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Das Lied ohne Sprache

Geschichte Info
Eine Geschichte von Liebe, Hass, Verrat und Bestimmung.
4.3k Wörter
4.07
8.4k
1
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Hallo liebe Leser,

da ich momentan wieder etwas mehr Zeit habe, habe ich mich wieder ein wenig hingesetzt und geschrieben. Wieder handelt es sich allerdings um ein Experiment und nicht um KdE 05, weil ich aktuell nicht sicher bin, auf welche Art ich die Geschichte weitererzählen will. Außerdem habe ich das Gefühl, dass meine aktuelle Gemütslage nicht zu dem Stil passt, den ich der Geschichte gegeben habe, weshalb sich ein Weiterschreiben nicht lohnen würde.

Nun aber zu dieser Geschichte: Man könnte sagen, dass ich mich durch ein gewisses Buch, das ich momentan lese, zu der Geschichte habe inspirieren lassen. Demzufolge ist die Geschichte auch in der Welt dieses Buches angelegt, welche der ein oder andere sicherlich kennen wird.

Dennoch handelt es sich aber nicht um eine Fanfiction, da ich eigene Charaktere und Story entworfen habe, irgendeine Art von Vorwissen ist eigentlich auch nicht nötig, was auch der Grund dafür ist, dass ich diese Geschichte nicht in jene Kategorie einordnen wollte. Dem ein oder anderen Fan besagter Welt werden aber kleine Anekdoten auffallen.

An dieser Stelle bleibt mir nun eigentlich nur noch, allen viel Spaß beim Lesen zu wünschen. Kommentare sind wie immer erwünscht und ich freue mich sehr über Lob oder Kritik.

Mit frohen Neujahrsgrüßen,

Heart

Das Lied ohne Sprache

Er erwachte mit offenem Mund. Seine Augen öffneten sich, langsam, schwerfällig hob er seine Lider, um den roten Fußboden unter seinen nackten, von Ruß belegten Füßen zu sehen.

Er wusste nicht, wo er war. Er wusste nicht, wann er war und für ein paar Augenblicke auch nicht wer. Für ein paar Augenblicke wusste er nur, dass sich seine Lider so schwer anfühlten, als wären sie aus Stein, und dass seine Beine aus Blei waren, und dass seine Zehen schwarz waren vor Asche, und dass die Asche durchzogen war von roten Bändern, die aussahen wie ein seidiges Spinnennetz, das sich langsam im Wind regte.

Doch je mehr Augenblicke verstrichen, und je öfter seine steinernen Lider sich zitternd hoben, desto mehr begann er wieder zu wissen.

Zuerst wusste er, dass nicht nur seine Beine aus Blei waren, sondern auch seine Arme und seine Brust. Dann wusste er, dass es kein Spinnennetz war, das sich über seine Fuße gelegt hatte, sondern das Blut, das seinen Körper entlang aus all dem Blei nach unten floss.

Aus diesem Wissen folgerte er, dass auch das, was aus seinem offenen Mund tropfte und sich mit dem roten Fußboden verband, kein Faden des Netzes war, sondern sein eigenes Blut, das die Lache immer größer werden ließ.

Und je länger er da so hing, desto genauer wurde all sein Wissen.

Langsam, ganz langsam, begann er mehr und mehr zu unterscheiden. Er unterschied zwischen der bleiernen Schwere seiner Arme, die damit zu tun haben musste, dass sie nach oben gestreckt waren und sein Gewicht hielten, und der bleiernen Lähmung seiner Beine und seiner Brust, denn diese war leichter, dafür aber schmerzvoller.

Er sah an sich herunter und erkannte, dass seine Beine, seine Brust und überhaupt alles an seinem Körper, was er sehen konnte, mit Wunden gespickt war, Wunden, die schmerzten. Wunden, die brannten. Und Wunden, die weder schmerzten noch brannten, dafür aber den sauren Geschmack der Übelkeit über seine Zunge legten.

Seine Beine, die wenige Fingerbreit über dem Boden schwach hin und her baumelten, waren an mehreren Stellen aufgerissen, blau oder lila oder rot. Das waren die Stellen, die brannten oder schmerzten.

Sein rechtes Bein aber besaß eine der Wunden, die das nicht tat: Unter dem Knie begann seine Haut, sich zu winden, als sei sie gedreht worden. Aus der Mitte des Schienbeins lugte eine kleine, weiße Ecke hervor, und darunter, wo er seine Zehen erkennen konnte, bemerkte er, dass die Zehen seines rechten Fußes ein wenig mehr nach links geneigt waren als gewohnt.

Seine Brust hob sich langsam, in einem nervösen, müden Rhythmus. Auch sie war blau und lila und rot und brannte. Aber auch nur das.

Rivaell spürte einen kühlen Hauch über seinen nackten, geschundenen Körper flüstern, und ihn fröstelte. Die Muskeln in seinen Oberarmen brannten. Die Sehnen seines Halses schienen ihn erdrosseln zu wollen, als er langsam das Kinn von seiner Brust hob.

Er leckte sich vorsichtig über die aufgeplatzten und vertrockneten Lippen und hob seinen Kopf, weiter und weiter, bis er zur Decke blickte.

An der hölzernen Decke, keine zwei Meter über ihm, war eine metallene Platte in das Holz eingelassen. An der Platte war ein großer metallener Ring, und an diesem hingen zwei Ketten, die mit den Ringen um seine Handgelenke verbunden waren und ihn in der Luft hielten.

Wäre er ein gewöhnlicher Mensch gewesen, so wäre er in Panik geraten -- aber das war er schon zu lange nicht mehr. All die Jahre der Ausbildung und all die Veränderungen seines Körpers hatten ihn zu etwas anderem gemacht. Etwas kälterem. Etwas ruhigerem und stärkerem.

Die Ketten sahen robust aus. Seine Kraft würde nicht ausreichen, um sie zu sprengen, und seine Zeichen nicht wirken, denn er sah die Runen, die in die einzelnen Glieder gewoben waren, sich sanft in sie hineindrückten und zugleich so hart seine Gedanken an eine Befreiung unterwarfen und schlachteten.

Rivaell ließ den Kopf wieder sinken und inspizierte weiter seinen Körper. Bis auf die zahlreichen Schnittwunden und das verdrehte Bein war er intakt. Ihm fehlte kein Körperteil, außer dem Schwert, das er sonst immer bei sich trug.

Rivaell hatte sich immer damit gebrüstet, aus schwierigen Situationen heil heraus kommen zu können. Doch egal wie groß sein Glück für gewöhnlich war, aus dieser hier würde er nie entkommen, das wusste er sofort und instinktiv.

Für gewöhnlich gab es immer ein Schlupfloch, einen Fehler, einen Zufall, der ihm das Leben rettete. Doch hier, angekettet zwischen Decke und Boden, ohne eines von beiden zu berühren, hier gab es nichts als Blut und Asche und Blei. Kein Fehler, kein Loch, kein Zufall und keine Rettung.

Alles, was er hier tun konnte, war nachdenken und stillhalten.

Stillhalten, um den Blutstrom aufzuhalten, der den Boden unter ihm gefärbt hatte.

Nachdenken und die Splitter der Erinnerung in seinem Kopf zusammenkratzen, um den Spiegel wieder aufzubauen, mit dem er reflektieren konnte, was geschehen war.

Selbst im Nachhinein bereute er nicht, den Kampf aufgenommen zu haben. Er war ein Meister seines Handwerks, er verdiente sein Leben damit und er kannte jede Bewegung, zu der sein Körper fähig war. Er wusste also, er hatte in dem Kampf keinen Fehler gemacht. Er war nicht zu stolz, um Fehler einzugestehen, auch wenn man es an diesem Punkt glauben könnte, hatte er den Kampf doch schließlich verloren.

Doch tatsächlich war der einzige Fehler, den er in jenem Kampf begangen hatte, sich überhaupt auf den Kampf einzulassen.

Er hatte geglaubt, die Zauberin würde lügen, als sie gesagt hatte, dass sie ohne Magie gegen ihn antreten würde. Er war darauf gefasst gewesen, dass sie im Angesicht des Todes oder einer Chance einen Spruch über ihre Lippen entkommen lassen würde.

Doch sie hatte nicht gelogen. Sie hatte ihren Stab gegriffen und war in Kampfposition gegangen. Rivaell war ihr ohne Vorbehalte entgegengetreten, er hatte nicht geglaubt, dass es einfach werden würde, er hatte sie ernst genommen.

Hätte er das nicht getan, so wäre es vielleicht schmerzfreier abgelaufen. Hätte er sie ausgelacht, sie belächelt, so hätte sie ihn in kürzester Zeit überwältigt. So aber lieferte er sich mit der kleinen, schwarzhaarigen Hexe einen minutenlangen Kampf, in welchem er schnell erkannte, dass er nicht gewinnen konnte.

Einen Menschen hätte er mit Leichtigkeit besiegt. Seine Mutationen hatten ihn schneller, agiler, stärker und besser gemacht. Er war ein Wesen, gemacht, um zu töten und zu siegen, gemacht, um in jedem Zweikampf das schnellere Schwert zu führen.

Er hatte Werwölfe getötet, Ghule, war gegen dutzende Kämpfer im Alleingang angetreten.

Doch diese Frau war eine Armee in Person.

In dem Kampf, der genau acht Minuten dauerte, hatte er nur sechs Mal die Möglichkeit gehabt, anzugreifen, zu kontern, zu verletzen. Sechs Mal hatte er die Möglichkeit genutzt, und sechs Mal hatte er das Geräusch vernommen, das das Scheitern seines Angriffs verkündete.

Zuerst hatte sie den linken Unterarm getroffen. Nicht sein Schwertarm, aber schmerzhaft.

Dann traf sie seinen rechten Oberschenkel. Schmerzhaft, problematisch, aber noch kein zu großes Defizit im Kampf.

Der Schweiß war ihm aus allen Poren getreten, als das untere Ende ihres Stabes, das spitze Ende, sich in seine Schulter bohrte und mit dem Geräusch von Metall auf Glas seinen Knochen spaltete.

Noch bevor er sein Schwert vom sechsten und letzten Angriff seinerseits zurück in die Defensivhaltung hatte bringen können, spürte er, wie das obere, gekrümmte Ende das langen Stabs in seine Brust fuhr und ihm jede Luft aus der Lunge drückte.

Ab da war ihm klar geworden, dass er verloren hatte. Er, Rivaell, hatte verloren und war von einer Zauberin verprügelt worden, ohne, dass diese ihre eigentlichen Fähigkeiten verwendete.

Das letzte, woran er sich bis zu jenem süßen Erwachen erinnern sollte, war das Knacken von trockenen Ästen, das erklang, als zarte Mädchenhände sein Schienbein umfassten und ihm den Fuß um die eigene Achse drehten.

Und nun hing er an einer Kette von der Decke herab, über sich Holz, unter sich Blut, und vor sich in einiger Entfernung, eine hölzerne Wand. Verfolgte man diese Wand nach rechts, so fand man eine Ecke, in der seine Kleidung und seine beiden Schwerter lagen. Und in der Wand, die durch diese Ecke mit der Wand vor ihm verbunden war, eine geöffnete Tür.

Eine Tür, geöffnet, um die Sonnenstrahlen hereinzulassen. Die Sonnenstrahlen, den kühlen Wind, das Zwitschern der Vögel und das Zirpen der Grillen.

Seine überentwickelten Ohren hörten alles. Sie hörten nicht nur das Zwitschern und Zirpen, sondern auch, wie der Wind durch die Weizenfelder strich. Wie sich die Grashalme unter ihm beugten, tanzten, sich in einem raschen, unsteten Takt bewegten.

Und auch, wie die nackten Füße einer humanoiden Gestalt durch die Halme schritt, einzelne unter sich zerquetschten, bis sie an der Tür angekommen waren.

„Ah, du bist also endlich wach, Hexer."

Die helle, freundliche Stimme. Der Geruch nach Weizenfeldern, nach Himbeere und Nelke, nach Orange und Kiefernharz. Die kleine Gestalt, gekleidet in einen kurzen Unterrock und eine weiße Bluse, die so freundlich lächelte wie am ersten Tag.

Damals war es kalter Winter und ihre Wangen rot gewesen, da sie keinen Zauber gewirkt hatte, um sich vor dem Schnee zu schützen, anders als alle anderen ihrer Kolleginnen. Damals hatte sie gesagt, ohne die Kälte wäre es kein Winter.

Sie waren gemeinsam unterwegs gewesen. Sie, er, die anderen Zauberinnen und Zauberer, seine zwei Hexerkollegen, die Politiker, die Spione, die Soldaten. Viele Wochen waren sie gereist, hatten gearbeitet.

„Ich sehe, deine Wunden sind noch nicht alle geschlossen."

Dann hatten sie endlich erreicht, was sie hatten erreichen wollen. Schon damals hatte Rivaell Interesse an ihr gehabt, und in einer Nacht hatten sie sich geliebt. Ihm waren die Narben aufgefallen, die Narben an ihrem Becken und Bauch, aber er hatte nicht gewusst, was sie bedeuteten, als sie vom Lagerfeuer beleuchtet wurden, während sie langsam auf ihm auf- und abglitt.

Jetzt wusste er es.

„Wie gehts dem Bein?"

Auf dem Fest hatten sie sich noch bestens unterhalten. Sie alle hatten sich bestens unterhalten. Doch als der Abend sich dem Ende neigte, da gab es plötzlich Leichen. Leichen über Leichen, und auch seine beiden Freunde, die Hexer Feris und Kallak, waren von den Flammen aus dem Stabe Carahiers getroffen und getötet worden. Er hatte nur ihre Hexermedaillons mitnehmen können.

Er und die anderen, die nicht mit dem Verrat gerechnet hatten, waren in der Unterzahl, und er konnte das Mädchen, dass sie alle zusammen gesucht hatten, gerade so noch in den Turm bringen. Er versprach ihr, sie zu beschützen, und als die Zauberin in dem schwarzen Korsett vor ihm stand, da sagte er ihr, dass er sie nicht hineinlasse, weil auch sie das Mädchen ausliefern wollte.

Ein Fehler.

Sie kam auf ihn zu, und beugte sich an seinem nackten Körper herab, um die Wunde in Augenschein zu nehmen, die nicht brannte. Sie streckte ihre Hand aus.

Ein Schnippen. Mehr brauchte es nicht.

Es reichte ein einziges Schnippen gegen den herausragenden Knochen, um jegliche Gefühllosigkeit von dort zu vertreiben. Binnen einer Sekunde brannte und schmerzte sein Bein schlimmer als alles andere an seinem Körper.

Rivaell schrie nicht. Er zuckte nicht einmal. In seinem Kopf hämmerte es, und sein Puls jagte sein Blut so schnell durch seinen Körper, dass er sich wünschte, er wäre damals gut genug gewesen, um die zusätzlichen Proben an seinem Körper anwenden zu lassen, so wie es der Hexer der Wolfsschule gewesen war, der nun volle Kontrolle über seinen Organismus hatte.

So aber spritzte jetzt Blut aus seinem rechten Schienbein, denn seinen Herzschlag konnte er nicht kontrollieren.

Hylia lachte. Das Lachen eines unschuldigen kleinen Mädchens, dem ein Junge gesagt hatte, dass sie schön sei.

Es war glockenhell, und wie bei einer Glocke traf ihr Finger erneut auf seinen verdrehten und gebrochenen Knochen.

Sein linkes Augenlid begann unkontrolliert zu zucken, er biss sich auf die Zunge.

Nicht schreien, nicht schreien, nicht schreien.

Kein Mucks drang über seine Lippen.

„Du hast wirklich eine wahnsinnige Beherrschung, das muss ich dir lassen!", sagte Hylia, als sie sich aufrichtete und ihn anstrahlte. Ihre Sommersprossen und ihre eigenartig blauen Augen wurden in warmes Sonnenlicht getaucht. Doch Rivaell sah, dass ihre Maske bröckelte.

„Es ist an der Zeit, dich zu heilen, Hexer!", fuhr sie fort und legte ihm ihre warmen, kleinen Hände auf die Brust.

„Keine Sorge, es tut nicht weh."

Er hielt es für eine Lüge.

Doch genauso, wie sie bei ihrem Kampf nicht gelogen hatte, als sie sagte, sie würde ohne Magie kämpfen, log sie auch diesmal nicht.

Ein warmes Gefühl floss durch seinen Körper. Es war, als wurde Honig auf seine Wunden geträufelt, ein zähes, warmes, nahezu betäubendes Gefühl, das sich langsam ausbreitete.

Rivaell spürte die Hände der Zauberin seine nackte Brust hinabgleiten. Dort, wo sie auf offenes Fleisch trafen, wurde es geschlossen, und dort, wo sie gewesen war, blieb nichts als ein warmer Hauch, wie die Sonne auf einem Stein, den man in den Schatten legt.

Seine Adern begannen mehr und mehr, sein Blut nur noch innerhalb seines Körpers zu transportieren, je weiter ihre Hände gingen.

An seinem Bauch angekommen, machte sie kurz Halt, erforschte seine Bauchmuskeln, die vielen Narben von all den Kreaturen, die Rivaell für Geld geschlachtet hatte. Die Erinnerungen an diejenigen, die sich an ihm festgekrallt hatten, um eine letzte Signatur im Leben zu hinterlassen, bevor sie das Licht in ihren Augen verloren und für immer den Blick der Gleichgültigkeit aufsetzten.

Hylias Hände glitten weiter über seine Lenden hinweg, hinab, seine Beine hinab.

Er hörte sie kurz atmen und sich sammeln.

„Diese Stelle ist etwas schwieriger. Das wird jetzt doch wehtun."

Diesmal hoffte er, dass sie log.

Doch sie log nicht.

Er ertrug es, als sein Fuß erneut gedreht wurde, diesmal in die andere Richtung.

Das Knacken war widerwärtig, doch er hielt es aus.

Er fühle ein Pochen im Hinterkopf, als sein Knochen wieder in seine normale Form gebogen wurde.

Mit einem Ruck rammte sich sein Knochen wieder zurück in sein Gelenk, und diesmal schrie er.

Er schrie, und er ließ alles hinaus, was dringend aus ihm verschwinden musste. Hass, Schmerz, Liebe, Entsetzen, Wut, Furcht und die alles überlagernde Angst, die ihm nicht einmal die Mutationen hatten rauben können.

Er schrie selbst dann noch, als Hylia ihn fertig geheilt hatte, und ihm traten Tränen in die Augen.

Erst als sie aufstand und ihn umarmte, und beruhigend auf ihn einflüsterte, erstarb sein Schrei und sein Schmerz.

Er weinte, und durchsichtiges Salz mischte sich mit dem roten Boden.

„Shhh, es ist alles gut", sagte sie. „Es ist alles gut, ich bin ja da. Ich bin da, Rivaell, ich bin da. Shhh."

Ihre Hände lagen auf seinen Schulterblättern, ihren Kopf drückte sie gegen seinen Bauch, sie schmiegte sich an ihn. Und er vergaß, was sie getan hatte. Er vergaß, dass sie der der Grund für all seinen Schmerz und all seinen Hass und all seine Trauer war.

Denn sie war alles, was ihm noch blieb. Sie hatte ihn verraten. Sie hatte ihn betrogen. Sie hatte einen Teil von ihm getötet.

Und sie war alles, was ihn noch hielt und alles, worauf er sich noch stützen konnte, denn nur durch sie verlosch die Angst in seinem Inneren zu einem winzigen Funken kalten Feuers. Nur sie war dazu in der Lage, und er vermisste jetzt schon den Augenblick, in dem er in ihren Armen lag, da er wusste, dass er sie später erneut bekämpfen musste, sollte er überleben.

In diesem einen Moment, da jede Freude und jedes intensive Gefühl diese Seelen verband, die sich liebten, obwohl sie sich hassen müssten und die sich hassten, weil sie sich liebten, in diesem Moment, da sahen beide, dass ihre Zeit nur noch begrenzt war, wenn auch sie beide schon länger lebten als die meisten anderen.

Doch auch dieser Moment ging zu Ende, und ihre Körper trennten sich.

Hylia blickte ihm ins Gesicht, und er öffnete die Augen. Sie lächelte nicht, und Rivaell sah den Schmerz in ihren Augen, als eine Träne ihre Wange hinabrann.

Er lächelte, er wollte sie nicht so sehen, und sie lächelte schwach zurück, versuchte ihn zu täuschen.

Es gelang ihr nicht.

Ein Stich zuckte durch Rivaells Kopf. Er wollte sie so nicht sehen. Nicht ihre Sommersprossen, nicht ihre langen, schwarzen Haare, nicht ihre blauen Augen, nicht so. Ihr Gesicht war nicht für Tränen gemacht.

„Ich wünschte, es wäre anders."

Hylia senkte bei diesen Worten den Kopf.

„Ich auch", flüsterte sie, und er hörte ihr Schluchzen. „Ich auch, Rivaell."

Sie lehnte den Kopf gegen seinen Bauch und weinte. Ihr Gesicht war genau über seinem Schritt, doch weder ihm noch ihr war das in diesem Moment unangenehm. Sie dachten nicht einmal daran.

„Alles könnte so anders sein", dachte Rivaell. „Wir könnten zusammen kämpfen, wir könnten zusammen leben, wir könnten uns niemals getroffen haben. Wir könnten zusammen auf Feste gehen und wir könnten uns streiten, einander beleidigen und uns wieder versöhnen, bis in alle Ewigkeit, bis zum letzten Fest auf dem Antlitz der Erde."

„Wir könnten, doch wir können nicht", antwortete sie auf seine Gedanken.

Ihre telepathischen Fähigkeiten wären bestimmt etwas gewesen, worüber er sich oft geärgert hätte.

Rivaell lächelte schwach, entkräftet von seiner Heilung.

„Ich hoffe, dass du bekommst, was du gesucht hast."

Hylia blickte zu ihm auf. Ihr trauriger Blick verriet ihm alles, was er wissen musste, aber sie sprach es dennoch aus, vielleicht nur, um den Augenblick noch etwas länger anhalten zu lassen.

„Das hatte ich schon."

Dann trennte sie sich von seinem Körper und trat einen Schritt zurück. Sie öffnete den Mund, wollte etwas sagen, doch kein Laut kam heraus. Sie fand keine Worte, um zu begründen, was sie nicht entschuldigen konnte.

Sie schloss den Mund wieder, dann drehte sie sich weg und ging davon. Sie ging auf die Tür zu, und während sie ging, blickte er ihr nach. Er blickte ihr nach, sah zum ersten Mal die grazilen Bewegungen einer erfahrenen Kriegerin, die er zuvor nicht bemerkt hatte. Er sah ihr nach und dachte an den einen Abend, an dem sie sich geliebt hatten.

Ohne Alkohol hatten sie sich betrunken gefühlt, und gewusst, dass sie beide etwas gefunden hatten, was sonst kaum jemand fand.

Hylia blieb stehen. Sie erstarrte mitten in ihrer Bewegung, und ihr Haar rauschte in dem Wind, der durch die Tür vor ihr in das Zimmer trat.

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