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Das Ende aller Sorgen

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Er legte sich für den morgigen Coup extra das ockerfarbene Hemd und eine Hose heraus. Sachen, die er nicht besonders mochte, aber aus der Not heraus hin und wieder anzog. Nach dem Raub würde er das Hemd irgendwo in den Müll werfen und ein anders anziehen. Dadurch würde eine Beschreibung seiner Person zumindest etwas verfälscht. Ein unechter Bart wäre eine tolle Sache gewesen. Aber so etwas besaß Andy nicht. Er fand die Skimütze in der untersten Schublade seines Nachttisches und legte sie zu den bereitgelegten Sachen. Obendrauf die Beretta. Dazu stellte er seinen alten leeren Aktenkoffer.

Andy lud die Koffer in sein Auto. Zurück in seiner Wohnung sah er sich noch einmal in Ruhe um. Ja, er hatte alles Wichtige eingepackt. Den Computer würde er zurücklassen. Er startete den Rechner ein letztes Mal, schrieb die Kündigung für seine Mietwohnung und druckte sie aus. In dem Text versprach er, die ausstehenden Mieten in Kürze zu überweisen. Andy legte sich auf sein Bett und ging mit geschlossenen Augen noch einmal den Plan durch.

Morgen gegen 12:20 Uhr würde er zur Bank fahren. Das Auto musste in der übernächsten Seitenstraße geparkt werden. Um 12:30 Uhr begann die Mittagspause der Bank, so dass hoffentlich beim Überfall kaum noch Kunden da waren. Er würde zum Schalter gehen, mit dem leeren Aktenkoffer und natürlich mit der Skimütze maskiert, um dann dem Angestellten am Schalter die Pistole unter die Nase zu halten. Die Geldbündel in den Koffer packen, wie bei seinem Traum die Warnung mit dem Erschießen aussprechen und dann so schnell wie möglich zum Auto. Als nächstes raus aus der Stadt. Vielleicht zum Flughafen einer anderen Großstadt. Dort würde hoffentlich nicht nach ihm gefahndet werden.

Sobald er eine Bleibe gefunden hatte, vielleicht im Ausland, würde er von dort aus seine Schulden bezahlen. Sonst würden ihn seine Gläubiger sicher suchen. Es wäre eine Ironie des Schicksals, wenn er dadurch als Bankräuber entlarvt werden würde. Er wollte endlich noch einmal ganz von vorne anfangen.

Wie selbstverständlich, verschwendete Andy kaum einen Gedanken daran, dass der Überfall auch misslingen könnte. Denn das durfte einfach nicht passieren. Ein Typ wie er und Gefängnis, das passte nicht zusammen. Wenn er sich vorstellte, wie ihn ein massiger, tätowierter Knastie... Andy verscheuchte die Bilder in seinem Kopf.

Am nächsten Morgen wachte er früh auf. Im Lebensmittelmarkt in seiner Nähe kaufte er sich etwas Wurst, Butter und ein Brötchen. Er genoss das Frühstück, aber die Stunden schienen sich in die Unendlichkeit zu dehnen. Quälend langsam schleppte sich der Minutenzeiger der Wanduhr Stück für Stück vorwärts, vom Stundenzeiger ganz zu schweigen. Tausendmal war er seinen Plan wieder und wieder durchgegangen. Es musste einfach klappen.

Endlich war es 11:00 Uhr -- Zeit, loszufahren. Andy war längst umgezogen. Mit dem Aktenkoffer in der Hand schaute er sich ein letztes Mal in seiner Wohnung um. Dann schloss er die Tür. Als er den Schlüssel herumdrehte, kam es ihm vor, als würde er sein verkorkstes Leben einsperren und es hinter sich lassen.

Er legte die Kleidung von gestern auf den Rücksitz seines Autos. Den Aktenkoffer, der die Beretta und die Skimütze enthielt, legte er griffbereit auf dem Beifahrersitz ab. Andy atmete noch einmal tief durch und fuhr los. Zuerst zum Postamt, um die Kündigung für seine Mietwohnung einzuwerfen. Danach tat er etwas, das er ewig nicht mehr getan hatte. Er fuhr bei dem nächsten Fast-Food-Restaurant durch den Drive, für ein vorgezogenes Mittagessen. Später, auf der Flucht würde er sicherlich andere Sorgen und vielleicht auch nicht die Nerven haben, irgendwo essen zu gehen.

Andy hielt auf dem Parkplatz und ließ es sich schmecken. So hatte er schon lange nicht mehr mit Geld um sich geworfen. Aber bald würde er genug davon haben. Mit dem Sparen war es vorbei!

Er ließ sich Zeit. Als die Uhr Fünf vor Zwölf anzeigte, startete er den Wagen und fuhr in die Innenstadt. Kurz darauf parkte er das Auto in einer Seitenstraße. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn. Und das lag nicht an der Hitze der Sonne, die wie gestern ihr schönstes Sommergesicht zeigte. Und wie gestern hämmerte auch sein Herz wieder vor Aufregung. Am liebsten hätte er das Auto gewendet und die ganze Sache vergessen. Aber er wusste, es gab kein Zurück. „Sei kein Feigling, Andy. Fünf, vielleicht zehn Minuten und du hast ein neues Leben!"

Er schaute sich nervös um, es war niemand zu sehen. Also öffnete er den Aktenkoffer einen kleinen Spalt und stopfte sich die Skimaske schnell in die Hosentasche. Mit einem mulmigen Gefühl stieg er aus, steckte die Beretta in den hinteren Hosenbund, schloss den Aktenkoffer und nahm ihn an sich. Er kratzte seine letzten verbliebenen Münzen zusammen, löste einen Parkschein und legte ihn gut lesbar hinter die Windschutzscheibe seines Autos. Dann machte er sich auf den Weg.

Vor der Bank wartete er erneut. Es war nun genau 12:20 Uhr. Andy ließ den Blick umherschweifen. Als niemand in seiner Nähe war, stülpte er sich die Skimaske über den Kopf, holte ein letztes Mal tief Luft und betrat die Bank.

Verflucht, gestern war nur ein einziger Kunde da gewesen. Heute mussten es natürlich deutlich mehr sein! Er zog die Pistole hervor und brüllte laut. „Dies ist ein Überfall! Alles auf den Boden, sofort!" Wieder waren die beiden Bankmitarbeiter von gestern an den Schaltern. „Hände weg von den Alarmknöpfen, oder es knallt!".

Tatsächlich legten sich alle Personen in der Bank nach und nach auf den Boden. Die Mutter, die ihre kleine Tochter an sich gedrückt hielt, reagierte als erste. Die Oma, die trotz des Sommerwetters einen Schirm dabei hatte, brauchte dafür etwas länger. Dann gehorchten auch der südländisch aussehende Geschäftsmann, die elegant gekleidete Frau und zu guter Letzt die beiden Bankangestellten.

Andy hatte Angst. Er hatte sich vorgestellt, ganz cool an den Schalter zu gehen und das Geld zu verlangen. Aber bereits nach den ersten Sekunden hatte er sich nicht mehr an den eigenen Plan gehalten. Egal. Nur nichts anmerken lassen. Es musste weitergehen -- und zwar schnell. „Sie da!", winkte er mit der Beretta der Frau am Schalter zu. Er erkannte sie, mit ihr hatte er gestern bereits gesprochen. „Los, stehen Sie auf. Aber Finger weg vom Alarmknopf!" Andy war sich sicher, dass irgendwo Alarmknöpfe vorhanden waren. Er ließ die Waffe auf sie gerichtet und wollte gerade den Aktenkoffer auf den Schaltertisch legen, als er hinter sich ein Geräusch hörte.

Alles ging blitzschnell. Andy fuhr herum. Ein Wachmann, der offensichtlich für die Sicherheit der Bank zuständig war, hatte sich bis auf wenige Meter herangeschlichen. Er musste gerade auf der Herrentoilette gewesen sein. Er hatte seine Pistole im Anschlag und offensichtlich nur darauf gewartet, dass Andy mit seiner Waffe nicht mehr auf die Mitarbeiterin zielte. Von seiner Entdeckung überrascht hielt der Wachmann einen Augenblick erschrocken inne. Diese Sekunde rettete Andy das Leben. Er schleuderte seinen Aktenkoffer auf den Mann zu und sprang hinter den Schalter in Deckung. Der Wachmann drückte ab, verriss aber wegen des heran fliegenden Aktenkoffers die Waffe. Die Angestellte hatte im selben Augenblick, als Andy sich von ihr abwandte, einen unter dem Schaltertisch versteckten Knopf gedrückt, woraufhin ein Stiller Alarm losging, von dem Andy nichts mitbekam. Die Kugel, die der Wachmann abgefeuert hatte, bohrte sich tief in die rechte Schulter der Angestellten, die herumgerissen wurde und zu Boden fiel.

Entsetzt realisierte der Wachmann, dass er seine Kollegin getroffen hatte. Mit den sich überschlagenden Ereignissen völlig überfordert, ließ der Wachmann geschockt seine Waffe sinken. Andy fasste sich als erster. Noch immer kauerte er hinter dem Schalter, die Frau lag blutend und wimmernd neben ihm. „Ich habe hier eine Geisel. Ich werde ihr den Gnadenschuss verpassen, wenn Sie nicht aufgeben! Haben Sie verstanden?"

Der Wachmann legte die Waffe auf den Boden und hob die Hände. „Schon gut, ich ergebe mich, ich ergebe mich. Um Gottes Willen, nicht schießen!" Andy hatte hinter dem Schaltertisch hervorgelugt und ihn nicht aus den Augen gelassen. „Stoßen Sie Ihre Waffe mit dem Fuß zu mir und legen Sie sich zu den anderen auf den Boden. Los jetzt!"

Der Wachmann tat wie geheißen. Die einzige echte Pistole im Gebäude schlitterte über den Marmorboden. Andy hob sie auf. Noch immer lagen alle auf dem Boden. Niemand hatte es gewagt aufzustehen und zu fliehen. Das Risiko, in den Schusswechsel zu geraten, war zu groß gewesen. Sein Blick fiel auf die Angestellte zu seinen Füßen. Ihr Gesicht war leichenblass und sie hielt die Hand auf die verletzte Schulter gepresst. Blut sickerte zwischen ihren Fingern hervor.

Linda war genervt. Von ihm -- wie immer. Am liebsten hätte sie ihren Kollegen erwürgt. Oder wenigstens auf den Mond geschossen. Sie hielt den Blick stur auf die Straße gerichtet und umklammerte das Steuer des Streifenwagens. „Bald schon Baby, bald gehör' ich zur Elite. Ist nur noch 'ne Frage der Zeit." Erik lachte wiehernd. „Ich habe einen Kumpel bei der Verwaltung, der hat mir gesteckt, dass meine Bewerbung durch ist und es bald grünes Licht geben wird.

Die junge Frau hoffte wirklich, dass Erik die SEK-Ausbildung bald antrat und auch erfolgreich hinter sich brachte. Als er damit angab, sich beim SEK beworben zu haben, hatte sie in Gedanken drei Kreuze gemacht und drückte ihm ehrlich und nicht ganz uneigennützig die Daumen. Nur so würde sie ihn auf Dauer und vor allem zeitnah loswerden.

„Hey Kleines, ich mach' mal die Klimaanlage an, sonst ersticken wir noch in dieser Karre." Erik drückte bereits den Knopf. Linda zuckte die Achseln. „Meinetwegen. Es ist wirklich etwas warm." Sie ärgerte sich. Unzählige Male hatte sie ihm schon gesagt, dass sie nicht mit „Baby" oder „Kleines" angesprochen werden wollte. Aber er nahm sie nicht ernst. Auch eine Beschwerde bei der Dienstaufsicht hatte nichts bewirkt. Man müsse auch mal „Fünfe grade sein lassen". Pah!

Seit 5 Monaten waren sie nun schon Partner, fuhren gemeinsam auf Streife. Erik war schon als Macho auf die Welt gekommen. Die Chemie hatte von Anfang an nicht gestimmt. Aber er sah das ganz anders. Vor allem sah er viel zu oft und viel zu lange in ihre Richtung. Linda mochte es nicht, so angestarrt zu werden. Doch was sollte sie tun? So sehr, wie sie ihn ablehnte, so sehr schien er in gleichem Maße einen Narren an ihr gefressen zu haben. Viel zu offensichtlich verweilte sein Blick immer wieder auf ihrem Körper.

Das Funkgerät rauschte und knackte. Dann erklang die Stimme von Michaela, die meistens einen mürrischen Unterton hatte. „Wagen 23, hier Zentrale, kommen!" Erik beugte sich vor und beantwortete den Ruf. „Hier Wagen 23, Zentrale, wir hören." Wieder ein lautes Rauschen. „Wagen 23, bitte einen Stillen Alarm bei der Goldmeier Privatbank überprüfen. Ihr seid am nächsten dran. Verstärkung ist bereits auf dem Weg." Erik nickte, obwohl Michaela ihn ganz bestimmt nicht sehen konnte. „Verstanden, Zentrale, sind unterwegs." Erik lehnte sich zurück, ließ den Blick an Linda hoch wandern und sagte lapidar. „Dann gib' mal Stoff, ist nur drei Straßen weiter."

Kurz darauf trafen die beiden Beamten bei der Bank ein. Linda parkte direkt vor der Eingangstür. Zu zweit betraten sie das Gebäude, wachsam und die Hand an der Dienstwaffe.

Einen Augenblick lang starrten sich der maskierte Mann und die Polizisten überrascht an. Reflexartig ging Andy erneut neben der verletzten Angestellten in die Hocke, um hinter dem Schalter Deckung zu suchen, während Erik seine Waffe zog und „Hände hoch, Polizei!" brüllte. „Waffen runter, oder ich erschieße die Frau!", rief Andy zurück. Er kam sich mies vor, alle paar Minuten die Schwerverletzte als Druckmittel zu benutzen, aber er hatte leider keine Wahl. „Ich zähle bis drei - entscheidet euch!"

Auch Linda hielt ihre Pistole im Anschlag. Sie sah nicht viel von der Frau, die hinter dem Schalter lag. Ihr Oberkörper war verdeckt. War sie vielleicht schon tot? Dann glaubte sie eine Bewegung der Beine bemerkt zu haben und auch ein schmerzerfülltes leises Wimmern.

Andy kam bis zur Zahl „Zwei", als Linda die Waffe senkte und Erik mit einem eindeutigen Blick zu verstehen gab, es ihr gleich zu tun. „Nicht schießen. Wir tun, was Sie sagen." Sie steckte ihre Pistole langsam und deutlich sichtbar zurück in die Pistolentasche und knüpfte die Schlaufe zu. In diesem Augenblick warf sich Erik herum und verschwand durch die Eingangstür. Überrascht starrte Linda ihm nach. Da ergriff der Bankräuber bereits das Wort: "Folgen Sie Ihrem Kollegen..."

Linda stutzte. Mit der Skimaske über dem Kopf sah der Mann extrem gefährlich aus, aber so wie er es betont hatte, klang es wie eine Mischung aus Aufforderung und Frage. Wieso verzichtete der Bankräuber freiwillig auf eine Geisel? War sie ihm als Polizistin zu gefährlich, zu gut ausgebildet? Gedankenschnell reagierte sie. „Ich werde gehen, aber nur wenn ich die verletzte Frau mitnehmen darf." Herausfordernd sah sie dem Mann in die Augen.

Andy wünschte sich, nie die Bank betreten zu haben. Es war ein Alptraum. Zu seinen Füßen lag eine verletzte Frau, die wahrscheinlich kurz vorm Verbluten war. Auf dem steinkalten Boden lagen mehrere Menschen, die alle Angst vor ihm hatten. Die Polizei war da, und somit konnte er den Gedanken, einfach aus der Bank zu flüchten, auf jeden Fall abschreiben. Und dann noch diese verflucht attraktive Polizistin, die seine Unsicherheit genau zu durchschauen schien.

Der verletzten Frau zu seinen Füßen musste geholfen werden. Vielleicht war es ganz gut, wenn die Polizistin sie mitnahm. Inzwischen schien draußen vor der Tür der Teufel los zu sein. Jede Menge Fahrzeuge hielten. Er lauschte. Es war irgendwie faszinierend zu hören, wie Sirenengeheul in Gruppen und manchmal auch einzeln näher kam, um dann schließlich vor dem Gebäude zu verstummen. Auf einmal war das Laufgeräusch von mehreren schweren Stiefeln auf dem Asphalt deutlich zu hören. Verdammt!

Andy riss sich aus den Gedanken. „Ich kann nicht mehr riskieren, Sie gehen zu lassen. Sie werden denen da draußen zu viel über mich verraten. Linda schüttelte den Kopf. „Mein Kollege dürfte den Einsatzkräften da draußen längst einen Überblick über die Lage gegeben haben. Es gibt nichts zu befürchten. Ich bitte Sie inständig, geben Sie der Frau eine Überlebenschance! Andy zögerte. Die verwundete Angestellte war noch bleicher geworden und ihre Schusswunde blutete noch immer stark. Ein riesiger roter Fleck hatte sich auf ihrer weißen Bluse von der Schulter her ausgebreitet.

Er trat ein paar Schritte vom Schalter weg, stellte sich aber so, dass er die junge Polizistin und die Menschen auf dem Boden gleichermaßen gut im Blick behalten konnte. Er winkte dem Wachmann, der die Frau niedergeschossen hatte mit dessen eigener Waffe zu. „Sie tragen die Frau hinaus!" Dann wandte er sich wieder an die Polizistin. „Richten Sie Ihren Leuten da draußen aus, dass sie Abstand halten sollen. Ich habe nichts zu verlieren und einen nervösen Finger am Abzug. Wenn sie versuchen die Bank zu stürmen, gibt es hier ein Blutbad!" Er fuchtelte kurz mit den beiden Pistolen, die er links und rechts in der Hand hielt.

„In Ordnung, ich werde es ausrichten. Bitte bleiben Sie ruhig. Wir werden eine Lösung finden. Und... danke, dass wir der Frau helfen dürfen." Linda wartete, bis der Wachmann mit der Bankangestellten auf den Armen bei ihr war. Sie öffnete die Eingangstür einen Spalt und rief laut hinaus: „Nicht schießen. Wir kommen raus!" Linda hielt dem Wachmann die Tür auf und nacheinander verließen sie die Bank.

Draußen vor dem Gebäude war weiträumig abgesperrt worden. Wohin man sah, waren Streifenwagen abgestellt und die Kollegen hatten alle Mühe, die vielen Schaulustigen zurückzuhalten. Kaum waren sie aus der Tür getreten, da wurden sie auch schon von vier vermummten Gestalten in Kampfanzügen, die plötzlich aus dem Boden zu wachsen schienen, in Empfang genommen. Sie nahmen dem Wachmann die verletzte Frau ab und zerrten ihn und Linda im Laufschritt aus dem Eingangsbereich. Die Frau wurde der Obhut eines Notarzt-Teams übergeben. Mit Sirenengeheul bahnte sich der Krankenwagen einen Weg durch die Menge und raste davon.

Linda und der Wachmann wurden zum Einsatzwagen des SEK geführt, wo sie von Hauptkommissar Glockner empfangen wurden. Der Leiter des Spezialeinsatzkommandos war ein Mann mit einem feinen Gespür für Menschen. Auch deshalb hatte er schon viele schwierige Einsätze meistern können. Er schüttelte erst Linda und dann dem Wachmann die Hand. „Mein Name ist Glockner, ich bin hier verantwortlich."

Der Mann war Linda auf Anhieb sympathisch. Sie schätzte ihn auf Anfang fünfzig. Er strahlte Autorität aus, die durch seine leicht angegrauten Schläfen noch unterstrichen wurde. Am auffälligsten an ihm war sein wacher Blick, der in Sekundenschnelle sein Gegenüber genau einzuschätzen schien. Linda und der Wachmann stellten sich kurz vor. Anerkennend zog sie eine Augenbraue hoch. „Sie waren in weniger als fünf Minuten hier. Ich hätte nicht gedacht, dass das SEK eine so kurze Reaktionszeit hat, auch wenn wir eine Großstadt sind."

Glockner lächelte. „Haben wir auch nicht. Wir waren grade auf dem Weg, um..." Der Hauptkommissar hielt kurz inne. „Jedenfalls wurden wir dann hierhin umgeleitet. Ein glücklicher Zufall. Hoffen wir, dass uns das Glück treu bleibt und wir das hier schnell und sauber über die Bühne bringen. Dafür brauche ich Ihre Hilfe." Mit diesen Worten zückte er einen kleinen, in braunes Leder gebundenen Notizblock. Zuerst ließ er sich vom Wachmann den genauen Tathergang schildern. Er notierte die Beschreibungen und Beobachtungen, die den beiden aufgefallen waren. Als Linda erzählte, wie sie um die verletzte Frau verhandelt hatte, nickte Glockner anerkennend.

„Das war sehr gute Arbeit. Von ihrem Partner dagegen habe ich leider nicht allzu viel erfahren können. Aber nun habe ich wenigstens einen groben Überblick über die Lage." Er wandte sich an den Wachmann. „Am besten lassen Sie sich medizinisch zur Sicherheit noch einmal durchchecken. Sie sollten auch darüber nachdenken, unsere psychologische Betreuung in Anspruch zu nehmen."

Glockner gab einem seiner Leute einen Wink, sich um den Wachmann zu kümmern. Linda überlegte. Und nun? Sie gab sich cool und gelassen, aber in Wirklichkeit war sie aufgewühlt und aufgeregt -- und orientierungslos. Was machte man, nachdem man gerade eine Geisel gerettet hatte? Ins Auto steigen und mit dem normalen Streifendienst weitermachen? Quatsch. Bei den Kollegen da draußen untätig herumstehen? Hm. Sie wollte gerade den beiden Männern folgen und sich von Glockner verabschieden, als Erik den Wagen betrat.

„Herr Hauptkommissar, auf ein Wort bitte." Er näherte sich mit weit ausholenden, federnden Schritten. Neugierig wartete Linda ab. Erik schien sie überhaupt nicht wahrzunehmen, geschweige denn sie zu begrüßen oder sich dafür zu interessieren, wie es ihr ergangen war. Nicht, dass sie Wert auf seine Aufmerksamkeit gelegt hätte.

Hauptkommissar Glockner nickte ihm zu. „Ist ihnen noch eine wichtige Beobachtung eingefallen?" Erik stutzte. Schweiß stand ihm auf der Stirn. Aufgeregt knetete er seine Hände. „Wie? Was? Äh nein. Hören Sie, ich habe mich draußen mit Ihren Kollegen unterhalten. Ich weiß, dass Ihnen ein Mann kurzfristig ausgefallen ist. Magen-Darm oder so. Ist ja auch egal, jedenfalls, ich bin SEK Bewerber und bringe bereits diverse Qualifikationen mit. Zum Beispiel bin ich ein ausgezeichneter Scharfschütze. Geben Sie mir eine Chance, ich kann helfen!"

Glockner lächelte milde. „Danke für das Angebot, aber so einfach ist das nicht. Außerdem heißt es korrekt: „Präzisionsschütze". Ich kenne..." Er unterbrach sich, als Wespe, sein Teamführer herantrat und ihn am Arm antippte. Eigentlich hieß Wespe mit richtigem Namen Udo Schröder. Wie er zu dem Spitznamen Wespe gekommen war, wusste niemand mehr, am wenigsten Wespe selber.

"Einen Augenblick bitte", entschuldigte sich der Hauptkommissar. Als die beiden SEK Leute sich ein Stück weit entfernt hatten, nahm Erik endlich seine Kollegin wahr. Jedenfalls ließ er seinen Blick einmal an ihr herunter und wieder heraufwandern, um sie dann schmierig anzugrinsen. „Na, an deiner Reaktionszeit musst du aber noch arbeiten. Sich als Geisel nehmen zu lassen. Genau das, Kleines, ist eben der Unterschied, warum ich SEK-tauglich bin und du nicht." Linda starrte ihn fassungslos an. Vor Wut fehlten ihr die Worte, als er ihr auch schon eine Hand auf die Schulter legte. „Brauchst dich nicht zu schämen, aber das Rot im Gesicht steht dir."