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Sajtschik / Wie man den Hasen fängt

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Hier also mein Sommernachts(halbalb)traum.
6.9k Wörter
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Nadelstiche, tausendfach auf der Haut und Schock und Schauer laufen Hand in Hand den Rücken entlang. Unten wird zu oben und oben zu unten. Eben noch versunken im lethargischen Tagtraum, reißt die Kälte mich aus meiner Trance. Kopf über Hals, ein tiefer Atemzug in der Dämmerung - kann es sein es ist mein Erster überhaupt? Neugeboren und Nass, mein Körper schwerelos und die Gänsehaut vibriert. Wo ist die Welt? Da, zwischen meinen Beinen zieht sie sich zusammen und wird zum Mittelpunkt der Erde. Oh lauer Sommerabend, du bist alles was noch bleibt.

Fuck. Das sollte ich vielleicht aufschreiben. Hoffentlich kann ich mich später noch an die genauen Worte erinnern (werde ich nicht). Die schönsten Wörter und romantischsten Sätze kommen mir beim Schwimmen. Und nützen nichts. Im kalten Seewasser sind Stift und Papier obsolet und in meinem gelockten Chaoskopf herrscht seit jeher Amnesie, wenn nicht Zerstreutheit. Egal. Jetzt erst mal schweben. Nur ich und mein sommerliches Ritual, den heißen Tag im See zu beenden. Und hey, ich hab's echt tapfer durchgezogen, seit Juni schon. So gut wie jeden Tag unter der Woche. An den Bergsee geradelt, kurz vor Sonnenuntergang ins kristallklare Wasser gesprungen. Verschwitzt und müde müde müde müde (!) vom Tag und meistens auch leider vom Leben. Anfangs noch schüchtern, in meinen schwarzen Badeshorts, ganz langsam vom Ufer, Schritt für Schritt ins Tief hinein. Der Mondsee ist auch im Sommer kalt. Die Tage ziehen ins Land und ich mich aus (sogar meine Shorts). Ja, man könnte sagen, so langsam bin ich Profi im Nacktbaden.

Will man seine Ruhe, geht man spät. Je später, desto besser. Zumindest unter der Woche. Hier und dort ein paar Jugendliche, wenn ich ankomme, ich schwimme meine Bahnen und bis ich aus dem Wasser steige, ist die verborgene kleine Bucht meist menschenleer. Selbst wenn nicht, ist doch egal. Schwimmen ist der beste Teil des Tages und der Einzige der mir gerade Freude bringt, da spring ich gern über meine vielen Schatten. Später werde ich nach Hause fahren und so tun als würde ich studieren, vergeblich nach den richtigen Worten und Sätzen in meinem Kopf suchen und dabei an Dima denken. Vielleicht wird er mir sogar schreiben und mir unanständige Geheimnisse entlocken, während ich versuche, meine Schamesröte aus dem Gesicht weg zu lachen. Es wird mir nicht gelingen. Und ich werde mir wünschen ihn endlich kennenzulernen, nach wochenlangem Schreiben, mir vorstellen sein Haar zu streicheln und davon träumen in seinen Armen zu liegen. Leider wohnt er fernab und ist erst im Herbst wieder hier um zu arbeiten (traurig). Dann aber, wollen wir uns treffen. Uns gegenseitig ausziehen. Uns alles abverlangen. Bis dahin schreiben wir uns jene perversen Fantasien, die man besser nicht laut liest. Anscheinend nennt man das Sexting. Whatever. Machen wir auch nur die Hälfte von dem, was wir uns da schreiben, werde ich nie wieder in einen Spiegel schauen können. Kein Scheiß. Und Baby... ich kann's kaum erwarten.

Die Abendröte wird langsam blau, meine Lippen auch, ich bin weiter als sonst rausgeschwommen und zittere bereits am ganzen Leib. Schluss für heute, okay? Die Bucht scheint leer zu sein. Perfekt. Kurz nackt in der Abendluft trocknen und ab nach Hause. Hoch auf den Steg und auf die Wiese, wo mein Handtuch, der warme Bruder, auf mich wartet. Denk ich mir so. Aber es ist nicht mein Handtuch, das da wartet. Von der leeren grünen Wiese aus winkt die... Panik (?!) mir fröhlich entgegen (!!). FUCK. Wo sind meine Sachen? Oh bitte sag, dass das nicht wahr ist! Weit und breit keine Seele. Und keine Sachen. Meine Sachen. Gott verdammt, was mach ich jetzt nur? Splitterfasernackt, sogar meine Schuhe haben die Wichser mitgenommen. Was hatte ich alles dabei? Handy, Geldbeutel (wenn auch wie immer leer), mein Schlüssel... Oh nein! Meine Schlüssel! Ohne die kann ich mein Fahrrad nicht entsperren. Zu Fuß ist es mindestens eine Stunde bis nach Hause. Nackt! Ich kann doch nicht nackt durch die Straßen laufen, bis zu meiner Haustür! Und apropos Haustür: Wie zur Hölle komm ich eigentlich in meine Wohnung?! Okay, kühlen Kopf bewahren (wie?!), vielleicht wollte mir jemand nur einen Streich spielen. Die Hände meinen Schwanz bedeckend geh ich in Richtung Straße, es ist ja noch nicht dunkel und aus der Ferne sehe ich bereits ein geparktes Auto. Schwarzer Audi, tiefergelegt. Scheißproletenkarre. Gerade 18 geworden oder was? Auf der Motorhaube sitzt ein Jemand, mit dem Rücken zu mir, vertieft ins Handy. Oh Mann, was mach ich nur? Einfach ansprechen? Ich bin nackt verflucht noch mal. Auf jeden Fall ist es ein Typ. Breite Schultern und kahl rasierter Schädel. Moment mal. Das ist doch Ali?!

Ali (not real name) saß doch vorhin am See, zusammen mit anderen Vorstadtgangstern im Sitzkreis die Shisha in deren Mitte huldigend. Vier oder fünf Kerle, die Art, die man nachts nicht alleine treffen will -- zusammengerechnet bestimmt einen IQ von einem Laib Brot. Keiner älter als achtzehn, neunzehn, zwanzig oder was weiß ich. Jedenfalls heißt Ali, Ali, weil ich seinen richtigen Namen nicht kenne, er mir aber aufgefallen ist, da er zum Verwechseln ähnlich ausschaut wie Alexander Ruscher aus der siebten Klasse. Und Alexander Ruscher wiederum, hatte im Laufe seines pubertären Werdegangs beschlossen, dass es eine gute Idee wäre, eine seitens der Ideologie eher bescheiden motivierte, vom Fashion Standpunkt aber durchaus erwähnenswerte, Teenager Skinhead Phase zu durchlaufen. Durch sogenannte falsche Freunde und eine alleinerziehende Mutter, die abwechselnd entweder überfordert oder desinteressiert war, kam er also eines Tages nach den Sommerferien zurück in die Schule und war für gefühlt einen halben Tag das Sensationsthema unserer Jahrgangsstufe.

In seinem jugendlichen Übereifer hatte er nämlich die komplette Neonazi-Montur aufgefahren: Schlechtsitzende Bundeswehr Hosen, ein T-Shirt mit groß aufgedruckten LoNSDAle Label (natürlich mit offen getragenem schwarzen Hoodie darüber), weiß geschnürte Springerstiefel und (you guessed it) einem kahl rasierten Schädel. Nun verhielt es sich aber so, dass in selbiger Woche Schwimmunterricht stattfand und Alexander Ruscher in der Gemeinschaftsdusche blankzog. Mit dem Ergebnis, dass erstens, jedem auffiel, dass sein Schädel der einzige Teil seines Körpers war, der rasiert war. Er zweitens für sein Alter extrem gut entwickelt war, was die unteren Regionen anbelangt, als auch den Haarwuchs an anderen Stellen. Weswegen drittens, einigen Mitschülern (unter anderem mir) aufgefallen war, dass er wohl aufgrund einer Vorhautverengung in noch jüngeren Jahren, vollkommen ratzeputz beschnitten war. Ein, uns aus der Provinzstammenden Mittelschichtskinder bis dato gänzlich unbekannter Anblick. Dem natürlich sofort mit Intoleranz begegnet wurde.

Irgendein Arschloch kam dann auf die Idee Alex zu ärgern, in dem er seinen Rufnamen Alex, zum arabisch angehauchten Ali umänderte (weil beschnitten und so -- ich weiß wir waren wirklich nicht die Hellsten). Alex, von da an Ali, ärgerte sich extrem darüber, da sein neuer Spitzname so gar nicht mit seinen neu erworbenen fragwürdigen Überzeugungen übereinstimmte. Mit dem Resultat, dass ihn von da an natürlich alle nur noch Ali nannten. Hab ich außerdem schon erwähnt, dass besagte Gemeinschaftsduschen-Situation mit Alexander Ruscher mitunter als mein Sexual Awakening angesehen werden kann? Jedenfalls, nach zahlreichen Lehrergesprächen und der Drohung eines Schulausschlusses dauerte seine Naziphase dann alles in allem circa eine inkonsequente Woche. Jahre später hab ich ihn dann mit Dreadlocks und völlig bekifft auf irgendeiner linksradikalen Demonstration gegen was auch immer marschieren sehen. Damals hatte er mir in einem zwanzig Minuten langem Monolog, während ich einen Döner aß erklärt, dass Veganismus das Einzige sei, was unseren scheiß Planeten noch retten könne und dass Palästina nichts weiter als eine illusionäre Idee sei und in Wirklichkeit gar nicht existiere. Danach ging er einfach ohne ein Wort des Abschieds.

Was fürne Scheiße. Egal. Wo war ich? Ach ja, der Ali vom See hat ebenfalls abrasierte Haare und macht auch sonst einen eher derben Eindruck. Ich wage mal zu bezweifeln, dass dies nicht an radikalen Überzeugungen liegt, sondern viel eher als Ausdruck fragiler Männlichkeit gelesen werden kann. Denn einiger seiner Kumpels scheinen arabischer Abstammung zu sein und er selbst hat wohl auch einen südosteuropäisch Einschlag. Nicht dass Herkunft diesbezüglich eine Rolle spielen würde... aber wie ein Nazi schaut er trotzdem nicht aus. Doch vielleicht hat er auch einfach keinen Bock auf Shampoo. Wer weiß.

Auf jeden Fall sitzt er häufig mit besagten Gorillas am See und raucht oder trinkt Bier und die Typen sind mir immer unangenehm, weil sie quasi ‚viva la Patriachat & viva la Homophobia' auf die Stirn tätowiert haben. Zumindest, wenn sie die Bedeutung dieser Wörter kennen würden. Meistens verschwinden sie auch alle vor mir, aber Ali bleibt manchmal länger oder springt sogar in den See (immer in Shorts) und wir schwimmen große Bögen umeinander. Kalt ist der See und kalt ignorieren wir uns. So wie richtige Männer das halt tun. Ich spiel das Spiel ganz gut (Lüge). Weil, wie die besagten Typen hab ich an gleicher Stelle auch ein imaginäres Tattoo. Nur ist meines ein wichsendes Einhorn im Bobbycar, welches eine Regenbogenflagge schwingt.

Will sagen: Ja Darling, man sieht es mir an. Ich bin Mitte zwanzig und schau aus wie Mitte dreizehn (keine Sorge, ich übertreibe). So der Typ fucking-rotschopf-twink, ich kann halt auch nichts dafür. Meine Locken lass ich etwas länger wachsen damit sie mir zu Bergen stehen. Ich sag, ja, Chaoskopf. Draußen und drinnen. Die blasse Haut, die mit meinen roten Haaren inklusive kommt, ist ein weiterer Grund besser abends schwimmen zu gehen. Meine natürliche Bräune ist nämlich ein kräftig-schmerzendes Rot und sollte unbedingt vermieden werden. Da ich auch mal jung und dumm war und dies auch durchaus immer noch bin, zieren meinen Körper ein paar (echte) Tätowierungen, die mich von anderen in meiner Individualität abgrenzen sollen, darin jedoch offensichtlich kläglich scheitern. Aber der Versuch zählt. Für jede existentielle Krise (derer ich als junger Un-Mann bereits zu viele hatte) gibt es mindestens ein dämliches Tattoo. Romantisch oder bescheuert? Safe lautet die Antwortet: Ja. Gott, manchmal ist es einfach zum Kotzen anstrengend schwul zu sein.

Schmerzhaft läuft diese unnötige Gedankenfolge schreiend durch Chaotika, alias mein Kopf, während ich hinter dem dämlichen Audi stehe, meinen Schwanz bedecke und weinen möchte. Womit hab ich das nur verdient? Und vor allem: Von all den Menschen auf der Welt, warum ausgerechnet EIN ALI? Kann es sein, dass er meine Sachen geklaut hat? Aber was macht er dann noch hier? Ich kämpfe mit mir und die Hoffnung mit dem Verstand. No way, dass ich ihn anspreche! Aber was bleibt mir anderes übrig? Nein. No. Njet. Ich bin doch nicht lebensmüde. Rückwerts lauf ich langsam zurück, will mich gerade umdrehen und stolpere (natürlich) und es haut mich auf die Fresse. Autsch.

„Was zur Chölle?!!" Ali ist von seinem Motorhauben-Thron aufgesprungen und schaut mich erst erschrocken und dann wütend an. Die Hände zu Fäusten geballt und wenn Blicke töten könnten.

Ich springe ebenfalls schnell auf, Hände vor meinen Schritt: „Ahm... Ahm... Scheiße... Sorry... Tut mir leid, ich...uhm...meine Sachen...die sind weg, ich glaube die wurden geklaut...Fuck! Also... Ich bin nur auf der Suche nach meinen Klamotten! ...Sorry!" Ali schaut mich an und sein Blick wechselt von empört zu verwirrt zu wütend und wieder zur verwirrt und ich bin mir sicher, dies sind mehr gefühlte Emotionen für ihn, wie sonst in einem Monat.

„Uhm...ich weiß nicht...meine Klamotten sind weg. Hast du vielleicht wen gesehen? Kam hier jemand vorbei?" Er schaut mich an und ich weiß nicht, ob er mich verstanden hat. Dann zeigt er in Richtung Gestrüpp und sagt: „Vor 10 Minuten ist ein Typ chier lang gelaufen. Aber ich weiß nicht, ob er was geklaut chat."

Mir fällt sein derber Ostblock-Akzent auf und dann was er gesagt hat. Scheiße, wahrscheinlich hat man mich wirklich beklaut. Unschlüssig und nackt steh ich also da, mit offenem Haar.

„Ahm...Fuck... Sag mal, hast du mir zufällig was zum Anziehen? Ich verspreche, ich bring es dir gewaschen wieder hier her!" Hab ich schon erwähnt? Ich halte die ganze Zeit meine Hände vor meinem Schwanz? Ich meine, wie absurd ist schon wieder my so called Life. Ali schüttelt den Kopf. Er selbst trägt nur ein weißes Unterhemd, eine fleckige Blaumann Hose und alte Turnschuhe. Vermutlich ist er direkt nach der Arbeit zum See gefahren. Er verkörpert so ziemlich genau den Typ Mann, vor dem man als Schwuler lernt Abstand zu halten (und in meinem Fall gleichzeitig attraktiv zu finden). Viel größer als ich und gebaut wie ein fucking Schrank, die Haare 3 mm abrasiert, ein schwarzer Schatten auf seinem Schädel. Da sind seine Barthaare schon fasst länger und auch seine Augenbrauen wachsen buschig und ungezähmt in alle Richtungen. Eine markant-kantige Nase. Aber vor allem bleibt mein Blick an seinem Mund kleben. Seltsam, die Oberlippe ist größer als die Untere. Bienenstichlippen denke ich.

„Vielleicht chat jemand einen Streich gespielt und Sachen im Gebüsch versteckt." Einen Streich gespielt? Willst du mich komplett verarschen? Anderseits, was bleibt mir anderes übrig, als nachzuschauen? Unschlüssig schau ich zum Gestrüpp. Es ist ein Schleichweg am Ufer entlang in ein kleines Wäldchen. Na ja, hauptsache weg von hier. Und von Ali. Noch ist es ja hell genug, um sich auf die Suche zu machen.

„Danke." Und Tschüss. Keine drei Sekunden später verfluche ich mein Leben, barfuß auf dem Schleichweg. Autsch. Umständlich und wacklig den Pfad entlang, während sich Steinchen in meine nackten Fußsohlen bohren.

Dann plötzlich hinter mir: „Warte, ich chelfe dir, lass mich vor. Mit Schuhe ist leichter." Und freilich marschiert Ali schon an mir vorbei. Perplex habe ich - wie so oft im Leben- keine Ahnung was ich davon halten soll. Vielleicht eine Mischung aus: What the fuck und irgendwie ganz nett dass er mir helfen will? Schließlich hat er nicht Unrecht, er kommt viel schneller voran mit seinen Schuhen. Etliche schmerzhafte Minuten später, find ich meinen Arsch am Arsch der Heide und die Verzweiflung wächst ins Unermessliche. Monsieur Macho sucht derweilen irgendwo weit vor mir und ich komme kaum hinterher.

„Du...ich glaub, das ist zwecklos", rufe ich, „der ist auf und davon." Verzweifelt, genervt, den Tränen nahe, bleibe ich stehen und will nicht mehr. Nichts von all dem.

„Schau mal, chier chab ich was gefunden." Mein Herz setzt einen Schlag aus und ich renne los (ich humple durch das Gestrüpp) und tatsächlich, Ali steht in einer kleinen Lichtung und schaut auf den Boden. Da liegt eine... Strohmatte?

„Was ist das denn??"

„Hm, ich dachte vielleicht deins?"

Traurig und enttäuscht kullert mir nun wirklich eine Träne über die Wange, schnell wisch ich sie weg. Hat Ali es gesehen? Bloß keine Schwäche zeigen. Was soll ich mit dieser verpissten blöden Strohmatte. „Nee, die ist nicht von mir. Ich gebe auf. Das ist sinnlos. Ich bin einfach am Arsch. Meine Sachen sind weg", sag ich geknickt.

Blauäugig wie ich, hoppelt ein Hase über die Wiese und hinein ins hohe Gras. Als er den Wolf bemerkt ist es zu spät. Die Falle schnappt zu. Und der Wolf auch. Nu pogodi. Ich drehe mich also um und trete den frustrierenden Rückweg an.

„Sicher? Vielleicht sind die Sachen ganz nah?"

Traurig seufze ich: „Nee, das ist doch aussichtslos."

„Komm schon Joas, wir suchen noch weiter."

Ein Rehkitz steht vor dem Scheinwerferlicht und ich auf einer Strohmatte. Oder ist es ein Hase? Ganz langsam drehe ich mich um und sehe ihn erstmals... lächeln? Nein, eher funkeln und glimmen. Geschwungene Bienenstichlippen als neutraler Strich, aber die dunklen Augen glänzen.

„Wo ... Woher kennst du meinen Namen?"

Langsam umkreist der Wolf seine Beute. „Chab ich in deinem Ausweis gelesen."

Wieder laufen Schock und Schauer meinen Rücken entlang. Oder eher Galoppieren. Aber mit Euphorie hat es diesmal nichts zu tun. Scheiße. Wie konnte ich nur so dumm sein? Ali war von meinem plötzlichen Auftauchen total erschrocken, zumindest tat er so und dann wollte er mir auch noch helfen. Ich hatte den Gedanken verworfen, dass er der Dieb sein könnte. Oder, sagen wir gehofft? Gedacht hatte ich in der Situation nicht mehr viel. Oh Joas. Du Idiot. Ich bin ihm einfach ins Dickicht gefolgt. Mit ausgestreckten Armen direkt ins offene Messer. Mein Ausweis war in meinem Geldbeutel und das bedeutet er musste meine Sachen durchsucht haben. Ali hatte mich in den kleinen Wald gelockt und nun war ich genau da, wo er mich haben wollte. Warum Joas. Warum.

Ich versuche meine Stimme zu finden, sie hat sich tief in meiner Kehle versteckt, also krächze ich mit trockenem Mund: „Was willst du von mir?"

Schweigen. Ist nicht golden, sondern schwarz wie Alis Augen. Und bedrohlich. Noch mehr Kreise.

„Ich ...", aber mir versagt die Stimme. Kühn (verzweifelt) rechne ich mir meine Unmöglichkeiten aus. Soll ich versuchen wegzurennen? Barfuß auf dem steinigen Wurzelweg. Und er mit Schuhen. Keine Chance. Okay, dann muss ich eben Kämpfen! (Klar. Der war gut.) Ich mein, nicht falsch verstehen, ich bin nicht schwach, ja, sogar recht fit. Aber nun mal kein Gorilla. Und auch kein Wolf.

„Hey ... Was... Was soll das? Willst du Geld? Ich hab hier keins, aber wir können zum nächsten Bankomat und ich hebe alles ab. Okay? Ehrlich, ich will keinen Ärger. Bitte ..." Selbst ich kann die Verzweiflung in meiner Stimme hören. Erbärmlich. Wieder unendliches schweigen und kreisen und schließlich: „Hmm... ich brauch kein Geld."

Fuck. Fieberhaft überlege ich hin und her und komme nur zu meinem endgültigen Schluss. Wenn er kein Geld von mir will ... Dann? Meine Kehle schnürt noch enger und ich verharre in Schockstarre.

„Was willst du dann?" Das Schweigen der Wölfe. Und ich voller Furcht. Ali lächelt und diesmal erreicht es sogar seine Lippen. Lächeln, Zähne fletschen. Kein Unterschied.

„Leg dich chin."

„W... was?"

„Leg dich auf den Boden." Selbst wenn ich wollte, könnte ich nicht, Gevatter Schock hält mich starr und fest.

„Aber... warum? Bitte, ich will nicht ..." Ali kommt näher. Viel zu nah. Mir fällt auf wie viel größer (und breiter) er ist. Help. Sein Lächeln ist verschwunden, die ausdruckslose Miene starr und kalt. Nicht das erfrischende Kalt, sondern das eiskalte Kalt. Ich habe mittlerweile Todesangst. Wirklich.

„Bitte ..."

„Jetzt."

Und ich glaube ich leg mich nicht wirklich hin, viel mehr geben meine Knie nach und ich sinke zu Boden. Falle in mich und tief in mir zusammen.

„Auf Rücken." Leise verabschiede ich mich von der Welt. Warte darauf tot getreten zu werden. Bye Bye Joas.

Die Zeitung wird aufgeschlagen: schon wieder ein Hassverbrechen -- Täter: Unbekannt / Opfer: Gottverbrannt. Meine Hände schützen noch immer meinen Schwanz. Wow -- was für ein Abgang. Ali türmt über mir und ist gerade noch einen Kopf größer geworden. Er holt etwas aus seiner Horrorhosentasche und geht neben mir in die Hocke.

„Kopf choch cheben", sagt er im bestimmenden Ton und zieht dabei an meinen Locken. Geschockt erkenne ich ein schwarzes Tuch und schon werden meine Augen damit verbunden. Nirgendwo im irgendwo lieg ich nackt und blind in absoluter Finsternis. Schwärzer als mein See bei Nacht und um mich herum schreiende Stille. Bin ich unter Wasser?

„Chände über den Kopf." Was? Was will er? Meine Hände bewegen sich keinen Millimeter von meinem Schwanz. Zu vulnerabel -- ich kann ihn nicht, nicht-bedecken. Da werden meine Hände gepackt und nach oben gerissen. Entsetzt schluchze ich auf und spüre meine Handflächen gekreuzt und eisern in den Boden gepresst. Und ich meine wirklich eisern. Keine Frage, Ali ist fucking stark. Schweigen. Stille. Zittern. Wimmern. Ich warte auf den ersten Schlag. Und plötzlich eine große Pfote auf meiner nackten Brust. Erschrocken entfährt mir ein leiser Schrei.