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Der Seelentrinker - Teil 1 von 7

Geschichte Info
Fantasy Roman um einen Wunschring in 7 Teilen - keine Erotik.
4.5k Wörter
4.64
10.3k
3

Teil 1 der 7 teiligen Serie

Aktualisiert 06/10/2023
Erstellt 06/23/2020
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Seelentrinker

Marius

Es war mal wieder einer dieser ganz besonders schlechten Tage. Ein plötzlicher Wetterwechsel, der Aufzug funktionierte nicht und Marius musste sich wohl oder übel alle drei Stockwerke langsam die Treppe herunterquälen.

Sein Rollator stand oben am Treppenabsatz seiner Etage und er blickte bereits nach einigen Stufen wehmütig zu ihm zurück.

Jeder Schritt tat ihm weh. Heute feuerten seine Knie schon mit den ersten Stufen. Egal wie er sich drehte oder zu entlasten versuchte...

Aber der Kühlschrank war fast leer und er musste halt einkaufen.

Draußen regnete es.

Die letzten Tage waren schön.

Er hätte früher gehen müssen.

Er war sauer auf sich selbst.

Aber das Gute daran war, dass wohl niemand weiter auf ihn achten würde, wenn er mit Mantel und Kapuze und Gesichtsmaske unterwegs war.

In den Tagen dieses unseligen Virus sowieso nicht.

Angst sich anzustecken hatte er nicht. Was sollte denn schon groß passieren? Noch schlimmer konnte es nicht werden -- und wenn doch, dann war das eher eine gottgegebene Intervention, die seinen geschundenen Körper sicher erlösen würde.

Die Frage war nur, was würde aus seiner Maunzi werden.

Nun, auch sie wollte etwas fressen und schon allein deswegen musste er sich aufraffen. Die Verantwortung!

Jetzt regnete es etwas und er konnte gehen.

Das war im Sommer kompliziert.

Er hasste jetzt den Sommer geradezu. Wenn es heiß war, musste er sich passend anziehen und dann konnte er nur wenig verstecken. Seine Brandnarben am Arm, sein zerschnittenes Gesicht, die fehlende Nasenspitze, die Zahnlücken, seine vernarbten Beine... Seine Knie ragten eigentlich immer über seine Fußspitzen.

Er konnte sie nicht mehr gerade durchdrücken.

Die Menschen auf der Straße sahen ihn immer wie einen Alien an. Manche blickten ängstlich, andere angewidert, wieder andere mitleidig, doch am schlimmsten waren diejenigen, die weg blickten und ihn ignorierten.

Er fühlte sich mehr wie ein Nichtmensch.

In Zeiten von Corona war es jetzt wirklich besser. Masken - jeder trug sie!

Aber jetzt war schon fast Mai. Der Sommer würde kommen. Bald!

Alles Folgen seines Unfalls vor fünf Jahren. Es war fast auf den Tag genau vor fünf Jahren. Er wachte immer noch von Zeit zu Zeit schweißgebadet auf. Und dieser Unfall war der Startschuss. Quasi der Anfang von seinem schleichenden Ende -- körperlich und eben leider auch gesellschaftlich.

Er war sehr lange im Krankenhaus und noch in der Rehaklinik machte seine Freundin Sarah mit ihm Schluss. Er konnte es fast verstehen. Sie wollte Familie und Kinder. Und schon so kurz nach dem Ereignis war klar... Er würde nie wieder der werden, der er vorher einmal war. Konnte er ihr es verübeln?

Dennoch kochten auch jetzt etwas von dem Zorn und dem Hass hoch, den er immer wieder zu unterdrücken versuchte. Das Schicksal ist ein mieser Verräter. Stammte zwar nicht von ihm, aber er stimmte diesen Worten von ganzem Herzen zu.

Jetzt hatte er wieder diesen galligen Geschmack im Mund. Aber er war schon fast unten. Jetzt noch einmal umzukehren, um etwas zu trinken -- dann konnte er den Einkauf vergessen.

Er räusperte sich, atmete tief durch und trat aus der Haustür. Der kalte Wind trieb ein paar Graupelschauer mit sich her. Gewitter?!

Kaum jemand unterwegs an diesem viel zu kalten Mittwoch im April.

Das war gut.

Zum Aldi war es rechts etwa dreihundert Meter. Zum Nahkauf links etwa fünfhundert. Eigentlich mochte er lieber die Rewe Produkte. Aber er fühlte sich nicht so, dass er sich den Weg zutraute. Zweihundert Meter mehr. Das summierte sich hin und zurück schon auf Vierhundert und er hatte ja auf dem Rückweg auch noch mindestens eine Einkaufstüte -- und eben keinen Rollator.

Beim Aldi gab es zum Glück eine Parkbank. Die war zwar immer dreckig und heute definitiv auch klatschnass, aber da scherte er sich nicht drum.

Auf dem Weg haderte er mit jedem Schritt wieder mehr sich selbst. Er war dumm und ein Idiot -- auch weil er damals als selbstständiger Paketdienstleister keinen ausreichenden Krankenversicherungsschutz besaß. Blödsinn zu glauben, niemals ernsthaft krank zu werden und das eingesparte Geld sinnvoller nutzen zu können... Wenn man jung ist!?! Er lachte kurz sarkastisch auf. Wie alt war er denn 38? Wenn man ihn so gehen sah, wirkte er eher jenseits der 70.

Jetzt rechnete er mit jedem Cent. Stütze gab es nicht viel und Pflegeversicherung? Die Kasse in der er jetzt war argumentierte, der Fall läge vor Versicherungseintritt. So gab es nur ein bisschen hier und da extra.

Das einzig Gute am Hass war, dass er die nötige Kraft verlieh. Die Bank war schneller als gedacht erreicht, er setzte sich und erholte sich erst einmal von der Anstrengung. Mit dem Rollator war Vieles doch so viel einfacher, nur der stand zu Hause im dritten Stock auf dem Treppenabsatz.

Ein (tiefer) Fall

Zwar mochte er den Nahkauf mehr, denn der war nicht so weitläufig wie dieser Aldi der neuesten Generation, aber der Einkaufswagen war eine gute Stütze und die Gänge breit.

Genau wie von ihm vermutet, waren kaum Kunden im Laden. Fast alle hatten Masken und hielten Abstand zueinander.

Marmeladen und Brot hatte er passiert und kam bei Zucker und Mehl an. Die Paletten waren beide beinahe ausverkauft und so musste er sich tief hinunterbeugen.

Das Bücken bereitete ihm nach wie vor immer wieder Probleme. Er ahnte, dass er sich vielleicht heute zu viel zugemutet und den Bogen mal wieder überspannt haben könnte. Aber mehr Schmerzmittel waren selbst punktuell kaum eine Lösung, machten sie ihn doch immer wieder schläfrig und brachten Schwindel.

Eine Gruppe älterer Jugendlicher kamen munter schwatzend hinter ihm in den Markt. Er kannte sie. Der „Boss" war so ein halbstarker Deutschtürke, der mit seiner Familie bei ihm im Haus wohnte. Seine Eltern und sein jüngerer Bruder waren nett und halfen ihm ab und zu mit den Mülltonnen.

Aber Hamid war so ein typischer „Gangstarappa" Verschnitt, der wie er gehört hatte, wohl auch Drogen vertickte und in Diebstähle verwickelt war. Kurzum -- er mochte ihn nicht. Ebenso wenig seine „Gang".

Natürlich hatten sie keine Masken und natürlich gingen sie nicht hintereinander, sondern nahmen die ganze Breite des Ganges ein.

Er trat mit seinem Wagen etwas näher an die Palette heran -- mehr war nicht möglich.

Plötzlich fuhr ihm ein stechender Schmerz in den Rücken.

Er konnte nicht mehr atmen.

Scheiße!

Falsche Rotationsbewegung.

Der Schmerz kam als eine einzige, endlose Welle. Er bekam keine Luft mehr. Vor seinen Augen tanzten Sterne in hellen Farben.

Dass er einnässte, merkte er gar nicht mehr. Hilflos nach Halt suchend, streckte er seine Arme nach vorn aus und versuchte zur gegenüberliegenden Wand zu kommen.

„Hey Du Penner! Pass doch auf!!!"

Die Worte kamen so scharf, wie aggressiv. Doch er nahm sie kaum wahr. Er stöhnte und merkte kaum, wie sich seine Hände in Hamids Jacke krallten.

„Vorsicht! Guck mal auf seine Hose!"

„Scheiße! Du alter Penner!"

Er nahm die Faust nur aus dem Augenwinkel wahr und spürte, wie sein Kopf herumgerissen wurde.

„Hey! Hört auf den Mann zu treten!"

Eine der Verkäuferinnen mischte sich resolut ein.

Marius kam langsam wieder zu sich. Er lag zwischen den Mehlpaketen. Sein Rücken schmerzte höllisch. Er war blutüberströmt und griff sich unwillkürlich an den Kopf. Eine große Risswunde über der rechten Augenbraue.

Seine Rippen taten ihm weh und langsam ging sein Blick nach oben. Hamid hatte gerade zu einem Tritt ausgeholt -- wohl nicht sein erster.

„Hört auf oder ich ruf die Polizei!"

„Du rufst hier gar nichts! Und gesehen hast Du auch nichts."

„Und ob!"

Sie baute sich vor Hamid auf. Eigentlich war sie eine recht zierliche Person. Sie kam dem leichten Akzent nach wohl irgendwo aus dem Ostblock und war etwa Mitte dreißig.

Aber der Blick mit dem sie Hamid fixierte war so fest, wie selbstbewusst.

„Hast Du nicht so ´ne kleine Tochter??? Auch blond?"

Hamid hatte plötzlich ein Springmesser in der Hand. Die Klinge war zwar noch im Griff, aber seine Gestik hatte eine mehr als nur bedrohliche Eindeutigkeit.

„Die Bullen lassen mich gleich wieder laufen. Bin ja noch keine achtzehn. Aber Du hast dann Probleme. Oder vielmehr Deine kleine Butterblume -- irgendwann krieg ich sie. Und dann pflück ich sie..."

Er leckte sich demonstrativ die Lippen.

Hamid sah ihr in die Augen und wusste, dass er gewonnen hatte.

„Kommt Jungs, ziehen wir ab. Und Du Pisser, kommst mir besser nie wieder in die Quere. Das überlebst Du sonst nicht."

Er drehte sich zu seinen Kumpels um und gemeinsam gingen sie bewusst gemächlich in Richtung der Kassen.

Die anderen Kunden hatten bis auf einen älteren, gut gekleideten Mann das Weite gesucht.

„Kann ich Ihnen helfen?"

Die Verkäuferin trat immer noch am ganzen Körper zitternd an Marius heran.

„Michael, hol doch mal den Verbandkasten!"

Sie rief laut quer durch den Laden.

„Mach ich Sabina!"

Weiter hinten sprintete ein schlaksiger Jungspund in Richtung des Lagers.

Sie beugte sich zu ihm hinunter.

„Soll ich Ihnen einen Krankenwagen rufen?"

„Ich möchte nicht, dass Sie wegen mir noch mehr Probleme bekommen."

Marius stöhnte mehr, als das er sprach. Etwas Blut rann ihm den Mundwinkel herunter.

Das Mehl war ruiniert. Blutig und er merkte, dass seine Hose völlig nass war. Und der intensive Geruch, der ihm jetzt so langsam in die Nase stieg, verhieß auch nichts Gutes.

„Es tut mir leid! Ich hatte gerade wohl einen starken Hexenschuss! Das war alles etwas viel."

„Ich rufe jetzt besser einen Krankenwagen."

Marius versuchte erfolglos sich aufzusetzen, während die Verkäuferin die Notrufnummer wählte. Ihm war schwindelig.

Sie telefonierte mit der Rettungsleitstelle:

„Hhmm, dauert also noch, bis der Rettungswagen kommt. Alle im Einsatz... Ja, das bekommen wir irgendwie hin.

Den Kopf verbinde ich.

Wie das passiert ist?

Ich glaube der Mann ist gestürzt. Er hatte vorher einen Hexenschuss.

Gut, dann bis gleich!"

„Gestürzt?"

Der ältere Mann kam näher. Seine Stimme war tief und wohltönend.

„Aha."

„Na ja, Sie müssen entschuldigen. Ich kenne diese Typen. Die sind wirklich Gangster und dieser Hamid ist zu allem fähig. Sie haben es ja gehört. Ich wohne auch hier in der Gegend und ich habe eine Tochter."

„Genau?!"

Die Ironie triefte förmlich aus diesem einen Wort, mit dem dieser ältere Herr doch so viel auszudrücken vermochte.

Die Verkäuferin wich seinem festen Blick aus.

„Michael? Wo bleibt der Verbandkasten?"

Sie wandte sich wieder an den älteren Mann: „Könnten Sie kurz einen Moment warten und auf den Herren aufpassen? Ich hole schnell das Verbandzeug. Der Azubi findet das wohl gerade nicht."

Er wartete, bis die Verkäuferin gegangen war und ging vor Marius in die Knie.

„Übel, wirklich übel!"

„Hat´s mich so schwer erwischt?"

Marius dachte kurz nicht mehr an sein „normales" Aussehen.

„Jepp. Sieht nicht schön aus. Aber wirklich übel spielt Ihnen gerade das Leben mit."

Er schüttelte kurz seinen Kopf, sein Pferdeschwanz löste sich und dichtes Haar fiel auf seine Schultern. Die Jungs sind der letzte Dreck!"

„Wem sagen Sie das!"

Marius hatte kaum Stimme und es klang wie ein Krächzen.

„Sie haben Schmerzen?"

„Die habe ich immer. War schon mehr. War auch schon weniger."

Marius versuchte sich in einem Lächeln. Er hatte den Typen noch nie hier gesehen. Und er dachte, er kannte alle hier in der Siedlung.

Er wirkte nicht unsympathisch. Aber da war ein sehr harter Zug um seine Augen. Der Mann hatte wohl auch schon so einiges mitgemacht.

„Die Typen so ganz einfach damit davon kommen zu lassen schmeckt mir nicht. Sie verdienen ihre Lektion."

„Und wer soll sie ihnen geben? Die Polizei?"

Hamid hatte Recht. Er würde schneller wieder draußen sein, als die meisten dachten. Marius merkte, wie ihm das Blut in Auge lief.

„Damit liegen Sie wohl nicht verkehrt. Wahrscheinlich sogar noch Jugendstrafrecht. Aber das alles klingt insgesamt ein wenig ohnmächtig. Solchen Typen muss man sich entgegenstellen."

„Hat die Verkäuferin ja wohl auch versucht. Und das Ende vom Lied... Sie denkt an ihre Tochter und knickt ein. Ich denke, völlig zu Recht."

„Dann muss man diesen Typen anders kommen... Mit einer Sprache, die sie verstehen. Die tyrannisieren hier die Leute und das Viertel. Das nächste Mal tötet er vielleicht wirklich."

„Klingt zu gut. Sie verfügen nicht zufällig über eine Privatarmee?"

„Nein, aber über einen Wunschring."

Der ältere Herr zupfte sich bei diesen beinahe beiläufig ausgesprochenen Worten seine Krawatte etwas zurecht.

„Wunschring, alles klar."

Marius versuchte erneut aufzustehen, aber bei dem Versuch explodierte sein rechtes Knie förmlich. Tief durchatmend sackte er zurück in das Mehl.

„Ich weiß. Die Reaktion kenne ich. Ich hatte sie auch. Aber das Ding funktioniert wirklich. Es gibt nur ein paar wichtige Regeln, die man einhalten muss."

„Aha?"

Marius verdrehte die Augen. Ihm war gerade nach so ziemlich allem, nur nicht nach einem derart abstrusem Plausch. Er versuchte den Mann zu ignorieren und hielt Ausschau nach der netten Verkäuferin. Doch die ließ sich immer noch nicht blicken.

„Der Ring gewährt nicht jeden Wunsch. Er hat ein Eigenleben. Man muss vorsichtig sein, was man sich wie wünscht. Manchmal realisiert der Ring zwar irgendwie das Gewünschte, doch es hat einen Pferdefuß. Du wünschst Dir Geld, doch es fehlt jemand Anderem. Wenn Du damit leben könntest?"

Marius versuchte seinem Blick auszuweichen, doch die Augen des Alten hatten plötzlich eine Stärke -- beinahe etwas Hypnotisches. Fast völlig gegen seinen Willen musste er zuhören.

„Der Ring spricht zu Dir und auch wenn Du mit ihm Gutes bewirken kannst, möchte er Dich eher zum Gegenteil verleiten. Wenn ich raten müsste -- er stammt garantiert von keiner guten Fee.

Mein Rat: Testen Sie ihn am Anfang mit ein paar kleinen, einfachen Wünschen vorsichtig aus, bevor Sie zu größeren Wüschen übergehen. Jeder Wunsch fordert einen kleinen Blutzoll. Bei Ihnen oder jemand anderen, der mit dem Wunsch unmittelbar in Verbindung steht.

Vorsicht mit großen Wünschen -- diese werden Sie schwächen. Es ist, als tränke er Ihre Seele langsam auf. Der Ring ist ungeheuer machtvoll.

Das kann ich Ihnen versprechen."

Beinahe automatisch musste Marius nicken, während sein Gegenüber weiter fortfuhr.

„Ich weiß es von dem Ring selbst... Man muss ihn abgeben bevor man stirbt, sonst wird die eigene Seele ein Teil des Rings."

„Und deswegen wollen Sie ihn an mich loswerden?"

„Ich sehe nicht mehr so aus, aber ich war mal ein Penner von der Straße, der von Stadt zu Stadt zog und an der Flasche hing. Ich bekam den Ring. So wie Sie jetzt. Und sehen Sie mich jetzt an."

Trotz des Blutes in seinem Auge ließ Marius seinen Blick kurz über den mysteriösen Mann wandern. Er wirkte sehr gepflegt: hochwertige und bequem wirkende braune Lederschuhe, Ralph Laureen Hose, Hemd und Jacke von Thommy Hilfinger... Ja Marius kannte diese Designer.

Aber im Gesicht konnte er auch noch schattenhaft die Einkerbungen eines früheren Lebens sehen -- einer offensichtlich sehr schwierigen Zeit, die eben diese leichte Härte immer noch in seinen Zügen widerspiegeln ließ.

„Ich will ihn loswerden. Und nein. Ich bin keiner dieser Verrückten mit Stimmen im Kopf. Ich schenke Ihnen diesen Ring. Sie müssen ihn nur selbst von meinem Finger abziehen. Ich kann das nicht. Sie später übrigens auch nicht. Das muss der neue Eigentümer machen und er oder sie darf es auch nicht gegen Ihren Willen."

Marius ging mit dem Oberkörper unwillkürlich etwas zurück.

„Ich erzähle Ihnen keinen Stuss. Ich habe vier Häuser. In einem wohne ich selbst und die drei anderen arbeiten für mich. Ich bin glücklich verheiratet und meine Frau erwartet ein Kind. Ich brauche nicht mehr.

Das Geld reicht.

Und Sie gehen kein Risiko ein.

Wenn ich Mist erzählt haben sollte, haben Sie dann immer noch diesen Goldring mit dem Rubin -- sehen Sie, er ist fast schwarz und schluckt förmlich das Licht. Sie können versuchen, ihn zu Geld zu machen."

Er hielt Marius seine Hand hin.

„Los Mann! Zieh ihn endlich ab und steck ihn Dir an."

Roboterhaft tat Marius genau das. Er zog ihn ab und wog ihn kurz in der Hand. Er war schwer.

Und er war warm.

Und auch deutlich zu groß für seine schlanken Finger.

Er steckte ihn sich probeweise an den Ringfinger. Es war, als ob der Ring förmlich kleiner wurde und den Finger umschloss. Er wollte ihn abziehen, aber es ging nicht!

Es war wie ein kleiner elektrischer Schlag.

Marius merkte, wie der Schmerz etwas abzuebben begann.

Er drehte seinen Kopf, doch der alte Mann war weg. Stattdessen lächelte ihn die blonde Verkäuferin an, die mit Handschuhen und Mundschutz gerade den Verbandkasten öffnete.

„Wo ist denn der alte Mann?"

„Oh, Ihnen geht es schon ein bisschen besser. Das freut mich. Ich glaube, der ist gerade aus dem Laden raus. War wohl alles etwas zu viel für ihn.

Ich wische Ihnen mal das Blut weg."

„Seien Sie bitte vorsichtig. Ich glaube..."

Hemd und Mantel waren blutig. Marius sah an sich herunter und Urin und Kot zeichneten sich mehr als deutlich auf Hose und Boden ab. Es war ihm peinlich. Er musste sich irgendwie waschen, frisch machen und die Kleidung wechseln. Aber das war wohl illusorisch.

„Machen Sie sich deswegen mal keinen Kopf. Mir machen Ihre Verletzungen da deutlich mehr Sorgen. Ich heiße übrigens Sabina Merzig. Sie kommen nicht allzu oft. Wohl zu weit für Sie? Wo haben Sie eigentlich Ihren Rollator gelassen?"

„Zu Hause. Dritter Stock. Der Fahrstuhl war kaputt. Ich bin Marius. Marius Kleinmanns."

In diesem Moment kamen auch schon die Retter durch den Eingang. Was würde jetzt aus ihm werden?

Austesten

Langsam kam er wieder zu sich und sah in helle Neon Lichter. Er war wohl im Inneren eines Rettungswagens und eine Ärztin lächelte ihn nett an. Wie er da genau hineingekommen war, wusste Marius nicht mehr.

Nicht nur eine Infusion hing an der Decke.

EKG.

Sauerstoff.

Halskrause.

Er orientierte sich und kämpfte die aufkeimende Panik hinunter. Zu stark waren die Bilder noch, als er das letzte Mal in so einem Auto transportiert worden war.

Sie hatten ihn entkleidet. Eine transparente Plastiktüte mit seinen Sachen lag bei der Hecktür des RTW. Die Kleidung konnte er wohl vergessen -- Scheiße! Und das wortwörtlich.

Seinen Humor hatte er dagegen wohl nicht vergessen.

Ihm war schlecht.

Die Worte der Ärztin kamen nur gedämpft bei ihm an.

Was wollte die wissen?

Ah, seine Medikamente und so.

Die Schmerzen waren wieder gigantisch.

Er konnte trotz der teilweise abgeklebten Scheiben aus dem Heckfenster sehen. Da turnten zwei, drei dieser Deppen auf der Parkbank vor dem Supermarkt rum, um in den Wagen hineinzusehen.

Also waren sie noch nicht im Krankenhaus.

Lachen drang an sein Ohr.

Machten die sich über ihn lustig?

Hatten die etwa auch gesehen, wie er ausgezogen und gesäubert worden war? All die Narben. Es war ihm nicht länger peinlich.

Er war wütend!

„Schmerzen! Die sollen nur mal einen Tag meine Schmerzen haben. Hamid gern für immer! Ich wünschte, wir könnten tauschen!"

„Was haben Sie gesagt? Haben Sie noch Schmerzen? Ich konnte Sie wegen der Maske nicht so gut verstehen?"

Marius antwortete nicht sofort. Sein Blick suchte seine rechte Hand. Der Ringfinger war plötzlich warm geworden -- geradezu unnatürlich warm. Eher unangenehm heiß!

Das Lachen draußen war abgebrochen und wich einem überraschten „Fuck" oder so. Die Idioten verschwanden aus seinem Blick. Stattdessen hörte er mehrstimmiges Stöhnen.

... Und eine leise Stimme, die irgendwo in seinem Kopf wisperte:

„Endlich mal ein guter erster Wunsch. Genau nach meinem Geschmack. Weiter so!"

Marius setzte sich auf.

„Nein. Schmerzen habe ich gerade keine mehr."

Stimmte! Er hatte überhaupt keine Schmerzen mehr. Er fühlte sich so gut, wie seit Jahren nicht mehr.

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