Swipe, um zu sehen, wer jetzt online ist!

Junge Liebe Teil 11

Geschichte Info
Eine nicht ganz gewöhnliche Liebesgeschichte.
25.1k Wörter
4.65
60.8k
11

Teil 11 der 14 teiligen Serie

Aktualisiert 10/12/2022
Erstellt 01/04/2012
Teile diese Geschichte

Schriftgröße

Standardschriftgröße

Schriftabstand

Standard-Schriftabstand

Schriftart Gesicht

Standardschriftfläche

Thema lesen

Standardthema (Weiß)
Du brauchst Login oder Anmelden um Ihre Anpassung in Ihrem Literotica-Profil zu speichern.
ÖFFENTLICHE BETA

Hinweis: Sie können die Schriftgröße und das Schriftbild ändern und den Dunkelmodus aktivieren, indem Sie im Story-Infofeld auf die Registerkarte "A" klicken.

Sie können während unseres laufenden öffentlichen Betatests vorübergehend zu einem Classic Literotica® Erlebnis zurückkehren. Bitte erwägen Sie, Feedback zu Problemen zu hinterlassen oder Verbesserungsvorschläge zu machen.

Klicke hier

Junge Liebe

Kapitel 2

Eine Geschichte über die Jugend, die Liebe und erste Male.

© 2012/2013 Coyote/Kojote/Mike Stone

*****

Als Entschädigung für die lange Pause zwischen Teil 04 und Teil 05 des zweiten Kapitels gibt es diesmal so richtig was auf die Augen. Quantitativ, meine ich. Ob es qualitativ taugt, könntet ihr mir gerne sagen. ;-)

Die anderen Teile aus Kapitel 2 hatten so zwischen 6.500 und 8.500 Worte. Dieser hat 25.000. Man könnte ihn also auch als Teil 11 bis 13 (oder so) der Gesamtgeschichte betrachten. Es sind neun Subkapitel aus den Blickwinkeln von insgesamt sieben Personen. Aber irgendwie... erscheint es mir nicht richtig, ihn aufzusplitten.

Also... Have fun with it! ;-D

*****

XXII.

Renate Bübler spuckte beinahe den Schluck Kaffee wieder aus, den sie gerade genommen hatte, als ihr Enkelsohn Peter mit seiner Freundin in ihrer Küche erschien.

Sie hatte durch die geschlossene Verbindungstür zum hinteren Teil des Hauses gefragt, ob die Kinder vielleicht mit ihr frühstücken wollten, als sie die ersten Geräusche von dort hörte. Es war zwar reichlich spät dafür, aber sie nahm es mittlerweile mit der angemessenen Frühstückszeit auch nicht mehr so genau. Und außerdem war schließlich Urlaubszeit.

Die Rentnerin hatte sich für den Fall gestählt, dass die kleine, freche Blondine oder schlimmstenfalls sogar ihr Peter ein wenig... nun... unangemessen bekleidet erscheinen würden. Diese Sorge erwies sich als unbegründet, wenn man heutige Maßstäbe für angemessene Kleidung ansetzte.

Aber die beiden wohlbekannten Gesichter im Schlepptau des Paares waren eine gehörige Überraschung. Und zwar nicht nur, weil Renate sich absolut sicher war, dass niemand den Hof überquert hatte, seitdem sie wach war.

Patrizia Pfaffer und Kenneth Euler betraten ein wenig zögerlich ihre Küche. Wie Peter und Nadia gingen sie Hand in Hand und wie die beiden sahen auch sie so aus, als wäre ihre Morgentoilette eher kurz ausgefallen.

Tatsächlich sah die ganze Rasselbande so aus, als hätte sie eine wilde Nacht gehabt.

‚Ruhig bleiben', ermahnte sie sich still.

Nachdem sie verhindert hatte, dass sich ihr Kaffee über den Tisch verteilte, musterte sie die Kinder aufmerksam. Der betretene Ausdruck zeigte sich auch auf Peters Gesicht, als sie nichts weiter tat und keine Miene verzog. Nur Nadia schien recht unbekümmert.

„Hallo... Oma", sagte sie mit einem ganz leichten Zögern.

„Guten Morgen", gab Renate kühl zurück. „Du weißt ja, wo alles ist, Peter. Ich habe nur für uns drei gedeckt."

„Wir... ähm... Wir könnten... Wir wollen nicht...", stammelte der schlaksige Kenneth - oder Kenni, wie Peter ihn nannte.

Tatsächlich nannte sogar sie selbst ihn so, wenn sie ihn ansprach. Seine Mutter hatte ihm einen englisch gesprochenen Namen gegeben und dieses ‚th' wollte ihr so gar nicht von der Zunge gehen. Und die deutsche Aussprache schien jedermann zu befremden. Also benutzte sie die nur im Geiste - und dort mit einer gewissen Sturheit auch ganz absichtlich, egal wie falsch das angeblich war.

„Wenn du keine ganzen Sätze zustande bringst, hältst du lieber die Klappe und setzt dich, bis du dich dazu imstande fühlst", belehrte die Rentnerin den besten Freund ihres Enkels.

Ihr barscher Ton dabei war mehr ein Automatismus als Absicht. Sie war ein wenig verblüfft und da fiel es ihr am Leichtesten, sich so zu verhalten. Außerdem brauchte die heutige Jugend harte Führung. Und zwar so lange, bis sie wirklich bereit war, sich davon freizumachen und den Platz unter Erwachsenen aus eigenem Antrieb einzunehmen.

Beinahe musste sie kichern, als der Kerl den Kopf zwischen die Schultern zog und ein wenig eingeschnappt drein blickte. Er war noch nicht ganz so weit, was das Erwachsensein anging.

Ohne ein weiteres Wort nahm er Platz. Und Nadia und die kleine Patrizia taten es ihr gleich, während Peter zwei weitere Gedecke holte.

„Also hat die kleine Teufelin dich nun auch in ihren Bann geschlagen?", fragte Renate beiläufig die Enkelin ihrer Jugendfreundin Elvira Pfaffer.

Totenstille war die unmittelbare Reaktion. Selbst Peter verharrte mitten in der Bewegung.

Dann prustete Nadia plötzlich und fing an, aus vollem Hals zu lachen. Und Renate musste einstimmen, auch wenn sie es eigentlich nicht wollte.

Verfluchtes Gör!

Es war wirklich schwer, diesem Wirbelwind gegenüber böse Miene zum unanständigen Spiel zu machen. Und das kleine Früchtchen schien das unglücklicherweise zu durchschauen. Sie mochte ein wenig leichtlebig sein, aber ein Kind war sie ganz eindeutig nicht mehr.

Die Stimmung löste sich etwas, obwohl weiterhin drei Gesichter verstört wirkten. Nur Nadia musste an sich halten, um nicht gleich wieder loszulachen.

Dann war es an Peter, Renate völlig zu überraschen.

„Ich hab dich lieb, Oma", sagte er und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Trotzdem..."

„Trotzdem?", japste sie. „Nun wird mal nicht frech, Bürschlein. Ich kann dich noch immer übers Knie legen."

„Wie viele Kochlöffel soll dich das diesmal kosten?", fragte er völlig gelassen. „Oder hast du wieder einen Schirm zu viel, den du loswerden willst?"

Renate zeigte sich empört, aber sie ahnte bereits, dass neben Nadia auch Peter nicht entging, wie wenig davon echt war. Lieber Himmel wurde es Zeit, dass der Junge aus seinem Schneckenhaus kam. Was ihm noch zum Erwachsensein gefehlt hatte, war eindeutig nur ein wenig Selbstbewusstsein. Und das impfte Nadia ihm offensichtlich gerade ordentlich ein.

„Sie spielt den Drachen", erklärte Peter derweil den beiden fassungslosen Anderen. „Aber ich glaube, sie meint es gar nicht so."

„Sabbel nicht, iss!", bestimmte Renate, bevor dieses Thema zu sehr vertieft wurde.

Während die Rasselbande sich über Wurst, selbstgemachte Marmelade und Brot hermachte, blickte die Rentnerin in die Runde.

Sie konnte das Band zwischen Peter und Nadia sehen. Nur Tage, nachdem die beiden zueinandergefunden hatten, waren sie sich schon so wunderbar nah. Sie konnten keine Minute verstreichen lassen, ohne den anderen wenigstens einmal kurz zu berühren. Und ihre Augen suchten ständig nach ihrem Gegenpart.

Für jemand anderen hätten die kurzen Berührungen der Finger oder die schnellen Seitenblicke vielleicht zufällig gewirkt, aber Renate wusste es besser. Diese beiden gehörten zueinander. So wie es richtig war für Mann und Frau.

Nun... Vielleicht nicht ganz so, wie es richtig war. Sie sah hinüber zu Kenni und Patrizia, die eher jeder für sich aßen.

Was zwischen den beiden vorging, entsprach eher dem üblichen Bild. So wie bei ihnen war es gewissermaßen ‚normal' Sie mochten einander. Vielleicht waren sie sogar dabei, sich ineinander zu vergucken. Und in einer anderen Zeit hätten sie gut und gerne in einigen Jahren eine Familie gründen mögen.

Zuneigung, Sympathie und dieses jugendliche Kribbeln im Bauch mochten vorhanden sein oder sich entwickeln können. Aber Liebe auf den ersten Blick war das nicht.

Unbemerkt seufzte Renate ganz leise in sich hinein. Wahre Liebe und das, was am Ende zu einer Ehe führte, waren nicht immer das Gleiche. Schließlich hatte sie selbst auch ihren Ernst geheiratet. Und den Rudolf insgeheim wirklich geliebt.

Vielleicht wäre alles anders gewesen, wenn der Krieg ihn nicht fortgeführt hätte, damit er an irgendeinem unaussprechlichen Ort in Russland den Tod fand. Und erst vierzig Jahre später zufällig in einem Massengrab gefunden wurde, wo er letztlich dank des Rings identifiziert werden konnte, den Renate ihm zum Abschied gegeben hatte.

Nun... Immerhin hatte er keine andere geheiratet, wie sie all die Jahre befürchtet hatte. Welch ein Trost...

Natürlich hatte ihr Ernst niemals erfahren, dass ihr Herz für einen anderen geschlagen hatte. Er hatte den Unterschied nicht gekannt. Niemals erfahren, wie es aussah, wenn sich wahre Liebe in Augen widerspiegelte. Das erlebten nur die wenigsten.

Aber wenn man es einmal erlebt hatte, sah man es auch in den Augen von anderen. So wie Renate es in Nadias und Peters Augen erkennen konnte. Andere Zeiten und Sitten mochten es mittlerweile sein, aber Liebe war und blieb Liebe.

Zufrieden beobachtete die Rentnerin die Kinder beim Essen und freute sich innerlich darüber, dass ihr Junge dieses Glück hatte. Insgeheim beneidete sie die kesse Blondine, die sein Herz erobert hatte, sogar ein wenig. Wie wäre ihr Leben wohl verlaufen, wenn sie es an der Seite von jemandem verbracht hätte, der ihr Herz so berührte? Der... ihre Leidenschaft so zum Kochen brachte?

Na... So oder so hätte sie nicht ihre Tochter bekommen und Peter hätte es nicht gegeben. Also waren die Dinge schon gut so, wie sie waren. Auch wenn es manchmal noch aus der Ferne schmerzte.

Beinahe hätte sie den Arm ausgestreckt und die Hand auf den Unterarm ihres Enkels gelegt. Als kleine Wiedergutmachung dafür, in Gedanken von einem anderen Mann als dem Vater seiner Mutter geschwelgt zu haben.

Aber in dem Moment fing sie einen Blick von der kleinen Patrizia zu Nadia auf. Und verschluckte sich beinahe an dem, was sie im Mund hatte.

Wie in Zeitlupe entfaltete sich vor ihr, was sie einfach nicht fassen konnte.

Die schüchterne und früher leider auch oft ein wenig ungepflegte Enkelin ihrer Jugendfreundin blickte den blonden Wirbelwind mit solcher Sehnsucht und Hingabe an, dass es ihr den Atem raubte. Und Nadia erwiderte diesen Blick... wissend!

Aber das war noch nicht alles. Danach berührte sie Peter und er sah erst sie und dann das andere Mädel an und schien ebenfalls zu wissen, was vor sich ging.

Es war nicht die gleiche Liebe in diesem Blickwechsel. Aber da war so einiges, was unter Freunden mehr als ungehörig sein sollte. Da war eine große Leidenschaft...

Lieber Himmel! Wenn Patrizia ihrem Peter und seiner Nadia zugeneigt war und die drei - oder gar vier, auch wenn Kenneth von diesem Blickwechsel nichts mitzubekommen schien - auch nach diesen Impulsen handelten, dann...

Nadia blickte nun zu ihr und unterbrach diesen Gedanken dadurch. Sie sah ihr in die Augen und schien zu erkennen, was Renate dachte. Schien ihre Überlegungen zu durchschauen. Doch sie zeigte keine Scham, sondern hielt dem Blickkontakt stand.

‚Ich hoffe, du weißt, was du tust', dachte Renate und machte keine Anstalten, ihre Sorge zu verbergen.

Und Nadia hielt auch diesem Blick stand und glaubte offenbar tatsächlich zu wissen, was sie tat. Oder bildete sich zumindest ein, damit fertigwerden zu können.

Was womöglich sogar der Fall war...

Schließlich war es Renate, die der stummen Zwiesprache ein Ende setzte, indem sie den Blick abwandte.

Sie würde irgendwelchem unmoralischen Treiben nicht ihren Segen geben. Das konnte sie nicht. Aber was für sie gut und richtig war, mochte nicht für die Kinder gelten. Andere Zeiten, andere Sitten. Aus diesen Dingen würde sie sich heraushalten.

Und das fiel ihr gar nicht so schwer, wie sie sich eingestand, denn die kleine Blondine war ein berechnendes Miststück. Sie würde über Leichen gehen, um sich und ihre Liebe zu Peter - der sich Renate weiterhin todsicher war - zu schützen. So wie es sich für eine Frau auch gehörte.

Vielleicht spielte sie mit der kleinen Patrizia. Aber die sah ihrerseits nicht so aus, als würde ihr das schaden. Sie wirkte hingegen so gepflegt und lebhaft, wie seit ihrer frühesten Kindheit nicht mehr. Sie wirkte richtiggehend glücklich als ein drittes Rad am Fahrrad.

Selbst als Anhängsel war Patrizia bei Nadia und Peter zumindest besser aufgehoben als bei ihren missratenen Brüdern. Und deren trinkender Mutter. Elviras Tochter hatte ihren Saustall eindeutig nicht im Griff.

Pah!

Als hätte Renate das gerade von ihrem Haus behaupten können. Das eine Kind schnitt sich die Arme auf und das andere machte ein Freudenhaus daraus.

Aber immerhin kam bei dem unmoralischen Treiben niemand zu Schaden. Wie es aussah, tat es allen Beteiligten eher gut. Sie schienen alle ihre Freude daran zu haben.

Vielleicht war es wie diese wüste Idee von freier Liebe, die Anfang der Siebziger aus Amerika gekommen war. Es schien nicht gut, dass die Kinder damals plötzlich alle herumhuren wollten, aber am Ende hatte es sich doch ausgewachsen und nichts Schlimmes war passiert.

Alle Sorgen bezüglich ihrer eigenen Tochter hatten sich als unbegründet erwiesen. Auch wenn die ganz eindeutig reges Interesse an dieser sogenannten Bewegung gehabt hatte.

Und dennoch hatte sie Peters Vater getroffen und sich in ihn verliebt. Wäre er nicht gestorben, hätte sie ihn ohne Zweifel geheiratet. Trotz all des Geredes über freie Liebe.

Wem schadete es schon? Niemand wurde gezwungen und niemand wurde verletzt. Nicht wie in Pommern...

Nein. Sie würde mit den Gedanken in der Gegenwart bleiben und nicht noch einmal abirren. Vor allem nicht dorthin. Niemals dorthin!

Verfluchtes Alter. Es machte den Geist schwach...

XXIII.

Schwach im Geist fühlte sich Rene nicht, als er sich mit der Frage auseinandersetzte, wie das nächste Bier wohl am besten aus dem Keller in seine Hand gelangen konnte. Nur ein wenig schwach in den Beinen war ihm zumute. Und deswegen tat er das einzig Richtige in dieser Situation.

„Patze!", brüllte er lautstark. „Schwing dein Arsch her!"

Dann wandte er sich wieder seinem brandheißen Amiga zu und vergaß beim Spielen schnell, was um ihn herum geschah. Oder nicht geschah, wie er feststellte, als er einen Schluck Bier nehmen wollte und die Flasche leer war.

„Patze! Schwing die Hufe, dumme Kuh! Bring mir Bier!"

Noch immer regte sich nichts im Haus. Und das passte ihm ganz und gar nicht.

„Wenn du gleich noch im Bett liegst, schlag ich dich grün und blau", motzte er und quälte sich hoch.

Mit wenigen Schritten war er an der Zimmertür seiner Schwester und öffnete sie, um ihr dann einen festen Stoß zu geben. Aber das Knallen, als sie gegen die Wand schlug, schreckte niemanden hoch.

Bevor die Tür mit gehörigem Restschwung wieder zuknallte, sah Rene nur ein leeres Bett. Und viel mehr als das und ein Schrank war ja auch nicht in Patrizias Kabuff untergebracht.

Was zum Teufel?

Andre zu fragen war völlig überflüssig, denn der lag noch im Koma von der Flasche Korn, die er sich am Abend zuvor genehmigt hatte. Also blieb nur die Alte. Und die war sicher in der Küche. Schließlich war sie immer in der Küche.

Missmutig stapfte er Treppe ins Erdgeschoß hinunter. Das Knarzen der Stufen ließ ihn dann aber doch vorsichtiger auftreten. Die Treppe war in keinem guten Zustand. Das ganze Haus war ziemlich baufällig. Und er wollte sich keinesfalls die Knochen brechen, weil wegen seiner Trampelei das Holz nachgab.

Irgendwer sollte sich dringend mal um die notwendigen Arbeiten kümmern. Nur wer?

Unten angekommen verschwand das Thema Bausubstanz so schnell wie jedes andere Thema, das auch nur im entferntesten mit Arbeit zu tun haben mochte, aus seinem Kopf.

„Wo ist Patze?", schnauzte er barsch, noch bevor er die Küchentür ganz geöffnet hatte.

„Du sollst deine Schwester nicht so nennen", gab seine Mutter müde und leise zurück.

„Ich nenn die, wie ich will. Wo is' die Schlampe?"

„Rene!", ermahnte seine Mutter nun erheblich lauter und sehr schneidend.

Sie wachte nicht oft aus ihrem Rausch auf, aber wenn sie es tat und diesen Ton anschlug, war Rene besser ein wenig netter. Ob seine Mutter ihm wirklich noch gewachsen war, wusste er nicht genau, aber er erinnerte sich an reichlich Prügel von ihrer Hand in früheren Zeiten. Und das wirkte noch nach.

„Ich mach mir nur Sorgen", behauptete er in betont normalem Tonfall.

„Ich habe sie heute noch nicht gesehen", sagte seine Mutter wieder ruhiger. „Wenn sie nicht oben ist, muss sie schon seit heute früh unterwegs sein."

„Und wo?", fragte Rene irritiert.

„Warum gehst du nicht los und versuchst, es herauszufinden?", kam noch einmal leicht schneidend die Antwort. „Schließlich bist du ihr großer Bruder und solltest auf sie aufpassen."

Rene verkniff sich eine passende Antwort. In ihrem Suff bekam seine Alte nicht mit, was der große Bruder so alles mit der kleinen Schwester trieb. Und das war auch ganz gut so, denn es würde ihr nicht gefallen.

„Äh... Ja klar. Gute Idee", meinte er stattdessen.

Und dann malte er sich aus, wie er später auf Patze ‚aufpassen' würde, während seine Mutter langsam wieder den Kopf hängen ließ und eine ungeöffnete Flasche Apfelkorn auf dem Tisch anstarrte.

Schnell trat er den Rückzug an und baute fest darauf, dass seine Mutter in wenigen Minuten schon vergessen haben würde, was sie gerade besprochen hatten. Sie war schließlich nicht nur eine Säuferin, sondern auch noch irgendwie plemplem. Dämänz oder sowas.

Die Frage, wo seine nichtsnutzige Schwester steckte, wurde dadurch aber nicht beantwortet. Und das würde wohl auch erst geschehen, wenn die nach Hause kam und er die Scheiße aus ihrem dummen Arsch geprügelt hatte.

Wichtiger war, dass er sich so viele Bierflaschen wie möglich auflud, als er notgedrungen selbst in den Keller marschierte. Damit er nicht dauernd wieder los musste.

Und diesmal vergaß er seine Wut auch beim Computerspielen nicht ganz.

„Die dumme Futt wird sowas von bluten, wenn ich sie in die Finger kriege", murmelte er vor sich hin. „Diesmal ist ihr Arsch fällig. Aber so richtig..."

XXIV.

Tanja starrte an die Zimmerdecke.

Seitdem sie im Krankenhaus aufgewacht war, fühlte sie sich nicht in der Lage, etwas anderes zu tun. Also tat sie auch nichts. Sie redete mit niemandem, antwortete nicht auf Fragen und aß nicht.

Die Ärzte sprachen von Katatonie oder etwas in der Art. Sie hatten veranlasst, dass ihr ein Tropf gelegt wurde. Sie hatten ihr jemanden geschickt, der in sanften Worten Schwachsinn redete und sie hatten ihre Arme fixiert, um ‚Zwischenfälle zu vermeiden'.

Aber es war ihr egal.

Der Beschluss, ihr Leben zu beenden, hatte sie beinahe befreit.

Es hatte anfangs wehgetan. Und das war richtig gut gewesen. Eine gerechte Strafe. Aber es hatte nachgelassen. Und mit dem Schmerz ging... der Hass.

Als sie im warmen Wasser der Badewanne fühlte, wie sie immer schwächer und müder wurde, stellte sich Frieden in ihrem Inneren ein. All die Besessenheiten, die sie immer angetrieben hatten, verblassten. Alle Menschen verblassten. Alles verblasste.

Mit Ausnahme von Peter. Und Nadia.

Als sie im Sterben lag, hatte sie gewusst, dass die beiden ohne sie glücklich werden konnten. Und das hatte sich... gut angefühlt.

Seit so vielen Jahren brachte sie nur Unglück über ihren Cousin. Und auch gegenüber Nadia hatte sie sich oftmals ganz und gar nicht fair verhalten. Und nun hatten diese beiden wichtigsten - einzigen - Personen in ihrem Leben eine Chance darauf, glücklich zu werden. Nur sie stand ihnen noch im Weg.

Ja. Es war richtig gewesen. Aber... es hatte nicht funktioniert.

Tanja war nicht wütend auf ihre Oma. Ihr tat die alte Frau sogar ein klein wenig leid.

Völlig außer sich war sie gewesen, wenn sie ihre Enkelin besucht hatte. Eindringlich und nachdrücklich hatte sie gefordert, dann gebeten und schließlich gefleht.

Aber Tanja konnte nicht mit ihr reden. Die Zeit zum Reden war vorbei.

Sie wusste genau, dass Peter sie nicht besuchen würde. Nadia würde das verhindern. Sie würde in dem Selbstmordversuch einen verzweifelten Racheakt vermuten und ihn davon abhalten. Und das war gut so.

Aber außer Peter gab es niemanden, mit dem sie reden wollte. Nicht einmal Nadia, auch wenn die sicherlich ebenfalls eine... Entschuldigung verdient hatte.

Schon am Tag nach ihrer Einlieferung hatte Tanja sich entschieden, ihre Entlassung abzuwarten.

Dann würde sie einen Brief schreiben. Für Nadia und Peter. Und danach würde sie sich an einen Ort begeben, an dem niemand sie finden würde, bis es zu spät war.

Diesmal würde sie es richtig machen.

An dem Gefühl des Friedens, das die erfüllte, wenn sie an diese nahe Zukunft dachte, hielt der Rotschopf fest. Nichts anderes durfte in ihre Gedanken dringen, denn sonst würde sie zusammenbrechen.

123456...8