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Übermensch

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Der Magier lächelt mich an, aber meine Wut lässt sich dadurch nicht besänftigen.

„Du hast recht", gibt er zu, was mich sehr überrascht. Verwirrt blicke ich zu ihm auf.

„Ja, es stimmt, auch wir haben einander getötet und gehasst, denn auch wir sind nicht perfekt. Aber dieser Konflikt war der erste seit vielen Jahrtausenden unter uns, und er entstand nicht aus reiner Willkür oder Angst oder unserem System, sondern daraus, dass ihr uns angegriffen habt und wir darauf reagieren mussten."

„Ich kann nicht sagen", fährt er nach kurzem Zögern fort, „dass ich stolz darauf bin, was damals geschehen ist. Genauso wenig halte ich es für richtig. Aber jetzt, da ich der letzte unserer Rasse auf Erden bin, kann ich sagen, dass wir tatsächlich einen Konflikt hatten, der sich nicht anders lösen ließ, zumal wir bis zu diesem in absolutem Einklang gelebt hatten. Wir haben vor den Kämpfen das Gespräch miteinander gesucht, doch wir waren zu keiner anderen Lösung fähig. Auch das unterscheidet uns von euch Menschen, die das Gespräch absichtlich vermeiden, um ihre Konflikte im Kampf austragen zu können."

„Und deshalb ist es nun nötig, die Menschheit auszurotten?", frage ich leise.

„Wegen einer verpassten Chance?"

„Wegen tausend verpassten Chancen."

Er nimmt mich hoch und setzt mich auf die Balustrade. Ich blicke hinab auf Bellchester und sehe die langsam untergehende Sonne am Horizont, während meine Beine hinunter baumeln.

„Ich tue es nicht aus Grausamkeit oder Wut. Es ist Gnade, die mich dazu treibt, die Menschen zu töten, denn wenn ich es nicht tue, dann tötet ihr euch langsam und qualvoll selbst. Hätte ich damals nicht eingegriffen, wäre es schon längst passiert."

Ich verzweifle. Ich möchte es nicht, aber ich beginne seinen Standpunkt immer mehr zu verstehen, selbst ohne in seine Augen zu sehen. Ich öffne den Mund, will widersprechen, doch finde keine Worte, und so schließe ich ihn wieder.

„Alles, was ihr seid, ist eine Illusion von euch selbst, die ihr mit viel Mühe aufrecht erhaltet. Jeder von euch spielt sich und allen anderen vor, er wäre jemand, obwohl jeder von euch eigentlich ein niemand ist, kontrolliert von mühsam kaschierten Trieben. Ihr weigert euch, das zu erkennen und tut, was ihr tut, immer und immer und immer wieder, um euch davon abzulenken. Ihr seid ein Fehltritt der Evolution, ihr seid grausame Tiere, die grausam sind, um leugnen zu können, dass sie Tiere sind. Und vielleicht ist der einzig richtige Schritt nun, in Würde aus der Existenz zurückzutreten, zu akzeptieren, dass ihr eure Zeit hattet. Vielleicht ist es der richtige Schritt, auszusterben, weil diese Zeit nun vorbei ist."

Einzelne Tränen rinnen meine Wangen hinunter. Ich beginne zu schluchzen. Dann zu weinen. Dann heule ich laut. Die Sonne geht hinter den Bergen unter und ein Schatten legt sich über meinen Körper. Mir wird kalt.

Der Magier umarmt mich sanft von hinten, zieht mich zu sich heran, summt und flüstert mir beruhigend ins Ohr.

„Weine nicht."

Er wischt mir sanft die Tränen aus dem Gesicht und drückt mich fester, wärmt meinen Körper. Die Kälte will nicht verschwinden.

„Du brauchst keine Angst zu haben. Der Tod ist etwas natürliches, er tut nicht weh. Vertrau mir, ich habe ihn wieder und wieder erlebt."

Ich schmiege mich an ihn, lasse mich in seine Umarmung fallen und weine in seine Brust hinein. Ich kann ihn nicht überzeugen, ich kann es nicht und ich fühle, dass meine Logik ihn nicht berühren kann, seiner Logik untergeordnet ist.

„Er ist eine Notwendigkeit. Er scheint immer weit weg zu sein, aber in Wirklichkeit begleitet er dich schon dein ganzes Leben. Er ist so sanft, dass du ihn nie gespürt hast, und seine Umarmung ist nicht mehr als ein kurzer Hauch."

„Gibt es wirklich keinen anderen Weg?", frage ich schniefend und blicke dem Magier ins Gesicht.

Er schüttelt den Kopf.

„Nein."

Ich nicke und ziehe die Nase hoch, drücke mich etwas von ihm weg. Er hebt mich von der Balustrade und stellt mich behutsam vor sich auf den Boden. Ich atme noch einmal tief durch und blicke ihm dann entschlossen ins Gesicht.

„Dann tu es."

Keine Emotionen in seinem Gesicht, weder Hass noch Liebe noch Wut, keine Überraschung in seinen Augen. Ich schließe meine, um nicht noch einmal das Grün sehen zu müssen.

Ein Schnipsen.

Etwas in mir stirbt. Ich fühle es, aber es tut nicht weh. Noch nicht. Ich warte auf den Schmerz, beiße die Zähne zusammen, erwarte etwas, irgendwas.

Als nichts passiert, öffne ich langsam die Augen. Der Magier steht immer noch vor mir.

„Wie ich bereits sagte, ich bin nicht grausam."

„Was...was hast du gemacht?", frage ich verwirrt. Ich verstehe es nicht mehr. Er wollte doch alles vernichten. Hat er sich nun doch umentschieden?

„Ich werde euch nicht auf einen Schlag töten. Wenn ich das tue, dann erleidet jeder von euch Schmerzen, ohne geht es bei so vielen Menschen nicht. Tue ich es nur bei einzelnen, so erfahren es die anderen, und Panik bricht aus. Also musste ich eine andere Methode wählen."

Ich blicke ihn verständnislos an und fühle meine entschlossene Fassade bröckeln.

„Ich habe euch die Fähigkeit genommen, euch fortzupflanzen. Ihr seid die letzte Generation der Menschen, die auf der Erde leben werden. Ihr werdet in Würde gehen und bis zum Ende leben."

„Was ist mit mir?", frage ich. „Bleibe ich jetzt für immer jung? Bleibe ich bei dir?"

„Nein", antwortet der Magier mir. „Auch du bist ein Mensch, und daran wird sich nie etwas ändern. Also musst du irgendwann sterben, denn auch ich muss irgendwann sterben. Du würdest mir bald darauf in den Tod folgen, aber an den gleichen Ort gehen wir vermutlich nicht. Wo ich nach meinem nächsten Tod bin, weiß ich nicht, und ich kann es nicht kontrollieren. Genauso wenig kann ich deinen Tod kontrollieren."

„Stattdessen", fährt er fort, „biete ich dir etwas an: Du kannst fortgehen und unter den Menschen leben, einen Mann finden, glücklich sein und irgendwann sterben. Ich gebe dir die Fähigkeit zu altern zurück und nehme dir deine Erinnerung an diesen Ort und dieses Gespräch, denn du sollst nicht wissen, dass du sterben musst."

Gehen? Mein halbes Leben vergessen? Vergessen, dass ich hier war? Vergessen, was in 44 Jahren passiert ist?

Ich denke nach. Meine Entscheidung fällt schnell und ich überrasche mich selbst damit, dass ich keine Gedanken mehr an meine Angst verschwende. Meine fassade ist weg, genau wie jedes Gefühl von Hass auf den Magier und jede Verzweiflung.

„Das will ich nicht."

Der Magier seufzt. Seine grünen Augen fixieren mich, ich erwidere den Blick. Keine Emotionen.

„Das hatte ich befürchtet. Aber wenn ich dir deine Erinnerung nicht nehme, dann weißt du, was dich erwartet, und du verlierst deine Lebenslust. Und vielleicht erzählst du es den anderen. Das kann ich nicht riskieren."

Ich nicke.

„Wenn du hierbleibst, dann lebst du, solange ich lebe und danach wirst du langsam in Einsamkeit vergehen. Ich weiß nicht, wie viel Zeit mir hier verbleibt, vermutlich zwischen 200 und 800 Jahren. Wenn ich also tot bin, dann gibt es außer dir niemanden mehr."

Er wartet kurz, bevor er weiter redet.

„Willst du das?", fragt er tonlos.

Ich schüttle entschieden den Kopf.

„Dann gibt es nur noch eine Möglichkeit."

Ich nicke, diesmal verstehe ich es genau. Sein Zeigefinger nähert sich meiner Stirn. Er blickt mir fragend in die Augen. Ich erwidere den grünen Blick und umfasse sein Handgelenk mit beiden Händen. Bevor ich meine Augen schließe, glaube ich, in seinen Augen Bedauern zu sehen. Ich drücke seine Fingerspitze gegen meinen Kopf.

Ein kurzer Hauch.

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  • KOMMENTARE
Anonymous
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5 Kommentare
Auden JamesAuden Jamesvor mehr als 5 Jahren
Großvater Nietzsche?

Der erstkommentierende Anonymus brachte Friedrich Nietzsche (namentlich) ins Spiel, dessen Idee vom „Übermenschen“ vielleicht titelgebend für den vorliegenden Text gewesen sein mag (das kann der Autor desselben wohl am ehesten beurteilen), aber wo jener Anonymus hier „Großvater Nietzsche“ im Text ausgemacht haben will, das ist für mich nicht im geringsten ersichtlich! Die „Übermenschen“ im Text scheinen mir doch eher von Großvater Heinlein („Stranger in a Strange Land“) herzurühren . . .

–AJ

Bleeding_HeartBleeding_Heartvor mehr als 5 JahrenAutor
@Panthera_tigris

Hallo Panthera tigris,

Erst einmal danke fürs Lesen und für die Rezension! Es freut mich ehrlich, dass ich es schaffe, positiv aufzufallen und zu unterhalten und dann auch noch zu überraschen!

Was das Ende angeht, so fällt auch mir auf, dass meine Geschichten meist in einen tragischen Schluss münden. Irgendwie erachte ich das aber jedes Mal als passend. Letzten Endes bin ich genauso ein Feind der 0815/Pornogeschichten wie ich ein Feind der zwanghaft guten Enden a la "und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage" bin. Ob es nun ein sadistischer Drang ist, den Leser ein wenig zu ärgern oder einfach eine Vorliebe für die Tragik, die Entscheidung überlasse ich den Konsumenten.

Hm, was die tatsächliche Schlechtheit der Menschheit angeht, bin ich etwas pessimistischer. Selbstverständlich gibt es auch etliche gute Seiten an uns, die ich in dieser Geschichte nicht vom Magier habe beleuchten lassen. In Abwägung mit unserem, wie du es selbst nennst, "enormen uneinsichtigen Zerstörungspotentials" bezweifle ich ganz offen, dass die Wage sich zu unseren Gunsten ausbalanciert. Auch die klugen Köpfe, die von der Vielzahl an dummen Köpfen übertönt werden, können daran nichts ändern, denn wer am lautesten schreit, der hat recht. Sie lassen die klugen Köpfe nichts bewirken. Hinzu kommt, dass sich im bis dato fiktiven Jahr 2061 bereits viele Chancen geboten haben, die (fiktiverweise) nicht ergriffen worden sind.

Lustigerweise muss ich an dieser Stelle jetzt auch gestehen, Inferno hingegen zu Illuminati und Sakrileg nicht gelesen oder gesehen zu haben. Scheinbar muss ich das noch nachholen...

Nochmals danke fürs Lesen und für die zukünftige Bewertung, wie diese auch aussehen mag!

MfG,

Heart

Panthera_tigrisPanthera_tigrisvor mehr als 5 Jahren
Da muss ich noch mal drüber nachdenken

Hallo Bleeding_Heart,

ich glaube, ich hatte es bei einer deiner anderen Geschichten schon einmal geschrieben, ich schätze deine Experimente jenseits der 0815/Pornogeschichten sehr.

Als ich die Überschrift und die Kurzzusammenfassung gelesen habe, dachte ich zunächst auch, dass es eher in die Richtung Transhumanismus gehen würde. Insofern hat mich deine Geschichte wieder einmal überrascht, gleicht es doch eher einer Zustandsbeschreibung unseres aktuellen Lebensstils, der politischen Lage und unseres enormen uneinsichtigen Zerstörungspotentials.

Natürlich hätte ich mir ein versöhnlicheres Ende gewünscht; denn ganz so schlimm wie du es in deiner Geschichte skizziert hast, sind wir Menschen nun auch wieder nicht. Mit der totalen Vernichtung wird schließlich die letzte Chance der Menschheit geraubt, denn dadurch gehen auch all die vielen klugen Köpfe verloren, die durchaus etwas bewirken könnten, wenn man sie denn nur ließe.

Dein Schluss hat mich ein wenig an das Ende von "Inferno" von Dan Brown erinnert; dort geht der Antagonist (kann man ihn überhaupt als einen solchen bezeichnen?) einen ganz ähnlichen Weg, um das Problem der Überbevölkerung durch eine genetische Dämpfung der Fertilität zu bekämpfen.

Und dennoch, deine nachdenklich stimmenden Texte abseits der Literotica-Norm machen mich immer wieder neugierig und heben sich positiv aus der Masse hervor. Über die Bewertung muss ich noch eine Weile nachdenken, ich schwanke zwischen 4 und 5 Sternen.

Beste Grüße

Panthera tigris

Bleeding_HeartBleeding_Heartvor mehr als 5 JahrenAutor
@Anonymous

Danke für deinen Kommentar und die gute Bewertung! Ich freue mich, dass ich unterhalten und anscheinend sogar überraschen konnte.

Dass ich mit dieser Geschichte kein allzu großes Interesse und gigantischen Zuspruch erzeugen kann, ist mir klar. Das liegt vermutlich allein schon daran, dass sie nicht in "Inzest/Tabus" zu finden ist.

Das ist mir persönlich aber auch nicht besonders wichtig - auch wenn ich mich über positive Bewertungen und Kritik natürlich immer freue. Mir geht es eher darum, eine Idee von mir umzusetzen und dabei meinen Schreibstil zu entwickeln. Dabei beschäftige ich mich mit Vorliebe mit Themen abseits der Norm, mal klappt das gut, mal eher weniger. Es ist aber immer wieder schön, wenn das dann auch noch jemandem gefällt!

MfG,

Heart

AnonymousAnonymvor mehr als 5 Jahren
Überraschung

O ha, das ging jetzt aber in eine ganz andere Richtung, als ich erwartet hatte: Nicht moderner Transhumanismus, sondern Großvater Nietzsche.

Mir hätte eine etwas ausführlichere Diskussion mit echten Gegenargumenten besser gefallen, aber aufgrund der Figuren-Konstellation war das vielleicht nicht möglich.

Trotzdem gebe ich Dir 5 Punkte. Die Geschichte ist zwar nicht sexy, aber gut. Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass Du in diesem Forum damit irgendeinen Blumentopf gewinnst...

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