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Europa Vorbei

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Sich ins Innerliche wenden oder nach Außen wirken?
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[ © Emanuel Senden 2020 / this story makes use of italics ]

Hier, eingekeilt zwischen den Hügelketten des Mittelgebirges, saß der Winter tief. Er wehrte sich bissig mit Winden gegen den Frühling, an den die Großstädter glaubten, die wie eine warme Lache mit ihren Diesel-Volvos an den Wochenenden hier hochsuppten. Für ihn, und in diesem sonderbaren Morgengefühl, schien das karge Gerippe jenes Buchenwaldes dort hinter seinem Fenster, in dem die flecktarnverkleideten Hochstände noch das Grünste waren, irgendwie realer, ehrlicher eindeutiger zu sein, als vielleicht ein paar Magnolienblüten aus dem Baumarkt Köln-West.

Seine Mutter hatte über Nacht das Radio angelassen. Sie war schon los zum Bereitschaftsdienst ins Heim, hinaus in den Nebel, er würde sie erst zum Abend wiedersehen. Er hörte die Morgennachrichten plärren aus der Küche.

Der Geruch eines Marmeladentoasts ließ ihn das feuchtweiß gekippte Fenster schließen und hinuntertappsen. Beinahe fiel er dabei über sein Skateboard, das ganz praktikabel vor dem Treppenabsatz drapiert war. Seine kleine Schwester schlief noch. Seltsam, die musste doch sicher heut wieder runterfahren zum Praktikum?

Der EU-Haushaltsgipfel verbleibt weiter ohne Einigung. Während die »sparsamen Länder« auf Einem Prozent der EU-Wirtschaftsleistung beharren, beharren die »Fördergeldfreunde« auf 1,07 Prozent der EU-Wirtschaftsleistung. Die Konfliktfrage heißt weiterhin, wie das Loch, das der Brexit...

Der warme Dunst von frischen befeuchteten Aufbackbrötchen umhüllte ihn und verjagte die trüben Nebelschleier aus seinen Gedanken. Er drehte am Knopf des altmodischen Empfangsgeräts und wechselte den Sender. Nachrichten kamen hier oben meistens eh verrauscht an. Ah -- das war besser. Maybe you should just shut up / even when it get's tough / Baby cause this is love -- Avril Lavigne, die ewig aufgebrachte. Nicht mehr ganz modern, aber was war in dieser Küche schon modern? Sie hatten so viel aus dem Haus seiner Großmutter herüberbeschafft -- Die geschnitzten Wandboards für Tassen und Gewürze, den Eichentisch, die Blechpötte, die schon unruhig aneinanderdengelten, wenn man sie bloß ansah. Zwischendrin hing ein altes holländisches Aquarell vom Flohmarkt, das wohl mal Teil eines Vier-Jahreszeiten-Zyklus gewesen sein musste. Eine Schwarzwalduhr zu allem Überfluss, in der es knackste, obwohl sie den Vogel abgestellt hatten.

Er schnitt etwas rotleuchtendes Gelee aus dem Marmeladenglas und schmierte ein weißes Brötchen voll. Genüsslich hineinknurpselnd konfrontierte er wieder die weißgraue Leere draußen, die gar nicht mehr so feindlich schien wie noch eben in der fahlen Leere eines wie eben verloschenen Traumes im Schlafzimmer. Die Hochstände im Wald sollten ihn eigentlich mahnen -- sein Jagdschein... Er war erst vor zwei Monaten aus Berlin hierher zurückgekehrt, in das Haus seiner Eltern, in das grobe feuchte kieswegknirschende Dorf seiner Kindheit und vollgekifften Jugend. Sein Studium in der Hauptstadt hatte er abgebrochen, die meisten Freundschaften, die sich anzubahnen drohten, gekappt. Es gab ein Mädchen, dessen Lächeln er gemocht hatte, aber mittlerweile waren sie auf Sexting abgesunken. Er hätte nicht einmal genau sagen können was ihn dort verprellt hatte -- das Klima vielleicht?

Jetzt wollte er Förster werden; oder so. Seinen Eltern war es nicht wirklich wichtig, was er tat, so lange er nur irgendetwas anstrebte. Was sie betraf könnte er wohl ebenso Funktionär bei der AntiFa werden, so lange die ihn nährten.

Die Gedanken an den Zwang einer beruflichen Zukunft beschworen eine trotzige Langeweile in ihm. Fast liebäugelte er damit, die Nachrichten wieder einzuschalten. Irgendetwas war immer noch mit diesem Morgen. Etwas, was ihn von den Anderen unterschied. Aber hier oben könnte ein Atomkrieg ausbrechen und sie würden es erst bemerken, wenn der Lidl-Frau die Lieferungen ausblieben.

Das Brodeln der Wasserrohre aus dem Obergeschoss herunter vertrieb ihn aus der Küche. Er hatte keine Lust auf eine zweite Avril Lavigne, noch dazu eine mit lebensechten Alltagsproblemen. Das kaputte Mofa ihres Liebhabers zum Beispiel. Also schlüpfte er kurzerhand in seine Wanderstiefel und öffnete die Tür, an der das Kondenswasser haftete.

»Kalt!« kreischte es aus dem oberen Flur; er beeilte sich in die Einfahrt hinauszutreten.

Es roch nach Rauch mittlerweile, wie jeden Morgen. Viele hier heizten mit Öfen, viele waren Waldbesitzer oder deren Brüder oder Cousins oder was sonst noch an Mischpoche hier in den Talsohlen tümpelte. Mittlerweile war fast der gesamte Wald der Gemeinde privatverkauft; auch Förster mauserten sich völlig überraschend aus den Jackwolfskins heraus in die hilflosen Krawatten der Freiberufler.

Kein Atomkrieg also; nur schwäbelnde Heizkostenabrechnung. Vielleicht hatte er ja tatsächlich irgendetwas geträumt und dann schlussendlich vergessen. Oder fühlte er sich heute einfach nur besonders unternehmungslustig? Einer der großen Standortfaktoren dieses Weilers war ja seit je her die Nähe zur belgischen Grenze. Früher, als sein Vater seine Mutter noch geliebt hatte, war das ihre Lieblingssonntagsbeschäftigung gewesen. Mal eben nach Belgien rüberstippen, ins Moor, ein wenig Französisch hören. An der Hand; Tannenzapfen; Dämpfe und den plauschenden Singsang dieser Sprache, »mit der wir so viel teilen«, hatte er erklärt.

So in Erinnerungen versonnen hatten seine sonstwohin stöbernden Blicke -- hielt da nicht eben eine schlanke Gestalt an der Waldkante...? -- bereits den ersten Wegweiser verpasst. Zerknirscht irrte er einige hundert Meter zurück. Obwohl es bald gegen Neun gehen musste, war der Wald weiterhin bis auf ihn verwaist. Wo blieben die Menschen? Sie heizten bereits, sie waren wach, und wie er so den Hang hinabsah auf das zwischen den Baumwurzeln schwitzende Dorf -- aus den Fenstern flackerte das Netflix.

Hautes Fagnes: 10 km. Fahrrad-Ikon. Grmpf. Papa-Tagträume in allen Ehren -- er würde die heimische Garage nach der üblichen Lösung befragen, selbst wenn es einige wurmverschmähende Lerchen im Gebüsch das stille Herz kosten mochte. Aber das Röhren seines eigenen Downhillbikes, kaum dass er in die Dorfstraße einbog, stieß ihn darauf, dass er jüngst nicht nur nicht mehr der einzige mit einem Mofaführerschein in der Familie war, sondern auch der einzige, der zunehmend selbst an Wochentagen es vorzog einsam durch die Wälder zu streifen anstatt wenigstens einer Tischlerlehre nachzuhängen oder so etwas. Ganz zu schweigen von jener Journalismus-Ausbildung, die sein Vater ihm damals über Kontakte von Hamburg nach Berlin verschafft hatte. Vielleicht saß sein Vater immer noch dort, gerade jetzt, morgens in Hamburg mit seiner Tüte Cashew-Nüsse und schaute die Tanker vorbeiziehen.

Wie auch immer... Sein Mofa war fort, fortgefahren von seiner zackigen Schwester, nach Köln hinunter. Wo all der Frühlingsdunst sich zusammenkehrte wie ein großer Scherbenhaufen.

Grummelnd, aber irgendwie im Bedürfnis, diesen enttäuschenden Morgen weiter anzuschweigen, betrat er wieder das Haus. Streifte die schlammigen Stiefel einen halben Meter hinter der Fußmatte ab; seine Mutter würde glauben, er wäre Schießen üben gewesen.

Müde erklomm er die Treppen. Im Garten vor seinem Zimmerfenster stand ein Apfelbaum. Der produzierte septembers richtige Ramburs, keine Wildäpfel. Er taumelte ins Bett, wo die Fleecedecken immer noch diensteifrig seine Körperwärme bunkerten. Ein Hoch auf die moderne Mikrofaser! Ach -- es waren ja die kleinen Genüsse im Leben. Im Herbst, wenn der Verfall wieder einsetzte und »die letzte Süße in den schweren Wein« jagte. Der Frühling dagegen weckte nur Hoffnungen, die trügerisch waren. Jetzt erst bemerkte er, dass er gefroren hatte auf seinem Morgenspaziergang. Wärmend schlang er seine Arme um den Körper, während er genüsslich für einen weiteren Morgen die Augen schloss. Wer brauchte schon das Lächeln eines Mädchens?

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