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Broken Mirror

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Softerotik-Geschichte von zwei gebrochenen Seelen.
4.8k Wörter
4.47
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„N'Abend."

Ich nicke den beiden Männern am Eingang freundlich zu und bekomme für mein vor ein paar Minuten ausgedrucktes Papierticket einen Stempel mit unidentifizierbarem Symbol auf den Handrücken. Eine gefühlte halbe Sekunde später werde ich von jemandem hinter mir -- beziehungsweise seinem ausladenden Frontpolster -- durch den schmalen Eingang in einen nur spärlich erleuchteten Raum geschoben. Von den Deckenlampen funktioniert nur jede zweite gerade gut genug, dass man die Bandlogos auf den T-Shirts der Fans erkennen kann. Der Boden präsentiert sich in einheitlichem schwarz, sodass man nicht sehen kann, wo man hintritt. Wahrscheinlich auch besser so.

Es ist kurz nach halb sieben und damit relativ früh, dennoch fühlt es sich beinahe so an, als wäre der Laden schon jetzt voll. Ich meine, mich zu erinnern, dass hier Platz für rund 450 zahlende Gäste sein soll. Auf der Fläche eines großzügigen Wohnzimmers keine schlechte Leistung.

Dass es dafür schon jetzt gefühlte dreißig Grad hat -- bei einer Außentemperatur von zehn -- muss man dann einfach ignorieren. Sauna inklusive hat ein ehemaliger Bekannter das immer genannt. Dennoch, genau das ist es, was kleinere Locations wie diese hier ausmacht. Ein Haufen zusammengewürfelter Menschen.

Ich habe mich mittlerweile mit einem Bier bewaffnet und mittig etwas weiter hinten platziert. Der Platz direkt vor der Bühne ist erwartungsgemäß schon voll, kurz dahinter ist es mir für gewöhnlich dann doch etwas zu dicht gedrängt, außerdem ist der Sound in der Nähe vom Tonmann für gewöhnlich am besten.

Sogar die erste von drei Bands heute Abend soll verdammt gut sein, die dann doch eher seltenere Frontfrau in dem Segment sorgt für etwas mehr Durchmischung der Geschlechter ganz vorne als üblich.

Vielleicht bin ich der Einzige, dem es auffällt, aber ein besseres Vorprogramm als die, zwar nicht hörbaren, dafür umso besser sichtbaren, Diskussionen junger Paare vor der Bühne kann es nicht geben. Nur anhand der Gesichter kann ich erkennen, dass die erste Band eindeutig als Gegenbeispiel für die darauffolgende in die Waagschale geworfen wird, Argumente wie 'Dafür bist du dem muskelbepackten Sänger danach ganz nah und den Gitarristen der Hauptband siehst du sowieso aus erster Reihe' gegen 'Findest du sie etwa attraktiver als mich?' ausgetauscht und sofort darauf von dem nebenstehenden Paar an das übernächste weitergetragen werden.

Ich sehe mich selbst, als einsame Gestalt im Hintergrund wehmütig ebenjene kleinen Streitereien ansehen, werde mir bewusst, dass ich wirklich allein bin. Ich sehe mich selbst, wie ich versuche, betont wegzusehen, mir nicht anmerken zu lassen, dass ich auch gerne eine Freundin mitgebracht hätte, die sich mit mir über zu eindeutige Blicke in Richtung Bühne streitet.

Es ist gar nicht so lange her, als ich mit jemandem da vorne stand, mit der ich ebenjene Diskussionen geführt habe. Nur spaßeshalber natürlich, aber irgendwie mussten wir uns die Zeit schließlich vertreiben. Wir waren oft pünktlich zur Einlasszeit da, damit du den besten Platz bekommst. Es hat auch mich glücklich gemacht, dein strahlendes Gesicht in den Pausen zu sehen, dein unterdrücktes Lachen, wenn ich mal wieder der Einzige war, der Getränke plus Eintritt bezahlt hat. Eine Welt, die einfach funktioniert hat.

Die ersten Soundchecks beginnen und ich frage mich immer wieder, ob die schallisolierten Wände eher für die laute Musik oder die kreischend schiefen Töne davor gedacht sind. Es lenkt mich aber genug ab, lässt mich die anstrengende letzte Woche langsam vergessen. Richtig, ich bin hergekommen, um mal einen Moment nicht nachdenken zu müssen, mich einfach treiben zu lassen.

Es ist noch voller geworden, an der Bar habe ich mitgehört, es wäre ausverkauft. Der letzte Schluck Bier fällt diesem Gedanken zum Opfer und ich begebe mich auf die Reise, meine Flasche wegzubringen, bevor die Band die Bühne betritt. Ich drehe mich um und werde von einem blonden Mädchen umgerannt, sodass mir die Flasche aus der Hand fällt und zu meiner Verwunderung heil bleibt. So sehe ich kaum ihr Gesicht, nur ihre schulterlangen, leicht hinterherwehenden Haare, als ich mich leise fluchend bücke und mehr tastend als sehend die vollkommen intakte Flasche wieder aufhebe. Wer auch immer für die Qualitätssicherung dieser Flaschen verantwortlich ist, sollte schleunigst mit der Person für den Inhalt ausgetauscht werden.

Auf dem Rückweg zu meinem anfangs auserkorenem Platz sehe ich aus dem Augenwinkel, wie sich ein ebenfalls blondes Mädchen mit ihrer Freundin streitet. Im hinteren Teil des Raumes, da wo dies also eigentlich nicht hingehört. Die beiden habe offensichtlich Glück, dass die allgemeine Lautstärke alle anderen daran hindert mitzuhören. Jedenfalls reagiert keiner, als die nun wohl für zumindest ein paar Stunden ehemalige Freundin sich demonstrativ auf die andere Seite des Raumes durchzwängt.

Eigentlich habe ich gelernt, solche Ereignisse sofort wieder zu vergessen. Das letzte Mal als ich doch nachgefragt habe, helfen wollte -- die beiden Kontrahenten waren kurz davor gewesen aufeinander loszugehen -- war ich danach die Hauptattraktion des Abends. Es wäre doch nichts passiert. Natürlich wäre es möglich gewesen, einfach abzuwinken, als ich leise fragte, ob alles in Ordnung sei. Es war wohl lustiger, einen Idioten gefunden zu haben, auf den man mit dem Finger zeigen kann.

Irgendwas stört mich dennoch so sehr an der Szene, dass ich die kleine Meinungsverschiedenheit von eben nicht vergessen kann. Ich werfe trotz besserem Wissen einen Blick zurück zu dem blonden Mädchen. Sie steht alleine am hinteren Ende des Raumes, und alle scheinen möglichst unauffällig möglichst viel Abstand zu halten. Sie werfen verstohlene Blicke zu ihr hinüber, ohne ihren leeren Blick zu kreuzen. Ich weiß genau, wie sich das anfühlt. Sie dreht leicht den Kopf und sieht mich direkt an. Ich weiche aus. Werde abgelenkt, vom Intro der Vorband. Das ist es immerhin, was ich mir als Entschuldigung an mich selbst zurechtlege.

Es wird viel erzählt über die zu eindeutig zur Schau gestellte Sexualität auf der Bühne, immer freizügigere Outfits der weiblichen Bandmitglieder, die eindeutige Korrelation zwischen attraktiver Fronfrau schnellem Erfolg in einer männerdominierten Szene. Ich will nicht wissen, was ebenjene Frontfrau für gierige Blicke auf sich treffen sieht, als das Spotlight auf sie gerichtet wird und sie die erste Strophe ins Mikro schreit. Auf der anderen Seite geht es nicht wirklich um sie.

Sie spielt eine Rolle, die sie abseits der Musik exzellent beherrscht. Im Theater erwartet man auch nicht Mitgefühl für die Person, die den Antagonisten spielt. Es ist eine Rolle, nichts weiter. Wer mehr will, für den gibt es ein Meet & Greet im Anschluss, in dem dann die Darsteller keine Rolle mehr spielen. Vielleicht bin ich naiv, aber ich glaube daran, dass dies auch fast allen bewusst ist. Nur eine Stimme im Hinterkopf sagt mir, dass ich die Wirklichkeit übersehe, in der nicht alle einfach die Show genießen können.

Nach einer knappen Stunde ist Pause und Umbau, in der wie immer alle nach hinten zu den Bars drängen. Ich erschrecke fast, als das blonde Mädchen nur eine Armlänge von mir entfernt steht und mir für den Bruchteil einer Sekunde in die Augen sieht, bevor wir beide ausweichen und beinahe erschrocken zur Seite sehen. Es ist ein wenig, wie wenn man an einer roten Ampel steht, den Blick zum Auto auf der Nebenspur gleiten lässt. Nur um festzustellen, dass der Andere genau dasselbe getan hat und beide gleichzeitig zurückzucken.

Ich hebe den Kopf wieder ein wenig, drehe meine Augen nach oben um noch einen kurzen Blick auf ihr Gesicht erhaschen zu können. Sie ist hübsch, ein paar Jahre älter als ich anfangs angenommen hatte. Nicht viel, aber über zwanzig, definitiv. Kein Mädchen mehr, sondern eine erwachsene Frau. Oder jedenfalls ist es das, was man in dem Alter erzählt bekommt.

Ich versuche, unauffällig zu erkennen, ob ihre Freundin wieder zurückgefunden hat, aber niemand in der Nähe sieht so aus, als würde sie zu ihr gehören. Beiläufig versuche ich, einen weiteren Blick in ihr Gesicht erhaschen zu können, finde glänzend grüne Augen und lasse den Blick wieder zur Seite abgleiten. In ihren Augen liegt etwas, was ich nicht sehen will. Etwas, was ich vergessen wollte.

Die ersten Töne der zweiten Band erlösen mich, lassen mich über andere Dinge nachdenken. Zum Beispiel darüber, wie zur Schau gestellte Sexualität in die andere Richtung funktioniert. Der muskelbepackte Leadsänger und die Frontfrau der letzten Band würden das perfekte Leinwandpaar für einen beliebigen Actionfilm hergeben.

Zu meiner Überraschung ist die Stimme fast noch kraftvoller als auf den Studioaufnahmen. Vorband und visuelles Klischee hin oder her, aber der Beginn hat Tempo, ein erstaunlich gut funktionierender Circlepit im Opener hat wirklich Seltenheitswert. Kudos an die erste Band für gute Vorarbeit. Dabei verliere ich unweigerlich das blonde Mädchen.

'I'm looking for love, but all I found was hate, to find it cost me everything I had', höre ich eine der ersten viel zu passenden Zeilen. Es ist zu spät, um meinen Fehler zu korrigieren. Zum Glück. Ich weiß doch, wie es endet.

Ungezwungene Bekanntschaften, nur mal eine Nacht für guten Sex? Ein paar Freunde schaffen es, gefühlt jeden Partyabend mit jemand anderem zu verbringen. Beneidenswert. Wirklich. Nur ich scheine darin keinen Erfolg zu haben. Meine Aufmerksamkeit bleibt stets an jenen hängen, die denselben Ausdruck in den Augen haben wie das Mädchen von eben. Ein Spiegel meiner selbst. Stundenlange Gespräche. Beide wissen, dass es nicht funktionieren wird. Ich zwinge mich, dem Konzert mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

Fast habe ich es geschafft, sie zu vergessen, als zum Abschluss des zweiten Teils heute erwartungsgemäß eines der Lieder gespielt wird, von denen die meisten wenigstens den Refrain mitsingen können. Es hilft nicht, dass es sich um 'Levels' handelt. ' Is this really happening or only in my head?'. Verdammt, wenn ich das wüsste.

Während des Umbaus mache ich mich auf den Weg durch die Halle, suche ihr Gesicht in der auf einmal ziemlich unübersichtlich wirkenden Menge. Es erinnert mich unweigerlich daran, wie du damals immer irgendwo verschwunden bist, meine Aufgabe es war dich wiederzufinden. Du standest dann entweder ganz vorne oder hinten, wo es übersichtlich ist.

Mal wieder fällt es zu schwer, zu vergessen. Es ist lange genug her, aber der Verlust hat Wunden hinterlassen. Wunden, die mich schon einmal fast in den Wahnsinn getrieben haben, bis du sie geschlossen hast. Nur eine temporäre Lösung, wie mir jeden Tag auf's Neue bewusst wird.

Meine Suche endet abrupt, als alle beim ersten Blick auf den Headliner des heutigen Abends nach vorne drängen. War einen Versuch wert. Es hätte so wie immer geendet, auch wenn ich mir vorgenommen habe etwas zu ändern. Einfach wieder jemanden kennen zu lernen. Im Nichts. Das unbändige Gefühl, so wie so nur ein kleiner grauer Kieselstein in der Masse zu sein drängt sich wie jedes Mal in den Vordergrund.

Es dauert den kompletten Rest des Konzerts über an, penetrant schiebt es sich immer wieder ganz nach vorne in meine Gedanken. Es ist entspannend, mir keine Gedanken darüber machen zu müssen, ob ich auffallen könnte, einfach die Atmosphäre auf mich wirken zu lassen. Dennoch tut es weh, sich nicht wirklich fallen lassen zu können. Zu wissen, dass man nur ein unbedeutender Teil der Gesamtheit ist.

Warum zur Hölle kann das Paar neben mir nicht wenigstens eine einzige Pause zwischen den Liedern mit etwas anderem als einem Kuss verbringen? Ich bin damit beschäftigt, die gesamte Zeit über nicht in ihre Richtung zu schauen, um nicht jede Sekunde daran erinnert werden zu müssen, nur wegen der Musik hier zu sein. Alleine.

So bin ich fast froh, als die Zugabe vorbei ist und ich mich auf direktem Weg zum Ausgang begebe. So wie so ziemlich fast alle anderen in der Halle, die von dem Hauch an Frischluft angezogen werden wie Fliegen von der einzigen Lampe im Raum. Vielleicht hätte ich vorher darüber nachdenken sollen, als ich vorhin auf der türabgewandten Seite geblieben bin.

Es geht erstaunlich schnell, von der Menge in den typischen Hamburger Nieselregen nach draußen geschoben zu werden. Für einen Moment überlege ich, mir meine Jacke überzuziehen, beschließe jedoch, dass der Regen eine willkommene Abkühlung ist. Mein T-Shirt ist ohnehin schweißnass, so fällt es immerhin nicht auf. Wie immer wende ich mich schnell zum Gehen, freue mich auf ein kühles Bier, das den Namen auch verdient hat.

Ich bin gerade zwei Schritte gegangen, als mir jemand auf die Schulter tippt. Mein erster Gedanke ist, dass mir wahrscheinlich etwas aus der Tasche gefallen ist, habe schon ein 'Danke' auf den Lippen, als ich mich umdrehe, sehe ohne Vorwarnung in jene glänzend grünen Augen mit dem dunklen Ausdruck dahinter, die ich seit einer guten Stunde mit aller Kraft verdrängt hatte.

Mir fällt kein Anfang ein, will auf keinen Fall etwa unpassendes sagen. Stattdessen ziehe ich nur die Augenbrauen fragend nach oben. Wohlwissend, dass dies es nicht besser macht. Es braucht keine Worte, es ist genau wie immer. Wir wissen beide, dass es nicht funktionieren wird, weil wir nicht wollen, dass es funktioniert. Es nie anders kennen gelernt haben.

Im Augenwinkel sehe ich ihre Freundin in einer Gruppe von vier Leuten an uns vorbeiziehen. Sie, eine weitere Schwarzhaarige und zwei Jungs mit perfekt zur Seite gegelten Haaren. Die Freundin sieht sie kurz an, zuckt mit den Schultern, ein beinahe höhnisch entschuldigendes Lächeln auf den Lippen. Es tut weh, das sehe ich ihr an. Verdammt, sie ist gut darin, es zu verbergen. Nicht das erste Mal.

Weil wir es auch probiert haben, dafür durch den Dreck gezogen, belogen und ausgenutzt wurden. Weil uns jede Minute, in der wir jemandem vertraut haben noch Jahre danach jeden Tag verfolgt. Weil es uns müde gemacht hat, andere bei allem zu unterstützen um an jenem Punkt, an dem wir selbst Hilfe gebraucht hätten fallen gelassen zu werden.

Ihr Blick zuckt nur einen Moment zu der Vierergruppe rüber, dann zurück zu mir. Ihre Augen glänzen noch ein wenig mehr als zuvor. Ich sehe mich selbst darin, noch immer ihr hilfloses, stummes Gegenüber. Es fühlt sich falsch an, als ich unweigerlich daran denken muss, dass sie eigentlich diejenige mit zahlreicher Begleitung sein könnte. Im Gegensatz zu ihrer Freundin. Natürlicher, ein simples Bandshirt statt einem tiefen Ausschnitt und drei Kilo Schminke. Nur das Lachen fehlt. Verdammt, will ich wirklich bis ans Ende meiner Zeit andere für ihr wundervolles Leben beglückwünschen und dabei allein zuhause sitzen?

„In welche Richtung musst du?", fragt sie leise, als müsste sie sichergehen, dass der Klang ihrer Stimme von den Gruppen um uns herum auf keinen Fall gehört wird. Ich beiße mir leicht auf die Lippe, überlege mir für einen Moment, wie ich sicher gehen, kann, dass es dieselbe wie ihre ist. Sie versucht sich an einem Lächeln, das so gezwungen wirkt, dass ich sie beinahe bitte, es abzustellen.

Vorsichtig nicke ich mit dem Kopf in eine Richtung, ohne den Blickkontakt zu ihr zu brechen. Ich sehe, wie sie tief einatmet, mit sich zu kämpfen scheint.

Wortlos geht sie die ersten Schritte in die angezeigte Richtung, bereitwillig folge ich neben ihr. Nach ein paar Metern werden die Stimmen der anderen Menschen deutlich leiser, hinter der ersten Ecke sind sie vollständig verschwunden. Sie bleibt abrupt stehen, zwingt mich, in ihre vom Laternenlicht leuchtenden Augen zu sehen.

„Willst du meinen Namen wissen?"

Weil ich nicht weiß, was ich sonst tun soll, strecke ich ihr meine Hand hin und nenne meinen Namen. Zu spät merke ich, dass hinter der Frage mehr steckt. Jetzt ist es zu spät. Außerdem weiß sie, worauf sie sich einlässt. Vielleicht genau deswegen.

Sie nickt langsam, ergreift meine Hand mit ihrer linken und zieht mich den Weg weiter.

„Miriam"

Plötzlich stehen wir vor meiner Haustür, ohne dass ein weiteres Wort gefallen wäre. Stumm drehe ich den Schlüssel um und stoße die Tür auf. Irgendwie erwarte ich, dass sie zuerst hindurch geht, doch stattdessen fällt die Tür mit einem leisen Klacken wieder ins Schloss zurück.

Ihr Blick ist wie versteinert, als sie einige etwas abgewandelte Textzeilen flüstert:

„I don't hate you boy, but I'm not the answer to the questions that you (still) have ..."

Sie verstummt, doch ich weiß, dass sie von mir die Fortführung hören will. Stattdessen fasse ich sanft ihren Kopf und gebe ihr einen vorsichtigen Kuss, den sie genauso widerstandslos wie teilnahmslos geschehen lässt.

Für den Bruchteil einer Sekunde genieße ich ihre weichen Lippen, doch die damit verbunden Erinnerungen kann ich nicht vergessen. Der Schmerz des Vergangenen, die Gewissheit versagt zu haben. Welche Erklärung gibt es sonst, wenn der eigene Partner plötzlich nicht ein Wort mehr spricht, wenn er sich mit einem Kuss für immer verabschiedet, noch nicht einmal verrät warum eigentlich? Womit habe ich das Vertrauen so sehr verspielt, dass ich es noch nicht einmal erfahren darf?

Miriams durchdringender Blick bringt mich wieder in die Gegenwart zurück. Sie legt beide Hände auf meine Schultern.

„Vergessen für eine Nacht?"

Ich nicke, mit dem Wissen, dass ähnliche Gedanken in ihrem Kopf umherschießen.

Zum zweiten Mal heute Abend öffne ich die Tür und stelle einen Fuß davor, um sie hineinzulassen. Diesmal folgt sie der Einladung, nur um nach einem Schritt vor dem Eingang zum Treppenhaus mit einem fragenden Blick stehen zu bleiben.

„Dritte Etage links", antworte ich und bete insgeheim, dass mein Nachbar schon schlafen gegangen ist. Wahrscheinlich ist es normal für Leute in meinem Alter, wenn sie ein Mädchen mit nach Hause bringen, aber ich will nicht, dass Miriam den erstaunten Blick sieht. Es ist lange her. Ich bin zu gut darin geworden meine Gefühle zu verstecken. Es ist schwer, einfach damit aufzuhören.

Sie drängt sich an mir vorbei in die Wohnung, sobald ein leises 'Klick' im Schloss ertönt und zieht mich hinterher. Es bleibt kaum Zeit, die Wohnungstür hinter mir zu schließen, bevor sie geradezu über mich herfällt, mir einen verlangenden Kuss aufzwingt und auf das Bett gleich um die Ecke im einzigen großen Raum meines Zuhauses drückt. Keuchend schiebe ich sie ein wenig von mir herunter, sie zuckt erschrocken zurück.

„Du verlierst keine Zeit", versuche ich mit einem schiefen Lächeln zu bremsen, doch ihr Blick verrät Unsicherheit.

Vergessen für eine Nacht, ja klar. Wenn es so einfach wäre, wären wir beide wahrscheinlich mit jemand anderem im Bett. Das Leben genießen und so. Ich weiß nicht, an wen sie gerade denkt, aber sie sieht ihn gerade neben sich. Er tut ihr weh, weil er nicht verschwinden will.

Vorsichtig ziehe ich sie mit einer Hand zu mir heran, und lege einen Finger auf ihre Lippen. Versuche es mit einem tiefen Blick in diese wunderschönen Augen, doch sie weicht mir aus. Ich zwinge mich, nicht zu lange zu Blinzeln, treibe mich selbst an, in der Gegenwart zu bleiben.

„Nur wir beide. Für heute. In Ordnung?", flüstere ich leise und spüre, dass sie nickt.

Unsere Lippen treffen sich zum dritten Kuss heute Abend, doch es ist beinahe wie das erste Mal im Leben. Noch ein wenig scheu spielen unsere Zungen miteinander, sie schmeckt süß und ungewohnt. Nur langsam entdecke ich ein lange verloren geglaubtes Gefühl, muss aufpassen, mich nicht daran zu verletzen.

Testweise gebe ich dem Drang nach, meine Augen zu schließen mich ganz auf den Kuss einzulassen. Es klappt, ohne dass SIE sofort vor mir steht. In meinen Gedanken ist für diese Sekunden wirklich nur Miriam, ihre weichen Lippen und ihr warmer Atem. Ich bin wirklich glücklich, nicht alleine zu sein.

Langsam schiebe ich eine Hand unter ihr T-Shirt. Zu spät merke ich, dass sie noch kalt von draußen ist, so zuckt sie einen Zentimeter zurück, als sie berühre und bricht unseren Kuss ab. Egal, denn sie lacht. Ehrlich, der dunkle Schatten in ihren weit aufgerissenen Augen ist einem hellen Glitzern gewichen, an ihren Mundwinkeln bilden sich kleine Grübchen.

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