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Ein Liebesdreieck an der Isar

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Aus einer unglücklichen Beziehung heraus verführt.
7.7k Wörter
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I.

Wenn man von der Akademie der bildenden Künste München, umgangssprachlich kurz „die Kunstakademie" genannt, zur U-Bahnhaltestelle „Universität" geht, die U 6 benutzt, und an der Haltestelle Goetheplatz wieder verlässt, ist es nicht mehr weit zu einer Häuserzeile mit -- für Münchner Verhältnisse -- einigermassen preisgünstigen Wohnungen, die von Studenten und anderen wenig bemittelten Leuten bevorzugt werden.

Wäre man nun an einem frühen Morgen kurz vor dem allgemeinen Aufstehen durch diese Strasse gegangen und hätte schliesslich etwa auf halber Höhe eines der Häuser betreten, so hätte man in der linken Erdgeschosswohnung im Wohnzimmer eine hübsche junge Frau auf der Couch liegen sehen.

Ihr Name war Julia Bergmann und sie war 21 Jahre alt, 1,68 m gross, hatte eine kastanienbraune Mähne und eine gute Handvoll Busen, lange, durchtrainierte Beine und als beim Umdrehen ihr Schlafshirt hochrutschte, sah man durch den dünnen Slip, dass sie nicht rasiert war.

Äh -- eine solche Frau schlief alleine?

Seht sie euch an: Das war kein magersüchtiges Model und auch kein aufgestyltes Modepüppchen, sondern eine gesunde Frau aus dem wirklichen Leben. Nahezu jeder Mann, der überhaupt hetero war, musste in diesem Moment den Wunsch haben, sich zu ihr zu legen und sich sanft hinter sie zu schieben, sie mit den Armen zu umschliessen, vielleicht ihre Brüste zu streicheln, das Shirt hochzuschieben, kurz, irgendwelche zärtlichen, lustvollen oder auch „nur" beschützenden Dinge mit ihr und für sie zu tun, wenn -- ja, wenn da nicht die Wirklichkeit gewesen wäre.

Julia studierte an der Kunstakademie, wo sie sich aufs Zeichnen spezialisiert hatte, weil sie später in die Bilderpädagogik gehen wollte und um den Umgang mit Kindern und Jugendlichen zu trainieren, arbeitete sie nebenbei mit Schülern, die sie bei Projekten zur Berufsorientierung betreute.

Für sie selbst würde Arbeitslosigkeit ohnehin ein Fremdwort bleiben, da im Erziehungswesen ein enormer Kräftemangel herrscht und so hätte man meinen können, dass sie ein zufriedener Mensch sein müsste, aber in ihrem Privatleben sah es nicht so prickelnd aus, sondern schon seit Monaten gab es dort immer wieder Ärger. Sie war manchmal nahe dran, Schluss zu machen, schaffte es aber letztlich nicht, weil „er" ihre erste Beziehung war und sie es nicht „leichtfertig" aufgeben wollte.

Dabei hätte die Situation hinreichend Rechtfertigungsgründe geboten. Rolf Gustavsen war bereits 30 Jahre alt und arbeitete als Softwareentwickler von zu Hause aus, studierte auch an der Akademie, kam dort aber nicht weiter, weil ihm seine Eitelkeit im Weg war.

Nachdem er festgestellt hatte, dass Lehrjahre keine Herrenjahre sind und man nicht aus dem Stand ein berühmter Künstler werden kann -- auch Leonardo da Vinci, hatte der Professor beispielhaft ausgeführt, musste lange Vorstudien machen, bevor er ein Meisterwerk schuf und auch dieses Genie erlebte seine Pleiten -- hatte Rolf seine Hoffnungen auf ein scheinbar leichteres Gebiet gerichtet: das Programmieren. Er hatte auch durchaus ein Händchen dafür, wurde aber manchmal über Monate nicht für eine bereits geleistete Arbeit bezahlt (die Zeiten, in denen man mit Software reich werden konnte, sind generell vorbei und Programmieren ist ein Job wie jeder andere geworden), musste sich um so mehr anstrengen, um überhaupt noch Geld hereinzubekommen und hing oft die ganze Nacht vor dem PC, allerdings nur teilweise beruflich und immer öfter privat. Wenn er dann Morgens schlafen ging, stand Julia auf.

Für ihn passte dieses Arrangement, aber Julia war mehr als unzufrieden, unter anderem, weil Rolf zu den Vorlesungen immer seltener erschien und auch im Haushalt keinen Finger rührte, ebenso weil er sich nach den erwähnten Rückschlägen in seine „depressive Phase" verkrochen hatte und seither generell nicht vorwärts kam. Das hatte sie auch schon offen angesprochen und wahrscheinlich zu offen für Rolfs Geschmack, denn wenn sie es sagte, flogen die Fetzen.

Hinterher tat es ihm dann leid -- sagte er zumindest -- aber die Schmerzen, die er Julias Seele zufügte, heilte das natürlich nicht.

Ausziehen und sich eine neue Wohnung suchen, falls er so etwas überhaupt je in Erwägung gezogen hatte, konnte Rolf nicht, weil es niemand anderen gab, der ihn so geduldig ertragen hätte und fürs Alleinleben hatte er kein Geld. Seine Rechnungen konnte er gerade noch bezahlen, aber einen Überschuss zu erwirtschaften, aus dem er z.B. die Mietkaution für eine Singlewohnung hätte aufbringen können, war nicht drin und so versuchten beide aus unterschiedlichen Motiven, „irgendwie" die Beziehung zu retten. Logisches Zu-Ende-Denken hätte ihnen sagen können, dass so etwas nicht funktioniert, aber noch wollten sie es nicht wahrhaben.

Der Rettungsversuch bestand vor allem darin, die Wohnung aufzuteilen. Sie hatten das gemeinsame Schlafzimmer aufgelöst, Julia schlief nun im Wohnzimmer auf einem grossen Liegesofa und Rolf im ehemaligen Schlafzimmer, wo er zugleich sein „Arbeitszimmer" eingerichtet hatte. Das wirkte selbst für sie nicht optimal, aber sie wollten es probieren, weil Rolf zuvor in einem winzig kleinen Raum, der ursprünglich als Abstellkammer gedacht gewesen war, die Nächte am PC verbracht hatte und kaum je herausgekommen war. Vielleicht würde die jetzige Aufteilung ja zur Entspannung beitragen?

Nötig war Entspannen jedenfalls, denn Rolf hatte im Streit schon Sachen kaputtgemacht, um genau zu sein den Wäscheständer und den Wasserhahn, was allerdings kostenfrei repariert worden war und zwar von Helmut Brandauer, Julias Chef bei den Berufsorientierungsveranstaltungen, der sein eigenes Berufsleben als ausgebildeter Handwerker begonnen hatte.

Er war 41, beeindruckende 1,98 m gross, geschieden, zwei Kinder. Man kannte sich über Julias Eltern, hatte sich immer gut verstanden und Helmut half gerne, ja er hatte Julia vor einigen Monaten sogar vorgeschlagen, für ihn zu arbeiten, nachdem er ihr Potenzial erkannte und sie hatte gezögert, weil sie in ihrer Schüchternheit fürchtete, dass die anderen Mitarbeiter glauben, sie hätte nur wegen ihrer Bekanntschaft mit Helmut den Job bekommen und darum würde man sie „nicht mögen".

„Unsinn, Mädchen, du kannst es doch!", hatte er schliesslich ausgerufen und sie damit überzeugt.

Manchmal war Helmut in der Arbeit schlecht gelaunt gewesen und eine Kollegin von Julia, die in ihrem Alter war, aber mittlerweile den Job aufgegeben hatte, wollte sie gegen Helmut aufhetzen, aber darauf hatte Julia sich klugerweise nicht eingelassen, weil ihr eine Freundin gesagt hatte, dass das totaler Unsinn wäre, denn einerseits sässe Helmut im Zweifelsfall am längeren Hebel, ausserdem hätte jeder mal einen schlechten Tag und reagierte dann übellaunig oder cholerisch.

Zwar konnte der Chef böse werden, wenn man ihn reizte, war aber ansonsten ein ruhiger Typ, der mit beiden Beinen im Leben stand und damit hob er sich wohltuend von etlichen jüngeren Leuten ab.

Auch von Rolf. Der hatte im Streit sogar schon einmal Kartoffeln nach Julia geworfen und Helmut hatte ihr daraufhin vertraulich angeboten, einzuschreiten, falls wieder etwas Derartiges vorkäme, aber Julia hatte das zurückgewiesen, weil sie glaubte, alleine damit fertig werden zu müssen. Helmut gab ihr dennoch recht und stand ganz auf ihrer Seite, „wenn ich es denn darf", hatte er ironisch hinzugefügt.

Er hatte auch keine Gewissensbisse, mit ihr anzubändeln, eben weil er um die schwierige Situation ihrer Beziehung wusste und glaubte, dass Julia jederzeit das Recht hätte, ihrem „Noch-Freund", wie er es ausdrückte, einen Tritt zu geben.

Auch umgekehrt sah es aus, als fehlte nicht mehr viel, denn als Julia ihm von der Wohnungsaufteilung erzählte, meinte Helmut sofort, dann könne er ja demnächst mal abends auf ein Gläschen bei ihr vorbeikommen und wenn Julia nicht so schüchtern gewesen wäre, hätte sie sich auch eingestanden, dass sie diesen Mann attraktiv fand, aber sie war ein sehr treuer Mensch und verbot sich „solche Ideen".

II.

Es hatte vor nunmehr vier Jahren begonnen.

Der einsachtzig grosse Rolf hatte die damals erst siebzehnjährige und leicht zu beeindruckende Julia, die als Erstsemester an der Akademie erschienen war, während der Vorlesung ununterbrochen angestarrt und sie hatte sich geradezu dafür geschämt und sich kaum noch konzentrieren können.

Mehr war an diesem einen Tag nicht passiert, aber im Kopf unserer Freundin waren ihr diese Blicke nach Hause gefolgt und hatten romantische Ideen geweckt.

Bei der dritten „gemeinsamen" Vorlesung hatte er sie angesprochen.

Dem Klischee nach muss der Mann die Frau betrunken machen, um ihr näher zu kommen -- oh heilige Einfalt! Wozu immer auf Alkohol zurückgreifen? Es genügte, was schon der grosse Robert Musil zu seiner Zeit beobachtet hat, nämlich dass Rolf Julias Fantasie erregte, bis sie auch ohne einen Tropfen geistiger Getränke ganz wirr im Kopf wurde und sich schliesslich seiner Umarmung hingab.

Wenn er sie nur für eine Nacht ins Bett hätte haben wollen, wäre damit sein Ziel erreicht gewesen, aber er fühlte sich auch nach dem Orgasmus noch von ihr fasziniert und meinte es zumindest damals aufrichtig.

Julia, unerfahren, wie sie war, hatte sich ihrerseits an dem neun Jahre älteren Mann festgeklammert und sich vorgemacht, das sei Liebe.

In vier Jahren jedoch verändert sich eine Beziehung, auch wenn die Beteiligten das gar nicht wollen und das kann zum Guten oder zum Schlechten sein.

Zum Guten entwickelt sich zwischen den Partnern, die sich in dieser Zeit intensiv kennen lernen, eine Harmonie, die ihre Liebe reifen lässt und sie stärkt; zum Schlechten wird man einander überdrüssig und

geht sich gegenseitig auf die Nerven oder ödet einander an, was ebenso grauenhaft ist, denn in beiden Fällen kann von Harmonie keine Rede mehr sein, erst recht nicht von Liebe und Zärtlichkeit oder von Geborgenheit gegen die Stürme der Welt.

Schliesslich gibt es Abstufungen zwischen diesen beiden Extremen und Julia und Rolf standen auf einer der absteigenden Stufen: während er die ideale Balance gefunden zu haben glaubte und daran festhalten wollte, fühlte sie sich gefangen, ohne es sich einzugestehen und wollte ausbrechen.

Wenn sie nur gewusst hätte, wohin!

Die materiellen Bedingungen ihres Lebens waren simpel und schon mehrfach durchgerechnet, was keine kleine Leistung ist, wenn man bedenkt, wie viele andere Menschen an den Grundrechenarten scheitern, aber zu einer Flucht nach vorne, um aus einer gescheiterten Beziehung herauszukommen, war sie nicht bereit.

„Das ist dein Unsicherheitsunsinn", hatte eine etwas ältere Freundin das Problem einmal auf den Punkt gebracht und das nötige Selbstvertrauen, um diese Unsicherheit oder wenn man so will, diesen „toten Punkt" in ihrem Leben zu überwinden, fehlte Julia.

Noch.

Dass die derzeitige Situation nicht ewig andauern würde, war also klar, aber was kam danach? Würde die junge Frau, egal wie, einen Schritt vorwärts machen und einen Befreiungsschlag riskieren oder würde sie kläglich dahinwelken und vergehen?

Weniger poetisch ausgedrückt: Wenn sie nicht aus diesem Gefängnis herauskam, würde sie vor der Zeit altern, schon mit 30 verbittert und zynisch sein, ihre natürliche Schönheit wäre verflogen, ja vielleicht würde sie sogar in die Fänge der Politik geraten und dort unzähligen anderen Menschen Schaden zufügen.

Julia war noch nicht so weit, derart langfristig vorauszudenken, ahnte diese Möglichkeiten aber instinktiv und verzweifelte um so mehr daran, je dunkler und unklarer die Ahnungen waren.

In dieser Lage hatte sie sich geradezu isoliert, ging nur noch bei der Arbeit mit den Jugendlichen aus sich heraus und nach jedem Streit mit Rolf erschien sie morgens müde und mit verweinten Augen an der Akademie.

Rolf wirkte allerdings in letzter Zeit sogar zu träge zum Streiten, es war, als hätte er Julia gebrochen und nun lebten sie nebeneinander her wie ein verbittertes altes Ehepaar.

Manchmal, wenn Julia die Hausarbeit erledigt hatte -- natürlich allein -- suchte sie Zuflucht in langen Spaziergängen, streifte einsam durch die Isarauen, ohne etwas von der Schönheit ihrer Umgebung wahrzunehmen und sogar das Handy hatte sie dann nicht bei sich, was für Menschen ihrer Generation fast undenkbar erschien.

Immer wieder wälzte sie die Situation in ihrem Kopf hin und her, die Schmerzen darüber, in einer Beziehung festzustecken, die nicht funktionierte, mit einem Mann, der ihr keinen Respekt entgegen brachte, den Schmerz auch über ihre Einsamkeit und Verbitterung, die nach einem Ventil suchten, den stummen Schrei nach Trost...

„Er ist ein Scheisskerl", sagte einmal eine unerwartete Stimme neben ihr und Julia erschrak bis ins Mark, denn im ersten Moment glaubte sie, mit sich selbst gesprochen zu haben.

Das stimmte jedoch nicht, sondern zwei Mädchen im Alter von vielleicht fünfzehn Jahren fläzten sich auf einer Bank und eine von ihnen hatte jenen Spruch gebracht, als Antwort auf was auch immer.

Jetzt starrten die beiden Julia, die mit glühend rotem Gesicht stehen geblieben war, zuerst irritiert und dann mit frecher Herausforderung an, bis sie sich abwandte und mit schnellen Schritten flüchtete.

Sie hörte noch das spöttische Kichern hinter sich.

Später sollte selbst ihr diese Reaktion übertrieben vorkommen. Wegrennen vor zwei albernen Teenagern!

Wenn sie nicht ziellos herumwanderte, bestand ihr Privatleben darin, einsam vor dem Fernseher zu sitzen und wahllos durch die Kanäle zu zappen, bis ihr schliesslich die Augen zufielen. Dabei konnte sie sich manches, was nach Romantik aussah, schon gar nicht mehr ansehen und suchte doch immer wieder nach einer Ablenkung oder vielleicht einer Abhilfe, wobei sie einmal bei einem so genannten „Beziehungsratgeber" in bitteres Lachen ausbrach, das durch die ganze Wohnung hallte.

Rolf hatte es nicht einmal für notwendig gehalten, aus seinem Zimmer zu kommen und nachzusehen, was los war.

Auch nicht, als Julias Lachen schliesslich in Tränen überging. Verdammte Axt, sie kannte doch alle diese Ideen, kannte die Ratschläge: sich wieder aufeinander einzulassen, dem Anderen einen Vertrauensvorschuss zu geben und so weiter und so weiter.

Dann waren da Empfehlungen wie das Smartphone abzuschalten (!), um weniger von der Technik gefangen zu sein und mehr Zeit füreinander zu haben; wobei das Problem auftauchte, dass manche Leute dank Technik gar keine Beziehung mehr wollten, weil ihnen ein Partner, sei es auch das schönste, klügste und gebildetste Wesen der Welt, weniger interessant erschien als eine neue App -- eine Konkurrenzsituation, wie es sie in früheren Jahrtausenden nicht gegeben hatte und bei der also z.B. ein Ratgeber aus dem Zeitalter der deutschen Romantik nutzlos war.

Julias Problem dabei: Sie wollte keine App, sondern einen Mann. Wenn Rolf sie betrogen hätte -- oh, dafür gab es jede Menge guten Rat und vielleicht wäre das sogar besser gewesen als seine blöde Passivität, hätte wenigstens einen Ansatzpunkt geboten und Eifersucht war immerhin irgendein starkes Gefühl. Aber immer nur diese verfluchte Öde?

Sie kannte auch die Alternative, wenn alles andere nicht mehr half. Die meisten „Ratgeber" taten so, als

könnte mit ihren Tipps nichts mehr schief gehen, aber einige waren auch ehrlich genug, um ein Scheitern in Erwägung zu ziehen und die Konsequenz zu formulieren: Schluss machen.

Julia konnte sich nicht verhehlen, dass auch das einen gewissen Reiz hatte.

„Du bist gerade mal 21", flüsterte es bei solchen Gelegenheiten in ihrem Kopf. „Willst du dein ganzes Leben so verbringen? Diesen Schmarotzer durchfüttern, bis du achtzig bist und dann sterben?"

Sterben, ohne gelebt zu haben, ohne Liebe, ohne wenigstens ein bisschen Glück...

Andere Männer hätten bereit gestanden, wenn sie Rolf den Laufpass gäbe, so viel war ihr klar. Aber Julia liebte nun einmal Rolf, sagte sich das immer wieder vor, als ob es dadurch besser werden könnte.

III.

Diese Situation wäre von Natur aus eben nicht mehr besser geworden und zusätzlich sollte in Rolf doch wieder eine gewisse Eifersucht angefacht werden, als Helmut in der Wohnung erschien, um die Reparaturarbeiten auszuführen, denn dabei lieferte er sich einen indirekten Konkurrenzkampf mit Rolf, den er für einen Versager hielt.

Es begann mit einem schlichten „Tag, Brandauer. Ich komme wegen dem Wäscheständer", als Rolf die Tür öffnete und schon aus diesen Worten sprach unterschwellige Verachtung.

„Ja, da drüben", erwiderte Rolf, leicht eingeschüchtert, mit einem unbestimmten Wink in die betreffende Richtung.

Es wurde zuerst gar nicht über ein anderes Thema geredet, sondern Helmut machte sich an die Arbeit und Rolf setzte sich wieder an den Computer, aber als Julia vom Einkaufen zurückkam, begann eine Lunte zu brennen.

Sie hatte wohl gewusst, dass Helmut sich an diesem Nachmittag für sie freigenommen hatte, war aber mit ihren Gedanken woanders gewesen und deswegen im ersten Moment überrascht, als sie das Klopfen und die Schraubgeräusche aus dem Wohnzimmer hörte.

Dann hatte sie ein freundliches und gleichzeitig dankbares Lächeln für ihren Chef, was dieser mit einem fast schon anzüglichen Grinsen erwiderte, das wiederum liess Julia für einen Moment erstarren, ehe sie sich mit einer leichten Verlegenheit abwandte und ihre Einkaufstaschen in die Küche brachte.

Als sie wieder ins Wohnzimmer kam, hatte Helmut seine Arbeit beendet und sah sich noch einmal gründlich im Raum um, nachdem er ihn bereits beim Betreten flüchtig gemustert hatte.

Er stand jetzt vor der Schlafcouch und strich mit der Hand über die Decke, in die sich Julia nachts hineinkuschelte, um die Einsamkeit auszusperren.

„Er verdient dich doch gar nicht", sagte er dann mit vollkommen ruhiger Stimme, was aber auf Julia wirkte wie ein Kanonenschuss.

Dann trat er einen Schritt näher an sie heran und senkte die Stimme.

„Oder anders ausgedrückt: Du verdienst etwas Besseres als diesen Versager."

In Julias Körper kribbelte jetzt alles. Wieso bloss?

Sie hatte die Redensart „mit den Augen ausziehen" bisher für leere Worte gehalten, aber dieser Mensch machte sie zur Realität, indem sich seine Blicke förmlich durch den Stoff ihrer Kleidung zu brennen schienen -- oder bildete sie sich das nur ein?

Jedenfalls war das etwas völlig anderes als die Art, wie Rolf sie damals angesehen hatte -- ach, damals...

Dann riss sie sich zusammen, versuchte verzweifelt, nicht die Beherrschung zu verlieren.

„Hör auf", flüsterte sie.

„Ich weiss genau was du meinst, aber bitte hör auf damit."

„Aufhören womit?"

In Helmuts immer noch gedämpfter Stimme lag jetzt eine unverkennbare Herausforderung.

„Aufhören, es zu sagen? Aufhören, es zu denken? Aufhören, dich da rauszuholen?"

Julia schluckte und krallte ihre Fingernägel in die Handflächen, um nicht zu schreien.

Schreien? Ja, sie wollte jetzt schreien, dass er recht hätte, wollte sich ihm in die Arme werfen, Rolf zum Teufel jagen...

„Mit allem", brachte sie schliesslich hervor.

In diesem Moment erschien Rolf wieder im Raum.

„Oh, hallo Schatz. -- Brauchen Sie noch lange, Herr Brandauer?"

Julia wandte sich ab, konnte ihren Freund in diesem Moment nicht ansehen.

„Ich bin fertig", erwiderte Helmut mit einer Mischung aus Spott und Verachtung und nahm seine Werkzeugtasche auf, wandte sich dann wieder an Julia.

„Dann machs mal gut, Kleines. Morgen mittag um drei in der Klasse?"

An Julias zuerst zögernder, dann hastig hervorgestossener Antwort „Klar, bis morgen" und ihrem immer noch geröteten Gesicht hätte selbst der Dümmste gemerkt, dass die Anwesenheit ihres Chefs sie nicht kalt liess.

Auch hier jedoch reagierte Rolf nur langsam und verdrängte die Vorstellung, dass dieser „alte Sack" überhaupt eine Konkurrenz darstellte, spätestens in dem Moment wieder, in dem sich die Tür zum Treppenhaus wieder hinter Helmut schloss.