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Charlston 11

Geschichte Info
Thanksgiving III.
5.9k Wörter
4.43
33.6k
0

Teil 11 der 15 teiligen Serie

Aktualisiert 09/04/2022
Erstellt 09/18/2008
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„Sollen wir die Zeit kreativ nutzen?“, fragte ich.

„Die Kiste?“, fragte er, ich nickte.

Ich zuckte zusammen, als in diesem Augenblick das Telefon klingelte. Charlies Augen sagten deutlich, ich sollte es klingeln lassen, doch nachdem es nach dem zehnten Läuten noch immer nicht Still geworden war, ging ich zum Telefon.

Ich nahm den Hörer ab und meldete mich: „Hallo?“

Sofort plapperte eine Frau darauf los: „Mein Name ist Rose McNtyre, ich bin von der Jugendfürsorge in Los Angeles. Sind Sie Mr. Daniel Lucas Schneider?“, wer bitte war da?

„Ja, der bin ich. Worum geht es denn?“

„Kennen Sie eine Jamie Lee Miller?“

„Ja, die kenne ich.“, mein Herz schlug mir hoch zur Brust. Was hatte das zu bedeuten?, „Jamie war meine Freundin auf der Highschool. Was ist denn los?“

„Mr. Schneider es tut mir aufrichtig Leid es Ihnen mitteilen zu müssen, aber Jamie und ihr Vater sind gestern Abend bei einem Unfall getötet worden. Wir haben noch einige Dinge zu besprechen wegen Lucas. Ist es Ihnen möglich nach L.A. zu kommen?“

Ich stand da, schwieg. Starrte und sah doch nichts. Die Welt stand still, da war einfach gar nichts, außer leere. Als ich als Kind die Unendliche Geschichte las, versuchte ich mir das dort wütende Nichts vorzustellen. Es klappte nicht, das Nichts war doch immer irgendetwas, ein verschleierter Farbton, ein weißer Nebel, ein schwarzes Loch. Jetzt war da einfach gar nichts. Jetzt wusste ich, was das Nichts ist.

Jamie war tot. Wie konnte das nur passieren? Sie war doch erst 20 Jahre alt. Und ihr Vater war auch tot. Die gesamte Familie Miller ausgelöscht. Jamie hatte niemanden gehabt, außer ihren Vater. Sie waren ein Herz und eine Seele und nun sollten sie beide weg sein? Ich konnte es nicht fassen. Mir wurde eisig kalt, doch ich fühlte nichts. Nur Leere. Nur das Nichts.

„Mr. Schneider? Sind Sie noch dran? Hallo?“

Die Frau holte mich aus dem Nichts: „Ja, ich bin noch da. Was soll ich jetzt tun?“

„Sie müssen herkommen, ein paar Formulare unterzeichnen. Ms. Miller hat Sie als Kontaktperson und Vormund angegeben. Kommen Sie so schnell, wie möglich. Morgen wäre am besten, da gibt es kaum Wartezeit, wegen dem Feiertag.“

„Ja, wo muss ich hin?“

Sie gab mir die Adresse und eine Telefonnummer durch.

„Ich fliege sobald wie möglich los.“ Ich legte auf.

Ich starrte das Telefon an, konnte den Hörer nicht auflegen und schaute dann zu Charlie auf.

„Sie ist tot. Jamie ist tot.“, brachte ich noch heraus, bevor meine Stimme versagte und mir die Tränen in die Augen stiegen.

„Ich muss sofort nach L.A., irgendwas unterzeichnen. Sie hat mich als Kontaktperson angegeben.“, ich rannte in unser Zimmer und warf Klamotten aus dem Schrank in eine Tasche. Charlie folgte mir.

„Ich komme mit.“

„Das brauchst du nicht. Ich muss noch heute fliegen.“

„Ich brauche nicht? Aber natürlich brauche ich. Ich bin dein Freund, das machst du nicht alleine durch.“

„Bring mich nur zum Flughafen. Das reicht.

„Meinst du?“

Ich schaute ihn an: „Ja. Außerdem muss jemand die Sache meinen Eltern erklären. Scheiße.“

Wir packten gemeinsam ein paar Sachen ein. Keiner sagte ein Wort. Heute weiß ich, dass ich so schnell reagiert habe, zu schnell. Ich war nicht darauf vorbereitet, was mich erwarten könnte. Ich hatte keinerlei Informationen, ich flog ins Blaue, am Abend vor Thanksgiving. Trotzdem waren wir nach zwanzig Minuten fertig.

„Lass mich den nehmen, geh runter und hole ein Taxi.“

Ich lief die Treppen hinunter und winkte ein Taxi heran. Wir verstauten den Koffer. Und los ging es zum Flughafen. Die ganze Fahr war eine Trance für mich. Ich hing meinen Gedanken nach, die immer wieder in das besagte Nichts strandeten.

„Jetzt erzähle mir mal was passiert ist.“, ich saß steif da und starrte auf die Rückenlehne des Fahrers.

„Sie ist tot. Gestern Abend mit ihrem Vater zusammen. Und jetzt muss ich hin. Was unterschreiben.“

„Ja, aber was ist denn passiert? Und warum du?“

„Ich weiß nicht. Nur, dass sie tot sind. Die Jugendfürsorge hat gesagt ich muss was unterschreiben, weil ich die Kontaktperson bin. Kein Ahnung.“, ich schmiegte mich an seine Schulter, ich wollte ihn halten, mich an ihm halten. Seine Wärme an mir spüren und mich vor dem Nichts in meinem Herzen retten.

Am Flughafen erwischte ich noch einen Nachtflug nach L.A., ich bezahlte das Ticket. Erste Klasse nach L.A. mit Hotelreservierung in dem teuersten Schuppen, es war einfach ncihts anderes mehr zu bekommen. Auf dem Flug starrte ich blass und zitternd an die Decke und schlief irgendwann ein.

Am nächsten Morgen um acht Uhr stand ich vor der Bürotür von dieser McNtyre. Bisher war alles in einem Rausch an mir vorbei gelaufen, nein gerannt. Ich stand da, in den gleichen Klamotten, wie am Vortag, unrasiert, ungeduscht. Wahrscheinlich roch ich nach Flughafenmief und Taxigestank.

Ich klopfte, wie sehr sehnte ich mich jetzt zurück an die warme Schulter Charlies? Was hätte ich jetzt darum gegeben, dass er hier wäre. Warum war ich nur so blöd und bin alleine geflogen? Ich hatte eiskalte Finger und zitterte am ganzen Körper.

„Herein!“

Ich trat ein.

„Mein Name ist Daniel Schneider. Sie haben mich gestern angerufen wegen meiner Freundin Jamie Miller und ihrem Vater, Roger Miller.“, eine kleine, runde Frau, adrett in braunem Anzug, lächelte mir entgegen. Ihre Augen waren voller Mitleid und von Wärme gleichzeitig. Ich schaute sie an und fühlte, dass ich ruhiger wurde. Sofort entspannte ich mich. Sie hatte einfach eine sehr einfühlsam wirkende Aura. Irgendetwas ließ mich sie ansehen und wissen, dass alles gut sein würde.

Sie saß in einem kleinen Fensterlosen Raum, ohne jegliche Art von Wandschmuck, außer einem riesengroßem Regal voller Akten und Bücher. Dieser schien mehr als fünfzig Prozent des Raumes einzunehmen. Zwischen ebenso vielen Stapeln Akten und Ordner auf dem Boden, drückte sich ein kleiner hässlicher Metallschreibtisch in eine Ecke. Davor zwei Stühle unterschiedlicher Natur. Der eine, dunkles Holz und ziemlich alt, sah aus, als wäre er aus einem guten Gerichtshof geklaut und passte so gar nicht in das Ambiente, wenn man denn von einem sprechen konnte. Der andere Stuhl hingegen verschwand gänzlich mit dem blauen Teppichboden, aus Kunststoff sah er im Gegensatz zu dem anderen Stuhl sehr micktig und einsturzgefährdet aus, dieser Eindruck schürte sich durch die hohe Anzahl an noch mehr Akten auf der Sitzfläche.

„Ja, treten Sie näher. Setzten Sie sich.“, ich begutachtete den alten Stuhl und ließ mich auf die stark nachgebende Sitzfläche nieder.

„Danke, dass ich an Thanksgiving zu Ihnen kommen durfte, wahrscheinlich hätten Sie frei gehabt.“

„Zunächst einmal mein aufrichtiges Beileid. Machen Sie sich wegen des Feiertages keine Gedanken, so ist es ganz gut, ich tue etwas Gutes und Sie müssen nicht warten. Wir hätten Sie gestern gerne früher erreicht, doch es ging niemand ans Telefon. Ich bin aber froh, dass Sie so schnell kommen konnten. Ich meine, es ist kein Problem für einen so jungen Mann eine Bleibe zu finden, aber bei dem Vater ist es doch viel einfacher.“

Wovon redet die da? Ohne mich zu Wort kommen zu lassen, händigte sie mir einen Haufen Papier aus: „Damit sie ihn mitnehmen können, müssen Sie nur am Ende unterschreiben. Und natürlich muss ich Ihren Pass sehen.“, sie drückte auf einen Knopf, die Gegensprechanlage, „Marya, könnten Sie mir bitte Lucas bringen?“

Ich starrte Sie an. Irgendwie hatte ich für einen kurzen Moment die Welt um mich herum vergessen, das kalte Neonlicht der Deckenbeleuchtung schmerzte in meinen Augen, der Stuhl knarrte, als ich mich etwas bewegte und in meinem Kopf dröhnte ein und der selbe Ton. Ich fühlte mich wie in einem Film, als würde ich neben mir stehen und mich selbst betrachten. Ich wusste, dass ich in dem schrecklichen Licht ziemlich blass aussehen muss, doch irgendwie konnt eich sehen, wie der letzte Rest Farbe aus meinem Gesicht wich. Ich saß da und fand endlich meine Stimme zurück: „Mrs. McNtyre, ich habe keine Ahnung wovon Sie reden.“, im Grunde hatte ich sie doch, wollte es nur nicht wahr haben. War es überhaupt möglich?

Sie schien mich gar nicht gehört zu haben, denn schon sprang sie auf und kramte in einer Mappe.

„Hier, Mr. Schneider. Dies ist ein Brief von Ms. Miller. An Sie gerichtet.“

Absolut verwirrt nahm ich den Brief entgegen. Ein weißer Umschlag, geöffnet. Mit nichts weiter als meinem Namen darauf und meiner Adresse in New York.

Wie?

Ich öffnete den Umschlag und nahm den Inhalt heraus. Ich faltete langsam, irgendwie war mein Körper taub. Dann begann ich zu lesen. Der Brief war auf den 13. Februar dieses Jahres datiert. Meine Hände zitterten, als ich die Zeilen las. Mein Blick war von Tränen getrübt, Jamie schrieb mir. Die tote Jamie hat mir einen Brief hinterlassen.

„Lieber Daniel,

es tut mir Leid, dass ich es dir nie gesagt habe. Aber wenn du diese Zeilen liest, dann wirst du es wissen. Ich wollte nicht, dass du deinen Traum aufgibst. Doch ich hoffe du hast ihn verwirklichen können. Du bist gerade aus der Stadt gewesen, als ich es erfuhr, du weißt wie gläubig mein Vater ist, also konnte ich nichts daran ändern. Ich hätte es auch nicht gewollt. Verzeih mir. Kümmere dich gut um ihn, denn aus irgend einem Grund kann ich es nicht mehr. Und mein Vater auch nicht.

In Liebe,

Jamie“

Kaum hatte ich den Brief zu Ende gelesen, ging die Türe auf und eine große, schlanke Frau trat ein. Ich blickte mich nicht um, starrte auf die Zeilen vor mir und versuchte das in ihnen verborgene Rätsel zu lösen, dessen Antwort mir bekannt, aber gänzlich verdrängt war. Doch noch bevor ich eine Antwort auf meine Frage bekam, hörte ich Mrs. McNtyre sagen: „Darf ich ihnen Lucas vorstellen? Ihren Sohn.“

Die Frau, offensichtlich Marya, drückte mir einen schlafenden Jungen in die Arme und lächelte mich an. Wie versteinert vergingen die Augenblicke, ich wusste nicht wohin ich mich wenden sollte, das Kind nicht beachtend. Mrs. McNtyre hatte Tränen in den Augen, Marya war wieder gegangen, nicht ohne die Türe hinter sich zu schließen. Plötzlich war es still, unendlich still. Ich fühlte, was in meinen Armen lag, doch konnte ich es nicht begreifen. Was war da soeben passiert? Sohn? Ich? Das kann nicht sein, ich habe nie ... oder doch? Aber wir hatten doch immer ... das konnte nicht sein.

„Würden Sie dann hier unterschreiben?“, ich sah zu Mrs. McNtyre auf, sieh hielt mir einen Stift entgegen und zeigte auf eine Zeile am Ende des Bogens.

„Ähm“, ich räusperte mich, „das muss ein Irrtum sein. Ich habe keine Kinder. Ich habe Jamie seit Juni vergangenen Jahres bei der Promnight nicht mehr gesehen. Wie ... wie sollte da ... das ist unmöglich.“

„Mr. Schneider, die Wege des Herrn sind unergründlich. In Anbetracht, dass der kleine Mann auf Ihrem Arm knapp neun Monate alt ist, sind sie offensichtlich der Vater, zumal Ihr Name in der Geburtsurkunde steht.“

Mein Name -- Geburtsurkunde -- neun Monate -- Vater -- Vater ..., mein Hirn stand still und doch hörte ich immer wieder diese Worte.

In einem Traum aus weißem Nebel und mit einem Dröhnen im Ohr, hörte ich Mrs. McNtyre weiter reden. Was sie sagte, weiß ich nicht mehr. Ich hielt den Jungen im Arm und unterschrieb das eine oder andere Dokument. Nach zwanzig Minuten standen Lucas und ich vor dem Gebäude. Auf der gesamten Rückfahrt zum Hotel schlief er. Ich war zu müde, um gleich wieder zurück zu fahren. Kaum im Hotel angekommen, legte ich Lucas neben mich auf das Bett. Ich starrte ihn an. Ungläubig, als wäre es ein Traum strich ich mit meinem Finger über seine rosige Wange. Im Büro war er kurz wach gewesen und sofort wieder eingeschlafen, nachdem ich ihn ein wenig hin und her gewiegt hatte. Vater? Ich? Was sollte ich tun? Ich war auf kein Kind vorbereitet. Wie auch? Ich wusste nicht einmal, dass Jamie schwanger war. Das erklärte in der Tat aber einiges. Vor allem, dass sie nach wenigen Monaten den Kontakt abbrach, dass sie nie erreichbar war, als ich versuchte sie anzurufen. Ich weinte, als ich an sie dachte. Ich zog den Brief aus der Hosentasche und las ihn. Las ihn immer wieder. Meinen Traum verwirklichen? Hatte sie wirklich geglaubt ich würde lieber studieren, als ein Kind mit ihr großziehen? Was sollte ich jetzt tun? Mrs. McNtyre hatte mir die Telefonnummer des Detectives aufgeschrieben und ich sollte ihn wohl einmal anrufen.

Ich nahm mein Handy zur Hand und wählte die Nummer. Nach kurzem Klingeln ging eine Frau ran: „Guten Tag, Detective Stone am Apparat. Wie kann ich Ihnen helfen?“

Ich war geschockt, irgendwie hatte ich eine Männerstimme erwartet.

„Hallo. Mein Name ist Daniel Schneider. Eine Mrs. McNtyre hat mir Ihre Nummer gegeben, ich sollte mich wegen dem Todesfall von John und Jamie Miller anrufen.“

„Da meinten Sie wohl meinen Kollegen. Ich habe nichts damit zu tun. Aber ich leite Sie einmal ins Morddezernat weiter. Einen Augenblick, bitte!“

Ich wurde verbunden. Morddezernat? Was? Ich denke es war ein Unfall? Dieser verrückte Tag.

„Hallo Mr. Schneider. Detective Raeser hier.“

Ich fiel direkt mit der Tür ins Haus: „Morddezernat? Ich denke sie sind bei einem Unfall gestorben! Ich will wissen was passiert ist.“

„Mr. Schneider, ich würde mich sehr gerne alsbald mit Ihnen treffen. Können Sie zu uns kommen?“

„Ja, kein Problem. Wo muss ich hin? Und dann erklären Sie es mir? Ich habe einen Sohn, können Sie sich das vorstellen? Einen Sohn ...“

„Ich erkläre Ihnen alles, was Sie wissen müssen. Außerdem gibt es sicher noch die ein oder andere Kleinigkeit, die Sie benötigen werden.“

„Sie erklären es mir? Sehr schön.“

„Ja, aber wenn ich darum bitten dürfte, könnten Sie so schnell wie möglich kommen? Man erwartet mich heute Nachmittag zum Essen.“

„Ja, ich beeile mich.“, ich legte auf. Meine Verwirrung war in Wut umgeschlagen. Ich starrte auf Lucas, überlegte, ob ich Charlie anrufen sollte. Ich tat es nicht. Ich ging ins Bad, fühlte mich alleine, verloren und einsam.

Was zum Teufel sollte jetzt geschehen? Ich wusste es nicht. Ich starrte mich im Spiegel an und sah, wie die Tränen kamen. Ich war nicht auf ein Kind vorbereitet. Ein Sohn, den ich nicht kenne, einen Sohn, meinen Sohn, der ohne Vater aufgewachsen wäre, wenn Jamie noch leben würde. Ich schrie auf, der Druck zu stark, mein Gesicht machte mich noch wütender. Nebenan hörte ich, wie das Kind schrie. Ich hastete ins Zimmer und dort saß Lucas. Er saß auf dem Bett und weinte. Ich war erstaunt. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er sitzen konnte. Eigentlich hatte ich mit gar nichts gerechnet, ich wusste nichts über Kinder im neunten Monat, ich wusste gar nichts. So kam es mir jedenfalls vor.

Lucas erblickte mich und streckte die Hände winkend zu mir aus, seine Tränen waren versiegt. Ich ging zu ihm hin und nahm ihn auf den Arm. Ich staunte über seine schnelle Vertrautheit, seine warmen blauen Augen, Jamies Augen, schauten mich an. Ich sah Jamie in dem Kind, doch erblickte ich mich nicht. Lucas hatte braune glatte Haare, meine sind schwarz und lockig, meine Augen sind grün, meine Haut viel heller, doch das wird daran liegen, dass Jamie zur Hälfte schwarz ist, schwarz war, verbesserte ich mich still in Gedanken. Lucas war groß, jedenfalls kam mir das so vor. Aber womit hätte ich es vergleichen können? Ich kannte keine Kinder. Ein Kind, das war alles viel zu früh.

„Lucas?“, er blickte mich an, also wusste er seinen Namen, „weißt du wer ich bin?“, er starrte, lächelte.

Ich seufzte „Lucas, ich bin dein Daddy.“, mir versagte die Stimme und Tränen kamen wieder. Lucas fasste mir an die Wange, schaute die Tränen an. Ich kann nicht beschreiben was ich fühlte in diesem Augenblick, es war zu viel. Glück, Traurigkeit, Vertrauen, Liebe und vor allem Wut. Wut auf mich, dass ich den Kontakt zu Jamie habe abbrechen lassen, dass ich unbedingt nach New York wollte, dass mir alles egal gewesen war, dass ich dumm war, so dumm. Aber ich glaube die größte Wut verspürte ich auf Jamie. Wie konnte die es mir nur nicht sagen? Wie konnte sie nur? Das war eine der Fragen, die ich wohl nie beantwortet bekommen würde, eine der Fragen, die einen ein ganzes Leben begleiteten. Wie sollte ich das schaffen? Ein Kind.

„Lucas, wir fahren jetzt zur Polizei -- Tatütata -- weißt du?“, ich hatte keine Ahnung, ob er mich überhaupt verstand. Heute weiß ich, dass er auf meine Stimme reagierte. Nach tausenden Seiten Babybuch und Erfahrung, nach allem was ich später lernen sollte, weiß ich, dass er mich nicht verstand. Außerdem machte ich wohl den Fehler mit ihm deutsch zu sprechen. Heute muss ich mir jedes Mal an den Kopf fassen, wenn ich daran denken, dass ich gehofft hatte ein Kind würde mich verstehen, wo nicht einmal Charlie mich verstand, wenn ich nicht Englisch sprach. Irgendwie ist das ziemlich dumm von mir gewesen. Aber in dem Augenblick dachte ich einfach nicht daran.

Lucas lachte auf, grinste und klatschte in die Hände, als ich ihn auf meinen Schoß hob im Taxi. Ich hatte bei der Fluggesellschaft angerufen, ich wollte so schnell wie möglich nach New York. Ich brauchte Hilfe, jetzt. Aber ich wollte auch mit dem Detective reden, persönlich. So reservierte ich einen Flug, mit dem ich um vierzehn Uhr los flog, Direktflug, zehn quälende Stunden bis ich in New York landen würde um halb Elf in der Nacht. Und eine Stunde Zeit mit dem Detective, eine Stunde in der ich herausfinden musste, was passiert war. Eine Stunde.

Wir hielten vor der Polizeistation, es war eine kleine Station, dafür, dass sei ein eigenes Morddezernat hatten. Ich trug Lucas wieder auf dem Arm, er schaute sich interessiert um, ein Polizeiauto schien ihn besonders zu faszinieren.

„Ja guck mal, Tatütata.“, sagte ich und er zeigte darauf. Ich lächelte und wir traten ein. Hinter dem Tresen im Eingangsbereich saß niemand, konnte ich an einem Feiertag auch nicht erwarten.

„Hallo? Ist jemand da?“, rief ich.

„Hallo“, ein Mann kam in den Raum, klein, dick und etwa Mitte vierzig, „Wie kann ich Ihnen helfen?“

„Ich bin Daniel Schneider. Ich habe einen Termin mit Dt. Raeser?“

„Einen Moment!“, er wandte sich ab, „Hank, der Junge ist da. Er kommt sofort.“, sagte er zu mir und ging wieder. Ein anderer Mann, groß, schlank, etwa Anfang dreißig, mit einer Narbe auf der Wange, die sofort auffiel betrat den Raum. Mich haute es irgendwie um. Ich war wie vor die Wand gelaufen, ich hatte nicht erwartet jemals einen Mann zu treffen, den ich so anziehend fand. Im selben Augenblick bekam ich ein schlechtes Gewissen, alleine nur weil ich eine Sekunde daran gedacht hatte. Ich wurde mit Sicherheit rot, schaute schnell zu Lucas und hoffte, er hatte meinen Blick nicht bemerkt.

„Hallo Mr. Schneider. Setzen wir uns doch dort drüben hin, da haben wir etwas mehr Ruhe. Meine Kollegen feiern darin ein wenig und das ist sicher nicht die richtige Umgebung.“, er ging voraus in ein Zimmer, eine Vernehmungszimmer. Das Licht kalt, die Wände grau ein großer Spiegel an der Seite. In der Mitte ein einzelner Metalltisch und zwei ungemütliche Stühle. Das Klischee trifft zu, dachte ich nur kurz und setzte mich mit Lucas auf dem Arm auf einen der Stühle. Dt. Raeser nahm gegenüber Platz und reichte mir die Hand.

„Sie müssen tausende Fragen haben, aber lassen Sie mich kurz erklären, was passiert ist.“, er rückte seinen Stuhl zurecht, räusperte sich und ich nickte, er möge beginnen.

„Unsere Notfallzentrale erreichte am Sonntag Nachmittag ein Notruf, es ging um zwei schwer verletzte Personen, die in einen Unfall hatten. Wir rückten aus, die Feuerwehr und Rettungskräfte waren schon zur Stelle, als wir eintrafen. Das Auto war von der Fahrbahn abgekommen und war gegen einen Baum geprallt. Die Personen waren beide zunächst noch ansprechbar, jedoch im Wrack eingeklemmt. Wir versuchten sie zu befreien, leider erlitt Mr. Miller schwere Kopfverletzungen und erlag diesen noch am Unfallort. Ms. Miller konnte man aus dem Auto retten, jedoch starb sie im Krankenhaus an den zahlreichen inneren Blutungen. Hinten im Wagen fanden die Rettungskräfte das Kind, es war gut gesichert, angeschnallt und schlief. Wir fanden die Verfügung und setzten uns mir Ihnen in Verbindung. Es dauerte leider den gesamten Mittwoch um sie ausfindig zu machen. Es tut mir Leid um Ihren Verlust, Mr. Schneider.“

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