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Ausweglos - Teil 04

Geschichte Info
Der vierte Teil der Geschichte um die erpresste Professorin.
3.5k Wörter
4.46
5.7k
6
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Ausweglos -- Teil 4 - Das lässt sich nicht vermeiden

„Ich glaube es selbst fast nicht, wie gut sich die Sache anlässt." sagt der jüngere der beiden Männer, die bei einer Tasse Kaffee tief eingesunken in einer edlen Couchecke sitzen. Das kalte schwarze Leder passt zum Ambiente des Büros, das mit seinen mit dunklem Mahagoni verkleideten Wänden, dem Eichenparkett, dem wuchtigen Schreibtisch und den kleinen Stabfenstern eher an die Kapitänskajüte eines alten Segelschiffs erinnert. Der Kamin, der seit einigen Tagen gegen die zunehmend unangenehmen herbstlichen Temperaturen ankämpft, strahlt eine angenehme Wärme aus, das Birkenholz brennt mit wohliger Flamme.

„Nun ja, können wir aber wirklich davon ausgehen, dass das so weitergeht?" erwidert sein Gegenüber, ein weißhaariger Mann, dessen ganze Erscheinung trotz des offenkundig hohen Alters Eleganz und Machterfahrenheit ausdrückt. „Ich denke schon. Der kritische Punkt war ihre Reaktion auf die ersten Briefe. Und das hätte nicht besser laufen können. Das Ausgangmaterial war dünn und ist nun fast verbraucht. Das weiß sie aber nicht. Viel wichtiger ist jedoch, dass sie den Köder geschluckt hat und pariert, so wie es sich für eine Ostfotze gehört."

Der Weißhaarige grinst. „Das ist wahr. Denen wurde stets gesagt, was zu passieren hat und sie sind gesprungen." „Stark vereinfacht aber -- ja. Ich denke, es hat sich gelohnt, zu investieren. Einerseits natürlich in Mike, der in seiner gewohnt peniblen Art aus einem Gerücht und unseren rudimentären Hinweisen etwas gemacht hat. Dass er diese Fotos herbeizaubern konnte und diesen abgehalfterten Geschäftsführer aus Bernau aufgetan hat, der für lächerliche 1.000 Euro seine zugesoffenen Gehirnzellen reaktivierte, war genial."

„Und seine „Kontaktliste" war wohl auch nicht so ganz unwichtig." ergänzt der Alte. „Stimmt. Aber auch Hilmar hat seinen Teil geleistet. Ich halte zwar grundsätzlich nicht viel von diesem Psychologengewäsch aber da er die Reaktionen der Frau Professor auf den Punkt genau so vorhergesagt hat, wie sie nun eintraten, sollte ich meine bisherige Einschätzung vielleicht revidieren. Wie gesagt, ich konnte anfangs kaum glauben, dass es so laufen könnte. Und dass wir die beiden nun endlich in unseren Zirkel aufnehmen, ist dann wohl der gerechte Lohn! Apropos - wo bleiben unsere beiden Helden denn nun?"

Wie aufs Stichwort öffnet sich die lederbeschlagene Tür und zwei Anzugträger mittleren Alters treten ein. „Hilmar, Mike, was für eine Freude. Setzt Euch bitte. Es dürfte gleich losgehen. Sie müsste jeden Moment da sein."

„Wollen wir den Beobachtungsposten besetzen?" fragt Mike, dem als einzigem eine gewisse Nervosität und Anspannung anzumerken ist. „Ich wüsste nicht, was dagegenspricht." erwidert der Jüngste, der, obwohl nirgendwo festgeschrieben, der unangefochtene Kopf der Gruppe ist. Er tritt als erster ans Fenster und nimmt eines der vier bereitliegenden Zeiss-Gläser. „Dafür, dass Sie mal Landesmeisterin war, braucht sie für die kurze Strecke aber recht lang!" kichert Hilmar. „Gemach, Gemach -- ist ja auch nicht mehr die Jüngste." Das kehlige Lachen der vier Männer wird von Mikes Ruf unterbrochen: „Achtung da kommt sie, links!" Alle reißen die Gläser an die Augen, und wenn es nicht zu albern und ihrer Stellung unangemessen gewesen wäre, hätten Sie sich umarmt.

Der Anführer greift in die Hosentasche und zieht sein Handy heraus. „Nun kommt es drauf an." Er räuspert sich, drückt dann die Wähltaste, die anderen mit einem schelmischen Blick zur Ruhe mahnend. Dann aktiviert er die Freisprechfunktion und das Quartett hört laut den Wählton.

„WER SIND SIE?" hallt es über den Lautsprecher des Handys. „Kannst Du lesen, Blondchen?" „Wie bitte?" „Ich fragte, ob Du lesen kannst." „Ja sicher, was soll das?" Amüsiert beobachten die Männer, wie der Blick der elegant gekleideten Frau über die Stufen des Münsters gleitet, dann den Vorplatz erfasst und schließlich das Menschengedränge auf der Straße absucht.

„Was steht denn in Deinem Display, Blondchen?" Als keine Antwort kommt, bellt es aus dem iPhone: „Sag mir was du auf dem Display liest, Du Miststück!" Ein gedämpftes Lachen erfüllt den Raum, als die Gruppe sieht, wie ihr Opfer unter den Worten zusammenzuckt. „Sie Sie Sie sind Hellmaster?"

„Richtig DEIN HÖLLENMEISTER". Jetzt greift sich die Frau an den Mund, Entsetzen im Blick. Die hochvergrößernden Gläser bilden den Kopf der attraktiven Frau formatfüllend ab, jede Regung wird im dritten Stock des altehrwürdigen Gebäudes wahrgenommen. „Und Dein Höllenmeister sagt Dir jetzt mal, wie das weiterläuft. Wenn Du mich verstanden hast, nickst Du einmal." Zufrieden registrieren die Verschworenen ein kurzes Nicken. „Gut Schlampe." Die Stimme klingt nun ruhiger, zugleich aber arrogant und selbstverliebt.

„Ich bin erfreut, dass Du es einrichten konntest. Natürlich ist es die beste Wahl, die Du treffen konntest, insbesondere, wenn ich da an den neckischen Verteiler und die Fotos denke, die noch im Verborgenen schlummern. Auf Dich warten große Herausforderungen, sei Dir dessen gewiss. Du hast doch ein Interesse daran, dass Dein Umfeld nichts erfährt?"

Jetzt legt sich ein breites Grinsen über sein Gesicht. „Weder von Bernau, noch vom Bahnhof eben, oder?" Nachdem die Kerle zufrieden beobachten, wie sich die Radfahrerin eine Träne aus dem Gesicht wischt und ein leises Schluchzen zu hören ist, setzt er fort. „Ich werte das als ein JA. Und glaub mir, es ist gut für Dich. Leider habe ich jetzt Wichtigeres zu tun, als mich mit Abschaum wie Dir abzugeben. Du wirst jetzt folgende Nummer in Dein schickes iPhone eingeben und unter ADVOKAT abspeichern."

„Wie bitte? Advokat? Was soll das?" Na Ihr Zonenlöcher habt doch viele Jahre die Sprache der sowjetischen Brüder und Schwestern gelernt, oder?" „Das, das bedeutet Rechtsanwalt, richtig?" klingt eine bebende Stimme aus dem Telefon. „Richtig, richtig. Wenn Du nicht dein schönes Röckchen dabei beschmutzen würdest, hätte ich jetzt gesagt „1, setzen. Aber egal. Pass auf und speichere den Kontakt!"

Nachdem das Tippen beendet ist, klingt die Stimme wieder eiskalt: „Bist Du fertig? Und antworte gefälligst im Satz, wenn ich mich mit Dir unterhalte!" „Ja ich habe den Kontakt eingegeben." kommt die leise Antwort. „Sehr gut. Hätte gar nicht vermutet, dass Du das so schnell schaffst. Wie auch immer. Du nimmst jetzt Deinen rostigen Drahtesel und schiebst gemütlich zweimal ums Münster. Wenn Du wieder an der Stelle angekommen bist, an der Du jetzt stehst, rufst Du den Advokaten an."

Dann legt er grußlos auf. Die vier Männer sehen sich zufrieden an und legen die Ferngläser auf den Schreibtisch. „Dann auf ein schönes, einträgliches, gemeinsames Projekt!" verabschiedet sich der Wortführer, reicht allen die Hand und verlässt schnellen Schrittes das Büro. Die Tür bereits in der Hand, dreht er sich noch einmal um: „Also Advokat, jetzt liegt es bei Dir." Alle grinsen und er ist weg.

Nur Minuten später verabschieden sich Mike und Hilmar, und dann ist der Advokat, der im wahren Leben Ernst August Wilhelm von Kippen heißt, das biblische Alter von 82 Jahren erreicht hat und seinen Beruf folglich schon längst hätte an den Nagel hängen können, allein in seinem Büro. Er blickt sich um, sein Blick streicht liebevoll über die alten Möbel, an denen sich schon sein Urgroßvater kurz nach der vorletzten Jahrhundertwende in meterhohen Aktenbergen vergrub. Und nach ihm sein Großvater, nach diesem sein eigener Vater, dann er selbst und nach ihm niemand mehr aus der von Kippen-Dynastie. Niemand mehr seit dem Unfall vor 51 Jahren, bei dem er Lucy, seine geliebte Frau und Werner, seinen als designierten Kanzleinachfolger noch etwas mehr geliebten Sohn verlor.

Bei dem Unfall, bei dem er selbst am Steuer saß, den er zumindest mitverursachte, weil er mit Lucy stritt und dadurch für einen Moment abgelenkt war. Er stritt, weil er versuchte, eine Liaison mit der blonden Professorin zu rechtfertigen. Eine Liaison, die, selbst wenn er alles nur Denkbare zu seinen Ungunsten auslegte, nicht von ihm ausging. Sein Versuch einer Rechtfertigung Lucy gegenüber, der trotz seiner geschliffenen Plädoyer-Kunst erfolglos bleiben musste.

Und dann kam der Lkw und sein Leben war von einer Sekunde auf die andere zerschellt. Zerschellt wie die Eiszapfen, die sich zum Ende des Winters oft am Münster bilden und sich nach ihrem Aufprall auf die steinernen Stufen in tausende und abertausende glitzernde Eisstückchen verwandeln. Er fand zurück in ein Leben. Aber nicht in sein Leben. Nach zwei Monaten konnte er erstmals das Krankenbett verlassen, nach weiteren sieben Wochen die Klinik. Ein halbes Jahr nach dem Unfall saß er wieder an genau diesem Schreibtisch, im Wissen, dass die Familientradition mit ihm enden würde. Nicht nur, weil er in Folge des Unfalls nie wieder Kinder würde zeugen können.

Sicher, rein objektiv war dies der Hauptgrund. In seinem Innersten hatte sich aber in den Tagen, Wochen und Monaten nach dem Unfall, in fast jeder Stunde in der er nachdenken konnte -- und davon gab es zur Genüge -- die Überzeugung manifestiert, dass Frauen etwas Schlimmes und Teuflisches sind. Besonders kluge Frauen. Stolz-kluge Frauen. Ehrgeizig-stolz-kluge Frauen. Blonde ehrgeizig-stolz-kluge Frauen. Lucy war anders und Lucy hat er wegen dieser Frauen verloren. Lucy und sein Leben. Und allmählich begann er, nach Wegen zu suchen, sich an den Frauen zu rächen. Natürlich nicht wirklich. Und sie mussten bald auch nicht mehr blond sein.

Im Deutschland der 1970er Jahre gab es aber genug „Material", das, in direkter Korrelation zur Höhe des Salärs, nahezu alles mit sich anstellen ließ. Natürlich war er nicht nur einmal vor dicke schalldicht gedämmte Türen gesetzt worden. Natürlich hatte er mehrfach „Reparationszahlungen" in schwindelerregenden Höhen leisten müssen, um Anzeigen zu verhindern. Aber mehr hat er nie gewagt, gezahlt hat er immer. Bis er vor fast genau einem Jahr in einem dieser Clubs, in denen heutzutage fast nur Osteuropäerinnen arbeiten, die kaum ein Wort seiner schönen deutschen Muttersprache verstehen und die damit für Vieles völlig unbrauchbar sind, als er also in einem dieser Clubs jenem jungen Mann begegnete und mit ihm ins Gespräch kam.

Und über ihn Mitglied des Geheimzirkels wurde. Und ganz ehrlich -- was hat er -- Ernst August Wilhelm -- mit 82 Jahren noch zu verlieren? Aus seinen Gedanken gerissen, erblickt er die Frau, die, sich noch immer unsicher umblickend, die zweite Runde ums Münster hinter sich gebracht hat. Eine frappierende Ähnlichkeit mit Hilde und vermutlich der finale Grund, sich auf das Unternehmen einzulassen. Es geht also los, richtig los. In dem Moment vibriert sein Handy und im Display erscheint die Anzeige „PROF. is calling".

Zitternd greife ich das Handy und wähle die unter „Advokat" gespeicherte Nummer. Nahezu augenblicklich wird der Anruf angenommen. Ich atme tief durch, straffe mich und sage dann in neutralem Ton: „Ich sollte mich bei Ihnen melden." „Oh der angekündigte Anruf der neuen Klientin. Es ist mir eine außerordentliche Freude, mit Ihnen sprechen zu können. Würden Sie die Freundlichkeit besitzen, mir nun einige Minuten Ihrer überaus wertvollen Zeit zu widmen?" Überrascht von dieser völlig unerwarteten Reaktion und der nicht unsympathischen Stimme frage ich: „Sie sind Advokat? Im übertragenen Sinne oder tatsächlich?"

Tatsächlich, tatsächlich hochverehrte Frau Professor. Davon können Sie sich sofort selbst überzeugen. Sie blicken momentan genau auf den Hauseingang, über den Sie meine bescheidene im dritten Stock befindliche Kanzlei erreichen werden. Ich darf Sie bitten, Ihr fraglos wertvolles und mit zahlreichen Erinnerungen behaftetes Damenrennrad beim Portier abzugeben. Sie finden Ihn gleich unten links im Hausflur. Es wäre mir äußerst unangenehm, wenn dem guten Stück während unserer kurzen Konversation etwas zustoßen würde und ich es versäumt hätte, auf die glücklicherweise gegebene Möglichkeit einer sicheren Verwahrung hinzuweisen. Und die Zeiten sind ja heutzutage schlimm. Niemandem kann man mehr trauen. Ein Klient erzählte mir neulich zum Beispiel, dass ... Ach vergeben Sie einem alten Mann, ich schweife ab. Also -- geben Sie Ihr Rad bitte bei unserem Portier zu treuen Händen, ich erwarte Sie. Kanzlei von Kippen. Dritte Etage, und Madam mögen dann bitte den linken Flur nehmen, dann die zweite Tür links."

„Ja, bis gleich." sage ich verdattert, abwechselnd das iPhone und die Fassade des vor mir thronenden Hauses musternd. Mein Rad über den Platz in Richtung des angegebenen Eingangs schiebend, rasen meine Gedanken. Was ist hier los? Nicht ein Erpresser. Mehrere? Oder was? Da waren doch zwei Stimmen, eine jung, die andere alt klingend. Die eine von abscheulicher Gemeinheit und Niedertracht ätzend, die andere von einer Freundlichkeit getragen, die nicht in unsere Zeit zu passen scheint. Was passiert hier?

Nachdem ich das Rad wie empfohlen bei einem netten älteren Portier abgegeben und dafür sogar eine Quittung erhalten habe, begebe ich mich in den dritten Stock. Eine andere Zeit, ja. Die Stimme passt genau in dieses alte, dunkle aber zugleich warme und anheimelnde Haus. Mein Herz rast, als ich den Klopfer an der massiven Eichentür betätige.

Mir wird von einem Mann geöffnet, der mich auf überraschende Weise an Johannes Heesters in etwas jüngeren Jahren erinnert und den ich nach den ersten Begrüßungsworten als den Advokaten erkenne. Meine kleine Tasche über dem linken Arm, strecke ich ihm verdattert meine rechte Hand hin, die daraufhin mit einem formvollendeten Handkuss liebkost wird. Meine Gedanken rasen. Das war der erste Handkuss meines Lebens. Nach mehr als vier Jahrzehnten werde ich heute, als meine Welt ins Wanken gerät, mit einem vergangen geglaubten Begrüßungsritual aus einer versunkenen Epoche empfangen. Ist die Zeit hier stehen geblieben?

„Wenn Madam mir freundlicherweise folgen würden?" Der weißhaarige Mann, der mich in sein Büro geleitet, ist zweifellos alt, wirkt aber drahtig und hat sicherlich in seinem Leben viel Sport getrieben. Hat er noch etwas vom letzten Krieg mitbekommen? Vermutlich ja. Verdammt was tun meine Gedanken? Vermutlich abschweifen, sich unverfängliche Anker suchen, um der aktuellen Realität zu entfliehen.

Mein Gegenüber gleitet geschmeidig in seinen Schreibtischstuhl, der eher einem Königsthron als einem modernen Büromöbel gleicht. Meine Erwartung, den lederbezogen Besucherstuhl angeboten zu bekommen, erfüllt sich nicht. Gerade als ich nach einer unangenehm lang werdenden Pause ungefragt Platz nehmen möchte, wendet sich der Advokat an mich. Formvollendet. Mit angenehmer Stimmlage. Mit vernichtenden Worten. „Aber Frau Professor! Habe ich Sie darum gebeten, ihr fraglos nicht unattraktives Hinterteil auf meinem Besucherstuhl zu positionieren?"

Als ich verdattert den Kopf schüttle, nickt er zustimmend. „Na sehen Sie. Eine Sportlerin wie Sie ist doch sicher in der Lage, einige Minuten zu stehen oder?" „Ja das bin ich." presse ich heraus, mit meinen Fingern nervös meine Handtasche knetend. Würden Sie die außergewöhnliche Liebenswürdigkeit besitzen, kurz an den Tisch zu treten und Ihre hübsche Tasche darauf abzustellen? Nickend trete ich vor und lege die Tasche ab. Dann fallen meine Augen auf vier Ferngläser. Vier Gläser. Zeiss. Victory SF-Serie. Jedes etwa 2.500 €, wie ich aus einem kürzlich abgegebenen Beschaffungsantrag weiß. Auf dem Tisch liegt also der Gegenwert eines Kleinwagens. Was mich nicht weiter interessiert. Was mir aber eine Nadel ins Herz jagt, ist die Tatsache, dass nicht 1 oder 2, sondern 4 dieser Highend-Gläser auf dem Tisch liegen. Und ich ahne, was das bedeutet.

Ein kaum wahrnehmbares Lächeln überfliegt das Gesicht des Advokaten. Dann öffnet er eine Schublade und zieht eine edel wirkende Ledermappe heraus. „Ich danke Ihnen vielmals. Bitte sehen Sie es mir nach, dass ich einen gewissen Wert auf Manieren, auf Ordnung und Disziplin lege. So etwas wird der heutigen Jungend bedauerlicherweise kaum noch beigebracht. Nun zählen Sie ja -- wenn wir ganz ehrlich sind -- auch nicht mehr zur Jugend im engeren Sinne. Aber gerade dort, wo Sie aufwuchsen, sind ja sämtliche Regeln verfallen."

Als ich etwas einwenden will, lässt er mich durch eine energische Handbewegung verstummen. Aber dann rebelliert es in mir. Wer glaubt dieser Kerl zu sein? „Ich bin kein Kind, an dem er sie Ihre antiquierten Erziehungsmethoden testen!" schleudere ich im entgegen. Ein mildes Lächeln ist die Antwort. „Man wird sehen, man wird sehen. Frau Professor, bitte nehmen Sie das."

Perplex nehme ich einen dicken gelben Bogen in die Hand. Bei genauerem Hinsehen enthält dieser zwei Aufkleber von Fußabdrücken. Aufkleber der Art, mit denen in öffentlichen Gebäuden auf dem Boden Fluchtwege markiert werden. „Sie haben sicherlich nichts dagegen, mir einen kleinen Gefallen zu tun?" Fragt er mit seidenweicher Stimme. Auf meinen fragenden Blick hin setzt er fort: „Bitte kleben Sie den rechten der beiden dorthin." Er zeigt auf einen Punkt in der Mitte des Raums.

„Aber wozu denn?" „Ach die stets neugierige Wissenschaftlerin. Bitte tun Sie es einfach". Im zweiten Satz klingt eine kalte, als Bitte formulierte Drohung mit. Ohne erklären zu können, was genau diese Empfindung bei mir auslöst, ohne zu wissen, was hier abläuft, ziehe ich den Aufkleber ab, versichere mich durch einen Blick zum Anwalt, ob die Stelle stimmt und verunstalte das wunderbare alte Stabparkett mit einem leuchtenden Fußtapsen. „Madam, wenn Sie die Freundlichkeit besäßen?" Als ich hochblicke, streckt er mir ein 30 cm langes Holzlineal entgegen.

Meine Verwunderung pariert er mit dem Auftrag: Haben Sie bitte die Güte, 0,001 Kilometer links vom rechten Abdruck den linken aufzubringen?" Jetzt entgleiten mir die Gesichtszüge „Sie meinen einen Meter?" „Ach Sie sind entzückend!" lobt er. „Ich bin sicher, ginge ich auf den Münsterplatz, könnten 80 % der Befragten diese Umrechnung nicht vollziehen. Schon gar nicht ohne Taschenrechner. Sie sind perfekt Frau Professor!!!" Mit geradezu kindlicher Freude beobachte er mich, wie ich kopfschüttelnd, stets bemüht meine Beine eng geschlossen zu halten, den zweiten Aufkleber anbringe.

„Nun werden Sie sich sicher fragen, was das alles soll, habe ich Recht?" Mir bleibt nichts übrig als zustimmend zu nicken. „Gern möchte ich Ihnen das verraten." Er lehnt sich zurück und fährt mit unverändert freundlicher Stimme fort: „Frau Professor werden jetzt Ihre wunderschönen Füße auf den Markierungen positionieren."

Ohne weiter auf mich zu achten, ohne auf meinen Wutausbruch einzugehen, zieht er aus einer weiteren Schublade ein MacBook Pro heraus. In der gewohnt kurzen Zeit erscheint auf dem Retina Display das Mailprogram. Mit einigen schnellen Klicks demonstriert von Kippen, dass die gekonnte Verwendung moderner Technik keine Frage des Alters ist. Wenige Klicks später starre ich auf eine Mail, deren Verteiler exakt zehn Empfänger enthält. Zehn mir wohlbekannte Empfänger. Und sie enthält drei Anhänge, die mir der Anwalt mit schnellem Klicken und zufriedenem Gesicht zeigt. Ich in rot, ich in blau und ich in der Bahnhofstoilette, davon das mittlere Bild. Die Dateien sind mit meinem vollständigen Namen sowie Ort und Datum der Aufnahme bezeichnet.

Kreidebleich sinke ich nun doch auf den Stuhl, was ein unzufriedenes Knurren meines Gegenübers zur Folge hat. „Sie sind doch eine kluge Frau. Und ich bin kein Liebhaber vieler Worte. Und sie wissen, was passiert wenn ich dieses Feld aktiviere?" Der Zeiger steht über dem Button „Send" und sein dünner, knöchriger Finger beschreibt kleine Kreise und Schleifen über dem Trackpad.

Wortlos, wie im Trance, erhebe ich mich. In meinem Kopf hämmert es. Bunte Figuren, wie beim Blick in ein Kaleidoskop. Und irgendjemand schüttelt es wieder und wieder. Buntes Blinken. Als ich die Beine auf die Markierungen stelle, was mir ohne größere Mühen gelingt und nur durch die verfluchten Pumps erschwert wird, rutscht mein Rock nach oben. Aber das merke ich nicht. Tränen schießen aus meinen Augen und das bunte Treiben wird zu einer Karussellfahrt in meinem Kopf.

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