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Ein unerwarteter Segeltörn Teil 02

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»Nun, ich habe mitbekommen, dass du enttäuscht warst, als Papa uns verlassen musste. Du bist schon immer ein Papakind.«

»Das stimmt, ich hatte mich wirklich darauf gefreut, wieder etwas mit ihm zusammen zu unternehmen.«

»Und dann hat er dir die Verantwortung über das Boot übertragen und damit ja auch für uns alle.«

»Das macht mir nichts aus. Da denke ich nicht drüber nach. Ihr beide macht das so toll, dass ich gar nicht das Gefühl habe, besondere Verantwortung tragen zu müssen.«

»Ich bin da nicht so versiert. Mir fehlt die Erfahrung. Aber Thomas läuft das alles scheinbar so leicht von der Hand.«

»Ja, das stimmt. Er ist geschickt mit dem Boot und er sieht, wo angefasst werden muss.«

»Insofern ist es ein Glücksfall, dass Papa ihn eingeladen hat, mitzusegeln. Wäre er nicht dabei, hätten wir den Urlaub abbrechen müssen«, sagte Melanie.

»Richtig. Ohne ihn hätte ich mir nicht getraut, die Überfahrt zu machen. Nur mit dir wäre das nicht gegangen. -- Verstehe mich nicht falsch. Ich fahre gerne mit dir alleine in den Urlaub. Aber eine einzige erfahrene Seglerin reicht zumindest mir nicht aus.«

»Ich verstehe dich ganz und gar nicht falsch, Schwesterherz. -- Ich vermute, Papa hätte uns auf diesen Trip nicht alleine machen lassen. Also ist es gut, dass Thomas dabei ist.«

»Apropos Thomas. Läuft da zwischen dir und ihm etwas?«

»Wie kommst du da drauf.«

»Ich habe den Eindruck, ihr seid sehr vertraut miteinander.«

»Du, wir kennen uns schon aus dem Sandkasten«, meinte Helena ausweichend.

»Das meine ich nicht, und das weißt du auch.«

»Er hat sich verändert, seitdem ich ihn das letzte Mal gesehen habe.«

»Inwiefern?«

»Es ist zuvorkommender als früher, freundlicher, ja fast liebevoller.«

»Woran machst du das fest?«

»Es ist seine ganze Art, so wie er mich ansieht und wie er sich mir gegenüber verhält.«

»Ist es dir unangenehm?«

»Nein. Eigentlich nicht. Es war sehr schön, wie er mich am Strand und auch heute eingecremt hatte.«

»Das habe ich bemerkt.«

Helena stützte sich ein wenig auf und fragte: »Wie? Du hast das bemerkt?«

»Am Strand hatte ich den Eindruck, du zerfließt unter seinen Händen.«

Sie ließ sich wieder sinken und sagte: »Ja, das trifft es gut. Sobald er angefangen hatte, ist es für mich so gewesen, als hätte ich mich in ganz vertrauensvolle Hände begeben. Ebenso heute Mittag beim Kochen. Erst hat er mich bei der einen Welle aufgefangen und danach... danach hat er mich in den Arm genommen. Ich habe mich gefühlt wie... sicher, gut aufgehoben. Ich kann nicht beschreiben, warum.«

»Brauchst du auch nicht. Wenn es dir gutgetan hat, dann ist doch alles in Ordnung.«

»Ja, es hat gut getan. Vor allem nach...«, sie stockte und sprach nicht weiter.

»Vor allem nach was?«, fragte Melanie.

»Nichts. Es ist für mich kontaktschon länger vorbei. Ich denke schon gar nicht mehr dran, zumindest nicht so oft.«

Melanie setzte sich auf und fragte: »Möchtest du mir erzählen, was passiert ist?«

»Eigentlich wollte ich niemanden damit behelligen. Ich wollte das Problem einmal alleine lösen.«

Melanie saß da und unterbrach sie nicht.

»Es war... es war vor zwei Jahren. Du warst ein Semester im Ausland. -- Ich hatte jemanden auf einer Uni-Fete kennengelernt. -- Er machte einen netten Eindruck gemacht und wir verstanden uns gut. Wir hatten uns öfters verabredet, sind ins Kino und mal ins Theater gegangen. Er ist freundlich gewesen und, der altmodische Ausdruck passt ganz gut, er hat mir den Hof gemacht. Ich habe ihn nett gefunden und irgendwann habe ich bei ihm übernachtet. -- Wir sind zusammen im Bett gewesen. Ab da hätte ich wissen müssen, dass etwas mit ihm nicht stimmt.«

»Hatte er dir weh getan?«

»Kann ich so nicht sagen. Es ist etwas wilder zugegangen und da ist er grob geworden. Ich habe es zu diesem Zeitpunkt, der Situation zugeschrieben. Er war der dritte Mann, mit dem ich im Bett war. Ich konnte also auf keine große Erfahrung zurückblicken. -- Aber beim zweiten Mal hatte er es wieder so gewollt und ich habe ihm gesagt, dass ich es so nicht möchte. Er meinte darauf, dass ich mich nicht so zieren solle, ich würde es doch in Wahrheit auch so haben wollen. Und wir haben an dem Abend ein weiteres Mal miteinander geschlafen. Es war ein Fehler. Es war schrecklich für mich! Ich... ich bin mir so benutzt vorgekommen und... und nicht geliebt. -- Ich bin dann nicht über Nacht geblieben, sondern zurück in mein Studentenzimmer. Tage später habe ich ihm gesagt, dass ich ihn nicht mehr wiedersehen will. Das hat er oder wollte er nicht verstehen. Er hat mich weiter angerufen, mir SMS geschickt und versucht, mich in der Uni zu treffen. -- Ich machte alles, um ihm aus dem Weg zu gehen und war noch zu den Vorlesungen in der Uni. Danach bin ich immer sofort nach Hause. Als er dann einmal vor meiner Tür auf mich gewartet hat und mit rein wollte, hatte ich Glück, dass ein anderer Sportstudent im Hausflur war. Das war so ein Ein-Meter-neunzig-Schrank, der mir zu Hilfe kam und dem Typen zu verstehen gegeben hat, dass er mich in Ruhe lassen solle. Ich habe mich bei ihm bedankt und ihn auf einen Kaffee zu mir eingeladen, seine Freundin, die ich vom Sehen kannte, kam später auch noch dazu. Ich habe ihnen die Geschichte in Kurzform erzählt und sie meinten, dass dieser Typ ein klassisches Stalker-Arschloch sei und dass ich ihm mit einer Anzeige bei der Polizei drohen sollte, wenn er mich nicht in Ruhe lassen würde. Das habe ich auch gemacht und danach war Ruhe.«

»Oh je, Schwesterherz! Warum hast du denn nichts davon früher erzählt oder mir eine E-Mail geschrieben?«

»Ich weiß, es ist dumm von mir. Ich habe eben versucht, ein Problem einmal allein, ohne Papa oder meine große Schwester zu lösen.«

»Ich verstehe, was du meinst. Aber es ist nie verkehrt, um Hilfe zu bitten, wenn man sie braucht. Und auch, wenn du das Problem alleine gelöst hast, und du hast dich absolut richtig verhalten, bin ich immer für dich da, und höre dir zu. -- Komm mal her!«

Helena kam zu ihr herüber und ihre Schwester nahm sie in den Arm. Zusammen saßen sie auf der Koje.

»Darf ich auf Thomas zurückkommen?«, fragte Melanie nach einer Weile.

»Klar?«

»Dir hat es gefallen, wie er dich eingecremt, wie er dich berührt hat?«

»Mmh«, nickte Helena.

»Und, kann es sein, dass du immer noch Angst hast, dich auf etwas Neues einzulassen?«

»Ja, du hast recht. Die Erfahrung war einfach zu grässlich -- mit ihm ist das so anders.« Nach einer Weile fragte sie: »Meli?«

»Ja, Schwesterherz.«

»Ich habe Angst.«

Melanie schwieg.

»Ich habe Angst, dass er mir genauso weh tut, wenn wir uns näher gekommen sind. Und ich habe Angst, dass ich deswegen eine Chance verpasse, wenn ich ihm Unrecht tue. -- Hier auf dem Boot ist das noch schwieriger. Ich kann nicht einfach weggehen, wenn ich etwas nicht will.«

»Ich verstehe dich, eine vertrackte Situation! Ich sehe zwei Möglichkeiten: Entweder du verschiebst alles auf die Zeit nach dem Urlaub oder du versuchst es jetzt, mit deinem Herz zu lösen«, sagte Melanie.

»Nach dem Urlaub sind wir alle wieder verstreut.«

»Und was sagt dir dein Herz im Moment?«, fragte Melanie.

»Ich sehe bei ihm keinen einzigen schlechten Funken.«

»Dann schau doch, zu was für einem Menschen er sich entwickelt hat. Sieh doch die Enge des Boots nicht als Nachteil an, sondern nutze sie zu deinem Vorteil. Wo könntest du sonst in so kurzer Zeit so viel über eine andere Person erfahren? Papa hat früher einmal erzählt, dass, wenn eine Gruppe von Leuten herausfinden wollte, ob sie auf einem Boot längere Zeit gut miteinander auskämen, sie sich in einem Badezimmer über ein Wochenende zusammen einschließen sollten.«

»Stimmt, Papa hat früher diesen Vorschlag gemacht, da wir nicht sicher waren, ob wir es miteinander aushalten würden«, bestätigte Helena lachend.

»Und, wenn alle Stricke reißen sollten, könnten wir es immer noch wie einen Unfall aussehen lassen.«

»Wie meinst du das?«

»Nun, du weißt doch, die Nordsee ist groß und das Wasser ist kalt...«

»Du bist unmöglich, Melanie!«, sagte Helena lachend und knuffte sie freundschaftlich in den Arm. Sie legte sich zurück auf ihre Koje und blickte an die Decke. Nach einer Weile fragte sie: »Und, was hältst du von ihm?«

Melanie hatte damit gerechnet, dass sie die Frage früher oder später gestellt bekommen würde. Sie hatte sich vorgenommen, neutral zu bleiben. Sie hatte ihm versprochen, nichts von dem zu erzählen, was sie von ihm wusste und sie wollte die Entwicklung der Beziehung weder in positiver noch in negativer Richtung beeinflussen. Sie hielt es für besser und vor allem für die beiden aufregender, wenn sie die gegenseitige Entdeckung mit gleichem Wissensstand erleben würden. Auch war sie der Meinung, dass die Ratschläge, die sie ihm gegeben hatte, allgemeiner Natur und nicht speziell auf ihre Schwester bezogen waren. Sie antwortete: »Ich habe ihn vergleichbar wahrgenommen, wie du. Er ist zuvorkommend, freundlich und hilfsbereit. Ich würde nicht sagen, dass ich unter seinen Händen dahingeschmolzen bin. Aber es war... es war sehr angenehm. Wenn ich mitbekäme, dass er sich für mich interessieren würde, würde ich schauen wollen, was für ein Mensch er ist.«

»Du hast recht. Trotz allem, was ich erlebt habe, darf ich mich nicht verkriechen, sondern sollte mir wachem Auge nach vorne schauen. -- Du bist die beste Schwester, die ich mir vorstellen kann! Ich liebe dich!«

»Ich liebe dich auch! Mach dir nicht zu viele Gedanken!«

Ein ›alles wird gut‹ verkniff sie sich. Stattdessen sagte sie: »Schlaf gut, Schwesterherz!«

»Du auch!«

Tag 7 - Die Fahrt nach London

Am Samstag segelten sie erst am späten Morgen los, da sie die Gezeiten ausnutzen wollten. Das ablaufende Wasser half ihnen, den Blackwater schnell hinabzufahren und das danach auflaufende Wasser, die Themse hinauf gegen die Flussströmung an zu kommen.

Gegen sechs Uhr abends hatten sie die äußere Themsemündung erreicht. Thomas fragte, ob sie etwas gegen Pfannkuchen à la carte einzuwenden hätten. Sie freuten sich über das Angebot, insbesondere, da er sich die Mühe machen wollte, ohne elektrischen Rührer, Eischnee aufzuschlagen. Später konnte sich jede aussuchen, was sie auf ihre Pfannkuchen haben wollte.

Dank günstigem Wind segelten sie die gesamte Strecke flussauf. Zunächst kamen sie an den großen Raffinerien vorbei, später am Millennium Dome. Sie passierten den nullten Längengrad und gegen elf Uhr bogen sie um die letzte Kehre des Flusses und sahen die hell erleuchtete Tower Bridge vor sich. Für alle war es ein erhebender Moment, dieses berühmte Wahrzeichen segelnd erreicht zu haben. Da der Yachthafen, die St. Katharine-Docks, nur über eine Schleuse zu befahren war, und diese um kurz vor Mitternacht geschlossen hatte, machten sie an einem kleinen Anleger vor der Schleuse fest. Alle zogen sich bei gleichbleibender Kojenaufteilung zu ihren Schlafplätzen zurück.

Thomas lag in seiner Koje, hatte die Arme unter dem Kopf verschränkt und stieß einen zufriedenen Seufzer aus. Er ließ den Tag Revue passieren und hatte das Gefühl, dass er Helena an diesem Tag wieder ein bisschen näher gekommen war. Es hatte sich zwar keine weitere Gelegenheit ergeben, dass sie so wie tags zuvor, sich in der Kombüse spärlich bekleidet nahegekommen waren. Doch die Art, wie sie auf seine Blicke reagiert und ihn zwischendurch angelächelt hatte, bestärken ihn darin, dass er sich auf dem Weg befand, dem Melanie ihm nahe gelegt hatte. Es wurde ihm erneut warm ums Herz, als er sich den Moment in Erinnerung holte, als Helena sich sogar an ihn gelehnt hatte. Er war sich sicher, dass es keine zufällige Berührung gewesen war. Sie hatten nebeneinander im Cockpit gesessen und auf dem langen Schlag zur Themsemündung hatte sie sich irgendwann entspannt und sich an ihn gelehnt, als ob sie Halt bei im gesucht hätte. Er war so von ihrer Geste überrascht gewesen, dass er sich lange Zeit nicht getraut hatte, sich zu bewegen. Er hatte diesen Moment so lange wie möglich hinausziehen wollen. Doch irgendwann hatten sie leider den Kurs in Richtung flussaufwärts ändern müssen und dieser zarte, intime Moment hatte ein jähes Ende gefunden.

In der Koje nebenan fragte Helena: »War das nicht ein wunderschönes Etmal heute?«

»Ja, es war heute wirklich schön. Für mich ist es die schönste Etappe bisher gewesen. -- Und sonst?«

»Was meinst du?«

»Hat sich deine Sichtweise ihm gegenüber verändert?«, fragte Melanie.

»Hmm. Er ist... Wie soll ich das sagen? Er ist ein... er hat ein großes Herz. -- Es ist ein liebes Herz. -- Und ich mag ihn.«

»Und?«

»Was und?«

»Wirst du ihn in dein Herz lassen?«

»Ich habe immer noch ein bisschen Angst. Aber nicht mehr so viel, wie vorher.«

»Ja?«

»Ich glaube,... er hat... er hat mein Herz schon erreicht.«

Tag 8 - Sightseeing in London

Am nächsten Morgen wurden sie von ›Rule, Britannia!‹ in voller Lautstärke geweckt. Die Geschwister kamen zu Thomas in den Salon und sie schauten sich alle fragend an. Helena sah aus einem Salonfenster, welches zum Fluss ging und sah dort nur eine weiße Stahlwand.

»Kommt! Lasst uns an Deck gehen«, forderte sie die anderen auf.

Sie schoben das Luk auf und kletterten den Niedergang hinauf. Draußen erwartete sie ein ungewöhnliches Schauspiel. Ein riesiges Kreuzfahrtschiff fuhr in diesem Moment flussaufwärts an ihnen vorbei. Dort spielte man die britische Nationalhymne ab, während es durch die geöffnete Tower-Bridge fuhr.

»Na das ist ja mal was«, sagte Thomas, »ich glaube, das sieht man nicht alle Tage.«

»Und das Wecken mit so schöner Musik!«, meinte Melanie.

Alle machten Fotos mit ihren Mobiltelefonen und warteten, bis das Schiff vorbei und die Brücke wieder geschlossen war. Danach gingen sie wieder unter Deck und frühstückten.

»Wie lange müssen wir warten, bis wir in den Hafen können?«, fragte Thomas.

»Bis elf oder so kann das dauern. Der Pegel der Themse muss so hoch sein, dass die Schleuse genutzt werden kann. Wenn sie zu früh schleusen, verlieren sie zu viel Wasser im Hafen. Der ist schließlich nicht groß.«

»Leuchtet ein.«

»Und was machen wir heute?«, fragte Melanie.

»Wir könnten ja schauen, was heute im Kino kommt und wenn uns etwas gefällt, schauen wir es uns an. Morgen könnten wir nach Greenwich fahren, dann haben wir mehr Zeit.«

»Ich finde, das klingt nach einem guten Plan«, sagte Helena, »was meinst du?«

»Finde ich gut. Wir können doch hier auf dem Handy schon schauen, was später läuft.« Sie holte ihres hervor und suchte nach dem Kino.

»Wie hieß das noch, welches du erwähnt hattest?«, fragte sie Thomas.

»Es ist am ›Leicester Square‹.«

»Ich hab's schon gefunden. Die haben derzeit eine Sommermatinee, in der sie alte Filme zeigen. Heute spielen sie ›Singing in the rain‹.«

»Super!«, rief Thomas. »Kennt ihr den?«

»Ich kenn das Lied, glaube ich«, sagte Helena.

»Es ist ein Klassiker mit Gene Kelly, ein Tanzfilm.«

»Tanzfilm? Ich weiß nicht«, zweifelte Melanie.

»Es hat nichts mit ›Dirty Dancing‹ oder so zu tun. Wie soll ich das beschreiben? Gene Kelly ist... war einer der größten Tänzer der Welt, vergleichbar mit Fred Astaire«, sagte er begeistert. »Es ist eine Komödie, die zu Beginn des Tonfilms spielt. Neben diesem gibt es nur noch einen anderen Tanzfilm, den ich so gut finde, ›Ein Amerikaner in Paris‹.«

»Was meinst du, Melanie? Er klingt sehr begeistert. Und es muss einen Grund geben, dass sie ihn in einer Matinee spielen. Schlechte Filme bringen sie da sicherlich nicht«, sagte Helena.

»Gut, ihr habt mich überzeugt. Ich bin zwar schon lange nicht mehr am Nachmittag ins Kino gegangen. Wird bestimmt lustig.«

Sie klarten das Boot auf. Wenig später fuhren sie in die Schleuse und von dort aus in den Yachthafen. Der Hafenmeister wies ihnen einen Liegeplatz zu und sie erkundeten die nähere Umgebung. Am Nachmittag fuhren sie mit der Circle-Line bis zur Embankment-Station und gingen das verbleibende Stück zum Leicester Square zu Fuß. Nur wenige andere waren mit ihnen im Saal und die Verkäuferin sagte ihnen, dass sie sich ihre Plätze frei wählen konnten. Sie suchten sich Schöne in der Mitte des Saals und die Schwestern nahmen ihn in ihre Mitte.

Thomas meinte: »Ihr werdet sehen, der Film ist umwerfend.«

»Ich bin schon gespannt«, sagte Helena, »du klingst so euphorisch.«

»Ich kann es nicht gut beschreiben. Einige Filme und Musik Stücke... berühren mich mehr, als andere. Gehen mit nah. Kennt ihr sowas auch?«

»Im Kino ist mir das noch nicht passiert«, sagte Melanie. »Aber im Fernsehen hatte ich ›Schindlers Liste‹ gesehen. Der ist mir sehr nah gegangen.«

»Das verstehe ich. Der Film geht jedem nah«, stimmte Thomas zu, »er ist erschütternd gut. Ich meine gerade etwas anderes. Manches hat einen Zauber... klingt jetzt blöd, weiß ich... dem kann ich mich nicht entziehen.«

Helena dachte über das nach, was er sagte. Er machte auf sie einen sensiblen Eindruck. -- ›Er ist sensibel. -- Ich mag... ihn!‹

Er sorgte sich ein wenig, ob sie den Film albern finden würden. Jedoch verdrängte er den Gedanken, denn das Licht im Saal verlosch und der Film begann. Sie lachten herrlich bei der Szene über die Unmöglichkeit der Zungenbrecher, die die Figuren zum Sprachtraining lernen mussten.

Thomas genoss es, den Film im Original auf der großen Leinwand zu sehen. Er fühlte sich eigentlich glücklich in diesem Moment. Das letzte Quäntchen, das letzte Puzzlestein zum vollendeten Glück, welches ihm fehlte, saß neben ihm. Er überlegte ob und wann er sich trauen sollte.

Helena gefiel der Film. Sie fand, dass er witzig gemacht war und dass die Tanzeinlagen genial waren. Ihr fiel auf, dass die Szenen viel länger geschnitten waren, als dies in aktuellen Filmen getan wurde. Sie schmunzelte über die Einstellung, als die Figur des Don Lockwood sich von seiner Freundin verabschiedet hatte und im beginnenden Regen, taumelnd vor Glück, anfing zu singen und zu tanzen. Da spürte sie plötzlich, dass jemand ihre Hand berührte. Thomas legte seine Hand auf die ihre. Wärme breitete sich von da aus. Ihr Herz begann zu klopfen. Was fühlte sie? Fühlte sie sich sicher? -- Sie fühlte sich sicher. Wollte sie? -- Ja, sie wollte! -- Sie war bereit, ihm ihr Herz weiter zu öffnen. Sie spreizte ihre Finger, ließ seine zwischen ihre gleiten und hielt ihn fest.

Für Thomas verlor der Film schlagartig an Bedeutung. Seine Aufmerksamkeit galt der zarten kleinen Hand. Sie hielt ihn fest! Sie wies ihn nicht zurück! Er hielt sie fest, er wollte sie für immer festhalten. Sie ließ ihn nicht los. Er seufzte tief.

Melanie hörte ihn und warf einen Blick hinüber. In der wechselnden Dunkelheit erkannte sie zunächst nichts Ungewöhnliches, bis sie sah, dass ihre Schwester und er sich die Hände hielten. ›Endlich!‹, dachte sie sich.

Helena verstand mit einem Mal, wie ihn dieser Film bewegte. Sie konnte durch seine Hand spüren, welche Momente in dem Film ihn mehr mitnahmen als andere. Winzige Bewegungen, ein leichter Druck hier oder eine Entspannung dort übertrugen seine Empfindungen genauso gut, wie eine neuronale Kanüle, die sie einmal einem Science-Fiction-Film gesehen hatte, mit der Menschen untereinander verbunden waren.

Der Film kam zum Ende und Thomas hatte den Eindruck, die Zeit sei verflogen. Er wäre am Liebsten sitzen geblieben, da er ihre Hand nicht loslassen wollte.

Als der Abspann sich dem Ende näherte, stand Melanie auf. Helena schaute zu Thomas und fragte: »Wollen wir?«

Er nickte. Sie beide standen ebenfalls auf und lösten ihre Hände voneinander. Schweigend verließen alle den Saal, gingen durchs Foyer und blieben draußen vor dem Kino, stehen.

»Und, wie fandet ihr den Film?«, fragte er die beiden, um unkompliziert das Schweigen zu brechen.

»Ich fand ihn schön«, sagte Melanie, »ein bisschen altmodisch, klar, aber supergemacht. Und du hattest recht, er kann wirklich tanzen und sieht verdammt gut aus!«

»Mir hat der Film auch gefallen. Besonders gut gefiel mir die Rolle der Kathy Selden. Zu Beginn wirkte sie sehr selbstbewusst, später hatte ich den Eindruck, dass sie es etwas schwer hatte, gegen die zwei männlichen Darsteller durchzukommen.«