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Wenn die Nachtigall erwacht 01

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»Ja, Mist: ich dachte, dass ich denke ... «, gab er kleinlaut zu und ließ den Kopf gespielt enttäuscht hängen.

»Ist schon o. k.«, sagte Miriam und zeigte an dem Baum der Evolution auf den Zweig der Primaten, »Du gehörst ja rein biologisch zu den denkenden Vertretern deiner Ordnung.«

Sie klang wie ein Schulmädchen bei der mündlichen Prüfung und warf ihrer Aussage ein entschuldigendes Lächeln hinterher - er konnte ja nicht wissen mit wem er es zu tun hatte. Er blickte sie mit heruntergezogenen Augenbrauen und vorgeschobenen Lippen an, zeigte auf sich und sprach mit der rauen Stimme eines Höhlenmenschen: »Ich Sven und du?«

»Miriam«, sagte sie lachend und strich sich die Haare in einer charmanten Geste hinters Ohr. Schweigend blickten Sven und Miriam auf das Gemälde, ohne es zu beachten. Scheue Seitenblicke wichen sich gegenseitig aus. Verlegenes Lächeln, wenn der eine den anderen ertappte.

Miriams Neugier an Sven wuchs durch das, was er nicht tat: sie mit gierigen Augen anstarren. Die strubblige Kurzhaarfrisur war nicht das Ergebnis einer unruhigen Nacht, sondern sorgsam gepflegtes Chaos, oberhalb eines sanft gezeichneten Gesichts. Einem Gesicht, dem für Miriams Geschmack, ein paar Jahre Lebenserfahrung fehlten. Sie hätte aufstehen und gehen können, aber sie saß einfach da und schaute ihn an. Entweder war er sich nicht im Geringsten darüber bewusst, was er gerade tat, oder er war mit allen Wassern gewaschen -- aber dafür sah er zu jung aus.

Sven drehte den Kopf in ihre Richtung und grinste verwegen. Erwischt! Miriam hatte ihn einen Moment zu lange verträumt angeschaut und das Spiel der Blicke verloren. Ihr blieb nichts anderes übrig, als die Niederlage schmunzelnd einzugestehen, den Blick auf den Boden zu richten und ihr Gesicht hinter einem Vorhang aus langen blonden Haaren zu verbergen.

»Du bist gut«, sagte er mit der gönnerhaften Überlegenheit des Siegers. Miriam löste den Schneidersitz auf, streckte ihre Beine nach vorne und ließ sich vom Podest rutschen.

»Du auch«, hauchte sie und lief an ihm vorbei.

»Sehen wir uns wieder?«

Miriam blieb stehen und peilte ihn durch ihre herabhängenden Haare an: »Vielleicht.«

*

‚Was für eine Figur!', dachte Sven und schaute den langen Beinen so lange nach, bis sie aus seinem Blickfeld verschwanden. Der Hall ihrer Absätze wurde leiser und er atmete erleichtert aus. Er ging bei ihrem Aussehen und dem selbstbewussten Outfit davon aus, dass sie ihn durch die Nase einsaugen, durchkauen und dann herablassend in die Ecke spucken würde. Und in diesem Fall hätte er die Abfuhr als Gewinn verbucht: eine bittersüße Lehre für die Eroberung zukünftiger Ex-Freundinnen. Stattdessen war sie schüchtern wie eine Klosterschülerin, und so süß, dass es ihm fast leidtat, sie mit seinen blöden Sprüchen aus ihrer heilen Welt gerissen zu haben.

*

Die Ruhe des Gebäudes wirkte nicht mehr auf Miriam, sie eilte mit schnellen Schritten zum Ausgang und versteckte sich hinter ihrer Sonnenbrille. ‚Ich habe mich wie ein verdammter Nerd verhalten', warf sie sich vor und erreichte den großen Saal mit den Dinosauriern, sah mit einem Blick über die Schulter, dass sie nicht von Sven verfolgt wurde, und blieb vor einem Raptorenskelett stehen. Sie war den rauen Umgang mit Elitesoldaten gewohnt, konnte sie sich vom Hals halten oder um den Finger wickeln, je nach persönlichem Befinden. Aber gegen die frech-charmante Anmache dieses Sunnyboys versagten ihre Instinkte.

Sie blickte zurück zum Aufgang in den Westflügel, schüttelte den Kopf und verließ das Museum. Bis zu ihrem 18. Lebensjahr war ihr dieses Spiel vertraut gewesen: hingucken, weggucken, lächeln, warten, wie der andere reagiert. Vielleicht war es Zeit, sich wieder mal auf dieses Spiel einzulassen.

***

Mit einem Tablett, auf dem ein 30-Zentimeter-Steak & Cheese Sandwich und eine große Cola standen, balancierte Miriam durch die Subway--Filiale und fand einen Sitzplatz am Fenster. Nach einem großen Bissen schaltete sie ihr Smartphone ein und wählte sich in den freien WLAN--Hotspot ein, um ihre E-Mails abzufragen. Wie zu erwarten, waren keine E-Mails in ihrem Postfach, der Account bestand ja erst seit ein paar Tagen. Lediglich eine Nachricht, die als Spam-Mail klassiert war, befand sich in dem dafür vorgesehenen Verzeichnis. Kauend öffnete sie den Unterordner und fand eine Mail. Der Name des Absenders war eine kryptische Zeichenfolge, die wohl keinen tieferen Sinn hatte. In der Betreffzeile stand jedoch: „An die Blaue Königin".

‚Fuck!', der Gedanke schlug wie ein Blitz in ihrem Kopf ein. Das war keine Spam-Mail und wahrscheinlich konnte man den Absender auch nicht zurückverfolgen -- zumindest fehlten ihr die technischen Möglichkeiten dafür. Ihr Finger kreiste über dem Display, aber sie zögerte mit dem Öffnen der Mail und biss noch einmal vom Sandwich ab.

Sie war die Blaue Königin, zumindest war dieses Wesen ein Teil von ihr. Genau der Teil von ihr, der in ihrem zukünftigen Leben nicht mehr den Ton angeben sollte. Die Blaue Königin war offiziell im Ruhestand. Der sinngemäße Inhalt der letzten Botschaft aus Langley besagte: „Es gibt keine Hinweise mehr auf Aliens, die Abteilung wird bis auf Weiteres aufgelöst. Lebe lange und in Frieden, aber vermehre Dich nicht!"

Damit endete eine jahrelange, von gegenseitigem Misstrauen geprägte Zusammenarbeit mit der CIA und deren befreundeten Geheimdiensten. Alleine die letzte Einzahlung auf ihrem Schweizer Bankkonto reichte für ein geruhsames Leben. ‚Ich habe Geld, ich habe einen Personalausweis und ich habe meine Ruhe', dachte Miriam, und ihr Finger schwebte knapp über dem kleinen Papierkorbsymbol, mit dem sie die Mail ungeöffnet vom Display verschwinden lassen könnte. Wenn da nicht der latente Verdacht bestünde, dass sie bewusst aus dem Spiel genommen wurde, weil Dinge geschahen, von denen sie nichts wissen sollte.

Sie aß den Rest des Sandwiches und starrte kauend durch das Schaufenster auf die Straße. Schließlich stellte sie den leeren Colabecher auf das Tablett und öffnete die E-Mail, die an die Blaue Königin gerichtet war. „Noch einmal stürmt, noch einmal, liebe Freunde!", stand auf dem Display. Ihre früheren Aufträge bekam sie nicht mit den Worten von toten Dichtern übermittelt. Der Text war ein Hyperlink. Miriam klickte ihn an und landete auf einer Website, die eine Landkarte anzeigte. Gar nicht weit von ihrer neuen Heimatstadt, blinkte ein kleiner Punkt. Sie zoomte die Karte größer und erkannte, dass es sich um einen stillgelegten Militärflugplatz handelte. Je größer sie die Karte zoomte, desto größer wurde auch der blinkende Punkt. Als sie ihn ganz groß gezoomt hatte, sah er aus wie ein Osterei.

»Fuck!«, zischte Miriam. Auf dem Display erschienen GPS--Koordinaten sowie eine Datums- und Zeitangabe. ‚Das ist heute Nacht!', wurde Miriam bewusst. Sie schaltete ihr Smartphone aus, demontierte den Akku und verstaute die Einzelteile in ihrer Handtasche. Mit einem dezenten Rundblick versicherte sie sich, dass niemand Zeuge dieser skurrilen Botschaft geworden war, und verließ das Restaurant.

***

Nachdenklich stieg Miriam aus der S-Bahn, trottete zwei Häuserblocks weiter und schlüpfte durch ein Loch im Zaun. Sie durchquerte das brachliegende Industriegelände, indem sie mit ihren hohen Sandalen über die alten Schwellen einer stillgelegten Bahntrasse tippelte. Zwischen den Bahngleisen wuchsen armdicke Birken und kratzige Büsche. Die offen stehenden Tore der Maschinenhalle ließen das Gebäude wie ein ausgeweidetes Tier erscheinen. Wo einst Generatoren und stampfende Maschinen standen, ragten abgetrennte Rohre und Kabel aus dem Boden.

Miriam lief durch die Halle zur gegenüberliegenden Wand und eilte die Stufen der Metalltreppe empor. Unter der Hallendecke waren einst Büros für die Verwaltung, jetzt wohnte sie hier seit einigen Wochen. Eine ruhige Nachbarschaft und die Nähe zur Innenstadt waren ihr wichtiger als Wohnkomfort. Vor allem anderen legte sie, einer alten Gewohnheit folgend, Wert auf Anonymität. ‚Wenn ich mein neues Leben im Griff habe, nehme ich mir eine Wohnung mit beschriftetem Klingelschild', nahm sie sich vor und verriegelte die Tür ihrer Unterkunft.

Der lange Flur zog sich schnurgerade durch den ehemaligen Bürotrakt. Auf der zur Produktionshalle hingewandten Seite waren Fenster, durch die man einst die Halle überblicken konnte. Miriam hatte diese Fenster mit alten Zeitungen beklebt, um sich, ungestört von Beobachtern, bewegen zu können. Durch einige kleine Löcher konnte sie die Halle jedoch gut einsehen. Auf der anderen Seite des Flurs befanden sich die Türen zu den einzelnen Räumen. Büros mit rechteckigen Grundrissen, denen Miriam nur durch die spärliche Möblierung eine jeweilige Funktion zuwies. Einzig die Küche und die Toiletten waren schon vor ihr da gewesen. Jeder Raum hatte ein Fenster nach Süden, durch das den ganzen Tag die Sonne hereinschien. Miriam ließ die Jalousien meist geschlossen, damit sich die Räume nicht überhitzten und um keine ungewollten Beobachter zu haben.

Sie streifte die Sandalen von den nackten Füßen, zog das weiße Top über ihren Kopf und schälte sich die Lackhose von ihren Beinen. Nackt bis auf einen weißen Spitzentanga fläzte sie sich auf die Ledercouch, die bereits in einem der Räume gestanden hatte. Es war viel zu heiß, um angezogen nachzudenken. Es wurmte Miriam, dass jemand ihre E-Mail-Adresse ausfindig gemacht hatte. Allerdings hatte sie in den letzten Jahren tiefe Einblicke in die Welt der Geheimdienste erhalten und wusste, dass solche Dinge zur Routine gehörten. Was beabsichtigte der anonyme Absender? Vielleicht war es eine Falle, ein Test, ob sich die Blaue Königin wirklich an die Abmachungen hielt.

Mit hinter dem Kopf verschränkten Armen starrte sie an die kahle Zimmerdecke und ging einige Optionen durch. ‚Ich könnte der Polizei einen anonymen Hinweis geben und abwarten, was in den Nachrichten davon erzählt wird', dachte sie und verwarf den Gedanken wieder. Mit dem Osterei in der Botschaft war kein Ei im eigentlichen Sinne gemeint. Obwohl die Insider allgemein von Eiern sprachen, war es eine Datenkapsel, die lediglich wie ein Ei oder eine faustgroße Frucht aussah.

Sie selbst war in der Lage, solch eine Datenkapsel zu produzieren. Jedes Wesen ihrer Art konnte das und machte dies im Zustand höchster Not sogar instinktiv, um all sein genetisches Wissen, die evolutionären Besonderheiten, über den Tod hinaus zu sichern. Wenn heute Nacht solch ein Ei auftauchen würde, käme darüber kein Bericht in den Medien, weil es das offiziell gar nicht gab.

»Es gibt nämlich gar keine Aliens«, flüsterte Miriam, erhob sich vom Sofa und ging barfuß in ihr Schlafzimmer.

Vor dem großen Standspiegel blieb sie stehen: Arme, Beine und das Gesicht waren von der Sonne leicht gebräunt, ihr restlicher Körper schimmerte in vornehmer Blässe. Abgesehen vom Kopfhaar und den Augenbrauen wuchsen keine Härchen auf ihrem Körper. Sie atmete mit gesenkten Lidern ein und wieder aus, genoss die Veränderung und öffnete die Augen: Makellose, tiefschwarze Haut spannte sich faltenfrei von Kopf bis Fuß über ihren schlanken Körper. Miriam nahm die Schultern zurück und strich über ihre großen, straffen Brüste. Anmut und Stolz waren natürliche Wesensmerkmale der Blauen Königin, kein aufgesetztes oder eingeübtes Gehabe. Die Augenlider schimmerten in tiefem Blau, der Kontrast zu ihrem schwarzen Grundton zog sich bis über die Schläfen und verlor sich im Haaransatz. Sie spitzte ihre kobaltblauen Lippen zu einem Kussmund und schaute ihrem Spiegelbild tief in die Augen.

»Hallo Blaue Königin«, sagte sie zu sich selbst und strich die langen blonden Haare hinter die Schultern. Im Kontrast zu ihrer schwarzen Haut wirkten die Haare fast weiß. Ihr königlicher Stand war kein anfechtbarer Titel, den sie sich selbst oder eine überzeugte Gruppe von Royalisten, verliehen hatte. Das Königliche war tief in ihren Genen verankert. So, wie eine Bienen- oder Ameisenkönigin zeit ihres Lebens eine Königin war, so war Miriam eine Königin ihrer Art. Eine Art, die nicht von dieser Erde stammte und von der Miriam verdammt wenig wusste. Sie wusste nicht einmal, wie sich ihre Art nannte, oder was man von ihr erwartete.

‚Die Welt erobern?', Miriam schüttelte den Kopf. An diesem Ziel war bereits die Rote Königin gescheitert. Daran waren all die zahlreichen Nachkommen der Roten Königin gescheitert. All die Datenkapseln, die von der Roten Königin über die Erde verteilt wurden und die in die Hände unwissender Menschen fielen. Menschen, die daraufhin zu Dienern der fremden Gene wurden und sich recht schnell im Fadenkreuz der wachsam gewordenen Geheimdienste fanden.

Mit jedem vereitelten Versuch lernten die Menschen mehr über die Aliens. Die Menschen lernten die Schwächen und Taktiken kennen und stellten sich darauf ein. Vor allem war es aber Miriam selbst gewesen, die den Menschen half, einen blutigen Krieg mit ihrer Art zu verhindern. Dank ihrer Fähigkeiten konnte sie zahlreiche Menschen, die in Kontakt mit den Datenkapseln der Roten Königin gekommen waren, vor den fremden Genen retten. Sie war in der Lage, die genetische Veränderung innerhalb der ersten Stunden rückgängig zu machen. Selbst die Soldaten, mit denen sie kämpfte, sahen ein, dass dies besser war, als alle Betroffenen abzuschießen.

‚Bin ich eine Verräterin?', fragte sich Miriam und rollte mit den Augen, als sie erkannte, dass sie schon wieder in die gedankliche Sackgasse getappt war, in der sie immer stecken blieb. Irgendetwas musste bei Miriam schief gelaufen sein. Sie war sich ihrer menschlichen Seite noch bewusst. Genau genommen war Miriam ein Prototyp: ein misslungenes Experiment der Roten Königin. Misslungen in dem Sinn, dass Miriam ihre Schöpferin tötete. Aber im Gegensatz zur Roten Königin hatte sie Skrupel, die Menschen scharenweise zu unterwerfen, um sie ihrer Art anzugleichen. Miriam stand zwischen zwei Fronten: Sie wollte weder den Menschen noch ihrer Art schaden. Sie war eine Minderheit in der Minderheit, und vielleicht war sie deswegen die einzige nicht menschliche Überlebende eines Kriegs, von dem kaum jemand auf diesem Planeten etwas mitbekommen hatte.

Miriam ging zum Fenster und schaute auf die trostlose Industriebrache, die ihre Behausung umgab. Die tief stehende Abendsonne schien durch die kleinen Schlitze in den Jalousien und zeichnete ein Muster aus Licht und Schatten auf ihren Körper. Einzig der weiße Spitzentanga hob sich leuchtend von ihrem schwarzen Körper ab. Sie bewegte sich mit ihrem Vorhaben in einer Grauzone. Würden ihr die Menschen einen Strick daraus drehen, wenn sie auf eigene Faust handelte?

Miriam erinnerte sich an den Wortlaut der Mail: „Noch einmal stürmt, noch einmal, liebe Freunde!"

»Na gut!«, sagte sie entschlussfest und begann ihre Ausrüstung zusammenzusuchen. Wenn irgendjemand auf dieser Welt ein Anrecht auf diese Eier hatte, dann wohl sie. Und bevor die Menschen in ihrer unendlichen Neugier Dummheiten machten, war es sogar ihre Pflicht, sie vor Unheil zu bewahren. So eine Datenkapsel war durchaus in der Lage, ihre Gene in einen oder mehrere Menschen zu übertragen. Und sie hatte keine Lust, schon wieder frisch mutierte Drohnen einzufangen.

***

Einige Stunden später saß Miriam in den unteren Streben eines Flutlichtmastes auf dem ehemaligen Militärflugplatz. Das waren die Koordinaten, die ihr in der E-Mail genannt wurden. Sie beobachtete einen Geländewagen, in dem drei Männer saßen und warteten. Die drei Kerle sahen aus wie Türsteher einer Dorfdisco. Da sie in dem Fahrzeug warteten, anstatt die Umgebung abzusichern, war sich Miriam sicher, dass diese Typen mehr in den Oberarmen als in ihren Köpfen hatten. Mit Profis hatte sie es offensichtlich nicht zu tun, aber wer schickte drei Hohlköpfe nachts auf einen verlassenen Flugplatz?

Miriams schwarze Haut glänzte sonst makellos, heute hatte sie den edlen Glanz gegen ein Licht schluckendes mattschwarz getauscht. Sie war dadurch ausreichend getarnt, um sich das Schauspiel aus nächster Nähe anschauen zu können. Von Weitem hörte sie die Geräusche eines nahenden Hubschraubers. Zu ihrer Verwunderung kam ein weißblauer Zivilhubschrauber angeschwebt. Das war keine Militärmaschine, mit denen eine solch brisante Fracht üblicherweise transportiert wurde. Vielleicht wollten die Drahtzieher der Aktion jedes Aufsehen vermeiden und entschieden sich deshalb für unauffälliges Personal. ‚Dann hätten sie es gleich mit der Post schicken können', fiel Miriam ein. Sie war sich fast sicher, dass dieses Treffen nicht auf staatlicher Ebene veranlasst wurde, ansonsten würde es hier vor Soldaten oder Polizisten wimmeln.

Der Hubschrauber setzte auf und federte kurz nach, bevor die Schiebetür aufgerissen wurde. Der Pilot ließ die Rotoren mit hohen Drehzahlen laufen, jederzeit bereit, abzuheben. Zwei von den drei Hohlköpfen stiegen aus dem Auto aus und rannten mit eingezogenen Köpfen zur Landestelle. Sie nahmen einen Aluminiumkoffer in Empfang, stellten ihn auf den Boden und gingen in Deckung, als die Triebwerke des Hubschraubers aufheulten. Die Maschine macht einen Höllenlärm und noch mehr Wind, ehe sie an Höhe gewann. Zwischen den Insassen des Hubschraubers und den beiden Männern wurde kein Wort gewechselt. Zumindest in diesem Punkt wussten wohl alle Beteiligten im Vorfeld, was sie zu tun hatten.

Mit steigender Höhe nahm der Lärm der Rotoren ab und die beiden Männer richteten sich auf. Sie waren wenige Schritte gegangen, als die Flutlichtanlage ausfiel. Auf dem weitläufigen Gelände brach finstere Nacht herein, das Licht der Autoscheinwerfer reichte nicht, um ihnen Orientierung zu geben.

*

Der Kofferträger und war sich nicht sicher, ob er seine Waffe oder die Taschenlampe ziehen sollte als es dunkel wurde. Auf keinen Fall durfte er den Koffer loslassen. Ein kraftvoller Schlag traf seinen Begleiter und ließ ihn zu Boden gehen. Er griff nach der Stabtaschenlampe an seinem Gürtel. Katzenaugen! Er sah die bernsteinfarbenen Punkte mit den schlitzförmigen Pupillen, aber das Wesen, dem die Augen gehörten, vermochte er nicht zu erkennen. Die Augen umkreisten ihn, näherten sich spiralförmig. Seine Angst verhinderte rationale Handlungen: Er schlug mit der Taschenlampe um sich, anstatt sie einzuschalten. Einer seiner unkoordinierten aber kraftvollen Schläge traf einen Körper, verursachte ein dumpfes Klatschen, gefolgt von einem unterdrückten Schrei. Eine nackte, tiefschwarze Ferse, kam aus der Dunkelheit, schnellte seinem Gesicht entgegen und zertrümmerte sein Jochbein.

*

Miriam durchquerte das Maisfeld neben dem ehemaligen Militärflugplatz und erreichte die andere Seite. Sie zog das Motorrad aus dem Versteck und stöhnte auf -- ihre Schulter war taub vor Schmerz. Mit zusammengebissenen Zähnen öffnete sie den Aluminiumkoffer und holte einen Metallzylinder daraus hervor. Sie warf den Koffer weg und verstaute den Metallzylinder in einem Rucksack, dann lauschte in die Nacht, hörte keine auffälligen Geräusche und fühlte sich fürs Erste sicher. Das Maisfeld war noch nicht so hoch, dass es ein Mann unbemerkt durqueren konnte.

Sie holte ihre Motorradausrüstung aus dem Top-case, schlüpfte in die Lederkombi, zog den Reißverschluss bis ans Kinn, steckte ihre nackten Füße in die Motorradstiefel und setzte den Helm auf. Als sie den Motor startete und zurück auf die Landstraße rollte, kam ihr dieser Raubzug fast ein wenig zu leicht vor. Und dennoch ärgerte sie sich über ihre Feigheit, denn sie hätte die Kerle noch verhören sollen.

***

Das Motorrad versteckte Miriam in der Industriehalle, bevor sie die Metalltreppe hoch rannte und die Tür zu ihrem Unterschlupf verriegelte. Noch im Flur zog sie den Metallzylinder aus dem Rucksack. In dem Metallzylinder steckte ein Glaskolben, dessen Deckel luftdicht verklebt war. Im Inneren des Glaskolbens sah sie einen schwarzen Gegenstand von der Größe einer Zitrone, der von mehreren Lagen Luftpolsterfolie gegen Stöße geschützt war. Sie zerschnitt die luftdichte Versiegelung des Glaskolbens mit einem Messer. Der Glasdeckel ließ sich mit einem satten Plopp abnehmen. Miriam hielt die Öffnung an ihre Nase und roch am Inhalt. Enttäuscht verzog sie ihre vollen, tiefblauen Lippen und griff nach dem schwarzen Objekt, es fühlte sich kalt und hart an.

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