Swipe, um zu sehen, wer jetzt online ist!

Ecce Homo

Geschichte Info
Leise Schritte. Der östliche Chor füllt sich allmählich.
1.9k Wörter
4.04
9.9k
3
Geschichte hat keine Tags
Teile diese Geschichte

Schriftgröße

Standardschriftgröße

Schriftabstand

Standard-Schriftabstand

Schriftart Gesicht

Standardschriftfläche

Thema lesen

Standardthema (Weiß)
Du brauchst Login oder Anmelden um Ihre Anpassung in Ihrem Literotica-Profil zu speichern.
ÖFFENTLICHE BETA

Hinweis: Sie können die Schriftgröße und das Schriftbild ändern und den Dunkelmodus aktivieren, indem Sie im Story-Infofeld auf die Registerkarte "A" klicken.

Sie können während unseres laufenden öffentlichen Betatests vorübergehend zu einem Classic Literotica® Erlebnis zurückkehren. Bitte erwägen Sie, Feedback zu Problemen zu hinterlassen oder Verbesserungsvorschläge zu machen.

Klicke hier
Andy43
Andy43
174 Anhänger

© 2012 by Andy43

Leise Schritte. Der östliche Chor füllt sich allmählich. Der Weihrauch der vergangenen Nacht hängt noch neblig in der Luft. Das Knarren des alten Gestühls intoniert ein kaltes Gefühl und wirft sich im Echo der Jahrhunderte von den getünchten Wänden der Apsis hinein ins halbdunkle Mittelschiff. Dort vereinzelte Gestalten in den Bänken, die mit uns platz genommen haben. Diffus im fahlen Licht der Kerzen sitzend, nicht weniger mit Hoffnung gesegnet als wir, dennoch dort unten, gebührend entfernt, wo ich einst saß.

Es ist unser drittes Jahr. Noch braucht die Sonne eine Weile bis sie aufgeht; dem Glas der gothischen Fenster allerlei Farben entlockt und die blässlich müden, entrückten Gesichter erleuchtet; sie ins Leben zurück holt, sie erweckt, wie mich. Am Ende dieser halben Stunde wird es sich zeigen, jenes Licht der Erkenntnis mich anrühren, während wir den Chorraum verlassen. Endgültig.

Es ist kühl. Ich ziehe mir die Kapuze über. Verkrieche mich hinein in den straffen Leinen, lehne mich stehend zurück, mache es mir bequem auf der schmalen Sitzhilfe, stimme mich ein auf den Tag so gut es geht und warte auf das Klopfzeichen.

Sie sitzt mir direkt gegenüber. Eine Silhouette unter Silhouetten. Wie immer kontemplativ an ihrem Platz. Eine Magd des Herrn. Ich lächle in mich hinein. Der Habit macht uns alle gleich. Nivelliert uns auf ein Gelübde, auf ein freiwilliges Versprechen der Endgültigkeit, um das ein jeder kämpfen muss, jeden Tag. Jeder Tag ist gleich und dennoch anders. Ich kämpfe mit mir und ich weiß, sie muss es auch. Freiwillig.

Ein dumpfes Klopfen lässt mich aufhorchen, aufrichten und verneigen. Der Ritus ist geübt, über die Jahrhunderte erprobt; formalisierte Tradition. Jener alltägliche Rahmen ein Gehstock, ein sicherer Halt für Fallstricke, die die Einsamkeit im kommunitären Alleinsein bereit hält.

'Dómine, lábia mea apéries.'

'Et os meum annuntiábit laudem tuam.'

Wir rezitieren abwechselnd im Chor.

Magdalena ist eine wunderbare Frau. Ihr Taufname sei Melanie, verriet sie mir in einem Zwiegespräch bei einem Kaffee im Refektorium während der Recreation; der täglich freien Stunde am Nachmittag.

Ich mag Magdalena mehr als ich will. Tatsächlich könnte ich fallen; meine Gefühle über einen Strick stolpern, der nicht nur meinen Habit schnürt, so verbunden mit ihr; nicht allein in jenen Momenten, wenn ich sie betrachte.

Ich befürchte, sie kann es nachfühlen, abgeklärt wie sie ist. Ich frage mich, wann man sich endgültig entschieden hat. Was gilt am Ende? Am Ende meines Studiums, wenn ich mich für immer festlege?

Mich für eine Aufgabe entscheide in Absprache mit dem Orden? Demut erwirkt die Kraft, sich über sich selbst hinwegsetzen zu können, ohne sich zu verleugnen. Gehorsam zu üben, seiner eigenen Entscheidung gegenüber und standhaft zu sein, mit Blick auf die Bedürfnisse jener, die zu Opfern gemacht wurden.

Weitere Studien in Rom, Oxford? Promotion? Das würde mir gefallen. Die Welt steht mir offen, dank des weltgewandten Ordens. Oder doch nach Bolivien gehen, an die Basis? Der Armut, dem Unrecht den Kampf anzusagen; jenen Regimen, den globalen Ausbeutern; mich politisch engagieren? Ihnen das Wort entgegen zu setzten. Das würde ich meiner Demut ebenso abverlangen wollen. Bei aller Konsequenz.

Ich bin ein Revoluzzer, nicht nur in Gedanken. Heuchle nie, sage es klar und deutlich; leg die Finger in seine Wunden.

Wenn ich rede, geht ein unruhiges Knarren durch die alten Bänke. Man kennt mich. Es soll bewegen. Sobald ich mich wieder zum Chorgestühl umwende, um meinen Platz einzunehmen, schaue ich in junge, schmunzelnde und in manch alte, romtreue, eher verzweifelt wirkende Gesichter. Noch teste ich mich. Ich fühle mich auf dem richtigen Weg und frage mich, ob sie mich dennoch bei sich aufnehmen werden. Ich will polarisieren. Wie er; in aller Demut.

Mein erster, verstohlener Blick fällt auf Magdalena. Ich will erkennen, was sie denkt, obwohl sie es mir später sagt, bei einem Kaffee im Refektorium, oder auf gelegentlichen Spaziergängen in den umliegenden Wäldern, Sonntagnachmittags, wenn wir uns zeit füreinander nehmen können. Sie weiß, was ich will, was ich denke, sage es ihr klar; nicht, was ich fühle.

Magdalena hat sich entschlossen. Sie wird hier bleiben. Ich werde ihr schreiben. Ganz sicher. So sicher, wie das 'Amen in der Kirche'. Jeden Tag. Kann kommen, was da will.

Melanie inspiriert. Sie hat Esprit, ist intelligent und hübsch dazu. Glücklich sei sie mit ihrer Aufgabe in Küche und Verwaltung. Sie wählte und entschied sich gegen ein Studium. Für mich ein Verlust. Ich respektiere es. Sie kam für einen Augenblick ins Grübeln, als ich sie darauf ansprach. Sie lächelte mich an. Der Zweifel gehöre zur Berufung, meinte sie, nach ende unserer Stunde. Ich verstand und nickte; dachte noch lange darüber nach und konnte nicht einschlafen. Der Zweifel gebiert den Glauben - an was auch immer, und die Freiheit fordert zu Entscheidungen heraus -- was auch immer wir für wahr erachten.

Was müssen wir glauben; was können wir wissen?

Ihre Begabung liege im direkten Umgang mit Menschen. Kinder möge sie besonders. Ihre staunenden Blicke während der Führung über das Gelände, durch die alten Gemäuer, in denen die Moderne schon lange angekommen sei, wie sie immer beteuert; im Zeitalter der Globalisierung, geistig und materiell vernetzt, binäre Bibliotheken, Bildschirme zwischen uralten Folianten. Auf der Höhe der Zeit. Die Tradition habe sich der Gegenwart zu stellen, sich ihr zu erweisen. Wie der Habit nicht das Wesen des Menschen verhüllt, um es seiner Bestimmung zu entziehen, nämlich, frei zu sein, erklärte sie einmal einer Gruppe Abiturienten. Wie recht sie hat. 'Gesetze sind für den Menschen da, nicht der Mensch für die Gesetzte.'

In der Tat, Melanie versteht es zu begeistern, zu entrücken, aufzuklären über das, was es in der Welt zu verändern gilt.

Manchmal begegne ich ihr im Tross der Schüler. Schaue vom Bildschirm auf, wenn sich die Tür leise öffnet, sie lächelnd in den Saal der Bibliothek schaut, alle zur Stille ermahnt und beobachte sie beim Vorzeigen der alten Bücher. Ich lache leise vergnügt, wenn ich sie sagen höre, es gäbe neben Computerspielen und Playstation auch lesenswerte Bücher, wie jene von Karl May oder Oliver Twist von Charles Dickens und sie dabei auf die vollständigen Sammlungen der Erstausgaben unzähliger Autoren verweist, die in den haushohen Schränken und Wandregalen auf einen neugierigen Leser warten. Magdalena genießt den Anblick verwunderter Kinderaugen, die über tausende Buchrücken wandern, in denen ein Geist gebunden sei, der entfessele, wie sie immer betont.

Melanie wäre eine ideale Mutter, mehr, als es Magdalena je sein könnte, denke ich manchmal. Die Kinder mögen sie, verlieren ihre Scheu, sind schnell vertraut mit ihr, schauen sie neugierig an, sind eingenommen von ihrem natürlichen Charme, ihrer tiefsinnigen Worte. Wie ich.

Ich rezitiere Verse wie automatisch, während ich kurz zu ihr hinüber schaue, zum westlichen Chorgestühl, unter dem Rand der schwarzen Kapuze vorbei, die tief in meiner Stirn hängt und warte auf die ersten, milden Strahlen der aufgehenden Sonne in ihrem Gesicht; erhoffe mir einen seligen Blick, wie eine Antwort, die mich endlich erlösen möge.

Mit einer Frau wieder zusammen zu sein, kann ich mir durchaus vorstellen. Mit einer Frau wie Melanie. Anbeten oder anhimmeln, kommt es mir plötzlich in den Sinn. Ich schmunzele dabei in mich hinein. 'Wer es fassen kann, der fasse es.' Beides ist möglich, stelle ich mir zur Disposition. Du hast dich zu entscheiden.

Anbeten und anhimmeln, wäre die Alternative, konstatiere ich und lege mir ein neues Thema für die nächste Ansprache zurecht.

Ein lutherischer Gedanke lache ich konspirativ in mich hinein. Schmunzelnde Gesichter bei den jüngeren Mitbrüdern, meinen Kommilitonen und entrüstetes Stirnfalten bei den Alten, jenen reaktionären Konservativen, welche es mit den Jahren verstanden haben, ihre Zweifel der Tradition unterzuordnen, die entfesselnde Aufbruchstimmung des letzten Konzils zu untergraben, ihr den Elan zu nehmen, wären mir sicher.

Melanie wird mich verstehen, dabei nicht unkritisch sein. Ich könnte mit einer Frau wie Melanie zusammen sein. Sie wird mir fehlen.

Ich erwische mich bei dem Gedanken, dass es nicht nur die mentale, geistige Nähe ist, die ich vermissen werde. In Erinnerung an meine damalige Beziehung, versuche ich mir zu untersagen, ihre Gesichter auszutauschen; wieder warme Zärtlichkeiten, jene verwunschene, körperliche Nähe zuzulassen; Sehnsüchte, die mich heimsuchen in ruhelosen Nächten; Wachträume, die mich zu früher Stunde übermüdet in den Chor treten lassen, in die Stille verhallter Lobgesänge; hinein in erkalteten Weihrauch, der nun als sehnsuchtsvoller Hauch über dem Chorgestühl aufsteigt und mehr offenbaren soll, als es ein fiebriges Gefühl in unruhigen, irdischen Nächten zu vermitteln vermag.

Manchmal lade ich sie zu einem Spaziergang ein. An einen Ort, wo man uns nicht kennt. Wir fahren in die nächst größere Stadt. In zivil. Melanie benimmt sich arglos, was ihre Attraktivität angeht. Alles andere, als es in meinen Träumen der Fall ist.

Sie weiß davon nichts. Es ist befreiend. Für mich. Zweifelsfrei. Ich erschrecke nicht davor. Alte, nachgefühlte Bilder sind lediglich Möglichkeiten. Bekannte, gangbare Alternativen.

Aufbruchstimmung erfüllt mich, während wir ein Eis essend flanieren. Konziliante Erinnerungen sind es. Es ist das Wesen von Melanie, welches meiner Fantasie, meinen Wünschen ein greifbares Gesicht gibt. Für mich wäre sie perfekt; in einem anderen Leben.

Es ist mehr als Sehnsucht nach körperlicher Liebe. Aber es wäre sicher die Krönung eines wahrhaftigen Gefühles, das sich immer wieder einer vernünftigen Ermahnung an ein ehernes Gelübde, einer demütigen Entsagung entziehen will. Es geht um Enthaltsamkeit, die einen Zweck erfüllt. Es geht mir um jene Menschen, die einen Wortführer brauchen, jemanden, der ganz und gar für sie da ist, ihrer Ohnmacht eine nicht erpressbare, unbestechliche Stimme verleiht, bis hin zum bitteren Ende, wenn es sein muss. Das will ich mir zumuten. Mir.

Wäre es ein Verrat an jenen Ohnmächtigen?

Es gibt nichts schlimmeres, als seine Überzeugungen zu verraten. Wer sollte einem solchen Menschen vertrauen schenken wollen.

Seine eigenen, tiefen Gefühle zu denunzieren, ist ebenfalls Verrat, konstatiere ich zwischen einem Vers.

Ich spüre, wie dieser Konflikt in mir nagt, und mir sind die Gefahren bewusst, die eine falsche Entscheidung mit sich bringen kann. Die Flucht in Alkoholismus, den seelischen Absturz in tiefe Depressionen oder verzweifelter Untätigkeit unter der Knute eines falsch verstandenen Dogmatismus. Zu wissen, das man es einst anders wollte und es gekonnt hätte.

All das sehe ich bisweilen unter den Kapuzen um mich herum. Nicht nur hier. Und ich sehe mich der gleichen Gefahr ausgesetzt.

Selbstaufgabe ist keine Demut. Es ist in Wahrheit Überheblichkeit. Falsch verstandene Opferbereitschaft. Wir dagegen haben aufzustehen, um zu leben. Wie ein Lazarus.

Dieser aufrührerische Nazarener will keine willfährige, genügsame Opfer, die sich in sich selbst verkriechen; er sucht überzeugte Mittäter. Ein Gedanke, den ich verwenden, offen aussprechen werde, sinniere ich. Sie werden innerlich fluchen. Ich weiß, sie waren wie ich und sie wissen es.

Magdalena weckt Gefühle in mir, die berechtigte Zweifel in mir auslösen. Ich wünsche mir, sie wüsste es. Vielleicht ahnt sie, dass sie in Wahrheit jene Melanie für mich ist, sobald sich unsere Blicke treffen. Ich werde nicht mit ihr darüber sprechen können. Es nicht dürfen. Ihretwillen. Mein Konflikt, ist nicht ihr Konflikt. Wenn doch? Ich weiß es nicht, darf es nicht wissen. Fürchte mich davor, zu wissen, woran meine Magdalena scheitern könnte.

Sie hat sich entschieden. Ich stehe auf der anderen Seite, noch immer müde nach einer schlaflosen Nacht in Gedanken an sie, verneige mich ehrfurchtsvoll vor dem Altar der Entscheidung, reihe mich ein in die Prozession der Zweifelnden und verlasse mit ihnen das Chorgestühl Richtung Kreuzgang.

Mich beschleicht das irdische Gefühl, beides verwirklichen zu dürfen. Ich werde nicht heucheln, werde mich erklären, mich offenbaren. Ihr meine Ängste und Hoffnungen aufzeigen. Sie wird verstehen. Darin sind wir uns nahe. Es geht ihr wie mir. Ich weiß es, und insgeheim ist es meine Hoffnung. Nichts ist endgültig. Wir müssen uns entscheiden, uns aufraffen. Jeden Tag erneut, zu jeder Stunde; jeder für sich und für den anderen.

Andy43
Andy43
174 Anhänger
Bitte bewerte dies Geschichte
Der Autor würde sich über dein Feedback freuen.
  • KOMMENTARE
Anonymous
Our Comments Policy is available in the Lit FAQ
Posten als:
Anonym
4 Kommentare
rosettenfreakrosettenfreakvor mehr als 10 Jahren
Konflikt zwischen Weltlichkeit und Askese

Ich kenne diese Story bereits aus einem anderen Forum, aber sie beeindruckt mich auch beim erneuten lesen.

Ein Kommentator hat es schwer, wenn ein Autor selbst seine Story erklärt, wie "Andy43" es hier getan hat. *lach*

Sicher ist es es auch ein Konflikt zwischen Tradition und Moderne, wie "Andy43" hier in nem Eigenkommentar sagt, aber für mich liegt der wirklich interessante Schwerpunkt der Story woanders, und zwar auf der individuellen Ebene: Die männliche HP ist fasziniert von Magdalena (Melanie).

Desweiteren spricht "Andy43" einige existentielle Fragen an: Was kann ich glauben? Was kann ich wissen?

"Selbstaufgabe ist keine Demut. Sie ist Überheblichkeit."

Dieses Zitat mag als Fingerzeig genügen, wohin bei "Ecce Homo" die Reise geht.

Die Story ist exezellent komponiert, und sprachlich virtuos, wie von "Andy43" gewohnt.

lg

LIT-RANICKI "Rosi" (Johannes)

AnonymousAnonymvor mehr als 10 Jahren
Semantik oder Grammatik?

Moinmoin,

lange her, hier einenText hier gelesen zu haben, der der tieferen Betrachtung wert ist.

Glückwunsch!

In vielen Details eine engagierte Leistung, in vielen Details leider auch eine zweifelhafte Leistung. Gerade die Miniaturdiskussion um das Semikolon an sich und in einem ganz bestimmten Fall - wo Du, werter Autor, Deine Handhabung nicht nur verteidigst, sondern sie auch begründest - führt jedoch aus meiner Sicht in die Irre. Schade, an der Stelle hätte ich Dir die Autonomie gewünscht zu sagen: "Mein Ding, akzeptiert es oder lasst es bleiben". Deine Begründung klappt nämlich nicht... Egal, der Glückwunsch oben war ernst gemeint.

Die tiefere Betrachtung will ich aber nicht angehen. Nach verdammt harter Klosterschulzeit werde ich mich nicht mehr mit solchen Themen ohne innere Notwendigkeit auseinandersetzen - zu lesen, was andere Menschen dazu denken, ist etwas machbarer für mich...

Dir den Mut wünschend, weiterhin Texte an Orten zu veröffentlichen, die dafür eher ungeeigent sind verbleibe ich mit Grüßen als unerkannter Leser.

PS - Die lange Bearbeitungszeit hat dem Text vermutlich Struktur und Komposition gebracht - aber ihn wohl auch Spritzigkeit und Verve einbüßen lassen. Verfügst Du über frühere Fassungen zum Vergleich?

Andy43Andy43vor mehr als 10 JahrenAutor
@ Killozap

Es freut mich, dass du zu dem Ergebnis gelangst, die Story sei 'gut geschrieben'; stecken doch mehrere Monate Arbeit in dem Text.

Der Text ist von der Überschrift, bis zum letzten Satzzeichen nicht nur in seiner inhaltlichen Aussage 'formal' durchkonstruiert. ('Ecce homo' - der Ausspruch des Pontius Pilatus vor dem Volk nach der Geißelung - wird in der nachfolgenden Historie immer wieder aufgegriffen: Nietzsche verwendet den Ausspruch für ein Gedicht, die Homosexuellenbewegung verwendet den Auspruch ebenso.)

Dass es in diesem Text um das Verhältnis zwischen formalisierter Tradition (u. a. Codex iuris Canonici) und Moderne (gesellschaftlichen Wandel) geht, dürfte klar sein.

Ebenso ist der Text in seinem strukturellen Aufbau (Syntax) formalisiert. Du bist also mit dem, was dir an dem Text aufgefallen ist und in deiner Frage mündet, sehr nahe dran. Die Schrift kommt ohne eine Syntax nicht aus, ebenso ist es bei einer Maschinensprache, Assembler, C, PHP. Ich möchte dir ans Herz legen, beim Schreiben von Texten, Satzzeichen nicht mehr aus dem Bauch heraus zu setzen, sondern ebenso zwingend logisch vorzugehen, wie du es bei PHP machst.

Satzzeichen, wie Punkt, Kommata oder Semikolon, übernehmen allerdings eine andere Funktion, wie es bei einer Maschinensprache der Fall ist. Schau mal bei Wiki unter derm Stichwort 'Semikolon' nach.

Nun konkret zu deiner Frage in Bezug auf den vorliegenden Text:

Der Prota befindet sich morgens im Chorgestühl bei der Laudes (dem morgendlichen Stundengebet, mit dem der Tag eröffent wird.) Es werden Psalmen rezitiert. An einer Stelle heißt es: "Ich rezitiere 'Verse' wie automatisch". Verse werden in ein 'Versmaß' eingebunden. Das Semikolon fungiert (in seiner Funktion) als eine 'Zäsur' - von dort (rezitierter Psalm) - auf den vorliegenden Text übertragen. Zum anderen stellt das Smikolon an einigen Textstellen (mindestens) zwei gleichwertige Wortgruppen (und damit den Kern einer Aussage) als gleichwertig gegenüber. Ein Kommata wäre zu schwach, ein Punkt zu stark. Auf einen Doppelpunkt müsste ein zusammenfassendes 'Ergebnis', ein Faktum erfolgen. Genau das will ich (dem Leser) nicht anbieten. Genauso wie ein konkretes Ende der Geschichte. (Wie sich Tradition und Moderne zukünftig annähern, kann niemand wissen, oder vielleicht doch? Was müssen wir glauben; was können wir wissen? - das ist der 'Konflikt' in all seinen gesellschaftlichen Auswirkungen, der hier durchklingt.)

Ein Textbeispiel für die o. g. Verwendung (dem Sinn) des Semikolon:

"Es ist unser drittes Jahr. Noch braucht die Sonne eine Weile bis sie aufgeht; dem Glas der gothischen Fenster allerlei Farben entlockt und die blässlich müden, entrückten Gesichter erleuchtet; sie ins Leben zurück holt, sie erweckt, wie mich. Am Ende dieser halben Stunde wird es sich zeigen, jenes Licht der Erkenntnis mich anrühren, während wir den Chorraum verlassen. Endgültig.

Hier will jemand eine 'endgültige' Entscheidung treffen, die er jedoch, egal, wie die Entscheidung ausfallen wird, relativiert, relativieren muss. "Drei Jahre": 3x365 Tage Chorgesang: Formalisierter Tagesablauf, der mit der Laudes am Morgen, während des Sonnenaufganges beginnt, aber in jenem Moment noch nicht begonnen hat. Nun kommt seine Erwartungshaltung: Licht aufgehen, Farben entlockt, goth-tische Fenster (das ist kein Schreibfehler. Richtig müsste es ja heißen: Gotische Fenster. Zum einen ist das ein Hinweis auf das 'dunkle' Mittelalter, zum anderen..., na, ich denke, du kommst selbst darauf..., mit 'h' geschrieben; dunkler Habitus, blasse, entrückte Gesichter - Tod und Vergänglichkeit als 'Thema'.) Und dann folgt der durch ein Semikolon getrennte, als 'gleichwertig' gegenüber gestellte Satz: "sie ins Leben zurück holt, erweckt, wie mich."

Tod - Vergänglichkeit ( was im dunklen liegt) und Leben - Licht der Erkenntnis, stehen sich hier zwar gegenüber, korrespondieren aber (inhaltlich) gleichwertig miteinander.

Ein dort gesetzes Kommata würde dieses Verhältnis abschwächen. Ein Punkt sie voneinander trennen. Ein Smlikolon beschreibt dieses Verhältnis gleich einer Waage, die nach keiner Seite ausschlägt und somit die 'Ausweglosigkeit' des Protagonisten darstellt, eine 'endgültige' Entscheidung für sich e r z w i n g e n zu müssen (die Waage ausschlagen zu lassen) und das, innerhalb einer 'halben Stunde' (er hatte doch mehr als 1ooo Tage zeit?) Dieses 'Endgültig' am Schluss des Absatzes (Strophe), wird ein lebenslanger Wunsch bleiben und sich erst mit demTod auflösen.

Hier geht es also um die Entscheidung, für einen weiteren Lebensweg, den es gut abzuwägen gilt. Denn auch die Zukunft liegt mehr oder weniger 'im Dunklen'. Es gibt also in dieser Geschichte kein 'Auflösung'. Damit will ich den Leser zum Nachdenken anregen. Das Semikolon ist hier das Zünglein an der Waage (im übertragenen Sinne).

Ich hoffe, es ist deutlich geworden, was ein Semikolon so alles 'anrichten kann' (*schmunzel*), wenn man es nicht aus dem Bauch heraus setzt, wie alle anderen Satzzeichen auch. (Was würde geschen, wenn du bei PHP das Semikolon aus dem Bauch heraus setzen würdest?)

Danke für deine Frage, zeigt es mir doch, dass du dich - ebenso wie ich - mit Texten beschäftigst, Auffälligkeiten entdeckst und nicht flüchtig darüber liest.

Liebe Grüße.

Andy

KillozapKillozapvor mehr als 10 Jahren
Hoffentlich schaffe es diesmal ...

den Kommentar auch wirklich abzusetzen ...

Die Geschichte ist wirklich gut geschrieben, sie vermittelt recht gut die Gefühle des Protagonisten, am Ende bleibt alles offen da noch nicht alles gesagt ist, es könnte also ein Happy End geben...

Ich habe nur eine Frage: Für mich sind in der Geschichte zu viele Semikolons. Der größte Teil der Semikolons könnte durch Kommas ersetzt werden, bei einem würde ich persönlich einen Doppelpunkt machen.

Nun setze ich Zeichen immer aus dem Bauch und nutze Semikolons gar nicht, außer ich schreibe PHP- oder C- Code :)

Welchen Sinn haben die Semikolons hier und besteht die Chance, dass viele andere Leser sie korrekt deuten?

Grüße

Killozap

Teile diese Geschichte

ÄHNLICHE Geschichten

Brittas praller Fickarsch Franks Arschfickträume werden endlich wahr.
Die Vermieterhure 01 Altes Paar bringt junge Mieterin auf Abwege.
In der Weihnachtsbäckerei Teig läßt sich nicht nur mit den Händen kneten.
Leonie und der Spanner Unter Beobachtung eines fremden Mannes.
Dicke Titten, Pralle Ärsche Eine explizit pornographische "Kurvendiskussion".
Mehr Geschichten