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Eigentlich wollte ich nur Zigarette

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Aber fragen wollte ich auch nicht.

Charlotte ging neben mir den kurzen Weg zum Haus. Ich sah mich um und entdeckte einen, auf den ersten Blick, halb verwilderten Garten mit kleinen Labyrinth-Wegen, die mit Buchs eingefasst waren. Die Beete waren vorwiegend mit Rosen bepflanzt, die im abklingenden Regen des Tages nicht gerade ihre ganze Pracht zur Schau stellten.

Das ganze Anwesen ließ den Eindruck aufkommen, als ob hier seit fünfzig Jahren nichts ernsthaft verändert worden wäre. Trotzdem schien alles gepflegt, auch wenn die Natur mehr Raum hatte, als in den Gärten der Nachbarhäuser. Gemähte Rasenflächen suchte ich vergeblich, auch kurz geschorene Büsche und Sträucher waren nicht zu finden. Irgendwie hatte dieser Garten die Eigenart, dass alles in Harmonie miteinander zu wachsen schien, ohne dass Menschenhände größeren Einfluss nehmen mussten.

Eine alte, breit gewachsene Linde, um deren Stamm eine Holzbank gezimmert war, fiel mir auf. Der Baum war nicht in die Höhe, sondern in die Weite gediehen und bedeckte einen großen Kreis im Garten. Dieser war mit Kies geschüttet. Ein Tisch, belegt mit einem bunten Tuch fand Platz unter dem Baum und einige Eisenklappstühle, mit weiß lackierten Holzleisten, standen um ihn herum. Das Laub des ehrwürdigen Baumes war so dicht, dass der Boden unter ihm trotz heftigen des Regens trocken geblieben war. Die Ruhe, die dieser kleine Park ausstrahlte, nahm mich in ihren Bann.

Fast feierlich schritt ich mit meinen beiden Begleiterinnen auf die schwere Holztüre zu. In deren Oberem Drittel, ein ovales Fester die Sicht nach draußen freigab, die Scheibe wiederum, wurde durch ein fein geschmiedetes Gitter geschützt. Die alte Klingel an einem Eisenstab mit Zugknopf stammte sicher schon aus der Zeit, in der das Haus gebaut wurde. Sie durfte ihren Platz behalten, obwohl jüngere Zeiten dem Haus einen runden elektrischen Klingelknopf bescherten, der handwerklich geschickt in den Sandsteinrahmen der Türe eingelassen wurde.

Ilona suchte wiederum an ihrem Schlüsselbund, schob den passenden Schlüssel ins Schloss, das nachgab und den Zutritt zum Haus freigab. Ich ließ die beiden vor gehen und trat dann mit vorsichtigen Schritten über die Schwelle.

Es war nicht einfach, zu entscheiden, wohin man in dieser Eingangshalle zuerst sehen sollte. Der Zauber des Gartens setzte sich im Inneren des Hauses fort. Vier Stufen führten nach einer weiteren Zwischentür in einen weit ausladenden Innenraum, in dessen Zentrum ein plätschernder Springbrunnen stand.

Schwere Teppiche belegten den Boden, verliehen mir das Gefühl, mehr in das Haus zu schweben, als zu gehen. Betagte Seidentapeten in einem matt glänzenden Grünton, der neben Vornehmheit auch Geborgenheit versprach, bedeckten die Wände.

Wir schritten am Brunnen vorbei, geradewegs auf eine mächtige zweiflüglige Türe zu. Hatte man die Wasserspiele hinter sich gelassen, dominierte eine übergroße Standuhr, deren Pendel gelassen hin und her schwang, den Raum. Dieses Kunstwerk der Zeitmessung aus dunklem Holz mit gedrechselten Spiralsäulen an den beiden Vorderkanten zeigte in römischen Lettern an, dass es bereits 15 Uhr war.

Ich setzte die Tasche ab und drehte mich einmal um meine eigene Achse. Diesen Raum konnte man nicht erfassen, indem man ihn nur durchschritt, sondern er musste aus mehreren Perspektiven gesehen werden.

Während ich mich neugierig drehte, öffneten Ilona und Charlotte die Türe, vor der wir angekommen waren. Ilona blickte durch einen Spalt und rief:

"Hallo!",

Sie hatte Susi wohl im selben Moment auch schon gesehen und stieß die Türe weiter auf.

Zusammen sprangen die beiden in den angrenzenden Raum. Eine herzliche Begrüßung begann.

Ich blieb diskret stehen, um die Drei in ihrer Wiedersehensfreude nicht zu stören. Da Susi sich offensichtlich in einer Ecke des Zimmers aufhielt, konnte ich sie nicht sehen. Gedämpft hörte ich die drei Frauen reden, war selbst jedoch viel zu sehr in der Bewunderung dieses Hauses versunken, als dass ich ans Lauschen gedacht hätte.

Eine rund geschwungene Treppe führte, vorbei an einem großen Fenster, mit ornamentartigen bleiverglasten Scheiben, die, dieser Eingangshalle ihre Beleuchtung gaben, in das obere Geschoss des Hauses. Schwere Messingstangen glänzten auf jeder Stufe der Treppe und hielten den Läufer fest, der auch den Gang über diese Treppe zu einem lautlosen Schweben, anstatt eines Stufentrampelns, machen musste.

Ein Gummibaum, den ich spontan auf hundert Jahre schätze, rankte im Licht des Flurfensters von Erdgeschoss aus, vorbei an der Treppe bis ins offene Obergeschoss. Mein Staunen vermischte sich mit einer Andacht, weil ich Gleiches noch nie gesehen hatte.

'Kann man so wohnen?', fragte meine innere Stimme und ich wusste wieder mal nicht so ganz genau, ob ich nun durch einen Traum gehe oder mich in der Wirklichkeit befinde.

Ein solches Haus von innen zu sehen war mir neu. Ich bin zwar schon viel herumgekommen, auch bei wohlhabenden Gastgebern zu Besuch gewesen, aber ein Haus wie dieses, hatte mehr zu bieten. Es schien Geschichte und Geschichten in sich zu verbergen, mit deren Erforschung ich am liebsten gleich begonnen hätte.

Ich stellte mir vor, wie ich im Dachboden beginnen würde. Alte Truhen mit Kleidern früherer Generationen, Schränke mir alten Büchern, Briefen, Bildern, ausgediente Möbelstücke und Spielsachen der Großmutter, all das, würde ich finden. Tage, ja Wochen würden vergehen, bis ich den Speicher auch nur halbwegs erkundet hätte, um mich dann in den darunter liegenden Stockwerken, bis hinunter in den Keller vorzutasten.

Die Stimmen der drei Frauen kamen näher und lösten mich aus meiner Verzückung. Ilona und Charlotte kamen, gefolgt von Susi, durch die Tür.

Lächelnd schritt da eine Frau auf mich zu, die ein Stück größer war als ich und ein langes schwarzes Kleid trug, das erst knapp über dem Boden endete. Die hohen Absätze ihrer Schuhe verrieten das Geheimnis ihrer Größe.

Das Kleid fiel über einen wohlgeformten Körper und betonte ihre weibliche Figur bestens. Ihre langen in einem Bund zusammengefassten blonden Haare, ließ sie über die rechte Schulter nach vorne fallen. Das schmale Gesicht wurde dadurch noch stärker betont.

Die fein nachgezogenen Augenbrauen und die etwas grell rot geschminkten Lippen gaben ihrem Aussehen etwas strenges aber auch Würdevolles und hoben sie deutlich von den beiden anderen Frauen ab.

"Hallo Johann", begrüßte sie mich wie einen alten Bekannten",schön hast du den beiden den Weg gezeigt, sie hatten sich wohl hoffnungslos verirrt."

Etwas verlegen, wusste ich nicht, was ich darauf erwidern sollte. In Anbetracht ihrer körperlichen Erscheinung und der Atmosphäre dieses Hauses fiel es mir schwer, einfach: "Hallo Susi" zu sagen.

Hatte ich doch schon als Kind gelernt, höflich und anständig fremde Menschen mit "Sie" anzusprechen. Jetzt oder nie, schoss es mir durch den Kopf und ich gab mir einen Ruck, vergaß meine gute Erziehung und begrüßte sie mit:

"Hallo Susi, schön, auch dich kennenzulernen."

Buh, das war ein Schritt.

Ich hatte den Eindruck, über einen fast vierzig Jahre alten Schatten gesprungen zu sein.

"Komm mit herein, ich mache uns allen einen Tee. Du bleibst doch noch auf eine Tasse?"

Ich tat ein wenig unentschlossen, wollte nun weiter mit meinem neu erworbenen Mut spielen.

"Klar bleibt er noch", kommentierte Charlotte, kam auf mich zu und gab mir einen freundschaftlichen Kuss auf die rechte Wange.

"Wir können unseren charmanten Fremdenführer doch nicht einfach so nach Hause schicken, ohne ihm was anzubieten."

"Überredet", antwortete ich darauf schnell, denn der Gedanke, diese drei Frauen noch etwas näher kennenzulernen, hatte inzwischen seinen Reiz.

Zuhause würde ich ja doch nur wieder die Fernbedienung des Fernsehers, zerknautschen, in der Hoffnung, ein unterhaltsames Programm zu finden. Hier wurde live was geboten, ein neues Programm, das ich noch nicht kannte. Auf eigenartige Weise zog mich hier alles in einen seltsamen Bann.

Die Umstände, die mich hierher geführt hatten, die drei so unterschiedlichen Frauen, das Haus, der Garten, selbst dieser ehrwürdig große Gummibaum im Treppenhaus, hatte es mir angetan. Alles war plötzlich auf geheimnisvolle Weise anders, als es noch gestern war.

Charlotte legte ihre Hand leicht gegen meinen Rücken, um mich in Richtung des Zimmers zu schieben. Wie von selbst nahm ich die Bewegung auf und schritt voran. Auch hier öffnete sich eine Augenweide.

'So sieht ein Erkerzimmer von innen aus', ging es mir durch den Kopf. Der Architekt, der dieses Gebäude entworfen und verwirklicht hat, muss ein Künstler gewesen sein. Neben der ästhetischen Aufteilung des Raumes und der Flächen ist ihm auch eine Verzauberung des Menschen gelungen, der diesen Raum betritt.

Susi bittet uns, im 'großen Erker' Platz zu nehmen, dieser liegt gegen Süden und gleicht einem Wintergarten, der mit vielen grünen und blühenden Pflanzen den Eindruck erwecken kann, man begebe sich mit wenigen Schritten mitten in den Urwald am Amazonas.

Eine braune Ledercouch und zwei passende Sessel umstellen einen halbhohen runden Tisch, der wie in früheren Zeiten, mit einer feinmaschig gehäkelten Decke belegt ist.

Charlotte bietet mir einen der Sessel an, um Platz zu nehmen. Ich lasse mich nieder und sehe dabei direkt in den Garten. Im selben Moment erhebe ich mich wieder aus diesem bequemen Sitzmöbel. Die Fenster geben den Blick zur alten Linde frei, die ich beim Betreten des Gartens schon bewundert hatte. Als ob ich um Erlaubnis fragen müsste, wies ich beim Aufstehen auf den Baum und fragte zu Charlotte gewandt:

"Darf ich?"

"Na klar, wenn du willst, können wir auch nach draußen gehen, der Regen ist zu Ende und die Nachmittagssonnen kommt schon durch. Es gibt eine Tür, die direkt zum Garten führt."

"Nein, nein, ich möchte nur schauen, die alte Linde gefällt mir so sehr."

"Man erzählt sich, sie wäre in früheren Zeiten einmal der Baum gewesen, unter dem Gericht gehalten wurde. Sicher ist das nicht, aber wer weiß ... Wahrscheinlich wurden viele Hexen hier zum Scheiterhaufen verurteilt."

Die Art, wie sie das sagte, ließ mir einen leichten Schauder über den Nacken laufen. Um dies zu verbergen, bemerkte ich, etwas ironisch, dass dies heute, wie ich hoffe, nicht mehr der Fall ist.

Dabei ertappe ich mich dabei, wie ich Charlotte mit einem prüfenden Blick von Kopf bis Fuß mustere und ihre rotbraunen Haare direkt in Verbindung mit einer der Hexen in früheren Zeiten sehe. Ich befürchte plötzlich, sie kann meine Gedanken lesen und wandte von ihr ab, als ob sie von hinten nicht in der Lage wäre, die Windungen meines Gehirns zu durchforsten.

Geschirr klappert, ich drehe mich in die Richtung, aus der ich das Geräusch orte. Ilona steht am großen Büfett und nimmt das Teeservice aus der oberen Ablage. Durch die geöffnete Glastüre des majestätischen Möbels erscheint ihr Oberkörper wie in einem Bilderrahmen gefasst. Das Sonnenlicht spiegelt sich leicht auf der Scheibe und verleiht ihrem Gesicht einen schimmernden Glanz, der mich an eine Postkarte mit Heiligenbild erinnert.

Sie lächelt mich an und wendet sich wieder dem Porzellan zu.

"Kann ich Dir helfen?", frage ich und gehe schon auf sie zu, um meiner Hilfsbereitschaft Nachdruck zu verleihen. Sie übergibt mir ein Stapel mit Tellern und Tassen, zwinkert mir zu, deutet mit einer leichten Kopfbewegung an, dass ich die Sachen zum Tisch bringen soll. Ruhig und knapp weist sie mich noch an:

"Zwei zum Sofa und je ein Gedeck zu einem Sessel."

Damit weiß ich, was zu tun ist.

Ilona beeindruckt mich, durch ihre ruhige, knappe Art. Sie sagt viel mit wenigen Worten. Wie angewiesen verteile ich das Teegeschirr, versuche das Dekor auf den Tellern so auszurichten, dass sie vom jeweiligen Sitzplatz aus auch richtig gesehen werden können. Das hatte mich meine Großmutter gelehrt, die ein ähnliches englisches Teeservice hatte, das ihr ganzer Stolz war.

Charlotte war inzwischen aus dem Zimmer gegangen. Ilona kam mit einem Tablett, auf dem sich Zucker, Milch und die restlichen Utensilien befanden, die Teetrinker benötigen. Sie setzte das Tablett auf einem Teewagen ab. Zu meiner Überraschung platzte sie mit einer Frage heraus, die ich nicht erwartet hatte.

"Gefällt es dir hier, könntest du dir vorstellen, hier immer zu leben?",

"Ich weiß nicht ...", wand ich mich zuerst",das ist zwar alles neu und unbekannt für mich, aber auf den ersten Eindruck auch nicht fremd", ergänzte ich, um mich möglichst nicht verfänglich festzulegen.

"Die Frage stellt sich für mich nicht, da mein Einkommen eine solche Umgebung nicht finanzieren könnte. Du solltest mal mein, zwei Zimmer Schuhschachtelappartement sehen, da kann man sich legen oder wenden, wie man will, es ist immer eng. Doch ich will nicht klagen, bisher bin ich immer gut darin zurechtgekommen."

Sie kicherte leise.

Ich spürte, wie sie mich von der Seite her ansah, wollte mich ihr jedoch nicht zuwenden, da ich befürchtete, der Blickkontakt wäre für mich in diesem Moment eher peinlich. Menschen, die eine derartige Fülle am Lebensraum kannten, würden sich wohl schwerlich in meiner Mansarde zurechtfinden können.

"Wo ist dein Zuhause?", wollte ich von ihr wissen.

"Ich lebe in einem kleinen Ort circa 80 Kilometer von hier am Bodensee", gab sie mir zur Antwort",und sicher willst du auch noch wissen, was ich dort treibe?"

Sie hatte den Nagel auf den Kopf getroffen, aber gefragt, hätte ich von mir selbst aus sicher nicht.

"Ja, was treibst du denn, wenn du nicht gerade durch die Großstadt braust?"

"Ich bin Fotografin, mache Bilder für die Werbung, vor allem für die Industrie."

"Sicher ein interessanter Job", stellte ich fest und ergänzte mein Interesse noch mit: "Kann man Arbeiten von dir in Zeitschriften und Illustrierten sehen?"

"Nein, im Allgemeinen nicht, da ich vorwiegend Prospekte und Firmenporträts mache, mit denen Betriebe sich und ihre Produkte präsentieren."

"Würde mich trotzdem mal interessieren", gab ich ihr zu verstehen und stellte fest, dass sie mich mit ihrer knappen Konversation angesteckt hatte.

"Vielleicht ergibt sich's mal!", war ihre Antwort.

Susi und Charlotte kamen mit einem Tablett zum Erker zurück und der Duft von Tee und englischen Zitronenkeksen begleitete sie. Charlotte zündete die Kerze im Stövchen an und nahm Susi die Teekanne ab.

"Nehmt Platz", sagte sie in einem weichen fast mütterlichen Ton, stellte die beiden Teller mit Teegebäck noch auf den Tisch und verließ uns wieder mit dem leeren Tablett.

Charlotte wies mir mit einer Handbewegung wieder meinen Sessel zu und setzte sich in den danebenstehenden. Wir versanken beide bis zu den Achseln in den tiefen Sitzen und legten gleichzeitig die Arme über die Rundungen der Lehnen.

Wir blickten uns an, ohne Worte.

Ich griff wieder einmal in die Brusttasche meines Hemdes und holte mir durch den Kontakt mit meiner Zigarettenschachtel die Gewissheit dafür, dass ich noch immer in der Wirklichkeit weile. Sie war noch da.

'Sammlung ist nötig', stellte ich wortlos fest. Ich wollte verstehen, was mit mir geschah, seit ich diesen beiden jungen Frauen begegnet war. Aber so sehr ich mich auch bemühte, einen roten Faden zu finden, die Umstände wieder in den Griff zu bekommen, so wenig waren meine Anstrengungen von Erfolg gekrönt.

Konnte ich es zulassen, einfach hier zu sitzen und nicht zu wissen, was passiert? Ich hatte lieber den Überblick, wusste lieber, was vor sich geht, und bestimmte lieber die Regeln in meinem Leben selbst.

Nun saß ich mit den drei Frauen in einer Villa, die ich nicht kannte, in einem Stadtteil, den ich nie betreten hatte, und trank Tee. Ich wollte die Drei so vieles fragen, wollte Antworten bekommen, um zu wissen, in welchem Stück ich spiele. Auf der anderen Seite war dieses Unbekannte, Fremde für mich, ungewohnte Umgebung ganz plötzlich, zu einem unerklärlichen Reiz angewachsen, dem ich folgen wollte.

In Sekundenschnelle schoss mir mein eintöniges Bürodasein durch den Kopf, der alltägliche Trott von acht bis zwölf und von dreizehn bis siebzehn Uhr. Meine Kollegen und Kolleginnen bei der Arbeit, deren Geplänkel über Gesundheit, Geld, Autos, Fußball, Filmsternchen und ihre Beziehungskisten, mir längst zuwider geworden sind.

Oft blieb ich in der Mittagspause einfach am Arbeitsplatz, um nicht wie abwesend mit den anderen in der Kantine zu sitzen, meine Ohren, zu schießen und tagträumend in eine andere Welt zu entfliehen.

Ein Blick zu Charlotte schien mich mit anderen Qualitäten in Berührung zu bringen. Ich beschloss in diesem Moment, mir diese erobern.

Susi kam wieder, setzte als Ergänzung einen großen Bleiglas Aschenbecher auf dem Tisch ein und ließ sich neben Ilona auf der Couch nieder. Erhob sich dann aber in derselben Bewegung wieder, um nach der Teekanne zu greifen. Nur mit einem Blick zeigte sie mir an, dass ich ihr meine Tasse reichen sollte, fragte dann jedoch noch:

"Hast du Assam gerne, oder möchtest du lieber etwas anderes?"

Ich behielt mein 'Ja' still für mich und hob ihr kopfnickend das feine Porzellan entgegen. Sie goss allen stumm den Tee in die Tassen und nahm dann ihren Platz neben Ilona wieder ein. Wir ergänzten unseren Tee individuell mit den dazu bereitstehenden Kredenzen. Ich nahm mir zwei kleine Stücke Kandis und goss ein wenig der Milch dazu in meine Tasse. Ilona reichte die duftenden Kekse in die Runde und ich nahm gerne zwei davon, um sie zu versuchen.

"Wie gefällt es dir bei uns?", wollte Susi wissen und legte sich in die Rückenschale ihrer Lehne zurück. Sie schlug dabei ihre Beine übereinander, was in Anbetracht des eng anliegenden Kleides, das sie trug, unwillkürlich dazu führte, dass sich diese Hülle auf ihrem gesamten Körper neu anordnete.

"Ich bin beeindruckt!", hörte ich mich selbst sagen und war mir im selben Atemzug bewusst, wie komisch das klingen musste.

"Das Haus, der Garten und die Atmosphäre ... Ich bin beeindruckt." Verstärkte ich noch einmal, als ob ich nur durch die Wiederholung glaubwürdig sein könnte.

"Danke, ich verstehe das, als ein Kompliment", gab sie mir mit einer weichen Stimme zurück. Sie war ein eigenartiges Geschöpf, hatte strenge Züge in ihrer Erscheinung und eine weiche, sanfte Stimme, die, wie mir schien, einer anderen Person gehört.

"Johann wohnt in einem kleinen Appartement in der City, ihm muss dein Haus wie ein Schloss vorkommen", wandte sich Ilona an ihre Nachbarin.

"Ach ja, wo liegt das denn?", fragte Susi, wieder mir zugewandt.

"In der Wiesenstraße 5", gab ich als präzise Antwort",der Straßenname täuscht allerdings etwas über die Adresse hinweg. Von einer Wiese ist in diesem Bezirk nichts zu sehen. Eigentlich gibt's nur Häuser und Asphalt."

"Ich kenne die Gegend, einige Straßen weiter betreibt eine gute Freundin von mir ein Lederwarengeschäft. Bekleidung, Handtaschen und Accessoires, ich könnte ihr oft das ganze Geschäft leer kaufen, wenn ich dort bin."

Dieses Geschäft glaubte ich zu kennen, da ich jeden Tag auf dem Weg zur Straßenbahn daran vorbei ging.

"Liegt der Laden deiner Freundin nicht direkt an der Haltestelle der Linie acht?", fragte ich nach, um sicher zu sein.

"Ja genau, eine tolle Adresse!"

Ich hob meine Tasse auf und schlürfte vorsichtig an dem heißen Tee. Innerlich ein wenig zufrieden damit, einen Bezugspunkt zu meinem normalen Leben wieder gefunden zu haben. Wie leicht einem das Gehirn Vertrautheit suggeriert, wenn man nur jemanden begegnet, der das Eckhaus der nächsten Straße kennt.

Zufrieden stellte ich mein Trinkgefäß zurück auf den Untersetzer, lehnte mich in meinen Sessel und sah in die Runde. Ich hatte die innere Überzeugung erlangt, jetzt jemand zu sein, in der fremden Runde, ich kannte das Geschäft von Susis Freundin.

Die drei Frauen fanden in ein Gespräch über Termine, die sie noch abgleichen wollten und bald hatte jede ihre Agenda herbeigeschafft. Während ihrer Versenkung in Wochentage und Monate konnte ich ungestört Mäuschen spielen und jede Einzelne beobachten. Mir schienen die Drei so unterschiedlich zu sein, und trotzdem hatten sie einen gemeinsamen Nenner, den ich versuchen wollte, zu finden.