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Dunkle Hochzeit Ch. 01

Geschichte Info
Der Zusammenprall.
11.1k Wörter
4.24
61.4k
5
Geschichte hat keine Tags

Teil 1 der 3 teiligen Serie

Aktualisiert 03/17/2021
Erstellt 07/18/2011
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Dana sah einen Moment lang in den Spiegel, lachte sich kurz an, gab ihren Spiegelbild ein Küsschen, und war wieder vollends zufrieden mit sich und der Welt. Man musste sie einfach lieben. Sie, 20 Jahre altes Kind von chinesischen Einwanderern, hatte irgendwie einen leuchtenden Ausdruck von Seele in ihrem Gesicht, der sie von ihren Geschwistern, die meist recht in sich gekehrt, bisweilen verbissen ehrgeizig wirkten, recht deutlich unterschied . Vielleicht, weil sie als einzige in der Familie ganz hier aufgewachsen war, hier in Amerika, dem freien, wilden Land, wo alles möglich ist. Sie hatte der Versuchung widerstanden, ihr Haar zu gelen und zu dauerwellen und damit wie eine asiatische Klapperdürr-Kopie von Faith Evans auszusehen, ihr Haar war leicht, geföhnt, luftig und locker, und wie sie so lagen, wirkte ihr Kopf, als ob er leicht glühen würde. Es machte Spass, mit den Händen immer wieder durch zu gehen und diese hauchdünne Leichtigkeit zu spüren. Ihre süssen, offenen, lachenden schwarzen Augen glühten mit den Haaren um die Wette. Ihre Lippen waren recht dünn, aber ihr Lachen war wie ein kleiner Kuss.

Seit einer Woche arbeitete sie schon hier, in der Boutique „Lasgo's“in der 18th Street bei Pilsen, direkt neben der Hochbahn, die ins Innere von Chicago führte. Sie mochte den Laden, sie mochte die Arbeit, und der Inhaber versprach, gut zu zahlen, das war ja fast ein kleiner Traum. Sie konnte sich verkriechen in ihre Arbeit, der Anblick der ganzen Sachen und die Tatsache, dass sie sich den ganzen Tag damit beschäftigen musste, beruhigten ihre Seele. Verglichen mit der Strasse, auf der sich der Laden befand, war es hier schön sauber. Verdammt sauber. Es war hier so sauber, dass man auf den blanken Fussboden schlafen, vom Küchentisch ohne Teller essen wollte. In dieser Sauberkeit fing man an, seinen Körper zu spüren. Ob man einen Slip für 20 oder einen für 200 $ an hatte, nirgendwo schien man das so deutlich zu spüren wie hier.

Das einzige, was in ihr ein komisches Gefühl auslöste, war der Besitzer. Ein weisser Kerl Mitte 30, der sich immer schwarz kleidete. Schwarze Hose, manchmal Jeans, manchmal Leder, Polohemd oder T-Shirt oder Rollo, aber immer schwarz, und immer mit einen Gürtel, der sichtbar nicht von der billigen Sorte war. Sein Gesichtsausdruck war schwer einzuordnen. Um arrogant zu sein, wirkte er zu feinfühlig, für Verachtung oder Hass wirkte er zu interessiert, für versteckte Lüsternheit, aber auch für Verzweiflung, die sein Blick manchmal auszudrücken schien, wirkte er zu beherrscht. Dominant, das traf es wohl noch am ehesten. Nur eben ruhig dominant. Er durchbohrte sie mit seinen Blicken, er zog sie nicht einfach aus, er gab ihr das Gefühl, jeden noch so kleinen Fehler zu erkennen, selbst wenn sie sich sicher war, alles richtig zu machen. Damals, als sie sich hier vorstellte, da hatte er sie lange so angeguckt, und sie war regelrecht in dem Boden versunken, hatte plötzlich da Gefühl, diesem Job nicht gewachsen zu sein, war sich sicher, ihn nicht zu kriegen. Als er dann plötzlich seine Konditionen sagte und meinte „Ich seh dich dann Montag“, da wäre sie ihn am liebsten um den Hals gefallen und hätte ihn abgeknutscht.

Er sah durchaus gut aus. Eigentlich, wenn er so locker vor ihr stand, sah er richtig zum Anbeissen aus. Er hatte was von Brian Molko, den Sänger von Placebo, aber wo dieser sensibel, androgyn und ein bisschen intellektuell wirkte, da wirkte Robert, wie er hiess, düster und wütend wie ein Pitbull. Es war diese leichte Wut in seinem Gesicht, die sie faszinierte. Es war eine Wut, in die man sich verlieben konnte. Die man knuddeln und beruhigen wollte. Doch sie sah, dass jeder Versuch von ihr, die Situation etwas aufzulockern und ihm etwa näherzukommen, nur dazu führte, dass er abblockte, unnahbarer wurde. Als ob er sie nicht wolle.

Ja, wenn sie wenigstens gewusst hätte, dass er nichts von ihr wollte. Aber genau darüber war sie sich mit der Zeit immer weniger sicher. Es gab so diese Momente, wo er nach ihr guckte, und sie ihn genau in die Augen sah. Und sie sah dort mehr als Interesse an ihrer Arbeit. Ein glühendes, geradezu verzehrendes Verlangen. Mehr als einmal gab es diesen Moment, wo sie sich beide ansahen, und die Zeit schien für einen Augenblick stillzustehen, und zwischen ihren Blicken bildete sich eine mysteriöse Sorte Antimaterie, die irgendwo in einer von vier Dimensionen eine Art Implosion mit unglaublicher Sogwirkung losknallen lies, die sie beide nicht sehen, sondern nur spüren konnten, das aber mit solcher Wucht, dass es sie jedesmal fast umhaute und sie sich unweigerlich fragte: Was um Himmels Willen war das grade? Er bekam es durchaus auch mit. Aber letztendlich blickte er immer wieder weg. Nicht uninteressiert, sondern resigniert, verärgert.

Sie hatte deshalb eines Tages beschlossen, etwas weniger aufreizend zur Arbeit zu kommen. Aber vielleicht hatte sie es auch übertrieben. Sie kam in Armeehosen, weissen „Zoo Safari“-Schlabber-T-Shirt, auf dem demonstrativ ein brauner, dreckig wirkender Tatzenabdruck zu sehen war, in Schnürstiefeln und mit bemüht hilflos unordentlich hochgesteckten Haaren. Doch nach ein paar Schritten in dieser Boutique, wo sie selbst schon merkte, dass diese Sorte Kleidung irgendwie nicht hier hineinpasste, war er angekommen, hatte sich breitbeinig vor sie gestellt, irgendwie grimmig, irgendwie leicht belustigt geblickt und ganz langsam und deutlich zu ihr gesprochen.

„So, Mädchen, und jetzt drehst du dich um und fährst ganz schnell nach Hause. Und wenn du wiederkommst, will ich dich in etwas ordentlichem sehen, was deine Beine zeigt. Ich will Haare sehen, als ob du gleich mit deinen Freundinnen ins Vision gehst, und nimm bloss diesen pinken Lippenstift ab, der entstellt dich richtig. Am besten gar keinen Lippenstift. Hast du mich verstanden ?“

In den Schreck, dem Gefühl, beinahe den Job verloren zu haben, hatte sich kurzzeitig ein anderes gemischt. Dieses ruhige, dominante, absolute von ihm hatte etwas, was sie da unten zwischen ihren Schenkeln fast ein bisschen feucht vor lauter Schuldigkeit machte. Er hätte genausogut sagen können „So, und jetzt leckst du mir erstmal die Füsse“, sie hätte es wahrscheinlich gemacht. Sie schluckte kurz, merkte ihre Schwäche, am liebsten hätte sie ihn geküsst. Dann ging sie raus. Sie war wie paralysiert, während sie sich zuhause umzog, und erst als sie wieder an der Boutique auftauche und sein entspanntes Gesicht sah, fiel ihr regelrecht ein Stein vom Herzen.

Manchmal wünschte sie sich doch noch jemand weiteren in der Boutique. Zum Quatschen. Zum Auflockern. Sie konnte jeden Tag ein bisschen mehr spüren, wie sich die Spannung zwischen ihnen immer weiter aufbaute. Und es gab niemanden, der sich dazwischen stellen konnte. Irgendwann würde etwas passieren. Was immer das auch war.

-

Es war anders, als er diesmal vor ihr stand. Sie spürte es. Er blickte nicht weg, wie sonst. Sie konnte die Antimaterie des Raumes spüren, sie spürte, dass diese eine kritische Masse erreicht hatte, es kein Entrinnen vor ihr gab, sie beide unbarmherzig in diesen Strudel mit einem grossen Knall hineingerissen würden. Sie spürte bereits ein paar Sekunden vorher, was passieren würde, und schrie schon, bevor es überhaupt losging. Warum schrie sie eigentlich? War es die Gewalt und die Plötzlichkeit, mit der er sie zu Boden warf? War es diese unglaubliche Kraft, die ihr klarmachte, dass sie nicht einmal mit der Kraft der Todesangst würde verhindern können, dass er sich nahm, worauf er offensichtlich glaubte, ein Recht zu haben? War es Angst, es könne mehr werden als nur eine Vergewaltigung? Er umschlang sie, würgte sie, und gerade als in ihr der Gedanke entstand, man solle sich vielleicht ergeben, um schlimmeres zu verhindern, stiess er mit solcher Wucht in ihren Leib, als ob er sie zu Tode ficken wolle.

Aber sie schrie und weinte, weil genau in diesem Moment ein kleiner Traum platzte. Der romantische Traum von Liebe. Hatte sie nicht alles versucht, um das hier zu verhindern? Das war für sie eigentlich das schlimme: sie wollte ja irgendwie Sex mit ihm. Aber nicht so. Nicht gegen ihren Willen. Nicht so brutal. Nicht so....

Etwas in ihr, eine kleine Stelle, die es in diesen Wahnsinn tatsächlich noch schaffte, neben sich zu stehen und sich dabei zuzugucken und das ganze eiskalt zu analysieren, spürte irgendwie, dass der Typ das alles nicht aus Hass tat. Er wollte sie nicht einfach ficken, er wollte sie regelrecht aufessen, bei lebendigen Leibe verschlingen. Während ihr Körper wie wild dagegen rebellierte, blieb diese Stelle ruhig und musste sich sogar eingestehen, dass ihr diese Art von ihm irgendwie gefiel. Doch irgendwann verstummte auch diese Stelle, und lediglich der Schmerz, der sich durch ihre Angst und der daraus resultierenden totalen Verkrampfung ins Unendliche verstärkt hatte, blieb als alles vereinnahmendes Gefühl übrig und lies nur Platz für Hass und dem grässlichen Gefühl totaler Ohnmacht.

Als es vorbei war, stand er auf und tapste weg wie ein Golem. Sie weinte noch einmal extra stark, als wolle sie ihn mit ihren Tränen verfluchen. Doch als er aus ihrem Blickfeld verschwunden war, nahm auch der Schmerz langsam ab, und der Verstand gewann wieder Oberhand.

Sie musste hier raus. Wer wusste schon, was der Typ als nächstes tun wird. Vielleicht wollte er sie gleich erschiessen.

Sie stand auf. Überlegte, ob sie einfach rausrennen sollte. Als sie an der Kasse in der Mitte vorbeikam, sah sie, wo er war – er hatte sich in eine Umkleidekabine gesetzt und rauchte seelenruhig eine Zigarette. Ihr fiel ein, dass sich an der Kasse im Schubfach seine Waffe befand, eine immer blitzblank geputzte Smith & Wesson 44er Magnum. Gottseidank war das Fach nicht von der billigen Sorte: man hörte kaum die Laufgeräusche, als sie es aufmachte. Die Pistole lag noch drin. Ganz leise schob sie die Trommel zur Seite. Ja, es waren Patronen drin. Demonstrativ laut klackte sie die Trommel wieder zurück, und ging geradewegs zur Umkleidekabine, um ihn den Lauf direkt an die Schläfe zu halten.

„Steh auf, du verdammtes Stück Scheisse!“

Der Kerl rührte sich nicht. Gefasst rauchte er einfach weiter. Dachte er etwa, das sei cool? Er war nicht cool. Er war schlicht und ergreifend fertig mit dieser Welt. Seine Augen, sein ganzer Habitus, sprachen es deutlich aus.

„Du solltest zur Polizei gehen.“ Er sagte es ganz ruhig.

Kalter Schweiss lief ihr runter. Hatte sie irgendwas übersehen? Was war sein Plan ? Würde er gleich explodieren? Waren die Patronen falsch? Warum blieb er so ruhig? Warum riet er ihr, zur Polizei zu gehen? Er dachte wohl wirklich, er sei cool, er hätte das alles hier im Griff? Innerlich erschrak sie, als sie bemerkte, dass die Magnum immer noch gesichert war. Langsam, aber hörbar schob sie die Sicherung nach hinten.

„Ich sagte......steh...auf !!!“

Sein Kopf fiel nach hinten, als sei er viel zu schwer. Ein verzweifeltes Lächeln in sein Gesicht. Oh ja, er wusste nur zu gut, das er hier gerade den grössten Fehler seines Lebens begangen hatte. Trotzdem rang er um Fassung. Und nichts schien ihn aus der Ruhe zu bringen.

„Du kannst mich natürlich auch erschiessen. Das Recht hast du. Aber das kann auch schief gehen. Wenn du nicht den richtigen Anwalt hast, kann es passieren, dass man da auf kaltblütigen Mord plädiert und nicht auf Affekt. Man wird sagen: Hey, du hättest ja auch zur Polizei gehen können.“

Die Muskeln in ihren Fingern kitzelten bereits. Keinerlei Macht über ihn zu haben hatte etwas unglaublich bedrohliches. Etwas, dass sie weich und gleichzeitig wütend machte. Ja, wahrscheinlich war das sein Plan. Sie sollte abdrücken. Sie musste es einfach! Sie wollte es, er wollte es. Nichts dazwischen. Nur das letzte kleine Rest an Logik in ihr flüsterte noch leise: Wozu willst du ihn umbringen? Denkst du, er würde dich dann ernst nehmen?

„Du denkst wirklich, ich drück nicht ab, nicht wahr?“

Er drehte den Kopf direkt zu Lauf. Lächelte. Keine Spur von Angst. Es war, als ob er die Pistole küssen wollte.

„Mädel, es ist mir egal. Drück doch ab! Ich hab gerade mein Leben weggeschmissen.“

Er wollte also Mitleid? Wie sehr kann man sich in einen Menschen täuschen? Gerade ihn hatte sie nicht so eingeschätzt. Es schien ihr, als ob er ein Kerl sei, der mit der ganzen ihn noch verbleibenden Kraft der Verachtung seinen Feinden noch extra ins Gesicht spucken würde, bevor diese ihn einen Kopf kürzer machen würden. Das hätte sie sogar beeindruckt. Aber ein hinterhältiger Vergewaltiger, der sich hinterher rausheulen wollte? Es machte sie noch extra wütend , dass sie sich so in ihn getäuscht hatte.

Und doch konnte sie nicht abdrücken. Sie zitterte, kochte, hatte unglaubliche Angst und Wut. Und doch hielt sie etwas ab.

„Du bist ein verdammter Idiot !“ schimpfte sie.

Er schien zu nicken.

„Du hättest mich auch so haben können. Ich hab versucht, dir das irgendwie klar zu machen. Du hättest nur einfach mal auf mich zugehen müssen, wenigstens ein bisschen versuchen, mich rumzukriegen. Auf die sanfte Tour.“

Er lachte, als wolle er einen Schuss direkt in sein Gesicht provozieren. Sein Blick hatte etwas besoffenes.

„Mädel, du hast nen Freund!“ Seelenruhig zog er weiter an seiner Zigarette. „Wo immer du ihn auch herhast, ich meine, ihr Frauen werdet ja heutzutage mit Freund geboren, und wenn ihr euch mal von ihm trennen solltet, kommt irgendwo aus dem Hinterland hinter den sieben Bergen von den sieben Zwergen ein Kerl daher, mit dem kein Schwein gerechnet hat und der dir wie die Faust aufs Auge passt.“

„Ach ja?“ sie musste Luft holen „Du hättest diesmal dieser Kerl sein können. Schon mal daran gedacht?“

„Nein.“ Er versuchte zu lachen, aber es schien ihn nicht zu gelingen. „Ich war noch nie dieser Kerl.“

Das war doch nur Show, oder? Irgendwie wirkte es nur so verdammt echt. Sie musste aufpassen.„Und deswegen denkst du, du darfst mich...vergewaltigen?“ Es tat ihr weh, überhaupt zu sagen, was gerade passiert war.

„Nein, denk ich nicht. Deswegen sollst du ja auch zur Polizei gehen.“

Eigentlich wusste sie doch genau, was er hier spielte. Aber das half nichts. Er hatte Erfolg. Er bekam sie weich. Sie konnte nichts dagegen tun. Es war wie Gift.

„Wenn du wirklich nie dieser Kerl warst, dann wärst du es jetzt eben mal gewesen.“ Sie senkte die Pistole.“Ich mag dich eigentlich. Ich mein, du bist sonst eigentlich ein netter Kerl. Warum machst du so etwas grässliches?“

Sein Blick änderte sich schlagartig. Aus dem Resignierten wurde ein Wütender. Und plötzlich stand er auf. Erschrocken nahm sie wieder die Pistole hoch, stand mit ihm auf. Er plante etwas, das spürte sie.

„Ich sollte doch aufstehen, oder?“ Er hob sogar demonstrativ die Hände.

Der Schuss ging los. Doch er traf ihn nicht. Es war eigentlich auch nicht sie, die schoss. Nur eine Millisekunde vorher hatte er ihren Arm mit aller Wucht zur Seite geschoben, an die Wand der Umkleidekabine gedrückt und ihre beiden Hände immer wieder gegen die Wand gehauen, bis ihr die Pistole aus den Händen fiel. Er hatte ihre beiden Hände hochgehoben, drückte sie mit aller Gewalt gegen die Wand. Sein Mund war nur Millimeter von ihren entfernt.

„Soso, ich bin also ein netter Kerl, ja? Ich erzähl dir mal was über nette Kerle, meine Liebe. Es gibt zwei Sorten davon. Die einen sind tatsächlich höflich, nett, aufmerksam, geben gerne für dich aus, nehmen auf dich Rücksicht, fühlen mit dir mit, hören dir zu, lassen sich Zeit, du kannst sie Tag und Nacht ansprechen, und sie akzeptieren ohne Murren und Knurren, wenn du Nein sagst und nur Freund bleiben willst. Und du sagst Nein, immer, weil es sind ja nur nette Kerle, nichts Ernstes. Die zweite Sorte macht nichts davon, sie denken nur an sich selbst, nennen dich 'Bitch', und du sollst dich dann am besten auch so nennen, beim kleinsten Problem oder wenn du etwas von ihnen willst, bist du für sie 'nur stressig', sie denken bei dir nur ans Ficken, und wenn du 'Nein' sagst, denken sie, du wirst schon 'ja' sagen, wenn man dir nur lange genug auf den Keks geht. Und letztendlich sagst du 'Ja', weil es sind ja irgendwie doch nette Kerle. “

Er schubste sie ins Geschäft hinein. Sie sah in sein Gesicht. Zum ersten Mal, so schien es ihr, sah sie ihn in seiner ganzen Ehrlichkeit. Robert, der Kämpfer, der Wütende, der Frustrierte, der Todesverachtende, der nichts mehr zu verlieren hatte, der im Kampf sterben wollte, und deswegen immer wieder überlebte. Und mit jedem Überleben nur noch wütender wurde.

„Ich wette, dein Freund ist genau so ein netter Kerl. Wie hast du ihn kennengelernt? Weisst du es noch, oder warst du da schon zu sehr bekifft? Aber wahrscheinlich ist er der Bruder irgendeiner Freundin, für den du nur Mitleid hast, oder ? Ja, er macht sicher etwas Probleme, er ist etwas eigensinnig, aber ihr seid ja zusammengezogen, er wird jetzt schon ordentlich und erwachsen werden mit deiner Hilfe, er wird schon in dich hineinwachsen, dieser nette Kerl, nicht wahr? Ja, genau, geh zurück zu deinen scheissnetten Kerl, und pass auf, dass du ihm nicht zu stressig wirst!“

Er schubste sie aus seinem Geschäft. Schloss die Tür.

„Ich bin kein netter Kerl!! Merk dir das !!“ Obwohl er hinter der Doppelverglasung brüllte, hatte sie das Gefühl, ihn noch nie so laut gehört zu haben. Gerade, als sie beschloss, wütend auf ihn zu sein und endlich nun die Konsequenz zu ziehen, sah sie, wie er volle Wucht gegen den Schrank trat, der ihn da im Wege stand. Es blieb nicht dabei. Sie konnte von draussen zusehen, wie er mit ganzer Kraft seine eigene Boutique kaputtschlug. Mit einer Gewalt, die ihn regelrecht zu zerreissen schien.

Irgendwie beruhigte es sie zu wissen, dass der Kerl litt. Zu offensichtlich litt. So sehr litt, dass es ihr schon wieder leid tat. Ich habe heute mein Leben weggeschmissen. Jetzt erst schien sie den Satz richtig zu verstehen. Er meinte ihn vollkommen ernst. Und doch, er lebte noch, er fühlte noch. Er kämpfte noch. War es ein Todeskampf? Oder kämpfte er sich grade wieder frei? Irgendwann sah sie ihn, wie er sich beruhigt hatte, sich hinsetzte, den Kopf in die Hände legte. Durchatmete.

Weinte er?

Sie musste jetzt gehen. Sein Weinen wäre wirklich unerträglich. Doch sie konnte einfach nicht. Sie stand wie angewurzelt da und sah ihm zu. Sie traute sich einfach nicht wegzugehen, als könne nur ein Schritt weg von der Boutique sein Ende bedeuten. Für einen Moment blieb ihr Herz stehen, als sie ihn aufstehen sah. Holt er jetzt die Pistole? Würde sie gleich einen Schuss hören? Doch er kam zurück. Setzte sich wieder. Und nach ein paar Sekunden sah sie ein leicht glimmenden Punkt.

Seit wann rauchte er eigentlich? Er hatte nie geraucht, solange sie da war. Er sah einen Moment lang zu ihr. Dann blickte er wieder weg.

Es war wirklich Zeit zu gehen. Er würde sich nicht umbringen, da war sie sich jetzt etwas sicher. Dafür war noch zuviel Leben in ihm. Es war schon komisch, sie hätte es ihn eigentlich wünschen müssen. Doch es beruhigte sie eher, ihn am Leben zu wissen. Zwischen all den Hass und den Rachegedanken war eine klitzekleine Portion Gefühl für ihn übrig.

-

Sie hätte heulen müssen. So wie damals. Aber alles in ihr wollte nicht. Sie zog sich in sich selbst zurück, dachte in aller Ruhe nach über das, was passiert war, und was sie als nächstes tun sollte, während sie mit der Bahn nach Hause fuhr.

Zur Polizei gehen. Die Logik in ihr sagte, dass es keinen anderen Weg gibt. Aber stärker als die Logik war ein untergründiges Gefühl, das nicht wollte. Noch mal erzählen, wie alles passiert ist? Alle Gefühle aussparen, die für ihn sprechen könnten, weil man das dann gegen sie verwenden könnte? Sich nach Spermaspuren untersuchen lassen ? Alles noch einmal vor Gericht auftragen, wo er dann einfach sagen könnte: ja, sie hat mich durch ihre aufreizende Kleidung provoziert? Sicher, sie konnte sagen, das sie das von Berufs wegen und auf seine Anordnung hin musste. Doch sie sah sich schon unsicher im Zeugenstand sitzen, seine Blicke trafen und durchbohrten sie, während ein gefühllos analytischer Anwalt beissend fragt, ob sie für ihre Behauptungen irgendwelche Beweise hätte. Und das wirklich schlimme daran: sie, die nicht lügen konnte, wusste die ganze Zeit genau, dass sie ihn provoziert hatte. Sie musste irgendwo in sich selbst sogar zugeben, dass sie ihn gerne provoziert hatte, auch wenn ihr ein anderes Ergebnis lieber gewesen wäre. Das war der Unterschied zu damals, als sie im zarten Alter von 14 Jahren schon einmal vergewaltigt wurde und nicht die geringste Ahnung hatte, was sexuelle Provokation überhaupt bedeutet. Damals hatte sie alle Strapazen auf sich genommen, um den Vergewaltiger, ein 50jähriger, eigentlich ganz netter Nachbar ihrer Freundin Soolin, im Knast zu sehen. Es war das mindeste, es war viel zu nett, eigentlich hätte sie damals auch die Mafia aufsuchen können, Kumpels von ihr meinten, sie hätten das organisieren können, der Kerl würde dann garantiert nicht mehr leben, und das war genau das, was sie ihm damals auch gewünscht hatte. Vom ganzen Herzen.