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Sonnenschein

Geschichte Info
Es reicht eine Begebenheit, um die Wirklichkeit zu ändern
1.5k Wörter
3.88
5.6k
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Heart

*

Sonnenschein

Fuck! Fuck, fuck, fuck! Gottverdammte...fuck!

Ich blicke vom Boden auf und öffne die Fahrertür, an der ich mich abgestützt hatte. Der Lack ist heiß unter meinen Fingern und brennt auf der Haut.

Einige Sekunden später sitze ich reglos hinter dem Lenkrad und verstehe nichts mehr. Mein Kopf ist leer, kein Gedanke ist zu finden, nur ein Gefühl alles betäubender Angst. Ein gigantischer Schatten in meinem Schädel, der jede andere Empfindung überdeckt, sie in der Wärme des Sommertages ertränkt.

Ich fühle das Lenkrad unter meinen bewegungslosen Fingern und den Schweißfilm, der mich mit ihm verbindet. Kiefer und Augenlider zusammengepresst, schreie in still in meinen Körper und meinen Geist hinein. Mein Atem rauscht in meinen Ohren, er ist ein lautes Dröhnen, mein Brustkorb vibriert unter den Schlägen meines Herzens, das, wie ich jetzt genauestens fühlen kann, Blut durch meinen Körper pumpt. Ich sehe meine Hände am Steuer, aber starre in mich hinein, versuche, mich selbst zu ergründen. Was ich dort finde, vergrößert die Angst nur.

Um meine Fassung zurückzuerlangen lasse ich schlagartig das Lenkrad los und raufe mir durch die Haare, wühle in ihnen nach meiner Kopfhaut, presse bald meine Handballen gegen meine Schläfen. Dann halte ich inne und atme tief ein. Dann aus.

„Verdammt nochmal...", seufze ich.

Ich schnalle mich an, starte meinen Wagen, raus aus der Parklücke, rein in die Straße. Ampel. Rot. Stehenbleiben. Sich mit der Hand über die nasse Stirn fahren. Zu heiß. Fenster runter.

Ich habe Lust, um mich zu schlagen. Aber ich reiße mich zusammen und belasse es bei schlechter Laune. Um mich aufzumuntern schalte ich das Radio an, während ich immer noch an der Ampel warte.

Es ist seltsam: Die heitere Musik vermag es nicht, mich aufzuheitern. An der Straßenecke gegenüber stehen einige Jugendliche, jeder ein Eis in der Hand. Sie unterhalten sich lachend und gestikulieren dabei, offensichtlich die Handlungen eines ihnen bekannten Individuums nachäffend.

In einem Film wäre jetzt traurige Musik zu hören, es würde regnen. Nasse Zeitungen, die über die Straße flattern, schwach belichtete Orte voller Schatten, ein niedergeschlagener, weinender Protagonist, zu nichts mehr in der Lage als zur Trauer. In einem Buch wäre der Protagonist gefühlstaub, würde nichts wahrnehmen außer seine eigene Furcht, wäre passiv, abwesend, ohnmächtig ob der eigenen Ohnmacht.

Aber wenn man in der Realität eine Krebsdiagnose bekommt, dann scheint auch weiterhin die Sonne. Kinder lachen, als wäre nichts, im Radio laufen fröhliche Pop-Hits, wie immer. Die Welt dreht sich weiter, nichts an der Umwelt ändert sich, man sitzt immer noch in seinem beschissenen Wagen an einer Ampel und wartet auf grün.

Ich bin nicht taub oder passiv. Ich fühle alles, deutlicher noch als jemals zuvor. Alles, was man sonst ausblendet, nehme ich wahr, jedes Detail, jedes Geräusch, jede Lichtreflexion auf jedem Fenster der Straße. Weine, und du weinst allein.

Das hier ist keine stilisierte Kinoszene und auch kein tragisches Buch, das ist das Leben, und das weiß und begreife ich.

Was mache ich jetzt? Wie reagiert man auf sowas? Wie soll man reagieren? Sowas haben mir Mama und Papa nicht beigebracht. In der Sesamstraße gab es keinen Krebs. Alles, was ich über diese Situation weiß, habe ich aus den Medien, und die sagen, ich solle die Fassung verlieren. Anscheinend wäre es korrekt zu weinen, zusammenzubrechen oder auszurasten.

Soll ich Amok laufen? Ist ja jetzt scheinbar eh egal. Oder beten?

Ich schnaube kurz belustigt, wie man es eben tut, wenn niemand da ist und die Sachlage nicht amüsant genug ist, um allein zu lachen.

Beten. Schon komisch, dass ich jetzt an sowas denke. Ich habe seit Jahren nicht gebetet, aus gutem Grund: Gott widerspricht jedem Menschenverstand, es wäre idiotisch, an einen gnädigen Schöpfer zu glauben, wenn man sich die Welt unter Nutzung des klaren Verstandes ansieht. Hungerkatastrophen, Mord, Sklaverei, Hass, Krieg, Massenvernichtungswaffen, Malaria, Aids.

Krebs.

Schon komisch. In einer Notsituation, da denkt man an Gott. Wenn man selbst nicht mehr weiter weiß, dann ist man gleich viel offener für Gott, da käme er dann doch gelegen, um einen zu erretten und zu erlösen von dem fleischlichen Elend. Plötzlich hätte man ihn doch gerne, als Ventil für die eigene Angst, weil man weiß, dass nur eine übersinnliche Macht „Alles wird gut" sagen könnte, ohne dass man mit einem „Fick dich!" antworten will. Aber nicht mit mir, so weit lasse ich's nicht kommen, dass ich schwach werde und plötzlich anfange, an Dinge zu glauben, die es nicht gibt! Ich bin stärker als das!

Hingegen zu manchen gläubigen Volltrotteln, die Gott um Hilfe anflehen, verschließe ich mich nicht vor der Realität. Ich nehme sie an. Ich habe Tumore im Körper, und ich weiß, dass sie zu verstreut sind, um effektiv behandelt werden zu können, und dass eine Chemotherapie nur Zeit schinden würde.

Es gibt keinen Retter für mich, keinen allgütigen Gott, der mir helfen wird. Ich werde sterben, wie alle anderen auch, der Krebs ist nur ein katastrophal schneller Katalysator. Es hat keinen Sinn, Angst vor etwas zu haben, das im Laufe der Zeit zwangsläufig passiert wäre.

Ich halte an der nächsten Ampel und sehe einen Spielplatz neben mir. Kinder. Kreischend und lachend im Sand spielend.

Ja, lacht nur, und quiekt. Lacht schön, ihr Ausgeburten der Hölle, ihr wisst nichts vom Leben! Gar nichts! In zehn Jahren, wenn ihr in die Pubertät kommt, da denkt ihr, das ist nur 'ne Phase, aber nein, die Scheiße bleibt kleben! Die bleibt für immer an euch dran und macht euch kaputt! Es hört nie auf, und ihr denkt, euch geht es dreckiger als allen anderen. Und wenn einer von euch dann 'ne Krebsdiagnose kriegt, dann merkt ihr, so dreckig war's gar nicht.

Ich schaue den Kindern mit verheerend brennendem Blick zu und hasse sie. Und ich schaue zu ihren fettleibigen Eltern, die auf der Bank sitzen und in ihr Handy starren.

Warum kriegt man Kinder, wenn das Handy wichtiger ist? Um was zu fotografieren zu haben?

Ich habe nie verstanden, warum Menschen Kinder haben wollen, besonders dann, wenn sie sich nicht wirklich um die Viecher kümmern. In meinen Augen sind Kinder nicht süß, sondern nervtötend und lästig. Und oft sind ihre Eltern nicht besser. Bringen ihnen nichts bei, sondern sitzen bequem daneben und stehen nicht einmal auf, um ihr Kind mal zurechtzuweisen und anzubrüllen, wenn es das verdient hat. Man sollte sein Kind nicht terrorisieren, aber Absenz oder Verwöhnung sind fast noch schlimmer.

Vielleicht wollen so viele Menschen Kinder, weil sie sorgenfrei und unerfahren sind. Weil man sich durch sie an die eigene Kindheit erinnert, der man hinterher hängt, wie allem, was zurückliegt. Nur vergisst man, das Kinder erwachsen werden und anfangen, selbst der Kindheit nachzuhängen. Spätestens in ihrer Pubertät erinnern sie ihre Eltern daran, dass die Zeit ihnen Schmerzen zugefügt hat.

Ich blicke zu einer Frau herüber, die ihren Sohn ermahnt und kurz verfliegt mein Griesgram. Vielleicht wollen manche Menschen auch wirklich nur neues Leben heranziehen, weil sie es als ihren Lebenssinn empfinden. Vielleicht gibt es Eltern, die ihre Kinder verantwortungsvoll erziehen. Vielleicht.

Ich parke vor meinem Haus und drehe den Schlüssel im Zündschloss. Das Brummen verstummt, das Rauschen und Dröhnen im Kopf kehrt zurück. Ich starre vor mich hin. Ins Nichts, in die Leere. Nach einigen Minuten sehe ich mich um, fühle mich neu in einer fremden Welt.

Zum ersten Mal in meinem Leben spüre ich die filigranen Linien im Bogen des Lenkrades wirklich, als ich es mit meinen Fingerspitzen betaste. Als würde ich es zum ersten Mal berühren, lasse ich das Gefühl auf mich wirken, und bin fasziniert.

Es ist so deutlich, so detailreich, so...kunstvoll. Das ist mir nie in meinem Leben aufgefallen.

Meine Hand setzt ihren Weg fort und berührt das Fenster. Die kleinen Kratzer, die sich darin befinden, fühlen sich an wie Schluchten in einem großen, glatten Gebirge. Unser Gartenzaun besticht mit grüner Farbe, durchstoßen von schwarzen Nägeln, geziert von farblosen Stellen, manche Abstände zwischen den Holzlatten sind größer als andere, und das ist schön. Die Tür hat ein märchenhaft asymmetrisches, ovales Fenster.

Und auf einmal, da ist alles ganz nah bei mir, ganz nah. Plötzlich besitzt alles Charakter und Tiefe, plötzlich hat alles einen Wert, den ich jetzt erst begreifen kann. Als wäre ich zum ersten Mal wirklich am Leben.

Alles ist nah, und dennoch für mich unerreichbar. Denn ich habe Krebs.

Ich beiße die Zähne zusammen, als meine Faust die Schluchten der Glasscheibe trifft. Dann den Türgriff. Dann das Radio. Ich schlage wie wild um mich und schreie, mein ganzer Körper wird überrannt von wilden Spastiken, die meine Seele aussendet, um meinen Geist zu heilen. Mein Kopf schaltet sich aus und ich zerfetze alles, was ich sehe und nicht sehe und verschwinde für ein paar Minuten in mir selbst, während ich unverständlich willkürliche Hass-vermittelnde Worte aneinanderreihe.

Schlussendlich breche ich über dem filigranen Lenkrad zusammen und weine. Meine Stirn presst sich an das Leder, Wasser tropft von meinem Gesicht auf meine Oberschenkel und dazwischen auf den Fahrersitz.

Ein paar letzte, weinerliche Flüche kotze ich aus, bevor der Fluss versiegt und ein neuer beginnt. Er ist nicht wort-, aber formlos und besteht aus unverständlichem Gefasel, das meinen Mund wie Wasser einen Springbrunnen verlässt. Ich glaube, ich bete. Ich weiß nicht, wie lange und an wen, ich weiß nur, dass.

Irgendwann gewinne ich gegen mich selbst und wische mein Gesicht an meinem Ärmel ab, ziehe die Nase hoch und schlucke. Ich lache leise über meinen Totalausfall, um mich zu beruhigen. Ich atme tief durch.

Dann steige ich aus und lasse meinen Kopf hinter mir.

Ich habe Krebs. Doch das wird niemand außer mir erfahren, solange ich lebe.

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2 Kommentare
Flar1958Flar1958vor etwa 5 Jahren
Dass hätte ich hier nicht erwartet

Hart

AnonymousAnonymvor etwa 5 Jahren
Wow......

......mit so einem Thema so umzugehen, Starke Geschichte.

Danke dir für diesen Impuls.

Chris

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