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Geschichte Info
Die Geschichte eines Erwachens.
12.6k Wörter
4.44
145.6k
31
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Ohne dich gäbe es die Geschichte nicht.

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Diese Geschichte ist die erste ‚ernsthafte' Geschichte, die ich veröffentlicht habe.

Sie ist kein Experiment. Sie ist genau so, wie sie sein soll. Selbst mit all den schriftstellerischen Schwächen darin werde ich sie nicht überarbeiten, denn sie ‚gehörte' mir nie. Sie war immer einer anderen Person gewidmet.

Dennoch habe ich dank moderner Softwareunterstützung Anfang 2012 eine größere Fehlerkorrektur abgeschlossen und hier aktualisiert. Selbst wenn das angesichts des bevorstehenden Weltuntergangs Zeitverschwendung war...

;-D

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Es war heiß in der Disco. Heiß und stickig.

Das Rauchverbot in Diskotheken schien hier niemanden zu interessieren. Nicht einmal die Betreiber. Keine Hinweisschilder. Fast jeder Besucher hatte eine Zigarette in der Hand. Niemand versuchte, etwas dagegen zu unternehmen.

Es war heiß, stickig und voll. Viel zu voll. Maßen junger Leute, viele von ihnen sicherlich noch nicht alt genug für die Getränke in ihren Händen.

Aber auch das interessierte niemanden. Am allerwenigsten die Barkeeper, die hinter den strategisch verteilten Tresen Bier, Mixgetränke und puren Alkohol wie am Fließband ausschenkten.

‚Vermutlich hat der Laden sowieso keine Genehmigung', dachte sich Anna, während sie versuchte, all den glühenden Zigaretten und unachtsam schwenkenden Ellenbogen auszuweichen. ‚Das ist wirklich ein Loch.'

Ein Loch in einem Keller unter einem alten Lagerhaus am Rand des Industriegebietes. Ein Geheimtipp, für den sich die gerade 21-jährige Anna niemals interessiert hätte. Heavy Metall, in Leder, Lack und Latex gekleidete Menschen und ohne Zweifel auch Drogen schienen die Essenz dieser Absteige zu sein.

Für die Studentin waren es vor allem die Menschenmassen, die all das unerträglich machten. Drogen sollte gerne jeder nehmen, dem danach war und zu Hause hätte sie vielleicht sogar die Musik ertragen, aber es war so unglaublich voll hier.

Anna litt nicht unter Klaustrophobie, aber vielleicht unter einer milden Demophobie, der Angst vor Menschenmengen. Sie mochte es überschaubar und ein wenig geräumiger. Beides war in der Disko mit dem bezeichnenden Namen The Hole eindeutig nicht zu finden.

Am Schlimmsten war jedoch, dass sie ganz und gar nicht freiwillig hier war.

Sie war weder von selbst auf die Schnapsidee gekommen, noch hatte eine Freundin sie überredet, diesen Ort aufzusuchen.

Anna war schon manches Mal rückwärts aus einer Kneipe oder Disko wieder hinausgestolpert, die eine ihrer Freundinnen unbedingt einmal hatte von innen sehen wollen. Aber selbst an ihren verrücktesten Tagen wäre keine von ihnen auf die Idee gekommen, sich diesem Loch auch nur zu nähern.

Anständige Menschen, wozu sich die Literaturstudentin durchaus zählte, wären vermutlich nicht einmal eingelassen worden. Denn so unglaublich das auch klingen mochte - The Hole hatte beinahe mehr Türsteher als eine normale Diskothek. Zumindest vermittelten die finsteren Typen an der Tür den Eindruck von Türstehern.

Dass niemand Anna aufgehalten hatte, lag daran, dass sie gezwungenermaßen optisch durchaus hierher passte, auch wenn sie sich sichtlich unwohl fühlte.

Doch die Gemütszustände einzelner Gäste schienen hier niemanden zu interessieren. Ob man sich in einer Ecke übergab, völlig besinnungslos auf einem der wenigen Tische lag oder sich mit großen Augen, wie ein frisch geficktes Reh umsah, schien völlig bedeutungslos für die anderen Gäste.

Einer Panikattacke nah, die heute Abend nicht die Erste gewesen wäre, kämpfte sich Anna mühsam durch die Menge, die durchschnittlich einen halben Kopf größer war als sie. Und das, obwohl sie bereits hochhakige Schuhe trug.

Sie brauchte eine Pause. Einen Augenblick, um Atem zu schöpfen. Und zu ihrem Glück löste sich just in diesem Moment ein Pärchen aus einer dunklen Ecke. Der Mann ging voraus und hielt die Hand der Person, mit der er noch gerade eben wild herumgeknutscht hatte. Ein zweiter Mann.

Beinahe wäre Anna perplex stehen geblieben. Erst als sie im letzten Moment erkannte, wie schnell die Ecke wieder besetzt sein würde, riss sich zusammen und zwängte sich hinein.

Nicht dass sie ein Problem mit Schwulen gehabt hätte, aber der zweite Mann hatte Frauenkleidung getragen, als täte er das jeden Tag. Er war auf seinen unglaublichen Stilettos sogar weitaus sicherer gelaufen, als sie mit geschätzten zwanzig Zentimetern weniger Absatz unter der Ferse.

Nein. Auffallen würde sie hier gewiss nicht. Aber für sie selbst war ihr Aufzug noch immer kaum zu ertragen.

Normalerweise liebte Anna bequeme Schuhe, weite Oberteile und praktische Hosen. Mit Taschen.

Nicht, dass sie sich nicht hätte sexy zurecht machen können. Aber selbst dann überwog der praktische Gesichtspunkt meist. Jeans anstelle von Röcken. Und bloß nicht so eng, dass man kaum atmen konnte. Vielleicht ein bauchfreies Shirt. Aber ganz bestimmt wäre sie nie von selbst auf die Idee gekommen sich in ein Kleid aus filigranen Kettengliedern zu zwängen, das bei genauerer Betrachtung praktisch nur aus Öffnungen bestand.

Sie hätte keinesfalls Schuhe ausgewählt, die im Grunde nur aus wenigen, glitzernden Riemchen bestanden, aber einen viel zu hohen Absatz aufwiesen. Und was sie ganz besonders eindeutig niemals auch nur ansatzweise in Erwägung gezogen hätte, war der Verzicht auf Unterwäsche.

Erneut, zum x-ten Mal an diesem Abend, stieg ihr die Röte ins Gesicht, als sie an den Taxifahrer dachte, der sie hierher gebracht hatte.

Ihre WG hatte sie unbemerkt verlassen können und auch im Treppenhaus war sie allen Begegnungen ausgewichen. Unbemerkt von den wenigen Passanten des Abends war sie in das Taxi geschlüpft. Aber dort war es unmöglich gewesen, sich zu verbergen.

Der übergewichtige, ungepflegte Taxifahrer hatte einen Blick in den Rückspiegel geworfen und sofort Stielaugen bekommen. Er hatte sich gar nicht erst die Mühe gemacht auch nur vorzugeben, dass er ihr ins Gesicht sehen würde. Sein Blick lag sofort auf ihren Brüsten.

„Na welches Jagdrevier soll's denn sein?", hatte er versucht zu scherzen.

Hin- und hergerissen zwischen Scham und Empörung hatte Anna nur mühsam die Adresse der Disko herauspressen können.

Und dabei hatte der unsympathische Typ die ganze Zeit auf ihre Brust geglotzt. Das Kleid war ungewohnt, und wenn auch nicht mehr so kalt wie zu Anfang, so reizte es ihre Brustwarzen doch dauerhaft. Manchmal fast unerträglich, aber in jedem Fall ausreichend, damit die vermaledeiten Dinger sich aufstellten.

Und die Maschen des Kleides waren gerade groß genug, dass sie sich beinahe durchdrücken konnten.

Alles in allem nicht der Anblick, den Anna irgendwem gerne gestattet hätte. Nicht einmal ihrem Freund hätte sie sich so schamlos präsentiert.

Aber trotzdem saß sie in einem Taxi, starrte aus dem Fenster und ließ sich von einem hässlichen, alten Sack begaffen. Mit hochrotem Kopf hoffte sie darauf, dass die Fahrt schnell vorbei sein würde.

Am Zielort hatte der Mann dann lapidar verkündet: „Wir sind da."

Ein Blick in die Runde hatte genügt um Anna beinahe rufen zu lassen: ‚Bitte nicht!' Allein die schrägen Gestalten am Eingang des The Hole ließen ihr bereits die Haare zu Berge stehen.

„Macht dann zwanzig."

Wortlos hatte sie den Zwanziger und den Zehner nach vorne gereicht, die sie schon die ganze Zeit in der Hand hielt. Das Einzige, was sie angewiesen worden war mitzunehmen. Das Geld für die Hinfahrt.

Steif stieg sie aus dem Wagen und versuchte dabei erfolglos so wenig wie möglich von ihren langen Beinen zu enthüllen. Zwecklos. Sie war sowieso fast unverhüllt, aber sie konnte sich einfach nicht damit abfinden.

Noch schlimmer war jedoch, was sie nun zu tun angewiesen worden war.

Mit zittrigen Beinen umrundete sie das Taxi und trat zum Fahrerfenster. Dem irritierten Fahrer bedeutete sie lahm, das Fenster runter zu lassen.

„Noch was vergessen, Süße?"

‚Fick dich, Fettsack!', wollte sie schreien, aber stattdessen konnte sie kaum fehlerfrei ein „Ja" herauspressen.

„Ich ... hab noch ... was für sie", wiederholte sie stockend und fast krächzend den Text, der ihr aufgetragen worden war.

Der Mann blickte sie nur verständnislos an.

Mit knallrotem Gesicht drehte sich Anna um und bemerkte das wachsende Interesse der Türsteher an den Geschehnissen und vor allem an ihr. Sie stand beinahe direkt unter einer Straßenlaterne und wollte sich gar nicht ausmalen, wie überdeutlich all ihre Geheimnisse selbst aus der Entfernung sichtbar sein mochten.

Es kostete sie unglaubliche Überwindung sich mit dem Po so tief zum Fenster zu bücken, dass der Taxifahrer einen unverstellten Blick auf ihre nackte Kehrseite hatte. Und beinahe ebenso viel, mit der Hand an ihre Schamlippen zu fassen, sie mit zwei Fingern leicht zu spreizen und mit dem Mittelfinger auch nur oberflächlich dazwischen hindurch zu fahren.

Der schmuddelige Typ hatte alles genau beobachtet und starrte sie mit offenem Mund und glasigen Augen an, als sie sich umdrehte. Er war so gebannt, dass er nicht einmal vor ihrer Hand zurückzuckte, die sich seinem Gesicht näherte. Ihr Magen zog sich vor Scham zusammen, doch ihre Augen fingen zum Glück nicht an zu brennen. Sie würde das durchstehen, sagte sie sich stolz.

Angewidert starrte Anna auf einen Speichelfaden, der sich in einem seiner Mundwinkel bildete, während sie ihren Anweisungen folgend den Mittelfinger unter seiner Nase abwischte.

Die angeordnete Kusshand brachte sie nicht zustande und auch ihre Verabschiedung verunglückte ein wenig. Anstelle ihres Textes piepste sie nur „Erinnerung an mich ..." und drehte sich schnell um.

Der Taxifahrer sog hörbar die Luft ein, schniefte und raunte dann beinahe ehrfürchtig: „Gott! Was für eine geile Schlampe."

Anna beeilte sich sehr zum Eingang zu gelangen und wagte nicht auch nur zu einem der Männer in Türnähe aufzublicken. Ihr Gang war dabei nicht nur wegen der ungewohnten Schuhe leicht schwankend, sondern auch wegen der Scham und einer Entdeckung, die sie zutiefst erschütterte: Ihr Finger war eindeutig feucht gewesen.

Und nun stand sie inmitten der Disko in einer dunklen Ecke und versuchte zu Atem zu kommen.

Die gesamte Situation war völlig surreal. In ihren Fantasien, in den erotischen Geschichten, die sie heimlich schrieb und im Internet veröffentlichte, hätte ihr selbst so eine Szene einfallen können.

Nein. Ehrlicher war, dass sie sich tatsächlich so eine Situation schon einmal ausgedacht hatte. Und ihr Erpresser hatte das gewusst. Natürlich. Er hatte gekonnt genau so eine Situation erzeugt. Sie mit einer ihrer Fantasien konfrontiert.

In der Realität war daran nichts mehr erotisch. Aber warum war sie dann feucht geworden?

Warum waren ihr beinahe die Beine eingeknickt, als der Taxifahrer sie Schlampe genannt hatte? Warum hatte es sich angefühlt, als habe die Feuchtigkeit noch zugenommen?

Das war pervers. Abartig. Sie war eigentlich völlig normal und erträumte sich nur ein wenig Abwechslung für ihr wenig aufregendes Sexleben.

Nicht mehr. Oder?

Nein. Nicht mehr. Punkt.

Es war ihr Erpresser. Der Mann, von dem sie kaum etwas wusste. Und doch so viel. Es war allein seine Schuld.

Er nannte sich Dingo. Das war natürlich nicht sein richtiger Name, sondern der Name eines Wildhundes. Aber so war das im Internet. Man lernte sich unter Pseudonymen kennen.

Dingo hatte ihre Geschichten online gelesen und ihr begeisterte Kritiken geschrieben. In jeder dieser Kritiken hatte er sachte Dinge thematisiert, die er aus den Geschichten herausgelesen zu haben glaubte. Und jedes Mal hatte er den Nagel auf den Kopf getroffen.

Sie versuchte, Abwechslung in ihre Geschichten zu bringen. Deswegen baute sie die Story immer wieder neu zusammen. Aber es steckten auch immer ein paar ihrer persönlichen Träume darin. Und ein wenig Persönlichkeit von ihr in ihren Charakteren.

Mit furchteinflößender Treffsicherheit hatte Dingo immer exakt den virtuellen Finger auf diese kleinen Brocken von ihr gelegt. Sie hatte es bald nicht mehr ausgehalten und ihm geantwortet. Und damit hatte ein Strudel sie ergriffen.

Dingo und Anna, die sich im Internet aus einer Laune heraus Mohnblume nannte, hatten sich Mail um Mail geschrieben. Gefangen in einer gegenseitigen Faszination, die Anna als unglaublich berauschend empfunden hatte. Er hatte sie inspiriert, mit ihr über ihre Träume gesprochen, ihre Geschichten verschlungen und sich ihr offenbart. Zumindest zu einem gewissen Teil.

Sie hatten in einander verwandte Geister gefunden. Beide unzufrieden mit ihrem Leben. Beide gefangen in Beziehungen, die sie nicht erfüllten. Beide voller Träume und Fantasien.

Und sie hatten sich blind verstanden. Anna musste manchmal nur einen Halbsatz lesen, um zu wissen, was er sagen wollte. Ihm ginge es ebenso, hatte er behauptet.

Schon bald wusste er mehr von ihr als ihre Eltern, ihr Freund und ihre beste Freundin zusammen. Und ihr Verhältnis wurde unglaublich intim.

Sie betrog ihren Freund mit diesem virtuellen Mann auf sehr viel schrecklichere Weise, als es ein einfacher Seitensprung hätte vollbringen können. Sie schwelgte mit ihm in sexuellen Fantasien, in verheimlichten Emotionen.

Und dann, in einem schwachen Moment, als sie beinahe bereit war ihm zu glauben, dass es zwischen ihnen zu mehr kommen könnte, egal wie unwahrscheinlich das bei einer solchen Bekanntschaft sein mochte, hatte sie ihm Bilder von sich geschickt.

Natürlich hatten sie zuvor schon Bilder ausgetauscht. Passbilder, Schnappschüsse. Doch was sie ihm an jenem Abend schickte, war eigentlich für ihren Freund bestimmt gewesen. Aktbilder. Aufgenommen von einer professionellen Fotografin. Schamlose Bilder. Bilder, die mehr ihrem tief verborgenen, verdorbenen Ich entsprachen als dem sorgsam kultivierten Bild, dass sie in der Öffentlichkeit zur Schau trug.

Ihre Eltern hätten sie wegen solcher Schweinereien verstoßen, ihr Freund sie verlassen, ihre Freunde sich von ihr abgewandt. Das hatte sie ihm eröffnet. Und er hatte sie nicht enttäuscht, sondern ihr gesagt, dass er die Bilder liebe.

Er forderte sie auf damit aufzuhören, immer allen alles recht machen zu wollen. Sich ihren Eltern zu stellen und ihnen zu sagen, dass sie sich ihre verklemmte Moral sonst wo hinstecken konnten. Ihrem verklemmten Freund den Laufpass zu geben, ihre eifersüchtigen Freundinnen zu vergessen. Und er hatte sie aufgefordert, sich mit ihm zu treffen.

Sie hatte zugestimmt.

Am Tag der Begegnung wäre sie vor Aufregung beinahe aus der Haut gefahren. Sie hatte natürlich ihren Eltern nicht die Meinung gesagt, ihren Freund nicht abgeschossen und ihre Freundinnen nicht vor den Kopf gestoßen. Sie wollte auf Nummer sicher gehen und erst sehen, ob er wirklich so war, wie sie ihn sich erträumte.

Viel zu früh war sie am Treffpunkt angelangt und hatte gewartet. Und auch er war viel zu früh erschienen. Er hatte ausgesehen wie auf seinen Fotos. Nein, besser. Er schien zu glühen vor Aufregung und seine Augen strahlten.

Doch Anna konnte sich ihm nicht zeigen. Sie wusste, wenn sie voreinander stünden, dann wäre es um sie geschehen. Er würde sie mit diesem Blick fesseln und sie würde mit ihm bis ans Ende der Welt gehen. Sie würde so glücklich sein wie nie zuvor in ihrem Leben.

Sie konnte nicht.

Es war zu viel. Es würde nicht gut gehen. Es konnte nicht real sein.

Er würde sie zurückweisen. Oder anders verletzen. Oder es würde gut gehen, aber dann würde er eine andere finden. Oder sie würde sich verlieren, wenn sie sich auf ihn einließe.

Sie konnte nicht.

Sie ging.

Ließ ihn einfach stehen und warten und lief davon.

Er versuchte sie anzurufen, aber sie nahm nicht ab. Er schrieb ihr Mails. Unzählige Mails, aber sie antwortete ihm nicht.

Dann hörte es auf und Anna weinte nicht mehr jeden Abend. Sie lief nicht mehr mit rot geäderten Augen herum und ihr Freund verzieh ihr natürlich ihre Phase der Aufgewühltheit. Ihre Freundinnen waren nicht nachtragend, dass sie ihnen wochenlang keine Aufmerksamkeit geschenkt hatte und ihre Eltern waren froh, dass ihr Spätzchen wieder wohlauf war.

Ein neues Handy, eine neue Telefonnummer und eine neue Mailadresse ermöglichten ihr einen klaren Neuanfang. Und dabei hatte sie doch nur ihr altes Leben wieder zurück. Ihr altes, vertrautes, langweiliges Leben.

Sicherheit.

Sie weinte nicht mehr oft. Hatte es hinter sich. Schaffte es, den Teil von ihr in sich zu verschließen, der aufschrie, und nicht mehr aufhören wollte zu klagen.

Keine Erotik-Geschichten mehr. Keine schmutzigen Fantasien mehr. Sie ging sogar zur Beichte und holte sich Absolution für ihre Sünden von einem Pfarrer, der sie fast nicht abwertend ansah.

Alles war wieder in Ordnung.

Zwei Monate später bekam sie eine einzige Mail. Auf ihren Mailaccount an der Uni.

Der Absender war nichtssagend und der Inhalt bestand nur aus einer einzigen Zeile Text:

‚Wenn es wirklich enden soll, reicht ein einziges Wort von dir: Stopp!'

Eine Zeile Text. Ein einziges Wort nur. Aber sie konnte nicht antworten.

Sie sollte es ihm schreiben. Sollte es für immer beenden, aber stattdessen löschte sie die Mail. Als wäre sie nie da gewesen.

Weitere zehn Monate vergingen. Sie konnte Dingo nicht vergessen. Konnte das Bild von ihm auf dem Platz vor dem Café nicht vergessen. Seine strahlenden Augen, die für einen Sekundenbruchteil ihren heimlichen Blick gekreuzt hatten.

Aber sie lebte weiter. Gab dem Drängen ihres Freundes nach und verlobte sich mit ihm. Präsentierte ihren Eltern ihren zukünftigen Ehemann und plante mit ihren Freundinnen ihre Hochzeit. Ohne dabei etwas anderes zu fühlen als Abscheu.

Ihre beste Freundin war die Einzige, die sich nicht für ihr privates Glück freute. Sie drohte ihr sogar an, die Freundschaft aufzukündigen.

„Ich war immer dagegen, dass du dich auf diese Internettypen so sehr einlässt, Anna", sagte sie ihr bei ihrem letzten Telefonat. „Aber du hast nicht auf mich gehört. Du musstest es auf die Spitze treiben, und wenn ich dich jemals wirklich glücklich gesehen habe seit unseren Ferien auf dem Bauernhof, weit, weit weg von deinen Eltern, dann kurz, bevor du dich mit ihm treffen wolltest. Und wenn du jetzt von mir erwartest, dass ich die Trauzeugin spiele, während du die ganze Welt belügst, dann hast du dich geschnitten. Das kannst du vergessen.

Warum hast du nicht einfach eine Nacht mit dem Freak verbracht? Dann wäre der Zauber weg gewesen und gut. Aber so jagst du doch jetzt für den Rest deines Lebens einem Traum nach.

Mensch Anna hast du in der letzten Zeit mal in den Spiegel gesehen? Deine Augen sind tot!"

Verenas Monolog war noch länger gewesen, aber Anna hatte ihr nicht antworten können. Tränen waren ihr über die Wangen gelaufen und sie hatte kein Wort herausbekommen.

Erst ganz am Schluss schaffte sie es tonlos hervor zu quetschen: „Du irrst dich. Ich bin glücklich."

„Ach ja?", hatte Verena daraufhin fast geschrien. „Wenn du dir das wirklich einreden willst, ist für mich kein Platz mehr in deinem Leben. Ruf wieder an, wenn du ehrlich drüber reden willst."

Dann hatte sie aufgelegt und Anna hatte nicht zurückgerufen.

Das war nun zwei Monate her und seitdem wusste Anna, dass sie nun zu Recht und verdient allein war.

Und dann war Anfang der Woche diese Mail gekommen.

Eine Mail ohne sinnvollen Absender mit einem Bild darin. Und mit einer Frage.

Das Bild zeigte sie, Anna, wie sie auf einem Podest saß und schamlos die Beine breitmachte. Eine Hand spreizte ihre Schamlippen, die andere reckte eine ihrer Brüste in die Kamera und ihr Gesichtsausdruck war so lasziv, wie sie es bei ihrer damaligen Fotosession eben hinbekommen hatte.

Die Frage lautete: ‚Willst du, dass deine Eltern, deine Freundinnen, deine Kommilitonen und dein Verlobter das sehen?'

Annas Herzschlag hatte ausgesetzt.

Es gab nur einen Menschen außer der Fotografin, der Zugriff auf dieses Bild haben konnte: Dingo.

Und nun, nach beinahe einem Jahr, wollte er sie erpressen?