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Die Adjutantin 01

Geschichte Info
Junger Mann muss durch Umstände mit schwulem Oberst leben.
12.6k Wörter
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Dies ist der erste Teil von Adjutantin. Eine Geschichte über eine missglückte Flucht, die einen jungen Mann in eine ungewisse Rolle bringt. Teil 2 ist vorgesehen.

Adjutantin - Teil 1

1.Martin Sahn

Ich bin bedrückt. Die Zukunftsaussichten meiner jüngeren Schwester Mandy für die Jahre ab 1986 sehe ich düster, obwohl ihr meine vietnamesisch-stämmige Mutter immer das Gegenteil prophezeit hat. Spätestens in zwei Monaten wird sie ihr 18. Lebensjahr vollendet haben -- und sie hat noch immer keine Aussichten für eine Aufnahme in ein Studium an der Humboldt-Universität, sondern bestenfalls eine Arbeit als Sekretärin oder Sanitäterin.

Für mich selber sieht es da viel besser aus. Gut, ich habe noch ein Semester als Wartezeit und dabei meine Lehre als PTA schon beendet, aber mein Pharmaziestudium an der FU Berlin war so gut wie sicher. Das ganze praktische Arbeiten dort hatte seine Vorteile. Die meisten PTAs waren junge, nette Mädels. Ganz nebenbei hatte ich mit ihnen Kochen gelernt und mochte das auch. Im Pharmaziestudium sollte das auch nicht viel anders sein, so wie ich das gehört hatte.

In der DDR sah die Zukunft meiner Schwester für eine gewisse Zeit auch positiv aus. Selbst noch vor gut einem Jahr zum Beginn von 1985 rechnete sie damit, sogar eine Ausbildung an der Charité in Berlin zu erreichen, wenn sie vorher in die Partei eintrat. Dann kam der Moment, in dem sie im Urlaub in Ungarn einen westdeutschen Arzt traf. Sie wurde diskret durch ihren Klassenlehrer gewarnt, dass Kontakte mit Westlern unerwünscht waren. Sie schrieb dem Arzt trotzdem einen Brief. Er besuchte sie später in Ost-Berlin -- und dann wollte er sich mit ihr verloben.

Es kam, wie es kommen musste. Mandy bekam einen Besuch, diesmal ein Kontakt direkt durch die FDJ. Weshalb sie sich, obwohl in der FDJ, mit einem Westdeutschen verlobt hätte?

Sie könne froh sein, wenn sie als Putzfrau in einem Krankenhaus arbeiten dürfe, hieß es. So eine wie sie könne man nicht als Studentin fördern. Sollte sie einen Ausreiseantrag stellen, würde bestimmt die Stasi dafür sorgen, dass eine Bewilligung bestenfalls in fünf Jahren erfolgen würde. Bis dahin hätte der Arzt sich bestimmt schon mit einer anderen verheiratet...

Und danach bekam sie die Absage für die Aufnahme des Medizin-Studiums. Es gab auch keine Alternativen für ein Studium an einem anderen Ort in der DDR oder in einer anderen Fachrichtung. Das Abitur würde sie in einem Monat haben, aber was danach kam, war mehr als ungewiss. Es war eine Zeit der Hoffnungslosigkeit. Aus dieser Verzweiflung heraus beging sie nicht nur eine Dummheit, sondern gleich mehrere davon. Sie kontaktierte eine kirchliche Oppositionsgruppe, sagte ihrer Mutter das aber nicht. Sie erkundigte sich nach der Möglichkeit für einen Ausreiseantrag. Ihr wurde nicht viel Hoffnung auf baldige Genehmigung gemacht.

Eine Freundin in der FDJ riet ihr zu einer riskanten Strategie, wenn sie unbedingt etwas mit einem Medizinstudium erreichen wolle. Sie könne sich freiwillig als Sanitäterin bei der Volksarmee melden -- und offiziell ihre Verlobung lösen. Dies im Rahmen eines Wiedereintritts in die FDJ und einer öffentlichen Selbstkritik in ihrer bisherigen Gruppe. Als Sanitäterin könne sie später aufsteigen in ein Medizinstudium als Stabsärztin. Als erfolgreiche Wissenschaftlerin könne sie Auslandsreisen - auch in den Westen - erreichen. Das tat sie dann auch innerlich widerstrebend, weil sie damals keinen Plan B hatte.

Sie hatte zwar die Nase absolut voll von der DDR und dieser Einmischung in ihr Privatleben. Sie wollte unbedingt und sofort zu ihrem zukünftigen Verlobten fliehen. Selbst der mögliche, wenn auch steinige, wacklige Weg über einen Ausreiseantrag war ihr zu lang und unsicher oder gar bis auf das Ende ihres Studiums zu warten. Aber zu diesem Zeitpunkt hatte sie keine Möglichkeit für eine Flucht gesehen -- und auch keine für einen Kontakt mit ihrem Verlobten.

Bei meinem nächsten Besuch - sie hatte Wochenendausgang - bei ihr bekniete sie mich, ob ich ihr nicht helfen können, während unsere Mutter beim Einkaufen war. Und ich versprach unverbindlich ihr, nach Wegen dafür zu suchen. Soweit -- so gut. Aber danach beging ich selber eine Riesentorheit. Ich bekam einen Anruf von Peter Wald, dem Verlobten von Mandy. Er bequatschte mich, ihn zu treffen. Er war sehr überzeugend in seiner Art. Er überredete mich zu einer Aktion. Ich ging ein Risiko ein, das ich nie hätte eingehen dürfen. Es war mehr als eine Leichtfertigkeit - es war purer Wahnsinn, aber das war mir damals noch nicht klar.

Sie meldete sich tatsächlich als Freiwillige beim Militär. Nach ihrer Grundausbildung würde sie dem Lazarett Potsdam zugeteilt werden. Sie war alles andere als glücklich darüber, auch wenn sie im Wohnheim ein Einzelzimmer haben würde. Es gab eine Kontrolle durch den Empfang. Immerhin bekam sie die Erklärung, dass sie bei guter Bewährung vielleicht zur Fähnrichs-Ausbildung zugelassen würde. Das bedeutete auch eine Chance für ein späteres Studium. Zuckerbrot und Peitsche dienten hier als Erziehungsmittel.

2.Oberstleutnant Meissner

Was er brauchte, war jemand, der ihm verlässliche Informationen über Igor Popow beschaffte. Das konnte nur jemand sein, der ganz nahe an den Oberst herankonnte. Es war nicht das erste Mal, dass der Oberst aufgefallen war. Aber Meissner hatte strikte Weisung, sehr diskret zu handeln. Der Oberst arbeitete schließlich im Hospital des russischen Hauptquartiers in der DDR. Er hatte einen guten Draht zu einflussreichen Leuten im russischen Geheimdienst. Das konnte für den Stasi zu einem peinlichen Bumerang werden, falls es bekannt wurde, dass man den Oberst eigenmächtig observierte. Den Verdacht beim KGB zu melden, war auch nicht viel besser, weil dann garantiert der Oberst gewarnt werden würde - bei den guten Kontakten, die der hatte. Der KGB war noch schwieriger geworden, seit Gorbatschow in der Sowjetunion an die Macht gekommen war.

Die beste Möglichkeit Informationen zu beschaffen, war jemand im nahen Umfeld des Obersten. Dessen russischen Freunde und Bekannte durfte er nicht ansprechen. Das wäre viel zu gefährlich im Sinne der Konflikte mit dem KGB. Der Oberst hatte jedoch angeblich Kontakte zum westdeutschen BND und zu unbekannten Oppositionsgruppen in der DDR. Das sagte jedenfalls eine Quelle in der Westzone, diesem Hort von kapitalistischen Gangstern! Es war die Sekretärin von einem Beamten im BND, die das angeblich gehört hatte.

Die Gerüchte konnten aber einen realen Hintergrund haben. Der Oberst hatte Kontakte zu Russen, die Gorbatschow nahestanden. Er war auch evangelisch, was für einen Russen doppelt ungewöhnlich war. Wenn ein hochrangiger Russe in der kommunistischen UdSSR noch einen kirchlichen Hintergrund hatte, dann in der russisch-orthodoxen Kirche. Hatte er möglicherweise Kontakte zu kirchlichen Gruppen in Westdeutschland und in der DDR? Dienten diese Kontakte in diskreter Weise für die Öffnung von geheimen Gesprächskanälen zwischen Gorbatschow und der Regierungsmafia in Westdeutschland? Es war ja bei der Stasi kein Geheimnis mehr, dass Honecker und Gorbatschow nicht gut miteinander konnten. Sein Oberst stand mehr bei Honecker, während Wolf als vorgesetzter Stasi-General mehr Neigungen zum Reformflügel nachgesagt wurden. Sein Chef setzte darauf, dass Gorbatschow bald gestürzt werden würde und Honecker wieder die volle Unterstützung hätte. Und da ihm das Hemd näher als die Hose war, wollte er seinen Chef beeindrucken -- und nicht dessen Boss. Sein Chef bestimmte, ob er befördert werden würde oder nicht und nicht der General. Also würde er dafür sorgen, dass dieser Oberst Popow enttarnt werden würde!

Der Oberst hatte bisher keine Deutsche an sich richtig herangelassen, mit der bisher bekannten Ausnahme von Bian Sahn. Bian Sahn war jedoch keine richtige Deutsche, sie lebte nur schon seit bald zwanzig Jahren hier in der DDR. Die Vietnamesin war jedoch stur -- und nicht von der Stasi ansprechbar. Bian Sahn war mal mit dem in der UdSSR inzwischen hochrangigen Bruder von Igor Popow verlobt gewesen. Daher war es auch nicht ohne Risiko, sie seitens der Stasi anzusprechen.

Meissner hatte da seit längerem eine Idee, die in ihm rumorte. Mandy Sahn war als Tochter von Bian Sahn eine Kandidatin auf längere Sicht. Und sie hatte einen deutschen Vater und war damit Deutsche. Er konnte sie als IM anwerben, ohne mit dem russischen Geheimdienst in Konflikt zu geraten. Sie kannte natürlich Igor Popow, wenn auch nach seiner Kenntnis nur flüchtig. Sie war aber auch jemand, der in mehreren Hinsichten nicht unproblematisch war. Sie war nicht linientreu. Nach der Aktenlage hatte sie bei einem Besuch in Prag Westler getroffen, was klar ein Problem war, aber nicht strafbar. Sie war noch sehr jung, was Meissner in Gewissenkonflikte brachte. Er war zynisch, aber er hatte auch selber eine achtzehnjährige Tochter. Der Gedanke eine noch nicht volljährige Tochter im Alter wie seine eigene Tochter als Kontaktperson auf den Oberst anzusetzen, war ihm unangenehm. Mandy war jedoch ängstlich und gut erpressbar wegen ihrer Mutter, die sie liebte. Oberst Popow hatte auch eine Neigung gezeigt, dem Mädchen als Tochter seiner Freundin Bian diskret zu helfen. Das war ein klarer Ansatzpunkt. Es war eine Gelegenheit, aber er hatte Hemmungen, dies anzugehen.

Und dann hatte der Zufall ihm in die Hände gespielt. Mandy könnte eine Lücke in den bis dato perfekten Panzer des verdächtigen aber unbescholtenen Obersten reißen. Die junge Mandy hatte sich durch ein verheimlichtes Treffen mit einem westdeutschen Assistenzarzt angreifbar gemacht -- und der Oberst wusste das. Nachdem er das erfahren hatte, nahmen auch seine Hemmungen ab. Wer sich heimlich mit dem Klassenfeind traf, verdiente nicht sein Mitleid. Sie war durch den Stasi leicht einzuschüchtern. Das hatte sich während der ersten Ansprache durch den FDJ gezeigt. Er ordnete eine Überwachung der Wohnung von Mandy und Bian Sahn an. Angeblich hatte Mandy zwar die Kontakte mit dem Westler abgebrochen, aber das glaubte er nicht. Die Leute in der FDJ mochten so naiv sein, er jedoch nicht.

Wenn dieser Herr Oberst mit der Familie Sahn befreundet war, dann konnte man diese Beziehung ausnutzen. Beziehungen konnten Schwachstellen einer Person sein. Dieses bekam man im MfS eingehämmert.

3.Martin Sahn

Ich war nicht so zuversichtlich wie Peter Wald, aber ich glaubte auch an den Plan. Er war einfach und daher gab es nur wenige Fallstricke, glaubte ich zu wissen. Das Grundprinzip war einfach. Die ausgeprägte Ähnlichkeit von mir mit meiner jüngeren Schwester Mandy wollten wir ausnutzen. Sie würde mit meinem Personalausweis, meinem Visum und meinen Klamotten über die Grenze gelangen. In der Stoßzeit am Grenzübergang würde ein leicht asiatisch anmutendes Gesicht für die Vopos gar nicht erst die Vermutung geben, dass es eine ostdeutsche Person war, die hier Republikflucht beging.

Peter würde von ihr meinen Personalausweis bekommen, nachdem sie beide nach der Flucht sicher per Flugzeug von Westberlin in Westdeutschland angekommen waren. Er würde dann umgehend nach Pilsen in die Tschechoslowakei reisen, mir dort meinen Personalausweis samt Visumstempel übergeben sowie einen Koffer mit meiner Kleidung. Er hatte einen tschechischen Grenzbeamten an der österreichischen Grenze bestochen, um das Visum zu erteilen, so als ob ich ganz legal in das Ostblockland eingereist sei. Eine Bestechung eines Vopos wollte er nicht riskieren -- und ich gab ihm darin Recht. Mit dem gültigen Visum konnte ich dann die Grenze nach Österreich überschreiten. Meinen eigenen Personalausweis aus Westberlin konnte dort keiner anfechten. Das war alles schon so gut wie sicher.

Der Knackpunkt lag nur im Grenzübertritt DDR zur Tschechoslowakei. Über diese Grenze konnte ich nicht als Martin Sahn reisen. Das ging nur als Mandy Sahn. Im Gesicht war ich ja Mandy ähnlich genug, aber die ganze Reise musste ich als Mädchen machen. Also musste ich meine Haare länger wachsen lassen, um die von Mandy zu imitieren. Das füllte mich so schon mit Unbehagen. Die Grenzkontrolle würde dann der Gipfel der Nervosität sein, wenn ich als Mandy den Stempel in den Ausweis meiner Schwester bekam. Sobald ich im Hotel von Pilsen war und meinen eigenen Ausweis hatte sowie den Koffer, der meine eigene Kleidung enthielt, würde ich wieder ruhiger sein. In das Hotel musste ich noch als Mandy Sahn hereingehen. Herausgehen würde ich wenig später als Martin Sahn.

Die Aktion wurde anberaumt, während unsere Mutter Bian Sahn nach Vietnam via Moskau gereist war. Diesen ‚Heimaturlaub' trat sie regelmäßig an. Das würde nicht auffallen. Gleichzeitig war sie damit außer Verdacht im Hinblick auf Fluchthilfe. Dort würde sie dem Zugriff der Stasi entzogen sein, wenn ‚Mandy' im Hotel in Pilsen plötzlich von der Oberfläche verschwinden und nicht wiederauftauchen würde. Wahrscheinlich würde dies bereits durch die dortige Polizei an die DDR-Behörden gemeldet werden. Falls nicht, dann würde das Verschwinden spätestens dann in der DDR auffallen, wenn es keine Rückreise von Mandy gab. Aber dann waren wir zwei längst nicht mehr in DDR...

4.Oberstleutnant Meissner

Er bekam einen Wutanfall. Warum hatte er diese Meldungen über den Besuch von Martin Sahn bei seiner Schwester erst jetzt auf dem Tisch? Was war so schwer daran zu begreifen, dass jede Auffälligkeit sofort zu melden war? Der junge Unteroffizier stotterte am Telefon darüber herum, dass die Besuche von dem Martin bei seiner Schwester bzw. seiner Mutter doch regelmäßig stattfanden. Der Bruder sei auf dem Weg zum Einkaufen beim nahe gelegenen Intershop, wie er es bei dem Abhören der Wohnung gehört hätte. Das sei doch nicht auffällig... Er hätte die Wohnung wie angeordnet überwacht und würde es auch weitertun. Dies sei nur eine Zwischenmeldung.

„Meine Fresse, sind Sie so blöd oder tun Sie nur so? Warum habe ich wohl eine Überwachung angeordnet? Weil ich über jeden Westkontakt unterrichtet sein will! Der Bruder hat doch garantiert Nachrichten von ihrem Verlobten gebracht. Los, fordern Sie Verstärkung an. Ihr Bruder soll überwacht und verfolgt werden. Sobald es irgendwelche Auffälligkeiten gibt, lassen Sie alle beide sofort zum Verhör hierherbringen."

Eigentlich hatte er nicht damit gerechnet, weil er geglaubt hatte, dass er diese Mandy über den Unterleutnant ausreichend eingeschüchtert hätte. Deshalb hatte er auch kein offizielles Verbot eines Besuches ausgesprochen. Ihre Mutter Bian Sahn war bisher nie aufgefallen und hatte sich immer korrekt verhalten. Sie war sogar aktiv in der Brigade ihres Kombinates. Er hatte angenommen, dass sie auch ihre Tochter entsprechend instruiert hätte. Es war immer besser, auf das Wohlverhalten der Leute zu setzen. Teenager waren von Natur aus rebellisch. Offizielle Aktionen am Tage schüchterten zwar effektvoll ein, hatten aber als unerwünschte Nebenwirkung die Steigerung der Unbeliebtheit der Stasi im Gefolge. Sein Chef drängte deshalb immer darauf, Abführungen zum Verhör nach Möglichkeit in die Stunden zu legen, wo es nur wenige unbeteiligte Zeugen geben konnte. Hier musste er aber auf die Karte ‚Einschüchterung' setzen, auch gegenüber dem Bruder. Verliebtheit verleitete junge Mädchen häufig zu unbedachten Handlungen. Der idiotische Unteroffizier musste doch auch über die Zielpersonen informiert sein. Mitunter fragte er sich, warum so viele von den unteren Dienstgraden so desinteressiert ihren Dienst taten. Gut, ein Job bei dem MfS machte einen nicht gerade bei den Nachbarn beliebt -- und ein guter Teil dieser Mitarbeiter war sozial nicht gerade gut integriert. Leute, die andere Karrieremöglichkeiten hatten und sich ihren Freundeskreis aus der Schule bewahren wollten, landeten nicht beim MfS. Andererseits gab es materielle Anreize und das Gefühl der Macht, auch für einen kleinen Unteroffizier. Trotzdem war die Auswahl nicht die beste -- und viele der unteren Chargen waren nicht sehr intelligent. Aber was war an einem Westkontakt nicht auffällig, wenn das nun doch wahrhaftig nicht etwas war, was jeden Tag stattfand? Dem direkten Vorgesetzten des Unteroffiziers würde er schon etwas sagen!

Er hatte sich aber zu diesem Zeitpunkt nur geärgert und nicht wirklich gesorgt. Das änderte sich drastisch, als er eine Stunde später zuerst die Meldung bekam, dass man die Spur des jungen Mannes auf dem Wege zum Intershop verloren habe. Im Shop selber sei er nicht gesehen worden. Dann bekam er in kurzer Folge zwei Meldungen, die eine Panik in ihm auslösten. Erstens, dass Mandy Sahn vor einer halben Stunde auch aus der Wohnung gegangen war und sich in einem Kaufhaus befand. Zweitens, dass die Wohnung heruntergelassene Rollos hatte, obwohl die Schwester nur im Kaufhaus war. Das konnte kein Zufall mehr sein! Er löste einen Alarm aus und befahl den sofortigen Zugriff. Der Unteroffizier gab zu bedenken, dass das Mädchen ohne jedes Gepäck zum Kaufhaus ging. Sie würde bestimmt wiederkommen. Der Uffz glaubte wohl auch an den Weihnachtsmann und den Osterhasen!

Das Kaufhaus wurde diskret an jedem Ausgang mit Beamten bestückt, die eine Fotokopie von dem Foto von Mandy in der Hand hatten, das Foto wo sie das Haus in Rock und Pullover verlassen hatte. Eine Gruppe von drei Leuten wurden in das Kaufhaus geschickt, um alle Etagen durchzukämmen. Es war erfolglos. Mandy schien wie vom Boden verschwunden zu sein. Er befahl daraufhin sofort, Martin Sahn an der Grenze festzuhalten für eine Befragung. Wenige Minuten später erhielt er die Mitteilung, dass dieser bereits über die Grenze gegangen war. Da war doch was im Gange!

Er ordnete sofort eine Fahndung nach Mandy Sahn an. Gleichzeitig ließ er alle Akten über die drei nach möglichen Anhaltspunkten durchsuchen. Er bekam einen erneuten Wutausbruch, als die Aktenmaus vom Archiv in der Ablage noch einen nicht abgelegten Bescheid fand: Vor bald drei Monaten hatte Mandy Sahn erneut ein Visum für die Tschechoslowakei beantragt und genehmigt bekommen. Im Lichte der Ereignisse wollte sie dort garantiert ihren Verlobten treffen. Vom Ostbahnhof fuhr der D-Zug 1275 ‚Metropol' nach Prag, fiel ihm sofort ein. Er beorderte sofort einen Trupp zum Bahnhof.

5.Martin Sahn

Peter Wald machte mir noch einmal Mut. Der Übergang an der Sonnenallee war derjenige, den ich bisher immer für Besuche benutzt hatte. Bei der Routine bleiben hieß die Devise. Seit mein Vater vor Jahren bei einem Verkehrsunfall gestorben war, ging ich nunmehr immer alleine über diesen Übergang. Heute war es Sonntag. Am Wochenende gab es immer viele Besucher. Das half, weil es weniger Zeit für die Kontrolle ließ.

Ich hatte die Staatsbürgerschaft von Westberlin, weil mein Vater Deutscher in Südvietnam gewesen war. Durch Kriegswirren wurden wir als junge Familie nach Nordvietnam verschlagen. Wir waren damals mit meinem Vater das riskante Abenteuer eingegangen, per Boot aus Nordvietnam zu flüchten. Das Risiko wurde nötig, da er als Spion verdächtigt wurde. Mein Vater hatte dafür Sorge getragen, dass er in Vietnam bei einem Bomben-Angriff durch US-Kräfte als vermisst gemeldet wurde. Ursprünglich war die Idee meines Vaters gewesen, meine schwangere Mutter dann per DDR nachzuholen, als die Flucht wider Erwarten gelang. Es gab die Illusion, dass eine Flucht aus der DDR weniger riskant war. Das erwies sich schnell als Irrtum. Meiner Mutter gelang es als ‚Witwe' im Rahmen von Solidaritätsaktionen zwar, eine Stelle in der DDR zu ergattern, wo dann Mandy geboren wurde. Der Bau der Mauer war zwar auch in Vietnam bekannt geworden, die Perfektion der Grenzschließung hatten beide aber schwer unterschätzt.

Mit der Zeit hatten meine Eltern sich mit der räumlichen Trennung halb abgefunden. Als Teenager hatte ich mitbekommen, dass mein Dad wohl eine Liebschaft mit einer Amerikanerin hatte. Ich hatte auch den Verdacht, dass meine Mutter direkt nach der Flucht von Vietnam in die DDR mal eine Affäre mit einem russischen Offizier hatte. Dieser sollte der Bruder von dem Igor Popow gewesen sein. Daher kannten sie sich, laut meiner Schwester. Meine Mutter hatte das nie bestätigt. Genau wissen tat ich das aber nicht -- und ich wollte es auch nicht wissen.

Gesa
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