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Das Refugium Teil 2 - Kapitel 09

Geschichte Info
Totgesagte leben länger
4.9k Wörter
4.68
3.8k
3
Geschichte hat keine Tags

Teil 10 der 20 teiligen Serie

Aktualisiert 01/04/2024
Erstellt 11/16/2022
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Kapitel 9: Totgesagte leben länger

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Marianne stand schwer atmend mit dem Rücken an der kalten Blechwand eines rostigen Containers, in der Hand hielt sie die Machete, mit der sie gerade das Seil, an dem Sandys Käfig über der stinkenden Jauchegrube baumelte, durchtrennt hatte. Unerbittlich näherten sich im Halbkreis etwa 20 Marauder, die sie in die Enge getrieben hatten. Sie schwangen siegessicher ihre Macheten, und die wenigen, die mit AK47 bewaffnet waren, senkten ihre Läufe. Sie waren sich ihrer Beute sicher, und hatten nicht vor, Marianne durch einen gnädigen Schuss die allgemein für weibliche Gefangene der Marauder übliche "Spezialbehandlung" zu ersparen.

Marianne hob die Machete, entschlossen, ihr Leben so teuer wie möglich zu verkaufen und noch einige Marauder mit ins Grab zu nehmen. Da erklang rund um sie herum ein dumpfes "Plopp-Plopp-Plopp", und aus kleinen, vom Himmel regnenden Metallkanistern quoll dichter Nebel. Sekunden später waren Marianne und die Marauder so dicht eingehüllt, dass man buchstäblich die Hand vor den Augen nicht mehr sehen konnte.

Marianne nützte ihre Chance sofort. Sie ließ die Machete fallen, und katapultierte sich mit einem gewaltigen Satz, der in einen Rückwärtssalto überging, so weit sie konnte nach oben. Sie hatte nichts verlernt von ihren turnerischen Fähigkeiten. Obwohl sie nichts sehen konnte, landete Marianne sicher auf der Oberseite des Containers. Kaum berührten ihre Fußsohlen den kalten Stahl, sprintete sie los zum gegenüberliegenden Ende.

Beim Anflug auf das Camp der Marauder hatte sich Marianne automatisch das Bild der Umgebung eingeprägt, trotz des Nebels wusste sie genau, wo sie sich befand. Drei Container standen nebeneinander. Sie sprang unmittelbar vor dem Ende des ersten Containers, schlug wieder einen Salto und landete auf der Oberseite des nächsten Containers. Auch die Lücke zum Dritten und letzten in der Reihe nahm sie auf diese Weise, und von dessen Ende stieß sie sich ab und flog so weit sie konnte weg von den Maraudern ins Nichts.

Hart kam Marianne auf dem Boden auf, und rollte sich gekonnt ab. Trotzdem schrammte sie über herumliegende Steine und Gestrüpp, aber sie verbiss sich den Schmerz, raffte sich auf, und stürmte weiter so schnell sie konnte. Gleich musste doch ... ja, tatsächlich, da war das tief eingeschnittene Bett des kleinen Flusses, der vom Refugium weg durch das Zugangstal floss. Marianne ließ sich über den Rand fallen, und begann, unter der Deckung des Flussufers so schnell wie möglich Distanz zwischen sich und das Lager der Marauder zu bringen.

Dort lichtete sich der Nebel inzwischen wieder etwas, und die Marauder suchten rund um die Container herum nach Marianne, fanden aber nur die liegen gelassene Machete.

"Scheisse, die Bitch ist abgehauen", krächzte einer mit heiserer Stimme. "Ritchie wird uns alle machen, wenn er erfährt, dass sie uns entwischt ist."

Nachdenklich hob ein anderer die Machete auf, und sah prüfend im Kreis. Überall sah er ängstliche Gesichter von Maraudern, die Ritchies Zorn völlig zu Recht fürchteten. Da schwang er Mariannes Machete und warf sie in hohem Bogen in die Latrine, wo sie mit einem dumpfen Aufklatschen verschwand.

"Sie ist vor lauter Angst in die Brühe gesprungen, ich habe es genau gesehen, und ihr auch, oder?"

Rundherum erhob sich zustimmendes Gemurmel, und auch von denen die später hinzukamen übernahmen alle die Geschichte. Nicht wenige behaupteten, es ganz genau gesehen zu haben, und fügten sogar noch das eine oder andere Detail hinzu, oder, was häufiger vorkam, sie fabulierten noch das eine oder andere Kleidungsstück weg, das sie Marianne angeblich bereits vom Körper gerissen hatten, bevor die sich mit von Todesangst verliehener übermenschlicher Kraft losgemacht und in den Freitod gestürzt hatte.

Marianne war allerdings kerngesund und kämpfte sich so schnell sie konnte durch das Flussbett zurück zur Station. Unentdeckt erreichte Marianne Manfreds innere Markierung. Wie er versprochen hatte, wartete dort eine Transportplattform mit Ausrüstung auf sie. Marianne konnte sich denken, dass er im Moment vollauf mit Sandy beschäftigt war. Wenn er später die Plattform wieder zurückholte, und sie leer vorfand, würde er vermutlich davon ausgehen, dass die Marauder sie gefunden und geplündert hatten.

Schnell sichtete Marianne, was Manfred ihr zum Überleben zugedacht hatte, und sie musste zugeben, dass er ihr tatsächlich eine reelle Chance geben wollte. Der Rucksack, der auf dem Transporter lag, beinhaltete eine komplette Überlebensausrüstung für die Berge. Es war wenig High-Tech aus der Station dabei, aber es war alles da, was man unbedingt brauchte. Kompass, Fernglas, ein langes Jagdmesser mit Feuerstein, ein Basissatz Verbandszeug, etwas Seil, und natürlich wetterfeste Kleidung und gutes Schuhwerk. Besonders freute sich Marianne, als sie unter dem Rucksack einen elegant geschwungenen Jagdbogen und ein Bündel Pfeile mit gemein aussehenden Spitzen fand. Die Waffe war absolut tödlich in der Hand eines erfahrenen Schützen, und Marianne war einmal fast Weltklasse im Bogenschießen gewesen. Und Pfeile hatten gegenüber Schusswaffen einen unschätzbaren Vorteil: sie verbrauchten sich nicht wie Patronen, man konnte sie wieder einsammeln, und sich zur Not sogar selber neue machen, wenn sie ausgingen. Das alles war angesichts dessen, was sie Manfred angetan hatte, mehr als sie zu hoffen gewagt hatte.

Marianne zog die Bergkleidung über ihren schwarzen Turneranzug, schulterte ihre Ausrüstung, und begann, auf demselben Weg wie sie gekommen war das Tal wieder zu verlassen. Diesmal ließ sie sich Zeit, und nützte das Fernglas, um auf dem Weg nach Maraudern Ausschau zu halten. Als Marianne sich langsam dem Talende näherte, wo noch das Lager der Marauder zu umgehen war, versteckte sie sich im Bachbett zwischen einigen großen Steinblöcken, und wartete auf den Schutz der Nacht.

Die Nacht war mondlos und stockdunkel, und die wenigen Wachen, die Ritchie aufgestellt hatte, verrieten sich schon aus der Distanz durch die kleinen glühenden Punkte ihrer Zigaretten und ihr halblautes Geschwätz untereinander. Marianne konnte sie problemlos umgehen, und folgte danach dem Flusslauf, um immer weiter weg von Ritchie zu kommen, was aber leider auch bedeutete, dass sie sich immer weiter von Lisa und Sandy entfernte.

Marianne war natürlich entschlossen, in der Gegend zu bleiben und auf eine Gelegenheit zu warten, ihre Töchter irgendwie kontaktieren zu können. Zuvor brauchte sie aber ein sicheres Versteck für sich selbst, in dem sie notfalls auch einen Winter überstehen konnte.

Im großen Tal gab es einige Ruinendörfer, aber das war Marianne zu gefährlich. Hin und wieder durchsuchten Marauder als Schrottsammler auch den letzten Winkel, den sie schon x Mal zuvor durchsucht hatten, in der Hoffnung, etwas zu finden was bisher übersehen wurde.

Aber die Marauder mieden die Berge, und besonders ein Seitental, von dem Marianne hin und wieder hatte munkeln hören, es sei eine verfluchte Todesfalle. Aus den vagen Schilderungen der Marauder wusste Marianne, dass es einige Tagesmärsche entfernt weiter unten im Tal liegen musste.

Die folgenden Tage arbeitete sich Marianne methodisch der alten Straße entlang immer weiter dorthin, wo früher einmal die größeren Orte gelegen hatten, und prüfte akribisch jedes Seitental, das rechts oder links abzweigte. Als sie die enge Schlucht sah, durch die sich ein reißender Wildbach quälte, und darüber Reste eines alten Klettersteigs wusste sie, dass sie den richtigen Eingang gefunden hatte.

Vorsichtig arbeitete sich Marianne den Steig entlang, und dachte an die Schilderungen der Marauder. Der Weg wurde immer schmaler, und unter ihr toste der Wildbach, bereit alles zu verschlingen, was ausrutschte und in ihn hinein fiel. Marianne konnte sich gut vorstellen, denn das entsprach genau dem Humor von Maraudern, dass hier der eine oder anderer sein Leben gelassen hatte, weil ihn im falschen Augenblick ein kleiner Schubs oder ein Tritt auf einen Hacken aus dem Gleichgewicht gebracht hatte, sehr zum Gaudium seiner Kumpane. Dementsprechend langsam und methodisch arbeitete sich Marianne Fuß um Fuß vor, immer auf sicheren Griff und Stand bedacht. Dennoch wäre es fast schief gegangen.

Marianne näherte sich einem Abschnitt, in dem der Weg einst durch eine senkrecht abfallende Felswand geführt worden war. Für die Beine gab es ein Felsband, das nur wenig breiter als ein Schuh war, und das in einiger Entfernung um den Fels herum bog und dort außer Sicht verschwand. Früher waren in Armhöhe Sicherungsseile gespannt gewesen, an denen sich die Berggeher mit Karabinern eingehängt hatten, aber diese waren natürlich längst samt den Felsankern, die sie gehalten hatten, geplündert worden. Marianne traute sich natürlich zu, den schmalen Weg eng an den Felsen gepresst zu meistern, ein Schwebebalken beim Turnen war schließlich wesentlich schmaler. Aber sie hatte ein ganz ungutes Gefühl dabei und suchte nach einem anderen Weg. Es gab offenbar aber keinen, also schob sie sich vorsichtig auf das Felsband hinaus.

Als plötzlich der Boden unter ihren Füßen wegsackte, wäre Marianne ohne ihr Training unrettbar verloren gewesen. Während ihr Gehirn noch mit der Schrecksekunde beschäftigt war, reagierte ihr Körper bereits automatisch. Ein tausendfach geübter Überschlag seitlich brachte Marianne wieder zurück auf sicheren Boden, wo sie höchst unelegant auf dem Allerwertesten landete, weil das ungewohnte Gewicht ihres Rucksacks ihren gewohnten Bewegungsablauf gestört hatte. Marianne vermeinte sogar die tadelnde Stimme ihrer Trainerin zu hören, während sie sich wieder aufrappelte.

Eine Felsplatte hatte plötzlich unter ihrem Gewicht nachgegeben. Aber sie fiel nicht etwa hinunter in den Fluss, staunend sah Marianne, dass sie sich, wie an einem Scharnier befestigt, langsam wieder zurück in ihre Ausgangsstellung bewegte. Da hatte jemand eine teuflisch effektive Falle aufgebaut, und diese lose Platte war sicher nicht die Einzige. Marianne machte sich keine Illusionen, sie kannte jetzt zwar die erste tödliche Platte, aber es mochten noch dutzende mehr folgen. Marianne konnte sich nicht darauf verlassen, jedes Mal einen rettenden Sprung zuwege zu bringen.

Marianne überlegte. Der unbekannte Ingenieur dieses Baus hatte doch wohl dasselbe Problem gehabt. Wie er es wohl bewerkstelligt hatte, die Steine so kunstvoll einzupassen, ohne selbst abzustürzen? Marianne sah sich nach einem alternativen Weg um. Der Fels war spiegelglatt und bot keinerlei Halt. Zur Linken ging es fünfzig Meter senkrecht hinunter in den tosenden Fluß, zu ihrer Rechten fiel ein kleiner Bach über die Felsen herunter. Ein Stück weit oben in diesem Bach ragte ein krüppeliger kleiner Baum in die Luft. Marianne hatte eine Idee.

Zu Mariannes Ausrüstung gehörte auch ein etwa 20m langes Seil. Marianne ging ein Stück Weg zurück und fand schließlich ein armdickes Stück Holz, das sie etwas zurechtschnitzte und am Seilende befestigte. Dann warf sie Seil und Holz so weit sie konnte nach oben und versuchte, es auf der anderen Seite des Baumes wieder herunterfallen zu lassen. Nach einer Weile gelang das Kunststück, Marianne verband die beiden Enden mit einem Knoten, und hängte sich prüfend an das Seil, es schien zu halten. Also fasste sie die beiden Seilstränge und arbeitete sich durch das Wasser nach oben. Sie wurde völlig durchnässt, aber es ging leichter als erwartet, da ihre Beine immer wieder Halt fanden in Spalten und an Vorsprüngen, die durch das Wasser verdeckt waren.

Als Marianne den Baum erreicht hatte und sich an ihn lehnte um etwas zu verschnaufen, sah sie das Brett, und die beiden großen Steinpaare rechts und links des Bachlaufs. Die Funktion war ihr sofort klar: man konnte das Brett zwischen die Steine klemmen, und der Bach wurde beiseite geleitet. Dann wurden die Griffe und Tritte, die sie mühsam ertastet hatte, plötzlich frei sichtbar. Jeder halbwegs geübte Bergsteiger konnte dann hinunter oder hier herauf klettern. Marianne rollte ihr Seil auf, und fühlte prüfend über die Rinde des Baums, der ihr hier heraufgeholfen hatte, und sie war nicht im Mindesten überrascht, als sie dort zahlreiche tiefe Druckstellen von Seilen fand. Hier hatte sich der Erbauer der Falle also mit einem Seil gesichert, während er sein teuflisches Werk an den Felsen baute. Und mehr noch: Marianne sah sofort den schmalen Fußweg, der seitlich weiterführte. Vermutlich würde er etwas später auf das Ende des Felsbandes treffen. Man ging also, wenn man das Tal nach unten durchwanderte, nicht über das Felsband, man nahm den Weg hier herauf, leitete den Bach um, und kletterte dann mit Seilsicherung durch das Bachbett hinunter zum Weg. Vermutlich ließ man das Seil hängen, und benutzte es auf dem Rückweg wieder, um danach den Bach wieder in sein Bett zurückzuleiten und so den Aufstieg zu tarnen.

Marianne bekam eine erste Idee: der Ingenieur, der sich das ausgedacht hatte, war nicht nur technisch und handwerklich brillant, er musste auch ein erfahrener Bergsteiger sein. Das hatte er jedem Marauder zweifelsfrei voraus, und er würde auf diesem Vorsprung aufbauend den Maraudern so viele Fallen stellen, wie er konnte. Wenn es Marianne gelang, so zu denken wie er, und zu sehen was er auch sah, würde sie eine wesentlich höhere Chance haben, unbeschadet durch diese verfluchte Klamm zu kommen.

Marianne ging auf dem kleinen Fußweg weiter, er führte schräg abwärts, und vereinigte sich hinter der Biegung, hinter welcher das Felsband verschwunden war, tatsächlich wieder mit dem ursprünglichen Klettersteig. Vorsichtig arbeitete sich Marianne weiter durch die Klamm.

Die nächste böse Überraschung ließ nicht lange auf sich warten. Plötzlich fehlten etwa zehn Meter vom Weg völlig, als seien sie mit einem scharfen Messer vom Hang abgeschnitten worden. Wer nicht fliegen konnte, dem fielen sicher einige dicke Wurzeln auf, die oberhalb des ehemaligen Wegs aus der Felswand ragten und dazu einluden, sich an ihnen auf die andere Seite zu schwingen. Marianne prüfte die erste Wurzel, sie fühlte sich vertrauenerweckend fest an, aber das musste einfach eine Falle sein.

Marianne erinnerte sich an ihre Übungen an den Ringen und am Stufenbarren. Geschwindigkeit und Schwung waren der Schlüssel zum Erfolg. Einmal tief durchgeatmet, dann schwang sie sich entschlossen über den Abgrund, und griff nach der nächsten Wurzel. Als sie das Knacken über sich hörte, war sie nicht überrascht, und es übernahmen sofort ihre alten Instinkte und Bewegungsabläufe. Bevor eine Wurzel vollends abriss, schnellte sich Marianne mit einer blitzschnellen Bewegung bereits weiter zur Nächsten, und so weiter, bis sie nach der Letzten wieder auf sicherem Boden landete. Dort hielt Marianne schwer atmend inne, unter sich brauste der Fluss dahin, und da wo zuvor die Wurzeln aus der Wand geragt hatten, rasten nun kleine Steinlawinen der Wand entlang in die Klamm hinunter. Die Wurzeln waren nicht nur abgerissen, jede hatte zusätzlich eine kleine Steinlawine ausgelöst, die nun die Felsen entlang in den Fluss hinunter polterte und alles mit sich riss, was sich eventuell hätte an den Felsen festklammern können.

Wie der "Ingenieur", so nannte Marianne den unbekannten Erbauer inzwischen, diese Falle für sich selbst entschärft hatte? Etwas weiter hinten in der Klamm fand Marianne die Antwort. Man hatte dort eine unpassierbare Felsnase mit einem mannshohen, schmalen Tunnel duchstochen, und im Tunnelausgang lag wettergeschützt und sauber aufeinander gestapelt ein Haufen von etwa 20 Millimeter dicken und dreißig Zentimeter langen Stücken von runden Armiereisen. Marianne ging entschlossen, das Rätsel zu lösen und den Weg durch die Klamm für sich zu erschließen, zurück zur dem Abgrund, wo sie die Wurzeln bezwungen hatte, und nun, da sie wusste was sie suchen musste, fand sie auch die seitlich in die Felswand gebohrten Löcher, in die man die Eisen einstecken konnte, und an denen man sich sicher über den Wurzeln vorwärts hangeln konnte.

Marianne ging zurück zu dem kleinen Tunnel, zückte ihre Taschenlampe, und leuchtete hinein. Dass man hier so einfach durchgehen konnte, das hielt sie für sehr unwahrscheinlich. Sie würde sich hüten, den Tunnel zu betreten, so viel war sicher. Es musste einen anderen Weg geben. Prüfend begann Marianne, den Felsen seitlich des Tunnels zu begutachten. Er war von Rissen durchzogen, an denen man zur Not mit den Fingerspitzen Halt finden konnte. Der Ingenieur war vermutlich ein erfahrener Kletterer, der das schaffen konnte, jedenfalls ein Stück weit. Bis zum äußeren Ende der Felsnase waren es etwa zehn, vielleicht zwölf Meter. Sich nur an den Fingerspitzen hängend da entlangzuhangeln wäre selbst für Marianne kaum zu schaffen gewesen. Da musste es noch eine Lösung für die Füße geben. Marianne ließ sich auf die Knie sinken und begutachtete sorgfältig den Felsen in Fußhöhe. Da verlief tatsächlich noch ein Riss, aber er war viel zu schmal, als dass ein Bergstiefel hineingepasst hätte. Aber ein nackter Zeh eines zarten Frauenfußes, ja, das müsste gehen.

Marianne zog ihre Bergstiefel und die Socken aus, zwängte ihre Zehen in den Riss und hänge sich mit den Fingerspitzen in dem Riss oben ein. Dann beganns sie sich seitlich die Wand entlangzuschieben. Es ging besser als erwartet, und bald erreichte Marianne die äußere Ecke, um die sie aber nicht herum sehen konnte. Sie tastete auf der Suche nach einem Griff um die Ecke herum, und fand aber auf der anderen Seite keinen Halt. Trotzdem musste da einer sein, denn wer auch immer von der anderen Seite aus um die Ecke klettern wollte, musste sich auch irgendwo festhalten können. Einer Eingebung folgend tastete Marianne mit dem Fuß um die Ecke, und fand schließlich tatsächlich etwas. Unter ihrem nackten Fuß spürte sie unverwechselbar die Wärme und die Oberfläche eines rissigen Holzbretts. Kurz stelle sie sich vor, wie ein Kletterer diese Ecke umklettern konnte, vermutlich gab es weiter oben irgendwo einen Punkt, wo er seine Seilsicherung einhängen konnte, und dann schwang er sich von dem Brett um die Kante herum, und krallte sich in den Rissen fest.

Marianne hatte kein Seil zu Hilfe, es musste also ohne gehen. Sie holte tief Luft, und presste ihre Oberschenkel zusammen, die Oberschenkel, die Männer zu deren Vergnügen fast schmerzhaft um die Hüften in die Zange nehmen konnten, wenn sie sich mit ihnen festkrallte. Den rechten Arm in den Riss verkeilt und mit dem Linken um die Ecke tastend schob sie sich zentimeterweise um die Kante herum. Da war aber kein Griff, und schließlich rutschte Marianne ab.

Bevor sie den letzten Halt verlor, spannte Marianne ihre Muskeln an und drückte sich ab, um um die Ecke herum greifen zu können. Sie erwischte tatsächlich das Brett, das für die Füße gedacht war und klammerte sich daran fest. Es hielt, und einen Klimmzug später stand Marianne obendrauf und beruhigte ihren Atem und ihren Herzschlag. Ihr suchender Blick ging nach oben, und natürlich, da oben war ein Felsanker gesetzt, wo der Ingenieur das Seil einhängen konnte, an dem er sich relativ gefahrlos um die Ecke schwingen konnte.

"Er hat das Seil benutzt, wie unsportlich, jedenfalls für einen Freikletterer", dachte Marianne.

Der weitere Weg war ein Kinderspiel, ein Steg aus Brettern führte zurück zum ursprünglichen Weg, und traf ihn unmittelbar neben dem Eingang zu dem kleinen Tunnel. Lisa leuchtete wieder hinein, aber sie sah nichts außer roh behauenen Steinen, und Wasser, das durch Spalten sickerte und von der Decke tropfte. Im Moment war ihr egal, was sich im Tunnel verbarg, und so drehte sie sich um und setzte den Weg in der Klamm fort.

Weiter die Klamm hinauf wurde der Weg für einige Dutzend Meter einladend breiter, und Marianne wollte erleichtert aufseufzend zügiger ausschreiten, als ihre innere Alarmklingel sie ruckartig stoppen ließ. Die Stelle sah absolut harmlos aus im Gegensatz zu dem Teil des Weges, den sie bereits hinter sich hatte. Zu harmlos, breit und mit Laub bedeckt. Laub? Wieso Laub? Hier stand weit und breit kein Laubbaum am Wegesrand. Marianne hakte ihren Bogen vom Rucksack los, und begann, ihn wie einen Stock benutzend, mit ausgestrecktem Arm vor sich den Weg abzutasten. Es dauerte nur einige Meter, dann bohrte sich der Bogen durch die Laubschicht. Darunter befand sich offenbar ein Hohlraum, sorgsam abgedeckt mit Laub, und vermutlich einer Art dünnem Netz. Marianne warf einige kleinere Steine vor sich auf den Weg, die meisten wurden von der Laubschicht verschluckt. Was immer sich darunter befand, seien es nun Gruben mit spitzen Stöcken oder Rutschbahnen hinunter in den tosenden Fluss, es würde wohl gesünder sein, sich einen anderen Weg zu suchen.

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