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Ändert sich was? Kapitel 02

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Ich staunte nicht schlecht. Ich bin mutig und die anderen glauben ich helfe ihr und trauen sich nicht mit mir in Kontakt zu kommen. Auch wenn ich erst zehn Jahre alt war, begriff ich sehr schnell, was hier lief. Da war Piadora, die anderen in der Schule beim lernen hilft, so hatte ich den Norbert verstanden, und die gleichen Klassenkameraden hänseln sie und lachen über sie, weil sie anders sein soll. Das kannte ich sehr gut aus meiner alten Schule.

„Warte bitte hier, ich muss mal pinkeln. Ich bin gleich wieder bei dir. Wenn ich jetzt nicht gehe mache ich mir in die Hose."

Piadora sah mich ängstlich an und ich spürte, dass sie nicht alleine, hier vor dem Waschbecken, stehen bleiben wollte. Kaum hatte ich das begriffen, fragte Piadora mich auch schon.

„Kannst du bitte die Kabinentür offen lassen?"

Ich klopfte mir in Gedanken an die Stirn und dachte so für mich, dass ich da wohl von alleine hätte drauf kommen können. Ich ging, weil es wirklich drückte, in eine Kabine ihr gegenüber und ließ die Tür offen. Sie schaute nicht zu, denn sie drehte sich zur Seite.

„Gut so, Piadora?" fragte ich und wunderte mich über mich selbst, weil ich ohne zögern jemand Fremdem erlaubte mir beim Pinkeln zuzusehen.

„Ja, das ist gut Kathja. Ich guck auch nicht hin."

„Ich sehe das, Piadora. Aber wie hat das denn Norbert mit dir gemacht?", fragte ich.

„Der stand immer mit dem Rücken vor der Kabinentür und unterhielt sich mit mir bei offener Tür. Da durfte keiner an ihm vorbei in die Toilette.", gab sie als Antwort zurück.

Ich staunte und sah nach oben. Piadora stand immer noch wie vorher, hatte sich bei ihren Antworten nicht einmal umgedreht und als ich fertig war ging sie an mir vorbei und setzte sich auf die selbe Toilette und pinkelte los.

„Wie du musstest auch? Du kannst doch eine andere Kabine benutzen und musst nicht warten."

„Ja ich weiß, aber dann bin ich alleine und niemand ist da."

Ich verstand das zwar nicht, gab mich jedoch mit der Antwort zufrieden.

Piadora kam wieder aus der Kabine und mit dem Rauschen des Wassers in den Spülkasten verließen wir nach dem gemeinsamen Hände waschen die Toilette. Piadora lief wieder hinter mir und wir kamen noch gerade rechtzeitig zum Klingeln in den Klassenraum. Jeder andere wäre in seinem Gang zum Platz gegangen. Piadora war wirklich anders. Sie lief mir hinterher bis wir unsere Sitzreihe erreichten und wartete, dass sie hinter mir vorbei gehen konnte, um zu ihrem Platz, rechts von mir, zu kommen. Als ich mich anschließend hinsetzte hörte ich Norbert vor mir, ohne das er sich umdrehte leise sagen: „Hast du schnell begriffen Kathja, Piadora wird dir so schnell nicht von der Seite weichen. Ist eine treue Seele und herzensgut. Kannst du glauben. Wenn ihr Probleme bekommt, ..." Weiter kam er nicht, denn Frau Lehmann stand an ihrem Tisch und bat um Ruhe. Es folgten noch drei Stunden und wir gingen nach Hause.

In den nächsten Tagen beobachtete ich die anderen Mitschüler und merkte, dass es einige gab die sich dem allgemeinen Treiben entzogen. Ich gehörte zu diesen Schülern. Piadora war wirklich extrem anders. Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Sie wusste sehr viel und meistens mehr, als wir gelernt hatten. In den Pausen war sie ständig hinter mir und wenn es etwas hektisch oder turbulent wurde, rückte sie sehr dicht an mich ran. Ich kann nicht erklären warum, aber es störte mich überhaupt nicht. Es geschah das Gegenteil. Der Körperkontakt mit ihr gefiel mir sehr und so standen wir oft mit einem Arm an der Hüfte umarmt zusammen. Ich gehörte dem Kreis von Piadora an und das war super für mich. Denn ich durfte, in mich gekehrt, schweigen und musste nicht alle möglichen Fragen beantworten. Man lies mich in dieser Gruppe in Ruhe und band mich nicht in alle kleinen und großen Geheimnisse ein. Pia war für mich ebenso ein Schutzschild wie ich für sie. Norbert hatte immer mit seinen Freunden ein Auge auf uns. Zu Hause erzählte ich meiner Schwester Manja und Mam jede Einzelheit des Tages und beide hörten mir aufmerksam zu.

Einmal, es waren schon zwei Monate vergangen, fragte mich Manja, ob Piadora behindert sei. Mam hörte das und sagte nur, dass es wohl so sein wird. Es gibt da aber gewisse Unterschiede. Nach den Erzählungen von mir, handelt es sich bestimmt nicht um eine Behinderung im allgemeinen Sinn, sondern nur um ein psychisches Problem, dass nicht so leicht zu beseitigen wäre. Ich verstand zwar nur Bahnhof, aber begriff wenigstens, dass meine beste Freundin, als solche betrachtete ich sie mittlerweile, wirklich anders ist.

Mam nahm mich eines Abends beiseite und wollte wissen, ob ich Piadora mal mit nach Hause bringen möchte. Ich war verblüfft und ärgerte mich über mich selbst. Wie immer haben andere eine Idee, die ich selber hätte haben können. Zumal ich mir sehr früh wünschte, dass ich mehr mit ihr zusammen sein kann. Was wäre mir alles an Darstellungen erspart geblieben. Piadora war ja nicht blöd oder zurück geblieben. Sie war die beste Schülerin der gesamten vierten Klassen und wir hatten drei davon. Fast neunzig Schüler konnten Piadora nicht das Wasser reichen. Selbst ich lies mir von ihr helfen, wenn ich etwas nicht verstand. Norbert und seine Gruppe merkten bald, dass es jetzt zwei Mädels gibt, die sich ergänzen und allen helfen, so gut es geht. Wir waren sieben Schüler, die ausgegrenzt und geärgert wurden. Norbert durfte das nicht mitkriegen. Dann war immer dicke Luft. Er war sehr kräftig für sein Alter und weil er einmal wegen einer schweren Krankheit zurückgestellt wurde, der älteste von uns. Lernen fiel ihm sehr schwer, aber im Sport war er der beste. Zu uns gehörte er nicht. Er hatte seine eigene Gruppe und war dort der „Anführer". Für uns sprang er jedoch mit seinen Kumpels immer in die Breche.

Piadoras Besuch war zwei Wochen nach dem Gespräch mit Mam. Den Freitag kam sie nach der Schule mit zu mir. Als Mam die Wohnungstür öffnete, stand sie wie angewurzelt in der Tür und starrte regungslos Piadora an. Ich schaute zu Piadora, weil sie neben mir stand und ich nicht begriff warum Mam erstarrte. Da waren sie wieder. Diese bezaubernden gigantischen braunen Augen, aus denen die blanke Neugier strahlte, die ihr inne wohnte. Piadora sah Mam an, als wäre sie eine Göttin. Sie bewegte sich genauso wenig wie Mam. Mit leicht geöffnetem Mund, als würde sie ein Wunder bestaunen, betrachtete sie Mam. Ich traute mich nicht diese Szene zu stören. Es bestand auch kein Grund, denn ich wusste mittlerweile was passieren wird. Manja kam gerade auf den Flur, sah das Stillleben in der Wohnungstür, schaute auf Piadora und wurde sofort von den Augen von Piadora eingefangen. Piadora sah sie an und Manja ging langsam auf sie zu. Kurz bevor sie Piadora erreichte, griff Piadora die linke Hand unserer Mutter, schnappte sich die rechte meiner Schwester und ging zwischen den beiden hindurch in die Wohnung. Beide folgten ihr, sahen zu mir zurück und lächelten mich an. Ich betrat nun auch unsere Wohnung, schloss die Tür hinter mir und ging ihnen nach. Langsam, ohne große Eile, zog Piadora alle hinter sich her, blieb immer dann stehen, wenn ein Raum erreicht war und schaute hinein. Türen öffnete sie ohne zu fragen, lies ihre Augen kurz umher wandern und ging mit uns weiter. Sie sprach dabei kein Wort. Als wir beim Mädchenzimmer von uns Schwestern angekommen waren und sie hinein sah, hüpfte sie in die Luft, lies die Hände los und war blitzschnell in unserem Zimmer verschwunden. Mam zog uns Schwestern an sich heran, legte jeder von uns einen Arm auf die Schulter und sagte ganz leise: „Sie ist genauso süß wie ihr. Mein Gott! Wo kommt dieser dritte Engel her. Dann sah sie uns in die Augen und lächelte unter Tränen, das erste mal nach vielen Jahren.

Wir sahen Piadora schweigend zu, wie sie die Schranktüren auf und zu machte, weil sie die Rolltüren faszinierten, von einem Schreibtisch zum nächsten flitzte, sich in die beiden Bürostühle setzte und einfach nicht wusste auf welchem sie sitzen bleiben sollte. Die einfachste Lösung schien für sie zu sein, dass sie auf Manjas Bett sprang. Sie ließ sich der Länge nach auf den Rücken fallen und breitete die Arme aus. Erst jetzt kehrte Ruhe in ihr ein und sie hatte die Augen geschlossen. Wir gingen alle drei in das Zimmer. Manja und ich setzten uns auf unsere Bürostühle und Mam auf das Bett neben Piadora. Als Mam ihre rechte Hand auf das linke Schienbein von Piadora legte, öffnete sie die Augen, drehte ihren Kopf zu unserer Mutter und rief ganz laut, dass uns fasst die Trommelfelle platzten: „Ich finde es super hier. Ihr wohnt klasse. Ich werde auch einmal so wohnen und dann habe ich viel Besuch und viele Freunde und keiner kann mich ärgern."

Dann schloss sie wieder die Augen, rollte sich auf die Seite, krümmte sich zu den Knien unserer Mutter, klammerte sich an ihr fest und wimmerte nur noch. Mam schossen die Tränen in die Augen und fing laut an zu weinen. Uns erwischte es auch und Manja sprang sofort zum Bett, setzte sich zu Kopf von Piadora und streichelte sie unter Tränen. Ich rückte langsam mit meinem Stuhl näher und spürte einen gewaltigen Kloß im Hals. Meine Schleusen waren noch nicht ganz geöffnet. Am Bett angekommen konnte ich meine Tränen nicht mehr halten und schloss mich dem allgemeinen Tränenfluss an. Wir streichelten Piadora und versuchten sie zu beruhigen. Mam schluchzte kurz und beendete diese Situation als erste.

„Komm Kleines, alles wird gut. Was möchtest du trinken? Ich hol dir was."

„Nein!", kam es aus Piadoras Mund. „Ich möchte nichts trinken. Kathja soll mich ins Heim bringen."

Mam wurde kreidebleich und starrte auf dieses kleine Häufchen Elend. Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht und beugte mich aus dem Stuhl über Piadora. Sanft streichelte ich ihr über das Haar und gab ihr das erste mal einen sanften Kuss auf ihre linke Wange. Mein erster Stromschlag durch den Bauch schlug ein.

„Ich bringe dich gerne nach Hause. Könntest du mir vorher vielleicht helfen?"

Piadora öffnete die Augen, sah mich direkt an und nickte.

„Gut. Würdest du mit meiner Mam, meiner Schwester Manja und mir Kuchen essen, damit wir nicht unterwegs verhungern?"

Piadora sah mir ernst in die Augen und flüsterte: „Ich möchte schon, aber wenn ich es mache darf ich nie wieder hierher kommen. Das ist immer so, wenn ich bei anderen Kuchen esse."

Mit Schweigen verfolgten wir zu dritt das Verhalten und Mam fing bei dem Satz von Piadora wieder an zu weinen. Sie stand auf und rannte aus unserem Zimmer. Wir hörten ein lautes und nicht mehr enden wollendes Heulen aus dem Flur. Manja sprang auf, Piadora hüpfte vom Bett und ich konnte gar nicht so schnell folgen und begreifen, was sich hier abspielte. Der Kloß im Hals war wieder da. Meine Reaktion war entsprechend langsam und so stand ich als letzte im Flur, bei unserer Mutter.

Sie kniete auf dem Boden, tief nach unten gebeugt und ihr Körper schüttelt sich bei jedem Schluchzen. Piadora kniete vor ihrem Kopf und streichelte Mam über die Haare. Leise bat sie Mam doch aufzuhören. „Ich esse ja Kuchen mit dir. Ich möchte aber auch wiederkommen. Geht das vielleicht?" Mam heulte fürchterlich auf, meine Schwester und ich weinten jetzt bitterlich und alle drei umringten wir Piadora. Mam richtet sich auf, griff nach Piadora, zog sie zu sich heran und presste sie an sich. „Ja, mein kleiner Engel. Du darfst jederzeit wiederkommen. Wann immer du willst." Sie drückte Piadora noch einmal fest an sich und umarmte dann uns drei gemeinsam.

„Mädels. Ich werde wohl Dinge tun, die unser Leben völlig aus der Bahn werfen werden. Ich kann aber nicht anders." Mit diesem Satz löste sie sich von uns, erhob sich und rief laut: „Los ihr drei. Ab in die Küche und an den Kuchen. Sie schien sehr entschlossen.

Manja und Mam hatten schon lange vor dem Besuch von Piadora den Tisch gedeckt. Unser Besuch schnellte in die Küche, stürzte auf den Küchentisch zu und setzte sich einfach auf einen Platz, ohne zu fragen, wer wo sitzt. Sie schaute zu uns, die wir noch in der Küchentür standen, und wartete gespannt. Piadora saß genau dort, wo sie eingeplant war und wir guckten uns verdutzt an. Mam gewann zuerst die Fassung wieder: „Wie kommst du darauf, dass du dort sitzt?", fragte Mam liebevoll und leise. Dabei ging sie uns beiden voran und setzte sich neben Piadora.

Als wäre es das einfachste der Welt antwortete sie: „Das war doch klar. Da stehen vier mal Geschirr. Drei mal eine Tasse und einmal ein Glas mit Schokomilch. Kathja weiß ja, dass ich mir Schokomilch gewünscht hatte, weil sie wissen wollte was ich heute haben möchte. Ich wette, dass ich Rosinenkuchen unter dem Deckel da finde. Das hab ich schon vorhin gesehen und gewusst." Sie hob den Deckel hoch und lachte. „Sag ich doch. Das ist einfach." Sie griff sich eine Scheibe von dem Gugelhupf und legte ihn auf ihren Teller. Plötzlich sah sie zu uns und nahm ganz langsam ihre Hände vom Tisch. Leichte Röte stieg in ihr Gesicht und sie flüsterte ein „Entschuldigung." Dabei saß sie jetzt steif und Kerzen gerade auf ihrem Stuhl.

Mam faste nach einem ihrer Arme, zog ihn auf den Tisch und erklärte ihr, dass es schon in Ordnung wäre.

„Mach wie du denkst. Ist ja extra für dich gebacken."

Zu uns gewandt fügte sie hinzu: „Los Mädels, jetzt aber genießen. War alles ziemlich hart eben und das hier haben wir uns verdient."

Kaum hatte Mam gesprochen, legte Piadora brav ihre Hände neben den Teller und war wie in Gedanken versunken. Ich beugte mich über den Tisch, denn ich saß ihr genau gegenüber, legte meine rechte Hand auf ihre linke, streichelte sie und sah sie an. Ich weiß nicht, ob ich damals schon das Gefühl der Liebe zu ihr spürte, aber ein unbändiges Verlangen ihr ganz nah zu sein trieb mich zu dieser Handbewegung. Sie drehte ihren Kopf zu mir und schwieg.

Niemand wird mir je sagen können wie das funktioniert, aber ich wusste sofort was in ihr vor sich geht. In ihren Augen sah ich Angst und meinte lesen zu können, was sie gerade dachte. Ich sah ganz kurz in die Augen von Manja, schwenkte mit meinem Blick zu Mam und nickte kurz, fast unmerklich. Manja legte ihre Hand auf meine und drückte sanft von oben drauf. Ich schaute Piadora in die Augen und dann hörten wir, ohne hinzusehen meine Schwester.

„Piadora du darfst den Kuchen ruhig essen. Da, neben dir, sitzt unsere Mutter, die den für dich gebacken hat. Sie ist unsere beste und einzige Freundin die wir haben. Mam hat in den letzten Jahren viel schlimmes erlebt und wir alle waren lange Zeit sehr traurig. Wenn unsere beste Freundin uns etwas verspricht, dann hält sie es auch. So war es und wird auch ganz sicher so bleiben. Das kannst du mir glauben."

Während Manja sprach verloren Piadora und ich uns nicht aus den Augen. Wir himmelten uns das erste mal an.

Als Manja fertig war, sah dieses verängstigte Geschöpf zu unserer Mutter und mit diesem strahlenden Lächeln, mit leicht geöffnetem Mund, und den dazu gehörenden großen braunen Augen, himmelte sie unsere Mutter an. Ohne zu mir zu gucken fragte sie mich, den Blick fest auf Mam gerichtet: „Ist sie so wie du, meine beste Freundin und wird mich beschützen wie du. Ja? ... Kathja bitte.... Ja?"

Mam drückte sie von der Seite an sich, gab ihr einen Schmatzer auf den Kopf und ich sagte mit einem, mir selbst fremdem und sehr sanftem Ton: „Ja! Das ist so. Mam ist deine Freundin so wie Manja und ich. Hab keine Angst. Iss deinen Kuchen oder zwei oder drei Stücke. Iss soviel du magst. Wenn dir schlecht wird, pflegt dich Mam genauso wie uns. Ganz bestimmt."

„Nein, pflegen braucht sie mich nicht, ich will nur wiederkommen dürfen.", gab Piadora zurück. Dann gab es in ihr einen Ruck und sie aß ihren Kuchen, als wäre sie in einem Restaurant, mit der Kuchengabel.

Mam fragte Piadora, ob sie mit mir mal kurz vom Tisch aufstehen darf, weil sie mit mir sprechen müsste. Piadora nickte nur und griff über den Tisch nach der Hand von Manja.

„Alles klar. Wir kommen gleich wieder."

Damit verschwanden wir auf den Flur, die Küchentür geschlossen, und Mam teilte mir mit, dass sie kurz zu unserer Nachbarin geht, damit sie im Notfall für uns da ist. Sie wolle, dass Piadora dieses Wochenende bei uns bleibt und von hier aus am Montag mit mir zur Schule geht. Dafür müsste sie aber noch einmal zum Heim fahren und mit Piadoras Betreuerin sprechen und sich eine schriftliche Genehmigung holen. Man habe zwar damit gerechnet, aber vor zwei Wochen nichts konkret vereinbart. Die Genehmigung wurde ihr aber, bei persönlicher Abholung, zugesagt.

Ich wusste was ich tun musste. Wir gingen wieder in die Küche und setzten uns an den Tisch. Ich sah zu Piadora, die immer noch Manjas Hand hielt und meine Schwester zum Essen mit der linken Hand zwang. Beide grinsten breit. Irgendwie hatten die beiden wohl ein Geheimnis. Ich sprach Piadora an und fragte, ob sie mit uns später im Mädchenzimmer spielen will.

„Ich muss doch wieder ins Heim zurück. Die warten sicherlich auf mich."

„Nein, Pia."

Zum ersten mal sprach ich meine Freundin mit Pia an und löste bei ihr ein sichtliches Erstaunen aus.

„Nein Pia.", setzte ich noch einmal an. „Du hast noch lange Zeit heute. Es ist noch nicht so weit. Es gibt noch Abendbrot. Mam hatte das schon besprochen."

Mam stand auf, beugte sich über Piadoras Kopf und küsste sie drauf.

„Ich muss mal los.", verabschiedete sie sich von uns und verteilte weitere Küsse an uns.

„Ja, los ist das richtige Wort.", sagte plötzlich Manja. „Könntest du bitte meine Hand los lassen. Ich werde sonst nie mit meinem Kuchen fertig."

Piadora lachte und ließ Manja los. Ich griff nach dieser Hand und streichelte sie. Pia sah mich dankbar an und trank ihre Schokomilch.

Mam war bereits gegangen. Wir räumten alles weg und bereiteten schon den Abendbrottisch vor. Pia saß und sah uns zu. Immer wenn wir mit dem Rücken zu Pia standen flüsterte Manja einige Sätze zu mir.

„Ich wette, die steckt uns alle mit ihrer Intelligenz in die Tasche", meinte Manja.

„Da kannst du sicher sein. Sie hilft allen und keiner wird schlechter.

„Was wird wohl der Grund sein, dass sie so anhänglich ist?"

„Ich weiß es nicht, aber ich vermute, dass sie auch so was wie wir erlebt hat. Nur doppelt. Warum sollte sie sonst im Heim leben, Manja?"

„Ja, bestimmt."

„Was tuschelt ihr da? Redet ihr über mich?" kam es hinter uns aus diesem süßen Mund von Pia.

Ich drehte mich um und sagte einfach: „Ja!"

Pias Augen wurden schlagartig ganz groß.

„Du bist aber ehrlich. Alle anderen lügen mich immer an. Dabei weiß ich genau, dass sie mich auslachen."

„Ups, soll ich dich auch anlügen und über dich lachen? Ich glaube, dann wäre ich keine gute Freundin. Also sage ich es dir, wie es ist!"

„Und was habt ihr über mich geredet?

Es war die logische Schlussfolgerung aus meiner Antwort. Ich war darauf vorbereitet und Manja auch.

„Ich glaube, dass Manja fragte, ob du auch deinen Vater verloren hast wie wir und du wohl deine Mutter vermisst, die im Himmel ist."

Pia schwieg kurz und antwortete:

„Du hast mir nicht gesagt, dass dein Papa im Himmel ist. Stimmt das Manja?

„Ja, meine kleine. Das stimmt."

Pia sah uns ungläubig an. Dann rutschte ihr raus, dass sie nicht weiß wo ihre Eltern sind, aber nicht tot seien. Wir sahen uns alle gegenseitig an.

„Das ist ja schlimm. Und was machst du nun?", fragte Manja.

Pia schoss die Antwort rasant heraus.

„Ich esse bei euch Kuchen und komme immer, wenn ich möchte, zu euch. Kathja beschützt mich und du auch. Eure Mam geht arbeiten und backt uns Kuchen. Wenn sie dann zu Hause ist guckt sie nach, ob wir brav sind und Hausaufgaben machen. Wenn wir brav sind riecht sie später komisch und schläft lange. Morgens schimpft sie mit mir, weil ich kein Frühstück für uns gemacht habe und dann schickt sie mich zur Schule. Mama verhaut den Papa und dann riecht sie wieder komisch und verhaut mich, weil ich nicht einkaufen war. Dann kommt Kathja und verhaut Mama und den Papa und Manja hilft mir auch..."

Manja sprang zum Tisch und ich ihr hinterher. Pia war wie weggetreten und erzählte weiter, wie sie leben will oder lebte und über Papa und Mama und komisch riechen und hauen und so weiter. Ich rannte um den Tisch und nahm sie in den Arm. Manja und mir schossen Tränen in die Augen. Pia war nicht ansprechbar und reagierte nicht. Ich schrie laut auf und rief nach Manja.

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