch vorbei hastende Gestalten werfen lange, hektisch vorbei hastende Schatten auf den grauen Straßenbelag. Duftende Frauen mit Täschchen und kleinen Einkaufstütchen. Duftende Frauen mit Täschchen und Mobiltelefonen. Duftende Frauen, deren Hochhackige auf den Pflastersteinen widerhallen. Und alle haben Täschchen. Banker mit Mobiltelefonen und gegeltem Haar verbergen ihre durchtrainierten Waschbrettbäuche unter dunklen Anzügen. Ihre Schuhe aus schwarzem Nappa-Leder sind zurückhaltender als die der Frauen, aber immer noch gut zu hören. Gesichter ohne Ausdruck. Eile ist geboten. Ihre Augen fixieren einen Punkt im bunten Nichts. Der Körper folgt. Einige tragen Aktentaschen.

Da. Zwei Burschen. 9Sie tragen abgewetzte Skateboards unter den Armen, jeweils ein Bier in der Hand. Sie trinken die teuren Marken. Ihre Schuhe machen keinen Laut, dafür ihre Hosen, die schlürfend den Staub vom Boden aufwischen. Auch sie haben es eilig. Die Bierdosen hängen wie Pflastersteine in ihren Händen. Alle paar Meter nippen sie einen Schluck. Ihre Körper nehmen das Gift noch nicht an. Sie spucken mehr als zu trinken. Dicke Speichelfäden braten hier und da auf den erhitzten Pflastersteinen.

Ein kleiner Tumult macht sich auf zu meiner Rechten. Mehrere Passanten begutachten das Werk eines Straßenmalers. Ein dümmliches Lächeln umspielt die Münder der Mehrzahl. Sie erleben wohl eine Abwechslung. Der gemeine Mensch der Masse neigt nicht dazu ehrgeizig Museumsbesuche auf den Tagesplan zu setzen. Kunst ist ihm scheißegal. Außer er wird extra auf sie hingewiesen, z. B. während des Wochenendshoppings mit dem Partner oder eben mal schnell beim Tamponkaufen.

Der Künstler, klein, untersetzt, mit Halbglatze und grauem Zopf setzt gerade seine Signatur. Gleich wird er seinen Hut kreisen lassen. Nicht das erste Mal, dass ich ihn sehe.

Ich betrachte das Bild. Eine Winterlandschaft auf 2 Quadratmetern. Kleine Kinder spielen im Schnee. Sie tanzen. Ein Schneemann grinst schief unter seinem schwarzen Zylinder. Im Hintergrund warten düstere Bäume auf die erlösenden Strahlen des Frühlings. Für einen Augenblick fährt mir ein kalter Schauer über den Rücken. Interessant, was ein Bild alles bewirken kann. Interessant auch die Wahl des Motivs für einen Sommertag. Es ist schön. Das Motiv kenne ich nicht. Ich bin einer dieser gemeinen Menschen. Kunst ist mir fremd.

Ein großer junger Mann mit dichtem Haar und Brille redet enthusiastisch auf seine Begleiterin ein, die erstaunt den Bewegungen seines ausgestreckten Zeigefingers folgt. Er fährt vage den Konturen des Gemalten nach. Vielleicht weiß er wirklich von was er spricht. Die Frau trägt einen leichten Mantel, der locker auf ihren Schultern liegt. Darunter schimmert ein rotes Kleid. Er trägt einen schwarzen Anzug mit Fliege. Wahrscheinlich geht es in die Oper.

Der Maler bewegt sich auf das Paar zu. In der Hand, ein abgewetzter Zylinder. Sie unterhalten sich kurz und lachen. Der junge Mann in dem eleganten Anzug greift in seine Hosentasche. Mehrere Geldscheine erscheinen, einer landet im Zylinder. Der Maler bedankt sich mit ausladenden Gesten und setzt seine Runde fort. Ich blicke dem Pärchen nach. Die Frau drückt sich fest an ihren Partner und stellt sich auf die Zehenspitzen, um ihn zu küssen. Er legt seinen Arm um ihre Hüften und erwidert ihren Kuss. Dann entfernen sie sich eng umschlungen. Meine Kehle schnürt sich zusammen. Der Durst meldet sich zurück. Schon wieder. Die Abstände werden geringer.

Dicht neben mir ertönt ein schwaches Klimpern. Der Maler schüttelt seinen Hut und bittet mich um eine Kleinigkeit. Für einen Moment betrachte ich die Münzen und Scheine. Wie viel Macht sie verkörpern. Selbst die abgegriffenen unter ihnen scheinen mehr Existenzrechte zu besitzen als ein Ausgestoßener wie ich. Nicht dass ich das beklage, ich liebe Geld und weiß, dass selbst der kleinste Cent mehr Wert ist als ich. Dann drehe ich mich um und gehe.

Der Maler schaut mir nach. Neben ihm steht eine kleine dicke Frau mit Kinderwagen und redet begeistert auf eine weitere Frau mit Täschchen ein. Das Baby schreit. Während die Frau sich hinunterbeugt und nach dem Nuckel des Kindes tastet, bleiben ihre Augen auf denen der Gesprächspartnerin gerichtet. Sie unterhalten sich über wichtige Dinge wie es scheint. Der Nuckel liegt neben dem Kinderwagen auf dem Boden. Ein Banker hastet vorbei. Seine glänzenden Nappa-Leder Schuhe erfassen den Nuckel und schleudern ihn in den Rinnstein. Er konzentriert sich auf den Punkt im Nichts und bemerkt es daher nicht. Die Frau lacht und tastet weiter. Das Baby ist hässlich, ich habe kein Mitleid.

Ich habe einen Plan. Von langer Hand vorbereitet. Wenn ich keinen Scheiß baue, kann er mir ne Menge Geld einbringen, wenn doch ne Menge Knast. Das Risiko werde ich eingehen, wie gesagt, ich habe Durst, und der vergeht nicht so einfach.

Ich weiß gar nicht mehr, wie das alles so richtig angefangen hat. Ist auf jeden Fall schon ne Weile her. Damals hatte ich noch Arbeit, ein Haus, ein paar Kinder und ne Frau. Damals hatte ich ein Leben. Dann gab es Probleme mit der letztgenannten, und eh ich mich versah, hatte ich gar nichts mehr, saß am Ufer des Flusses mit einer Flasche Klarem und ging einfach nicht mehr zurück. Wessen Schuld das war weiß ich nicht mehr, auf jeden Fall ging es mir schon mal besser.

Natürlich gab es Zeiten, Zeiten des Durstes, wo ich zurück in mein Haus gehen wollte, um mir ein paar Scheine zu borgen, doch meine Frau die alte Schlampe hatte sich kurz nach unserer Trennung irgend so einen braun gebrannten Schrank aus dem Fitnessstudio angeschafft, der mir blöde kommen wollte, als ich dauerläutend vor der Tür stand. Mir blieb wohl nichts anderes übrig, als die Schwuchtel in den Vorgartenteich zu schmeißen. Dabei muss der wohl irgendwie falsch gefallen sein, er regte sich auf jeden Fall nicht und das Wasser um ihn herum nahm eine stark rötliche Farbe an. Da bekam ich es mit der Angst zu tun, eine Reaktion, die ich heute nicht mehr ganz nachvollziehen kann, und flitzte.

Ich bin mir nicht ganz sicher, aber der Verdacht lässt mich nicht los, dass meine Frau nur gedroht hatte, die Bullen zu rufen, als ihr jugendlicher Stecher meinen Teich voll blutete. Es ist gut möglich, dass der sich lediglich am Kopf eine mittelgroße Platzwunde zugezogen hatte, die zwar zuerst wie doof blutet, aber nach einer leichten Behandlung nicht einmal ne Narbe hinterlassen muss. Man kann zwar nicht sagen, dass sie die Weisheit mit Löffeln gefressen hatte, aber dumm war sie nicht. Auf jeden Fall hörte ich nichts mehr von ihr, oder las etwas von der glorreichen Tat in der Zeitung. Selbst bei einer späteren Personenkontrolle interessierten sich die Beamten nicht besonders für mich. Das war wiederum ne ganz andere Geschichte.

Ich saß gerade an meiner Lieblingsstelle in der Nähe der alten Brücke, irgendwo am Ufer, wo das Gras im Sommer fast die Höhe von Schilf erreicht. Der Boden besteht aus dunklem weichem Sand, und wenn man ein wenig Zeit und Geduld mitbringt, kann man den Möwen beim Nestbau zuschauen. Einigen habe ich schon Namen gegeben und ich glaube sie unterscheiden zu können. Ein wunderbarer Ort inmitten diesem ganzen Wahnsinn. Dort bin ich ganz für mich allein, niemand sieht mich, niemand belästigt mich, niemand will „mal einen Schluck". Nur ich, das Gras, das sanfte Plätschern des Wassers, die salzige Brise und ne Flasche schwarzer Jack.

Eines Tages, ich überlegte gerade, ob da Peewee oder Schwarzmaul den Strand mit Kot bombardierte, standen zwei Polizisten hinter mir. Ich hatte sie gar nicht kommen hören, da fuchtelte mir einer von den beiden schon mit seiner Hand vor den Augen rum, so als wäre ich ein Psycho oder so was und schrie mir Sachen wie „HEH SIE, HÖREN SIE MICH?" oder „WISSEN SIE WO SIE HIER SIND?" ins Gesicht. Dabei verlor ich Peewee (oder Schwarzmaul) aus den Augen, der Kerl, irgend so ein ehrgeiziger Jüngling, wie ich die hasse, musste ja auch direkt vor mir stehen und mir seinen Pornobalken unter die Nase halten.

Na ja, ich hatte mich vorher bereits ne ganze Weile mit Jack unterhalten, wenn ich mich richtig erinnere, lag da nur noch ein letzter Schluck in seiner gläsernen Hülle, ich war also schon ganz gut dabei. Ich sprach irgendetwas von Scheiße, die vom Himmel flog und beglückwünschte die Beamten zu ihren breitkrempigen Mützen, als der Kerl, der hinter mir stand mich packte und in seinen Dienstwagen zerrte.

Nach einem kleinen Blackout wachte ich dann in einer kleinen gemütlichen Zelle auf. Mein Schädel hämmerte wie wild und die Nackenmuskeln hatten sich ziemlich verkrampft. Nachdem ich mich ein wenig umgesehen hatte, stand ich auf und entleerte meinen Magen auf dem bitteren Weg in die Edelstahltoilette. Danach ging es mir schon etwas besser, trotzdem spürte ich noch immer die ungewöhnliche Schwere meines Kopfes. Nach einer kleinen Untersuchung stellte ich fest, dass da eine verdammt große Beule an meiner Stirn gewachsen war. Ich machte mir erst gar nicht die Mühe darüber nachzudenken, wie ich an die gekommen war, das gibt man spätestens nach einem dutzend längerer Unterhaltungen mit dem alten Jack von ganz allein auf. Also ging ich zurück zu der schmalen Pritsche und schlief innerhalb einer Minute von neuem ein.