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Das Erbe meiner Mutter Teil 01

Geschichte Info
Nach dem Tod der Mutter ändert sich Evas Leben komplett.
8.8k Wörter
4.67
27k
23
Geschichte hat keine Tags

Teil 1 der 5 teiligen Serie

Aktualisiert 03/24/2024
Erstellt 11/15/2023
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Das Erbe meiner Mutter

Prolog

Ihr Auto stand auf einem Parkplatz an der Landstraße. Sie saß wie versteinert auf dem Fahrersitz, Kopf in den Nacken zurückgelehnt, die Augen geschlossen. Sie spürte weder ihre kalte Nase noch die Tränen, welche ihr über die Wangen rannen.

So konnte und so würde es nicht weitergehen. Sie musste mit ihrem bisherigen Leben abschließen. Sich immer nur verstellen, sie konnte es nicht mehr. Immer nur die zu sein, welche die Öffentlichkeit von ihr erwartete. Nie die sein zu dürfen, die sie eigentlich sein wollte. Und dann lastete auch noch die Verantwortung für über zweihundertfünfzig Mitarbeiter Ihrer Firma all die Jahre schwer auf ihr. Dazu noch ihre Familie, eigentlich wollte sie sich um diese kümmern; nicht wie ihre Eltern, die zu wenig Zeit dafür hatten. Aber irgendwie war ihr dies entglitten, die Familie war ihr fast fremd geworden. Und trotzdem wollten sie alle etwas von ihr. Etwas, dass sie ihnen irgendwann nicht mehr geben konnte. War sie wirklich nur noch mit der Firma verheiratet?

Sie hatte sich ihr Leben lang nach den Wünschen und Anforderungen ihrer Umgebung gerichtet. Hatte immer alles so getan, wie es erst ihr Großvater, dann ihre Eltern, dann die Belegschaft und nicht zuletzt auch ihre Familie gewünscht hatte.

Dabei liebte sie doch eigentlich nur sie. Diese eine Frau. Diese Frau mit den großen und dunklen Augen, in denen sie gedanklich jedes Mal, wenn sie ihr begegnete, versinken konnte. Die noch dazu ihre Liebe erwiderte und sie jedes Mal wieder aufrichtete wenn das Schicksal ihr wieder einmal einen Schlag versetzt hatte.

Aber das durfte anscheinend nicht sein. Nicht in ihrer Position. Nicht als Inhaberin eines Vorzeigebetriebs mit dem sich die kleineren und größeren Lokal-, Regional- und Landespolitiker nur zu gerne ablichten ließen. Noch dazu in der erzkatholischen nördlichen Oberpfalz. Dort durfte anscheinend nicht sein, was nicht sein konnte. Die Bibel sprach von Liebe, aber ihre Liebe durfte so nicht sein. Das würde hier nicht akzeptiert werden.

Sie fuhr gerade von einem ihrer Materialzulieferer aus dem südlichen Speckgürtel von Frankfurt zurück nachhause. Und dort hatte der Produktionsleiter, mit dem sie verhandelt hatte, ganz offen auf seinem Schreibtisch das Bild von sich und seinem Mann platziert. Für alle sichtbar. Warum konnte sie das nicht? Warum war sie dazu nicht in der Lage? Warum hatten alle bei ihr etwas dagegen? Warum konnte sie ihr privates Leben nicht so gestalten wie sie das wünschte?

Nein! Sie würde dieses Leben, welches ihr von anderen mehr und mehr aufgezwungen worden war, so schnell als möglich beenden. Die Vorbereitungen dazu hatte sie schon lange getroffen, die Ausführung aber immer wieder aufgeschoben. Und dieser Besuch war nun der Auslöser. Sie musste nur wollen, musste nur den Mut aufbringen den ersten der Dominosteine in der Reihe anzustoßen.

Nun gut, heute würde sie den Mut aufbringen, den Mut der Verzweiflung. Sie würde dieses ihr Leben beenden. Mochte es noch so schmerzvoll sein. Aber alles war besser als in diesem ungeliebten Leben zu verharren. Mühsam öffnete sie die Augen. Ein letzter Anruf über ihr Mobiltelefon. Die Würfel waren gefallen.

ICE von Hamburg nach Frankfurt

Wir haben das Gepäck verstaut und es uns auf unseren Sitzen in der ersten Klasse des ICE von Hamburg nach Frankfurt bequem gemacht. Ich - Eva - sitze am Fenster, mein Mann Frank sitzt links neben mir.

Die Sonne ist am Sinken und mein Spiegelbild ist schemenhaft im getönten Glas der Scheibe sichtbar. Ich habe ein ovales Gesicht, normal proportioniert, eine schöne Stubsnase auf der eine moderne Lesebrille sitzt, die mich aber älter macht als ich es eigentlich bin. Blonde Haare umrahmen meinen Kopf und sind in einem Pferdeschwanz zusammengefasst der kurz unterhalb meiner Schulterblätter endet. Ich bin fünfundzwanzig Jahre alt. Soweit, so normal.

Was in der spiegelnden Scheibe nicht sichtbar ist, das ist der Ansatz meines süßen Babybauchs. Ich bin im fünften Schwangerschaftsmonat. Und wahrscheinlich würden die mitreisenden Gäste unseretwegen nicht mehr aus dem Tuscheln kommen, wenn sie wüssten dass der siebenundvierzigjährige und gut aussehende Mann neben mir nicht nur mein Mann und der Vater unseres Kindes ist, sondern auch noch dazu mein eigener Vater.

Lächelnd legt er seine Hand auf meine: „Geht es dir gut, meine Kleine?"

„Aber sicher doch, Frank. Ich bin nicht krank, ich bin nur schwanger." Ich freue mich über seine Fürsorge. Aber schließlich reist er nur bis Frankfurt mit mir, Frank ist dort als Lektor in einem großen Verlagshaus beschäftigt und muss ein oder zwei Tage im Monat dort anwesend sein. Den Rest seiner Arbeitszeit gestaltet er im Home-Office.

Ich fliege morgen früh ab Frankfurt weiter über Paris auf die Kanalinsel Jersey, dort habe ich als Geschäftsführerin einer Grundstücks- und Liegenschafts-GmbH sowie als Mitinhaberin eines mittelständischen Vliesstoffherstellers ein Treffen mit der Anwaltssozietät, über welche unsere nicht deutschen aber weltweiten Aktivitäten geregelt und abgerechnet werden. Übrigens ist es das erste Mal, dass ich nach Jersey fliege, so lange bin ich schließlich noch nicht in dieser Position.

Obwohl die Vliesstoffproduktion in der nördlichen Oberpfalz liegt, wohne ich zusammen mit meinem Mann Frank in Dänemark. Genauer gesagt im umgebauten und erweiterten ehemaligen Ferienhaus meiner Eltern am Rand der Gemeinde Nysted auf der dänischen Hauptinsel Seeland auf der weiter nordöstlich auch die Hauptstadt Kopenhagen zu finden ist.

Jetzt wird sich sicher der ein oder andere von euch fragen, wie es denn möglich sein kann, dass ich in meinem Alter bereits eine solche Positionen begleite. Und wieder andere werden vielleicht den Kopf schütteln warum ich mit meinem Vater zusammenlebe und ein Baby von ihm bekomme. Und natürlich könnte auch die Frage aufkommen, wo denn meine Mutter in der ganzen Geschichte bleibt.

Nun, wir haben noch gut drei Stunden bis Frankfurt zu fahren. Wenn ihr nichts anderes vorhabt, dann werde ich euch meine Geschichte erzählen. Sie beginnt vor fünf Jahren, genauer gesagt am letzten Donnerstag im Monat Juli.

Wie der Name schon sagt, handelt es sich hier wie immer auf LIT um eine Geschichte, auch wenn sie in diesem Fall auf verschiedene Fakten zurückgreift und in eine real existierende Landschaft eingebettet ist. Die Handlung ist vielleicht (oder auch nicht) frei erfunden, alle Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen sind - wie immer - nur rein zufällig. Und für meine Leser gilt - wie immer- dies ist keine einfache „Rein-Rauf-Runter-Raus-Story". Wer dies erwartet, sollte besser eine andere Geschichte lesen. Und selbstverständlich könnte diese - auch wie immer - in verschiedene Kategorien eingruppiert werden. Auch diesmal habe ich mich wieder für die Kategorie ‚Romanze' entschieden, obwohl Inzest keine unerhebliche Rolle spielt. Wer dies nicht akzeptieren kann ist ebenfalls gerne eingeladen eine andere Geschichte zu lesen.

Kapitel 1

Damals war ich an der altehrwürdigen Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen als Studentin im Fachbereich Wirtschaftsinformatik immatrikuliert. Es war die abschließende Woche des Prüfungszeitraums des Sommersemesters und an jenem Donnerstagvormittag schrieb ich meine letzte Klausur im vierten Semester. Als wir den Prüfungsraum schließlich erleichtert plappernd verließen hatten wir nichts anders vor als noch das ein oder andere dunkle und süffige Kellerbier in der Studentenkneipe fünfhundert Meter entfernt zu trinken und dann unsere Sommerpause zu genießen. Das nächste Wintersemester würde Anfang Oktober beginnen.

Als unser Pulk durch das Treppenhaus ins Freie strömte aktivierte ich gerade mein Mobiltelefon und musste feststellen, dass mein Vater bereits mehrfach versucht hatte mich zu erreichen. Beunruhigt rief ich umgehend zurück. Als er sich meldete konnte ich ihn anfangs nicht verstehen, er war total von der Rolle und stotterte zusammenhanglos. Schließlich beruhigte er sich und ich hörte die Worte, die ich seit dem nicht mehr vergessen konnte: „Schatz, komm bitte sofort nachhause, deine Mama ist tot!"

Kreidebleich verabschiedete ich mich umgehend von meinen Studienkollegen und machte mich auf den Weg in die WG, in der ich mit zwei weiteren Studentinnen lebte. Dort angekommen packte ich schnell das Wichtigste ein und fuhr mit meinem kleinen Audi A1 in Richtung Heimat. Unterwegs musste ich mich zwingen langsamer und ruhiger zu fahren. Meine Mutter würde nicht wieder lebendig werden, auch wenn ich zehn oder fünfzehn Minuten eher zuhause ankommen würde.

Nach gut eineinhalb Stunden fuhr ich in die Einfahrt unseres Wohnhauses, bzw. ich wollte es. Es standen jedoch zu viele Fahrzeuge herum, unter anderem auch ein Polizeifahrzeug und der ‚Dienstwagen' unseres örtlichen Bestatters.

An der Haustüre stand bereits mein Vater um mich mit tränennassen Augen zu umarmen. Nach unserer Begrüßung führte er mich in das Wohnzimmer, wo um den großen Tisch herum mein Stiefbruder Michael, Frau Dr. Mars aus dem Vliesstoffwerk, Melanie Horn - die Tochter unseres örtlichen Bestattungsunternehmers - sowie zwei mir nicht bekannte Polizisten saßen.

Michael und Frau Dr. Mars erhoben sich um mich zu begrüßen und mir zu kondolieren. Melanie, die zusammen mit mir in die Schule ging und nun anscheinend das Geschäft ihrer Eltern übernommen hatte, begrüßte mich ebenfalls mit einer allerdings längeren Umarmung. Die beiden Polizisten stellten sich ebenfalls kurz vor und bekundeten professionell ihr Beileid.

Auf meine Frage, was denn genau passiert sei und wie denn meine Mutter verstorben sei, unterrichteten mich die beiden Herren in Blau. Sie sprachen dabei sehr distanziert und unpersönlich, anscheinend lernte man diese Form des Überbringens schlechter Nachrichten an der Polizeischule.

„Heute Morgen um kurz nach fünf Uhr wurde unsere Polizeidienststelle vom zuständigen Revierförster informiert, dass am Wanderparkplatz an der Steinplatte ein verkohltes Fahrzeug herumstehen würde. Als wir dort ankamen fanden wir eine zum Großteil verkohlte weibliche Leiche im Auto sitzend vor. Anhand der teilweise noch lesbaren Personalpapiere sowie anhand des Kfz-Kennzeichens konnten wir ermitteln, dass es sich vermutlich um die Leiche Ihrer Mutter Maria Retsch handelt.

Ihr Vater wurde informiert und identifizierte heute Morgen das Fahrzeug sowie die angekokelte Handtasche Ihrer Mutter. Nun kamen wir nochmals auf Ihren Vater zu um sein Einverständnis einzuholen, so dass wir von der Zahnärztin Ihrer Mutter eine Röntgenaufnahme ihres Gebisses ausgehändigt bekommen. Dann können wir aufgrund des Zahnstatus-Vergleichs endgültige Gewissheit erlangen."

„Das ist ja schrecklich", hauchte ich. „Was ist passiert?"

„Im verkohlten Auto Ihrer Mutter konnten unsere Techniker feststellen, dass alle Sitze mit einem Brandbeschleuniger, wahrscheinlich Benzin, übergossen und angezündet wurden. Im Mundraum der Leiche fanden sie die Reste einer zerbissenen Giftkapsel. Es tut uns leid Ihnen dies mitteilen zu müssen, aber so wie es momentan den Anschein hat, hat Ihre Mutter im Alter von fünfundvierzig Jahren Suizid begangen."

„Warum das denn?" Ich konnte einfach nicht fassen was ich zu hören bekam. „Papa, kannst du mir das erklären? Sehen Sie", ich wandte mich aufgelöst wieder an die beiden Polizisten: „Ich bin seit zwei Jahren im Studium in Erlangen und komme nur selten nachhause, so dass ich mir das einfach nicht erklären kann." Ich konnte mir keinen Grund vorstellen, warum meine Mutter sich umgebracht haben sollte und blickte Papa nun verzweifelt an. „War Mama vielleicht schwer krank?"

„Nein", mein Vater nahm mich in seine Arme. „Auch mir ist da nichts bekannt. Am Mittwochmorgen teilte sie mir noch in ihrer üblichen hektischen Art mit, dass sie zu einem Geschäftspartner nach Frankfurt müsse und dass sie eventuell über Nacht dort bleiben würde, je nach Gesprächsverlauf. Am Mittwochabend erhielt ich eine WhatsApp-Nachricht von ihr, dass sie tatsächlich noch dort bleiben müsste. Und heute Morgen steht die Polizei vor unserer Tür."

Ich setzte mich an den Wohnzimmertisch, legte den Kopf auf meine Unterarme und begann leise zu weinen. Bruchstückhaft bekam ich mit, dass die beiden Polizisten die Personalien der anderen Anwesenden aufnahmen.

Mein Stiefbruder Michael, geboren als Mama gerade siebzehn Jahre alt war. Sein Vater unbekannt, der hatte sich abgesetzt als er erfuhr das Mama schwanger war. Mit fünfundzwanzig hatte meine Mutter meinen Vater geheiratet, ich wurde kurz darauf geboren. Michael würde dieses Jahr noch neunundzwanzig Jahre alt werden, er hatte eine liebe Frau und zwei kleine Kinder, eine Tochter und einen Sohn. Er arbeitete als einer der Abteilungsleiter in der Hauptabteilung Verkauf im Vliesstoffwerk.

Frau Dr. Elvira Mars war sechsunddreißig Jahre alt, kinderlos, nicht verheiratet und die Juristin des Vliesstoffwerks, gleichzeitig auch Mitglied der Geschäftsführung. Sie war nach der Nachricht des Totes der Inhaberin Maria Retsch umgehend zu meinem Vater gekommen, da sie auf dem Schreibtisch meiner Mutter einen handschriftlichen Abschiedsbrief vorgefunden hatte. Diesen hatte sie auch dabei und nachdem wir ihn unter Tränen gelesen hatten übergab sie ihn an die beiden Polizisten.

Während einer dieser beiden mit mir zusammen in das private Büro meiner Mutter ging um ein Vergleichsschriftstück zu finden, klärte mein Vater zusammen mit Melanie Horn und dem zweiten Polizisten das weitere Vorgehen. Voraussichtlich würde es also am Freitag in der darauffolgenden Woche eine Urnentrauerfeier für meine Mutter im engsten Kreis der Familie geben.

Als wir mit verschiedenen handschriftlich beschriebenen Papieren meiner Mutter zurück ins Wohnzimmer kamen, hörte ich meinen Stiefbruder fragen, wie es denn nun weiterginge, schließlich müsste sich ja jemand um die Belange der Firma kümmern. Wer würde denn nun alles erben?

Diese letzte Frage, nicht unbedingt taktvoll gestellt, trieb meinem Papa die Zornesröte in das ansonsten eher bleiche Gesicht. Ich nahm seine Hand in meine und versuchte ihn zu beruhigen. Wahrscheinlich hätte es ihn nicht gestört, wenn die Polizei diese Frage gestellt hätte, aber von seinem Stiefsohn hätte er das nicht erwartet. Noch dazu wo Maria, seine Frau und Michaels und meine Mutter, gerade erst verstorben war.

Frau Dr. Mars erklärte dafür sachlich und mit natürlicher Autorität, dass es von der verstorbenen Maria Retsch zwei Testamente geben würde. Ein Privates und eines welches die Firma beträfe.

Das Private sei ein sogenanntes Berliner Testament, welches die beiden Ehegatten Frank und Maria Retsch bereits vor Jahren auf Gegenseitigkeit ausgestellt hatten. Im Falle des Todes eines der beiden Ehegatten würde der Überlebende erben und alle anderen Beteiligten der gesetzlichen Erbfolge leer ausgehen. Inhaltlich beträfe dieses das Wohnhaus am Ort, das Ferienhaus der Familie in Dänemark sowie ein nicht unerhebliches Aktienportfolio und eine Lebensversicherung auf Gegenseitigkeit.

Das zweite Testament beträfe die Anteile der Firma und wäre etwas komplizierter. Hier hätte sie - Dr. Mars - nur beratend mitgewirkt. Beide Testamente wären beim örtlichen Nachlassgericht hinterlegt.

Falls gewünscht könnte sie gerne ihre Notizen zur Erstellung des zweiten Testaments heraussuchen und zum Beispiel am Montagnachmittag mit uns darüber sprechen. Dies wäre sowieso die sinnvollste Lösung, da man die Belegschaft am gleichen Nachmittag über die Art und Weise der Weiterführung des Betriebs in einer Mitarbeiterversammlung informieren könnte.

Kapitel 2

An jenem Donnerstagabend ging ich mit einer Flasche gekühlten Roséwein und zwei Gläsern auf die Terrasse. Vater saß dort in der Hollywood-Schaukel und starrte gedankenverloren in die Unendlichkeit. Die Sonne stand nur noch schmal über dem Horizont. Der Himmel sowie die wenigen vorhandenen Wolken waren tief in Rot- und Violetttönen eingefärbt. Das typische und klischeebehaftete Bild für die Vergänglichkeit des Lebens, dachte ich noch, öffnete die Flasche und schenkte uns beiden ein.

Bedrückt setzte ich mich neben meinen Vater, zog die Beine neben mir hoch auf die Sitzfläche, winkelte meine Knie an und lehnte meinen Kopf an seine Schulter. Automatisch legte er seinen Arm um mich und drückte mich an sich.

„Nun hat sie uns also wieder allein gelassen, wie so oft in den letzten Jahren", begann er nach langer Pause. Ich nickte wortlos. Es stimmte schon, bei uns in der Familie war die Rollenverteilung schon immer - nun ja - eher matriarchalisch.

Mutter war die Geschäftsführerin der von ihrem Opa gegründeten und von ihren Eltern geerbten Firma, die sie nicht nur fortgeführt sondern auch stark erweitert und ausgebaut hatte. Vater kümmerte sich schon immer mehrheitlich um mich. Mit seinem Beruf als Lektor und seiner überwiegenden Arbeit im Home-Office war dies aber auch nie ein Problem. Ob ich vom Kindergarten abgeholt werden musste, ob ich aus der Schule nachhause kam oder ob ich Hilfe bei den Hausaufgaben benötigte, Papa war - bis auf ein oder zwei Tage im Monat - immer da. Es gab immer ein Lächeln oder eine sonstige Aufmunterung und ein warmes Mittagessen. Und speziell was die Sprachunterrichtsfächer in der Schule anging konnte er mir mit ausgefeilten Informationen - insbesondere im Bereich Satzbau und Grammatik - immer helfen.

Und selbst als ich eine junge Frau wurde und meine Periode einsetzte sprach ich nicht mit meiner Mutter sondern mit ihm über dieses Thema. Er ging auch mit mir das erste Mal mit zur Frauenärztin; dass ihn diese - für mich leider - nicht mit ins Untersuchungszimmer ließ ist jetzt wieder ein anderes Thema. Was ich damit ausdrücken will ist, dass wir beide uns genau kannten, uns gegenseitig vertrauten und über alles miteinander sprechen konnten.

„Du, Papa, wie soll es jetzt weitergehen?" unterbrach ich die lastende Stille schließlich.

„Grundsätzlich wie bisher", stellte er nüchtern und desillusioniert fest. „Ich werde weiter alleine hier in diesem nun nur allein für mich viel zu großen Haus leben, du wirst studieren, deinen Abschluss schreiben, dein eigenes Leben aufbauen und irgendwann einen netten Mann finden mit dem du eine Familie gründest und mit dem du Kinder haben wirst. Ich bin schon froh, wenn du mich dabei nicht ganz vergisst und ab und zu an den Wochenenden bei mir vorbeischaust."

„Ach Papa", seufzte ich, „so einfach ist das nun auch wieder nicht. Ich habe in den letzten beiden Jahren zwar den ein oder anderen jungen und interessanten Mann kennengelernt und auch die ein oder andere Nacht mit diesen verbracht. Aber ich habe sie alle mit dir verglichen und nach spätestens ein paar Tagen wieder aussortiert."

„Ich glaube", schmunzelte mein Papa unvermittelt, „dieses Thema solltest du mit jemandem anderen besprechen. Ich denke, dass ich hier nicht mehr neutral und unabhängig urteilen kann. Üblicherweise hat eine Frau für solche Fälle eine beste Freundin mit der sie dieses Thema besprechen kann."

„Das ist etwas schwierig, Papa, denn ich brauche hier deine Erfahrung. Wie lief das zwischen Mama und dir? Wie seid ihr zusammengekommen und wie habt ihr zusammen gelebt?"

„Also das ist jetzt schon etwas sehr intim", unterbrach mich mein Vater. „Ab dem Moment wo Kinder zu groß für die Besucherritze im Bett im Schlafzimmer der Eltern sind, ab diesem Moment sollte dieser Raum eigentlich Tabu für die Kinder sein."

„Papa, ich rede nicht von Sex. Ich rede von Vertrauen, Intimität, Wärme und Zusammengehörigkeit. Mich interessiert nicht, wie oft du mit Mama - na du weißt schon. Und ich will auch nicht eure Lieblingsstellung erfahren."

„Das ist mir durchaus klar", lächelte Papa mich an. „An deiner Kritik ist durchaus etwas dran. Männer sehen prinzipiell immer nur die eine Seite der zweiseitigen Medaille. In dem Moment, in dem die Frau Schutz, Wärme, Geborgenheit und Vertrauen sucht sieht der Mann häufig nur Paarungsbereitschaft und Sex."