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Familie Undercover 01/12: Bewerbung

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Das hätte es einfacher machen sollen. Abhaken und hassen. Seltsamerweise war das nicht der Fall. Ich hätte schreien können, aber darunter lauerte ein Heulkrampf. Ich hasste es, wenn ich heulen muss! Das tun nur kleine Mädchen. Also saß ich da, schnaufte mühsam vor mich hin, und murmelte lautlos: „Mike Linnemann als Vater -- Nul Points" vor mich hin.

„Ich freue mich wirklich, dass wir uns so gut verstehen." Mikes Stimme klang zufrieden. „Ich gehe davon aus, du kriegst den Job, wenn du willst."

„Mhm, gut." Valerie kicherten albern. „Das ist ganz schön aufregend für mich."

„Du magst das, hm? Das hier auch?"

Ein scharfes Keuchen. Ich spähte über die zersplitterte Einfassung der Falltür. Mike hatte eine Hand auf ihre linke Brust gelegt und streichelte sie.

Das hielt ich keine Sekunde länger aus. Ich tastete mich blind die Stufen hinab, einen Schrei in der Kehle und ein Bleigewicht im Magen. Diese Version der Ereignisse hatte ich nicht vorhergesehen, und das überforderte mich total. War mein Vater tatsächlich so notgeil, dass er beim Vorstellungsgespräch an einer Praktikantin rumfummeln musste?

Dass er sich das überhaupt traute! Jeffrey Epstein saß schließlich gerade im Knast, der Skandal war seit Wochen in allen Medien. Auch Epstein hatte seine Macht ausgenutzt, um junge Mädchen ins Bett zu zwingen. Ich hatte angenommen, dass viele andere Schweine nun vorsichtiger wären. Anscheinend hatte ich zumindest eines gefunden, das unbeeindruckt weitermachte. Darüber würde ich heulen. Später mal, irgendwann. Vielleicht. Obwohl -- eher nicht. Fluchen war befriedigender.

Ich taumelte ins Sonnenlicht hinaus und brauchte ein paar Sekunden, um mich wieder einzukriegen. Es war noch offen, ob das der schönste Tag meines Lebens oder mein schwärzester Alptraum werden würde, doch eine gewisse Tendenz in eine Richtung ließ sich nicht leugnen. So eine obermiese Kacke! In knapp zwei Stunden würde ich ihm gegenübersitzen und seine Fragen beantworten müssen. Dabei würde mir wahrscheinlich die ganze Zeit im Kopf herumgehen, wie er Valerie begrabschte.

Mit hochgezogenen Schultern stapfte ich um den Bergfried herum, auf die Rückseite der Anlage. Hoffentlich fand sich da ein ruhiges Plätzchen, um in Ruhe nachzudenken. Vielleicht sollte ich einfach gehen? Nicht zum Gespräch erscheinen, sondern abhauen. Nie wieder versuchen, mit meinem Vater überhaupt...

Ich kam um die Ecke, riss die Augen auf und stoppte, als sei ich gegen eine Glaswand gelaufen. Ein Mädchen lag da vor mir auf einem Liegestuhl in der Sonne. Sie hatte nur ein rotes Bikini-Höschen an. Das Oberteil und ein Shirt lag neben ihr, achtlos ins Gras geknüllt. Hübsch, war mein erster Gedanke. Sie sonnte sich nicht das erste Mal oben ohne. Nicht der Hauch einer Bräunungslinie zog sich um die süßen Brüste, ein wenig kleiner als meine. Sie hatte ganz dunkle Nippel, die gut zu ihrer schwarzen Haarmähne und der tiefgebräunten Haut passten.

„Oh, hallo." Sie hatte mich bemerkt und blinzelte in die Sonne, während sie sich auf die Ellenbogen hochstemmte. Ihre Augen leuchteten in einem ungewöhnlich tiefen Blau. „Bist du die Praktikantin?"

„Vielleicht." Ich zuckte die Achseln und zwang ein Lächeln auf meine Lippen. „Mein Bewerbungsgespräch ist nachher, um zwei. Ich bin ein wenig früher dran gewesen und dachte, ich schau mir schon mal die Burg an."

„Dieses Gemäuer wird nie bis nächstes Jahr fertig." Sie legte sich zurück und streckte sich mit einem lasziven Gähnen. „Und wenn man fertig ist, kann man gerade von vorne beginnen. Vergebene Liebesmüh, wenn du mich fragst."

Das war Mara, meine Halbschwester. Offenbar machte es ihr nicht das Geringste aus, dass eine Fremde sie halbnackt sah. Das wunderte mich nicht -- ihre Bilder und Videos zeigten eine alarmierende Schamlosigkeit. Ich hatte ihr Instagram-Profil aufgestöbert und so oft durchgeschaut, dass sie mir fast wie eine alte Freundin vorkam.

Aber offiziell durfte ich sie ja noch nicht kennen. „Arbeitest du auch hier?", fragte ich harmlos.

Sie lachte. „Wie man´s nimmt. Ich wohne bis Oktober hier und werde ständig zu irgendwelchen Arbeiten verdonnert. Jetzt gerade, zum Beispiel, bin ich beim Rasenmähen."

„Aha." Ich sah mich um. Ein roter Rasenmäher wartete an der Hauswand. Ein uraltes Modell, dezent angerostet.

„Du sprichst nachher mit meinem Vater." Sie zwinkerte zu mir hoch. „Er sucht sich jeden Sommer ein paar Praktikanten für die Drecksarbeit. Verlang lieber gleich das Doppelte an Lohn."

„Gute Idee." Ich musste ein hysterisches Kichern unterdrücken. Drecksarbeit war genau der richtige Ausdruck. Valerie erfuhr das wahrscheinlich gerade jetzt. „Und was machst du ab Oktober?"

„Studieren." Sie gähnte wieder. „Allerdings habe ich noch keinen Plan, was genau. Ist doch auch nicht so wichtig, oder?"

„Und dein Vater akzeptiert das?"

„Quatsch! Ich habe ihm gesagt, ich hätte mich schon für BWL eingeschrieben. Das findet er toll, weil man da viel Geld verdient." Sie lachte silberhell.

Ich stimmte ein, obwohl mir nicht nach Lachen zumute war. Ein ganz schönes Früchtchen. Meine Halbschwester schien es faustdick hinter den Ohren zu haben. Doch dann fielen mir verschiedene Eskapaden ein, die ich mir in letzter Zeit geleistet hatte. Wahrscheinlich war ich nicht in der Position, um sie zu verurteilen, wenn sie den Weg des geringsten Widerstands ging.

„Mara? Wo bist du denn? Mara! Ah, da... oh!"

Ein junger Mann bog von der anderen Seite um die Ecke des Burggebäudes und fuhr zusammen, als er uns sah. Joss, ganz offensichtlich. Hatte ihn mein Anblick so geschockt, oder den der nackten Titten seiner Schwester?

„Mein Bruder Joss." Mara schwenkte ihre Hand hin und her, eine Geste aristokratisch gelangweilter Höflichkeit. „Die neue Praktikantin. Oder Bewerberin dafür."

„Hi", nickte ich neutral und betrachtete meinen Halbbruder. Er war groß, über einsneunzig, schätzte ich, und dünn wie ein Stecken. Er trug ein Poloshirt und eine knapp knielange Hose. Die Waden darunter erinnerten mich an die von Thomas Müller, dem Fußballspieler. Sehnig und durchaus trainiert, aber so dürr, als ob er eine längere Hungersnot hinter sich hätte.

Er hatte die Augen seine Schwester, auch dieses Tiefblau. Damit musterte er mich ebenso interessiert und nickte zurück. Dann wandte er sich an Mara. „Wolltest du nicht den Rasen mähen?"

„Mache ich doch!" Sie wies auf das Gras ringsum. „Ich nehme gerade mentalen Kontakt mit der Wiese auf, um die richtige Mähstrategie zu entwickeln. Meditation, mein Lieber!"

„Und dazu musst du halbnackt sein?" Er verzog die Mundwinkel in einer abschätzigen Weise und blickte an der Nase entlang auf ihren bloßen Busen herab.

„Ach, komm schon, Joss. Sei doch nicht so ein Spießer." Sie hielt sich eine Hand als Beschattung über die Augen. „Entspann dich. Es ist so ein schöner Tag."

Joss stieß ein verächtliches Geräusch aus. „Mach, was du willst. Ich wollte dich nur fragen, ob ich deinen Roller heute Abend haben kann. Mama braucht das Auto, und ich will rüber nach Röchelsdorf."

„Meinen Roller? Schon wieder?"

„Du brauchst ihn doch nicht, oder? Du wolltest heute Abend backen, dachte ich."

„Ja, schon." Sie seufzte und blinzelte zu mir. „Mein Bruderherz musste seinen Golf verkaufen, weil er sich an der Börse verzockt hat. Jetzt braucht er mich, um von diesem Steinhaufen runterzukommen."

Joss stemmte die Hände in die Hüften und verzog das hagere Gesicht zu einer Grimasse. Eigentlich sah er nicht schlecht aus, aber anscheinend war er notorisch schlechtgelaunt.

„Was ist nun mit dem Roller?", fragte er unwirsch.

„Ach, ich weiß noch nicht. Lass uns später darüber reden, ja?"

„Hm!" Sein Blick bekam etwas Lauerndes. „Lass uns lieber jetzt darüber reden, ich muss Ritchie Bescheid geben, ob ich dabei bin."

„Ich habe aber keine Lust", versetzte Mara und schloss die Augen wieder. „Muss weitermeditieren."

„Vielleicht weiß ich aber was, das du nicht weißt, aber dringend wissen solltest."

„Hm?" Bei dieser hämischen Bemerkung setzte Mara sich sofort auf und sah ihren Bruder alarmiert an. Offenbar war das eine Art Code. „Was ist los?"

„Der Roller?"

„Jaja, schon klar. Du kannst ihn haben. Jetzt sag schon!"

„Mama hat sich gerade die Kamera genommen und macht jetzt Bilder. Du weißt schon, für ihr neues Buch. Demnächst kommt sie sicher hier um die Ecke, Schwesterherzchen. An deiner Stelle würde ich dann nicht mehr nackig rumliegen, sondern ehrliche Arbeit vorschützen."

„Oh, Scheiße!" Sie rappelte sich auf. „Danke für die Warnung, Joss."

„Immer gerne. Danke für den Roller." Er warf mir noch einen langen Blick zu und trollte sich. Mara schnappte sich das Shirt und zog es über. Dann trug sie die Sonnenliege zur Mauer und fuhr den Rasenmäher auf das Gras.

„So." Sie lehnte sich an den Griff und strich sich die Haare aus der Stirn. „Jetzt kann meine Mutter kommen. Ich bin am Arbeiten, oder?"

„So ungefähr", kicherte ich. „Ist dein Bruder immer so verkniffen drauf?"

„Joss?" Sie lachte. „Nicht immer, aber immer öfter, wie es so schön heißt. Er hat gerade die Ausbildung abgeschlossen und mein Vater hat ihn gezwungen, den Sommer über hierher zu kommen und mitzuhelfen, bevor er sich einen Job sucht. Du kannst dir vorstellen, wie viel Lust er darauf hatte."

„Verstehe." Ich verarbeitete dieses weitere Detail zum Verhalten meines Vaters. Er verknackte also seine eigenen Kinder als billige Arbeitskräfte und holte sich dazu eine Praktikantin als Sex-Proviant für den Sommer? Das wurde ja immer schöner.

Da richtete Mara sich auf und lauschte. Schritte kamen näher. „Wie heißt du eigentlich?", fragte sie mich gedrängt.

„Siena. Warum?"

„Ach, nur so..."

„Mara? Hast du schon angefangen mit dem Mähen?"

Eine dunkelhaarige Frau im Sommerkleid kam um die Ecke, einen Fotoapparat in der Hand. Die Ähnlichkeit mit Mara und Joss war nicht zu übersehen. Schwarze Haare, dunkler Teint, und ebenfalls diese Augen in der Farbe eines Alpensees.

„Hallo Mama." Meine Halbschwester gab dem Mäher einen Tritt. „Ich kriege das blöde Ding einfach nicht an. Seit einer halben Stunde fummle ich an dem Ding rum. Ich wäre schon halb fertig, wenn es laufen würde. Ah -- das ist übrigens Siena. Sie bewirbt sich um die Praktikantenstelle."

„Hallo Siena." Sie nickte mir neutral zu. „Schön, dass du hier bist."

„Hallo, Frau Linnemann", gab ich höflich zurück. Mein Vater besaß offenbar einen ausgezeichneten Geschmack, was Frauen betraf. Meine Mutter war hübsch gewesen, und seine Gattin Silvia war es nicht minder. Mittelgroß und sehr schlank, fast fragil, doch mit ausgeprägten weiblichen Formen. Die üppigen Brüste hingen ein wenig tief, doch in früheren Jahren musste sie eine ausgesprochene Schönheit gewesen sein. Kein Wunder, dass Mara so toll aussah.

„Hm." Silvia legte den Kopf schräg und musterte mich von Kopf bis Fuß. Ich fühlte mich wie unter einem Nacktbild-Scanner am Flughafen. „Du bist sehr hübsch, Siena."

„Oh, danke", stotterte ich. Kannte sie ihren Mann? Befürchtete sie, dass er mich... Mit Macht kämpfte ich gegen das irre Gackern, das sich in meiner Kehle nach oben drängte.

„Dürfte ich dich um einen Gefallen bitte?" Jetzt lächelte sie mich warm an.

Das rief sofort meine Wachsamkeit auf den Plan. „Um was denn?", fragte ich vorsichtig.

„Ein Foto von dir." Sie hielt das Gerät hoch. „Ich bin Schriftstellerin und arbeite gerade an einer neuen Geschichte. Einem historischen Roman. Die Tochter des Barons hatte ich mir ungefähr so vorgestellt wie dich: Mit großen Augen und langen, blonden Haaren."

„Ah." Ich nickte und wusste nicht, was ich davon halten sollte.

„Beim Schreiben ist es einfacher, wenn einen die Hauptfiguren anschauen", erklärte sie mit einem milden Lächeln. „Ein paar Fotos von dir würden mir sehr helfen."

Für einen Augenblick erwog ich, die Zustimmung von einer Zusage für das Praktikum abhängig zu machen. Ein schlechtes Gewissen musste ich nicht haben -- in dieser Familie nahm offenbar jeder, was er brauchte. Oder wollte. Doch ich kannte Silvia zu wenig. Ich konnte nicht einschätzen, wie sie darauf reagieren würde.

„Klar. Kein Problem." Ich schenkte ihr ein strahlendes Lächeln. „Wow. Es ist das erste Mal, dass ich als Bildvorlage für eine Romanheldin arbeite."

„Der Beginn einer großen Karriere!", warf Mara ein und feixte. „Du solltest erst ein Honorar raushandeln."

„Komm hier rüber, bitte. Vor den Turm." Silvia ignorierte ihre Tochter und gab mir Regieanweisungen. „Stell dich da hin. Schau in die Ferne, da rüber. Ja, genau so. Denk an jemand, den du vermisst. Den du sehnsüchtig erwartest."

Ich kannte niemand, den ich sehnsüchtig erwartete. Mein Vater, bisher, aber da war ich mir gerade nicht mehr sicher. Also dachte ich an meine Mutter. Versuchte, mich an ihr Gesicht zu erinnern. An ihr Lächeln, wenn sie mich ansah. Mich hat nie wieder jemand so weich angelächelt, seitdem sie tot war...

„Perfekt!" Ein Knipsen. „Einfach perfekt! Bleib so, bitte." Weitere Kamerageräusche.

„Wow", hörte ich Maras beeindruckte Stimme.

„Hm?" Ich wandte den Kopf. Mara sah mich aus großen Augen an, während ihre Mutter die Bilder auf dem Display durchsah, einen Ausdruck höchster Konzentration im Gesicht.

„Mama hat recht. Du bist wirklich superhübsch, Siena."

„Danke." Ich konnte nicht lächeln. Zu viele gegensätzliche Impulse, Gedanken und Gefühle wirkten gerade auf mich ein. Ich fühlte mich wie Plastikabfall, der in der Hand zusammengeknüllt wurde, immer dichter. Diese Familie nahm mir die Luft zum Atmen.

„Das ist perfekt." Silvia sah hoch. „Du bist perfekt, Siena! Das ist genau die Art, wie ich mir Melisande vorgestellt habe. Stell dich bitte mal da drüben hin, an die Mauer."

Wie betäubt folgte ich der Aufforderung. Wo war ich hier nur hingeraten? Und ich hatte gedacht, nach den sechs Jahren auf Internat Wikkelsheide könnte mich nichts mehr erschüttern. Silvia kommandierte mich herum wie eine Statistin, und ich tat einfach, was sie wollte. Dabei sollte ich doch eigentlich böse auf sie sein. Immerhin war sie diejenige, zu der Mike damals zurückging und meine Mutter und mich sitzenließ.

„Wunderhübsch." Silvia sah nicht mich an, sondern ihre Fotos. „Jetzt noch ein paar Aufnahmen innen, in der Burg. Im Rittersaal, das wäre hübsch."

„W-was?" Das riss mich aus der Betäubung. Sie wollte da rein? Wo ihr Mann gerade Valerie vernaschte? „Äh -- lieber nicht."

„Warum?" Ihre Augen gingen hoch und fixierten mich wie ein Laservisier. „Was ist los?"

„Ach, nichts", winkte ich ab und lachte fahrig. „Aber ich bin ein wenig aufgeregt wegen dem Vorstellungsgespräch nachher. Mir ist nicht ganz gut, und bei dem Gedanken, jetzt in so ein stickiges, altes Gemäuer reinzugehen, da..."

„Schon gut, kein Problem." Sie kam zu mir und legte mir die Finger um die Oberarme. „Bitte entschuldige. Ich vergesse mich selbst und alles um mich herum, wenn ich am Arbeiten bin. Willst du etwas trinken? Oder einen Happen essen?"

Ihre Sorge war ernst gemeint, das spürte ich. Gegessen hatte ich heute noch nichts, nur zwei Tassen Kaffee getrunken. Dennoch schüttelte ich den Kopf. Ich brachte jetzt bestimmt nichts runter.

„Gut", sagte sie. „Dann ruh dich ein wenig aus. Mara soll dir die Liege rüberstellen, in den Schatten. Ich geh zurück und drucke die Bilder aus."

„Ja, gute Idee!" Mara ließ den Rasenmäher stehen und schnappte die Liege. Ihre Mutter nickte und ging zurück zum Gutshaus. Dabei blätterte sie immer noch ihre Aufnahmen durch. Sah sie überhaupt, wo sie hintrat?

„Perfekt", kicherte Mara, als sie außer Sichtweite war, und schob die Liege an die Mauer des Turms. „Komm hierher und setz dich. Ich passe ein wenig auf dich auf. Das ist wichtiger als der Rasen."

„Bestimmt." Ich musste lachen und ließ mich auf die gespannte Textilfläche fallen. Die Mauer hinter mir fühlte sich hübsch rau an und ich rieb die verspannten Schulterblätter daran hin und her.

Mara schob sich neben mich. „So ist Mama immer, wenn sie an einem Buch arbeitet", murmelte sie und sah dabei in die Ferne. „Manchmal denke ich, ihre Romanfiguren sind ihr näher als ihre eigene Familie."

Ich gab ein nichtssagendes Geräusch von mir. Natürlich hatte ich mir sofort zwei von Silvias Werken bestellt, als ich herausbekam, dass die Ehefrau meines Vaters sich einen Namen als Verfasserin historischer Romanzen gemacht hatte. Sie veröffentlichte unter dem Pseudonym „Gwendolyn F. Hawke", und ich hatte „Sturm über den Niederlanden" und „Der Raubritter der Gerechtigkeit" gelesen. Nicht mein Stil, viel zu pathetisch. Aber offenbar gab es massenhaft Leuten, denen das gefiel. Die Amazon-Bewertungen standen bei vierkommasechs.

„Bist du sicher, dass du ein Praktikum in diesem Irrenhaus machen willst?", fragte Mara mich von der Seite. „Ich bin froh, wenn ich hier raus bin."

Sehr gute Frage! Wollte ich das?

„Ich muss Geld verdienen. Sonst kann ich im Herbst nicht studieren. Ich habe keine Familie mehr."

„Oh." Mara blinzelte betroffen. „Tut mir leid. Ich vergesse manchmal, dass es vielen Leuten schlimmer geht als mir. Ich habe zumindest eine normale Familie. Naja -- einigermaßen normal."

Einigermaßen normal, aha. Ein Vater, der sich an ein blutjunges Mädchen heranmachte, keine zehn Meter Luftlinie von uns entfernt. Eine Mutter, die völlig in ihre Fantasie abdriftete. Ein Bruder, der offenbar ein Geldproblem hatte und zu einem Job geknechtet wurde, den er hasste. Und sie selbst, immer einen großen Bogen um Arbeit und um ehrliche Antworten machend.

Dann fiel mir ein, dass dies ja auch der komplette Rest meiner Familie war. Zumindest auf dem Papier. Mutter war gestorben. Konrad, der Mann, den meine Mutter heiratete, als ich fünf war, hatte mich nie adoptiert. Und er hatte mir glasklar erklärt, dass er seine Pflichten mir gegenüber mit dem Schulabschluss als erfüllt ansah.

Blieb mein leiblicher Vater. Wenn ich mein Recht einforderte, dann hatte ich Anspruch auf einen Erbteil von meinem Erzeuger Mike. Dumm nur, dass der praktisch nichts mehr besaß, nach dem Konkurs seiner Baufirma vor vier Jahren. Ich kannte seinen Lebenslauf besser als meinen eigenen.

Mein Vater war ein Arsch, wie man es auch drehte und wendete. Doch warum hatte ich mich dennoch gerade vor ihn gestellt, völlig automatisch, und so verhindert, dass seine Frau ihn mit Valerie erwischte? Mit geschlossenen Augen grübelte ich über dieses Rätsel nach. Ich kam auf keine Antwort.

Stimmen, Lachen. Ich blinzelte und richtete mich auf.

Mike und Valerie kamen um die Ecke gebogen. Sie schlenderten eng nebeneinander. Ohne Berührung, aber viel fehlte nicht. Beide hielten an, als sie uns auf der Liege sitzen sahen.

„Hi, Paps." Mara wies auf mich. „Dein nächster Termin ist schon da."

„Oh?" Mike sah alarmiert zwischen mir und Valerie hin und her, dann blinzelte er auf seine Uhr. „Siena Wahrs? Hatten wir nicht vierzehn Uhr ausgemacht?"

„Tut mir leid", brachte ich heraus. „Bin ein wenig früher dran gewesen. Aber ich kann gerne solange warten."

„Kein Problem, kein Problem." Er lachte nervös. „Ich bringe nur noch kurz Valerie hinaus. Wir können gleich loslegen."

„Meine Tasche ist noch im Büro", gab Valerie zu bedenken und musterte mich kühl.

„Ach ja, richtig. Dann zuerst ins Büro. Komm mit."

Er nahm sie am Arm und zog sie an uns vorbei. Ich starrte ihm hinterher. Er schien sich nicht wohlzufühlen in seiner Haut. Geschah im recht! Aber warum fühlte ich sonst nichts? Gerade stand ich meinem Vater zum ersten Mal leibhaftig gegenüber. Ich hatte mit allem gerechnet: Tränen, Wut, Freude. Nur nicht mit dieser eigentümlichen Leere, die mich jetzt erfüllte.

„Im letzten Sommer hatten wir drei Praktikanten", raunte Mara und sah ihnen mit zusammengezogenen Augenbrauen hinterher. „Drei Jungs, für die großen Baustellen. Aber da war ich auch im Sommer in England, Sprachkurs fürs Abi. Und Joss hat gearbeitet. Dieses Jahr hat er uns und will offenbar nur eine Stelle besetzen, und zwar mit einer Frau. Ich habe die Liste gesehen, es standen nur weibliche Namen drauf."