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Krieg und Liebe - Irisches Exil

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Ich schaute meinen Vater mehr als irritiert an. Ich saß in seinem Arbeitszimmer in der Offiziersuniform der deutschen Luftwaffe und er sprach von Auswegsmöglichkeiten. Aber ich wusste, dass mein Vater, der auf seiner Schachtanlage durchaus sehr laut und diktatorhaft werden konnte, im Grunde ein viel belesener und nachdenklicher Mann war, der technisch wie kaufmännisch weit in die Zukunft denken konnte. So antwortete ich ihm nur sehr einfach. „Danke Vater für Deinen Hinweis." Ich grinste. „Irland ist wirklich schön. So grün und sauber."

Jetzt ging auch ein Lächeln über sein Gesicht. „Von der irischen Luft könnten wir hier in Herne und Sodingen gut was gebrauchen. Dann müsste nicht zweimal am Tag die Fensterbank mit einem Staubtuch gewischt werden."

Wir prosteten uns zu und damit war dies despektierliche Thema beendet.

Knapp ein Jahr später, am 1. September 1939, bewahrheitete sich die Vorhersage meines Vaters. Adolf Hitler und die deutsche Wehrmacht mit all ihren Waffengattungen begann mit dem Angriff auf Polen und löste in darauffolgenden Tagen einen erneuten großen europäischen Krieg aus. Unser dritten Ausbildungsjahr war bereits Mitte August um sechs Wochen verkürzt worden und wir hatten unsere Stellungsbefehle für unsere Kampfgeschwader bekommen. Als der Angriff auf Polen begann, saß ich im Zug nach Oberschlesien, wo ich mich bei meinem Geschwader auf meinem neuen Fliegerhorst westlich von Gleiwitz melden sollte. Ich war jetzt trainierter und lizensierter Bomberpilot für zweimotorige Bomberflugzeuge, vorzugsweise ausgebildet für die zweimotorige Heinkel He 111, die mit ihrer gläsernen Bugnase für jedermann erkennbar anders aussah.

Viel Zeit zum Eingewöhnen gab es nicht. Fünf Tage nachdem ich mich im Büro des Geschwader-Kommodores gemeldet hatte, saß ich zum ersten Mal im Cockpit eines Heinkelbombers, hatte meinen Navigator rechts neben mir sitzen und meine weiteren drei Besatzungsmitglieder an den Maschinengewehren in Position zur Luftabwehr. Aber wir flogen unser Ziel in einem polnischen Industriegebiet praktisch ungestört an. Die polnische Luftwaffe mit ihren veralteten Flugzeugen sowie die flugtechnische Infrastruktur waren nach fünf Kriegstagen praktisch ausradiert, die Luftwaffe hatte eine nahezu unangetastete Luftüberlegenheit. Zwischen dem 6. und dem 26. September flog ich mit meinem Geschwader und meiner Crew sechszehn Einsätze, eine aus Pilotensicht eigentlich unglaublich hohe Zahl. Aber bei fast durchgehend schönem Wetter und praktisch ohne verteidigenden Gegner hatten die Einsätze fast den Charakter von Übungsflügen. Jedenfalls konnte ich meine in drei Jahren erlernten Fähigkeiten erstmals im militärischen Alltag einsetzen. Meine Crew und ich hatten lediglich wetterbedingt im aufziehenden Gewitter eine schwierigere Landung zu überstehen, bei der ein Staffelkamerad mit seiner Heinkel eine blöde Bruchlandung hinlegte, bei der zwei Besatzungsmitglieder ums Leben kamen. Diese beiden Kameraden waren die beiden einzigen Gefallenen unserer Staffel im ganzen Polenfeldzug.

Anfang Oktober wurde unser gesamtes Geschwader Richtung Westdeutschland verlegt und stand dort den gesamten Winter in Bereitschaft, ohne sonderlich viele Flugstunden zu absolvieren. Im überraschend während des Aprils 1940 stattfindenden Dänemark- und Norwegen-Feldzug kam unser Geschwader nur einmal zum Einsatz, in dem wir ohne Bomben einen Langstreckeneinsatz nach Mittelnorwegen flogen, um die stürmisch Richtung Norden vorrückenden Heereseinheiten mit Nachschub aller Art zu versorgen. Um so mehr waren wir dann wieder als Bomberstaffeln beim am 10. Mai beginnenden Frankreich-Feldzug im Einsatz, teilweise sogar drei Tage hintereinander, bis unsere Maschinen so stark strapaziert waren, dass sie erst einmal für mehrere Tage gewartet und repariert werden mussten. Hier lernten wir zum ersten Mal, dass die Heinkel He 111 erfreulich robust gebaut war und eine Menge Treffer und Schäden wegstecken konnte, ohne in ihrer grundsätzlichen Flugfähigkeit beeinträchtigt zu werden. Es war wirklich erstaunlich, mit welchem Schrott Geschwaderkameraden ihre Maschinen und ihre Besatzung auf den heimischen Fliegerhorst zurückbrachten. Selbst bei Bruch- und Notlandungen infolge von Fahrwerksschäden hatten Pilot und Besatzung relativ gute Chancen mit nur leichteren Verletzungen lebend aus der Maschine herauszukommen.

Mit erfolgreicher Besetzung Belgiens und der Niederlande sowie des Norden Frankreichs verlegten wir unseren Einsatzstandort nach Südholland und nahmen noch einmal an der Schlussphase des Frankreich-Feldzuges teil. Dann war erst einmal Ruhe angesagt, in der unser Geschwader mit neuen Flugzeugen und ergänzenden Piloten und Besatzungen wieder einsatzfähig aufgefüllt wurde. Somit konnte ich Ende Juni einen zehntägigen Heimaturlaub antreten, auf den ein sechswöchiger Lehrgang mit der Ausbildung zum Staffelführer folgte.

Dieser Heimaturlaub ist mir mein Leben lang aufgrund eines besonderen Ereignisses im Gedächtnis geblieben. Meine Eltern waren stolz auf ihren Sohn und dessen erfolgreicher Karriere als Luftwaffenoffizier. Aber sie waren -- vermutlich wie alle Eltern in der ganzen Welt -- besorgt um die Gesundheit und das Leben ihrer Söhne. Insofern war es nicht ganz überraschend, dass mich meine Eltern nach dem Sonntagsgottesdienst, zu dem sie nach wie vor regelmäßig gingen, mich zum Gespräch in Vaters heimatlichen Arbeitszimmer baten.

„Du wirst vielleicht angesichts der großen Erfolge nicht verstehen, was Mutter mit meiner Unterstützung gemacht hat", begann mein mittlerweile sechzigjähriger Vater das Gespräch. „Aber die Erfahrung unseres Lebens und der vorhergegangenen Kriege hat gelehrt, dass man zu seinem eigenen Schutz und dem seiner Familie immer seine Optionen offenhalten muss."

Ich schaute meinen Vater relativ verständnislos an. „Und das bedeutet?"

„Wir sind im Krieg mit England als dem wohl letzten verbliebenen Feind. Ich bin mir sicher, dass der Führer die Kampfkraft der Wehrmacht und insbesondere der Luftwaffe auf diesen letzten Feind konzentrieren wird."

„Davon gehe ich auch aus", bestätigte ich die Sichtweise meines Vaters.

„Wir würden unseren Sohn ausgesprochen ungern in englischer Gefangenschaft enden sehen, sollte er einmal bei einem zukünftigen Einsatz über England Probleme mit seinem Flugzeug bekommen."

Ich reagierte etwas unwirsch. „Vater, wir haben vorzüglichen Jägerschutz, wie wir im letzten Feldzug erfahren konnten." Für den alten Herren war deutlich die Arroganz eines ‚erfolgreichen' Luftwaffenoffiziers herauszuhören.

„Das glaube ich sogar. Aber man weiß nie. Du bist sicher einer der wenigen deutschen Luftwaffenoffiziere, der ganz manierlich Englisch spricht, noch dazu mit irischen Akzent, was eigentlich kein Deutscher kann. Aus diesem Grund hat Dir Mutter über ihre Schwester Shauna und mit Hilfe des örtlichen Priesters eine irische Geburtsurkunde beschafft." Mein Vater legte das Dokument auf den Tisch. „Mutter ist in dieser Kirche, die Du aus Deinem irischen Sommer noch kennst, getauft worden. Deshalb steht die Familie Richardson dort auch mit allen Familienmitgliedern im Taufregister. Wie Du möglicherweise weißt, haben alle Kinder von in Irland geborenen Männern und Frauen automatisch das Anrecht auf die Staatsangehörigkeit der Republik Irland. Wenn nicht, weißt Du das jetzt. Verstanden?"

Ich schaute meinen Vater immer noch verständnislos an.

„Ich muss mich vielleicht jetzt ganz klar ausdrücken", setzte mein Vater fort. „Mutter und ich wünschen, dass Du diese irische Geburtsurkunde bei jedem Einsatz über England in Deinem persönlichen Soldbuch bei Dir trägst. Damit Du Dich im Notfall als Ire tarnen kannst. Jetzt verstanden?" Das war ein klarer Befehl eines Bergwerksdirektors, der grundsätzlich erwartete, dass man seinen Anweisungen folgte, egal ob Bergmann oder Familienmitglied.

„Jawohl, Vater." Ich nahm meine irische Geburtsurkunde entgegen, die auf meinen korrekten Namen mit dem korrekten Geburtsdatum und auf die korrekten Eltern ausgestellt war. Lediglich der Geburtsort und die taufende Kirche waren tausend Meilen Richtung Westen verlagert worden. Ich faltete die Urkunde auf das richtige Format und steckte sie in die hintere Einbandtasche meines Soldbuchs zu den anderen persönlichen Papieren. Dann vergaß ich sie für die nächsten zehn Monate.

Aufgrund meines Lehrgangs kam ich erst Ende August zu meinem Geschwader zurück, dass zu diesem Zeitpunkt bereits fast täglich Angriffe auf London und andere Ziele im Südosten Englands flog. Tagesangriffe, zunächst auf militärische Ziele, dann ab Anfang September auch Nachtangriffe gegen London und andere Städte. Meine Besatzung und ich kamen pro Monat auf fünfzehn bis zwanzig Einsätze, wir hatten uns auf einen Rhythmus fliegen-essen-schlafen-fliegen eingerichtet, der physisch und psychisch aufs Höchste belastend war. Dazu kam in den Wintermonaten häufig schlechtes Wetter, was jeden Flug und eine ganze Reihe von Landungen massiv erschwerte. Ich genoss unter meinen Kameraden als auch unter den Besatzungen das Image des Glückskinds. Trotz der vielen Einsatzflüge verlor ich nur zwei Bordschützen durch direkten feindlichen Beschuss und brachte jede Heinkel He 111, manchmal auch halb kaputtgeschossen mit nur einem laufenden Triebwerk und im langsamen Alleinflug zurück. Eine Bruch-Notlandung direkt hinter der südholländischen Küstendünenkette verlief glimpflich für mich und meine Besatzung. „Es war ein reines Wunder, dass wir uns überhaupt so lange in der Luft halten konnten", berichtete ich beim Rückkehrbriefing, als unsere Maschine als Schrott ausgebucht wurde und die Flugzeugmechaniker zum Ausschlachten der Flugzeugruine an den Notlandeort geschickt wurden.

In der Luftschlacht über England verlor ich viele Fliegerkameraden durch Abschuss beziehungsweise Verwundung während des Einsatzes oder bei einer misslungenen Landung, darunter viele erfahrene Piloten wie ich, die bereits vor Kriegsbeginn ihre Pilotenausbildung abgeschlossen hatten. Als Ersatz kamen zumeist viel zu kurz ausgebildete Grünschnäbel mit vollem Maul und viel leichtsinnigem Mut zum Geschwader, was unsere Verlustquote beständig ansteigen ließ. Mittlerweile zum Oberleutnant befördert, flog ich in der Regel an Nummer zwei unserer Flugstaffelordnung und kam oft genug nur mit zwei Drittel der gestarteten Maschinen zurück.

Im Mai 1941 bekamen wir den Einsatzbefehl zu einem mehrtägigen Dauerangriff auf den Hafen, die Docks und die Stadt Liverpool. Dies bedeutete für unsere Heinkel-Bomber mehr als 1.400 Kilometer hin und zurück, was schon ziemlich nah an der Grenze unserer technischen Reichweite lag, insbesondere wenn wir mit voller Bombenlast den Hinflug gestalten mussten. Meine Nachteinsätze am 2. und 4 Mai, bei denen wir spürbare Verluste sowohl durch britische Jagdflugzeuge als auch die starke Flakartillerie der Region erlitten, waren für meine Maschine glimpflich verlaufen. Lediglich Kleinreparaturen, aber viel Wartungsarbeit waren an den Zwischentagen notwendig geworden und meine Bodencrew bestand aus ausgesprochenen Könnern.

Am 6. Mai waren wir wieder Teil einer nächtlich angreifenden Bomberflotte von mehr als 500 Flugzeugen. Der Widerstand, insbesondere der Flak, war erneut massiv. In dieser Nacht, morgens kurz nach 1 Uhr, endete mein Fliegerglück.

Kurz nacheinander verloren wir durch Flakbeschuss den Backbordmotor und das Hauptseitenruder, eine schon fast unmögliche fliegerische Herausforderung. Was aber viel stärker wog, war ein weit über das Normale hinausgehender Flugbenzinverbrauch.

Mit nur einem Motor war ich nicht mehr in der Lage, meine Position in der Staffel einzuhalten. Ich war gezwungen, mit abzumelden und nach unten aus der Formation auszuscheren.

„Michael", sagte plötzlich mein Navigator Fritze Timmhoff, der wie ich aus Sodingen stammte und seit mehr als einem Jahr an meiner Seite flog, „mit dem Sprit kommen wir nie nach Hause!" Er schaute auf seine Karte und stellte ein paar Berechnungen an. „Selbst wenn wir zwischen den Tanks umpumpen und langsam fliegen, wir haben ja ohnehin nur noch einen arbeitenden Propeller, geht uns spätestens über der englischen Nordseeküste der Sprit aus. Wenn nicht noch früher."

„Und ich fliege bei unserem lahmen Tempo wie eine bleierne Ente in die Morgendämmerung und bin für jeden Jäger einfach zu erlegendes Wild. Kann ohne Seitenruder noch nicht einmal ausweichen." Ich glaube Fritze hatte mich noch nie so ratlos gehört.

„Ich will nicht in englische Gefangenschaft", sagte Fritze plötzlich mit zitternder Stimme. „Aber Absaufen will ich auch nicht."

Ich blieb zunächst stumm. Unsere drei anderen Besatzungsmitglieder waren auf ihrer Position, bereit jedes angreifende Jagdflugzeug zu beschießen. Aber mit Ausnahme des dröhnenden Steuerbordmotors herrschte totale Ruhe seit wir unseren Verband verlassen mussten. Und wir flogen immer noch Richtung Westen, da ich mit einem Motor und ohne Hauptseitenruder Riesenprobleme mit jeglicher Kursänderung gehabt hätte. Aber unsere Heinkel hielt wenigstens ihre Flughöhe ohne weitere Probleme

„Fritze, wie weit ist das von unserer jetzigen Position westlich Liverpool bis Dublin?" durchbrach meine Frage das monotone Motorengeräusch.

„Was? Dublin? In Irland?"

„Genau das!"

Fritze klappte seine Karte auf, maß die Entfernung und rechnete den Maßstab um. „Ungefähr zweihundert Kilometer."

„Reicht unser Sprit bis zur irischen Küste?"

„Muss ich rechnen." Für einen Augenblick herrschte Stille, dann kam seine Antwort. „So wie wir im Moment fliegen, kommen wir noch etwa 300 Kilometer weit. Wie Du vermutet hattest. England könnten wir mit dieser Maschine nicht mehr verlassen."

„Es sei denn Richtung Westen. Hat zudem den Vorteil, dass wir die irische See selbst bei unserem langsamen Tempo vollständig im Dunkeln überqueren und im Morgengrauen über der Insel sind."

„Stimmt." In Fritzes Zustimmung klang gleich das Fragezeichen mit. „Und dann?"

„Ich fliege die Heinkel bis ins Inland, halte sie dann auf einer guten Höhe und wir springen nacheinander ab. Ein Notlandung wäre sinnlos, das ganze Land ist von Hecken durchzogen, da hast du keine ausreichende Landefläche für eine Notlandung."

„Gut, dann machen wir das. Ich rechne den Kurs durch."

Während Fritze seine Hausaufgaben machte, informierte ich über die Interkom die drei anderen Besatzungsmitglieder. „Wir haben keine Chance, noch nach Hause zu kommen. Ich fliege jetzt unsere Maschine nach Irland. Dort springen wir aus der richtigen Höhe der Reihe nach ab. Irland ist neutral und ich kann Euch aus eigener Erfahrung sagen, die mögen keine Engländer." Ich nannte meinen Männern noch eine Kontaktadresse in Dublin, wo sie sich unauffällig melden sollten. Es war ein katholisches Pfarramt.

Die Umsetzung meines Plans gelang zunächst erstaunlich problemlos. Unser einzeln einfliegendes Flugzeug wurde anscheinend nicht erkannt, jedenfalls tauchte nirgendwo ein Flugzeug auf, das unsere lahme Heinkel abfangen wollte. Ich passierte die irische Hauptstadt in hinreichender Entfernung, fünfzehn Minuten später hatte ich unseren todkranken Bomber auf der richtigen Flughöhe und gab das Kommando zum Absprung. Die drei Bordschützen machten den Anfang, gefolgt von Fritze, dem ich noch persönlich viel Glück wünschte. Als alle vier mich verlassen hatten, arretierte ich den Steuerknüppel, schnallte mich von meinem Sitz, zurrte noch einmal meine Kleidung fest und verließ als Letzter mein unverändert vorwärts fliegendes Flugzeug. In der frühen Morgendämmerung sah ich dann am Fallschirm hängend meinen Bomber ohne Piloten Richtung Westen verschwinden.

Bis dahin hatte ich das Gefühl, dass unser Plan, einer englischen Gefangenschaft zu entgehen und auf Schleichwegen ins Reich und damit in unseren Dienst zurückzukehren, aufgehen würde. Nur Augenblicke später begannen aber meine Probleme. Unsere Notabsprungfallschirme konnten nicht im Geringsten beeinflusst werden. Dorthin, wo uns Fallgeschwindigkeit und Wind trugen, dort kam man unweigerlich am Boden an. Ich hatte während meiner Ausbildung fünf konventionelle Absprünge absolviert und am Sprungturm die Falltechniken gelernt, wie man sich bei Bodenberührung abrollt. Aber ich war nicht darauf trainiert, auf dem leicht abschüssigen Dach einer noch im Halbdunkel liegenden Scheune zu landen. Es machte einen ungeheuren Krach, als ich mit immer noch beachtlicher Fallgeschwindigkeit auf dem Dach aufschlug, der Länge nach hinfiel, ins Rollen beziehungsweise Rutschen geriet, dann über die Regenrinne abkippte und etwa einen Meter über dem Boden mit einem plötzlichen Ruck angehalten wurde. Mein Fallschirm hatte sich irgendwo oberhalb meines Körpers verfangen und meinen weiteren Sturz radikal gebremst. Jetzt hing ich wie eine Marionette in der Luft, mein linker Arm bereitete höllische Schmerzen, genauso wie mein unterer Brustkorb. In dieser unmöglichen Körperhaltung tat mir jeder Atemzug richtig weh.

Einiges Vieh des kleinen Bauernhofs, auf dem ich gelandet war, schlug lautstark Alarm, zuvorderst einige Gänse, die unglaublich laut waren. Dann hörte ich Stimmen und wenige Augenblicke später schaute ich in zwei doppelläufige Jagdflinten, die in der Hand eines älteren Mannes und eines jungen Mädchens waren.

„Was soll das?" rief der alte Mann mit kräftiger Stimme. Immerhin in englischer Sprache. „Wer sind Sie?"

In dieser Sekunde hatte ich einen vermutlich lebensentscheidenden Geisterblitz. Ich antwortete auf Gälisch, nannte meinen Namen und dass ich mit meinem Fallschirm aus einem abstürzenden Flugzeug gesprungen sein. „Ich brauche ihre Hilfe, bitte. Schneiden sie mich erst einmal von meinem Fallschirm los." Wenig später fügte ich noch „Ich bin ziemlich verletzt" hinzu, was Vater und Tochter endlich in Bewegung setzte. Der alte Mann holte eine Leiter und etwas Werkzeug, lehnte die Leiter an die Scheunenwand und schnitt mich Seil für Seil langsam los. Währenddessen hatte seine Tochter unverändert ihre Waffe auf mich gerichtet. Diese Vorgehensweise hatte den Vorteil, dass ich den letzten Meter Fallhöhe in kleinen Schritten überwand und nach einer unendlich anmutenden Zeit endlich Boden unter den Füßen hatte.

„Waffen?" fragte der alte Bauer mit Nachdruck auf Gälisch und ich händigte ihm bereitwillig meine Pistole aus. Dann humpelte ich langsam zu dem kleinen Farmcottage. Mir taten jeder Schritt und jeder Atemzug weh. Und mein linker Arm schmerzte höllisch.

In der typischen Cottage-Küche wies mich der Bauer auf einen Stuhl und schaute mich nachdenklich an. „Deutscher?" war plötzlich seine Frage auf Englisch.

Ich nickte. „Und warum sprechen Sie dann Gälisch?"

„Ich habe eine irische Mutter, die kommt aus der Nähe von Sixmilebridge im County Clare."

„Hm", brummte der Bauer und schaute mich nachdenklich an. „Ein deutscher Offizier mit einer irischen Mutter." Er lachte leise und hintersinnig. „Wir lieben beide keine Engländer." Dann schaute er seine Tochter an, die immer noch die Jagdflinte in der Hand hielt. „Mach mal Wasser heiß. Wir brauchen jetzt einen guten Tee. Und wahrscheinlich werden wir auch ein wenig abgekochtes Wasser für unseren Flieger hier brauchen." Dann wandte er sich wieder mir zu. „Wie heißt ihre Mutter mit Geburtsnamen?"

„Mary Richardson. Ihre Schwester Shauna war mit einem Patrick Keane verheiratet. Ist jetzt Witwe, mein Onkel ist vor einiger Zeit bei einem Unfall ums Leben gekommen."

„Der Patrick Keane?" Der Bauer machte auf einmal einen hellwachen Eindruck. „Der Fianna Fáil-Abgeordnete und frühere IRA-Führer?"

Ich war absolut erstaunt über die Reaktion des Bauern, die bei mir trotz aller Schmerzen innerlich Alarm auslöste. Zögerlich antwortete ich mit einem „Ja".

Plötzlich änderte sich die ganze Atmosphäre in dieser kleinen Küche. Der Bauer war aufgestanden, zu mir herübergegangen und umarmte mich. Ich war mehr als verblüfft.

„Patrick Keanes Neffe fliegt ein deutsches Flugzeug im Krieg gegen die Engländer und springt auf mein Scheunendach. Unglaublich!"