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Vier Jahre Schweigen

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„Sorry..."

Ich steckte meine Hände in die Taschen, um ihm zu zeigen, dass ich ihn nicht mehr anfassen wollte.

„Das Tor zwischen uns, zwischen unseren Gärten, ist seit Jahren blockiert. Morgen wird es wieder frei sein. Ich verspreche es."

"Warte Nick", bettelte ich ihn fast an. Ich hatte ihm so viel zu sagen, aber nun war nicht mehr der richtige Zeitpunkt dafür.

„Danke, dass du mich bis an die Haustür gebracht hast."

Ich sah ihm nach, bis er in der Tür seines Hauses verschwunden war.

Am nächsten Morgen mähte ich den Vorgarten, dann ging ich hinter das Haus, um mein Versprechen an Nick zu erfüllen. Ich räumte den Gartenabfall beiseite, der sich vor dem Tor zwischen unseren Gärten angesammelt hatte. Nun konnte ich die Pforte öffnen. Ich ölte die Scharniere, blickte in seinen Garten. Seit vier Jahren hatte ich das nicht mehr getan.

An diesem Morgen sah ich Niklas nicht, und ich ließ das Tor weit offen stehen. Das musste er einfach sehen und würde wissen, dass ich mein Versprechen nicht gebrochen hatte. Später am Nachmittag sah ich aus meinem Fenster und sah ihn. Er stand an dem Törchen, weigerte sich aber, hindurchzugehen. Seine Blicke überflogen lange unseren Garten. Plötzlich trafen sich unsere Augen. Sein Gesichtsausdruck war wie versteinert, als er mich durch mein Fenster ansah. Nach einem langen Moment drehte er sich auf dem Absatz herum und schloss das Tor hinter sich mit einem Knall.

Ich fragte mich, ob er jemals wieder mit mir sprechen würde und was seine ersten Worte nach so langem Schweigen sein würden. Richtig, diese Jahre des Schweigens und der Einsamkeit hatte ich gewollt, aber jetzt wollte ich mehr. Ich wollte mich entschuldigen, wollte ihm klar machen, dass nicht er, sondern ich der Schuldige war, dass ich ihn nicht verletzen wollte oder ihn links liegen lassen wollte, als ob er nicht existierte. Ich wollte seine Vergebung und die Gewissheit, dass ich den Niklas nicht vertrieben hatte, den ich einst für ewig geliebt hatte.

In einer Art hatte er mich vom Haken gelassen, mir klar machen wollen, ich war für seine Handlungen nicht verantwortlich. Aber mein Gehirn flüsterte mir zu, was wahr war: Die Schuld lag bei mir. Ich war der Ängstliche, so gefangen in meinen Gefühlen, dass ich nicht ehrlich sein konnte, so allein damit, mein Schwulsein nicht annehmen zu können. Wie sollte er mich dann verstehen und nicht hassen?

Ich lag in meinem Bett, wälzte mich schlaflos bis Mitternacht. Morgen, genau in 24 Stunden, war sein Geburtstag. Ich hatte ihn nicht vergessen, der dritten Mai. Ich hatte in besseren Tagen jeden Geburtstag mit ihm gefeiert, und Morgen wurde er achtzehn.

Ich wusste nicht, was er für seinen Geburtstag geplant hatte, aber noch einen weiteren wollte ich mir nicht entgehen lassen. Vier Jahre des Schweigens, vier Jahre der Verstellung. Vier Jahre, in denen ich verdrängte, dass ich schwul war. Vier Jahre, die auch mich kaputt gemacht hatten. Ich legte eine CD in das Laufwerk meines Computers, eine der wenigen Singles, die ich als CD im Laden gekauft hatte.

Wir sind allein

Allein allein

Allein allein

We look into faces

Wait for a sign

Wir sind allein

Allein allein

Allein allein

A prisoner behind the walls

A heart away

Once to lead ours universe

Just a heart away

The time has come for us to laugh

A heart away

To celebrate our lonelyness

Wir sind allein

Allein allein

Allein allein

We look into faces

Wait for a sign

Wir sind allein

Allein allein

Allein allein

Ich stand auf. Schlafen konnte ich sowieso nicht mehr. Ich holte die verdammte Silberscheibe aus dem Laufwerk, öffnete das Fenster und warf sie mit Todesverachtung von mir. Weg mit dem Ding, irgendwohin, wo es verrotten sollte. Wie eine Frisbeescheibe segelte sie im weiten Bogen über den Gartenzaun, in seinen Garten.

Ich blickte ins Morgengrauen. Mach' kaputt, was dich kaputt macht! Schluss mit der Verstellung, der Verdrängung, die mich die letzten Jahre keine Kontakte hatte schließen lassen. Niklas sollte der erste sein, der es erfuhr, egal, ob er mir verzieh oder mich wegjagte. Genau um Mitternacht wollte ich es ihm sagen, mein Schweigen brechen. Dann waren wir beide achtzehn, Zeit, erwachsen zu werden und die Jahre des Schweigens zu beenden.

Trotz meiner Gemütsverfassung musste ich eingenickt sein, denn meine Uhr zeigte plötzlich halb neun. Die Sonne schien, spiegelte sich in einer runden Silberscheibe. Hatte Niklas meine über den Zaun geworfene CD wieder zurück in unseren Garten geworfen?

Ich ging in den Garten, um sie zu holen. Es war etwas, was er angefasst hatte, in meinen Augen wurde es dadurch wertvoller. Nein, das war nicht meine CD, sie war selbstgebrannt und hatte ein rotes Etikett. Eine Musik-CD, teilte mir mein Computer mit. Mit angehaltenem Atem hörte ich einen Schlager aus den 80er Jahren.

Schnee liegt auf den Rosen,

ich geb's zu ich frier,

und ich fühl' wie nie zuvor die Bitterkeit in mir.

Doch ich ball' meine Faust und sag:

„Ich bin stark,

ich bin stark."

Risse in der Seele,

Make-up im Gesicht,

das Leben, das wird weitergeh'n,

nur wie - weiß ich noch nicht.

Doch ich ball' meine Faust und sag:

"Ich bin stark

ich bin stark."

Was war das? Er kommunizierte mit mir, wenn auch nicht mit Worten. Was würde die Nacht bringen, wenn er um Mitternacht achtzehn wurde?

Ich ließ Schule Schule sein, war im Warenhaus, suchte ein Geschenk für ihn, aber mir wurde schnell klar, dass ich absolut keine Idee hatte, was ihm gefallen würde. Er hatte sich so stark verändert, dass ich keinen Anhaltspunkt mehr hatte. Etwas abgedroschenes, wie eine CD oder ein T-Shirt lehnte ich ab. Ob er ein Geschenk von mir überhaupt annehmen würde?

Halb zehn Uhr abends. Noch zweieinhalb Stunden oder hundertfünfzig Minuten. Ich saß auf einer Decke, die ich am Boden ausgebreitet hatte. Das Törchen wurde durch einen Stein offen gehalten, den ich in einem Blumenbeet gefunden hatte. Die Decke lag genau in der Toröffnung, eine Hälfte in unserem, die andere in seinem Garten. Ich saß auf meiner Seite und wartete. Ich wusste nicht, was er geplant hatte, ob er überhaupt nach Hause kommen würde. Innerlich hatte ich mich darauf vorbereitet, hier, wenn es nötig war die ganze Nacht zu sitzen, um auf Niklas zu warten.

Zu meiner Linken stand ein kleiner Picknickkorb, in den ich einen kleinen Kuchen und etwas heiße Schokolade gepackt hatte. Ich entschied mich, ihn nicht auszupacken, weil er denken könnte, ich wollte mir damit sein Wohlwollen erkaufen. Deshalb stellte ich nur eine kleine Schachtel vor mich, mit einer roten Schleife darum, in der Hoffnung, er würde herauskommen und sie vielleicht sogar öffnen.

Gegen halb zwölf sah ich Licht in seinem Zimmer und seinen Schattenriss wanderte durch den Raum. Ich beobachtete, aber es kam mir vor, als drängte ich in seine Privatsphäre. Wusste er überhaupt, dass ich hier unten saß?

Das Blut gefror mir in den Adern. Er war ans Fenster getreten und hatte den Vorhang ein klein wenig zur Seite geschoben. Ich sah seinen eisigen Blick auf mich gerichtet, den ich aus den letzten Wochen kannte. Ich blickte wieder auf die Schachtel, wünschte, hoffte, er würde herunterkommen, um bei mir zu sitzen. Ich sah wieder nach oben, er stapfte durch sein Zimmer, dann ging das Licht aus. Ich seufzte. Würde er sich schlafen legen und nicht zu mir kommen?

Weitere zehn Minuten vergingen. Das Licht an seiner Hintertür wurde eingeschaltet. Das waren die längsten zehn Minuten meines Lebens, und mein Herz hüpfte kurz, als er aus der Tür kam und davor wie angewurzelt stand. Vielleicht würde er nicht näherkommen oder mir das Gartentörchen vor der Nase zuknallen. Ich wusste es wirklich nicht.

Ich starrte auf die Schachtel vor mir. Es war viertel vor Zwölf, als ich endlich seine Füße vor der Decke sah. Würde er sich setzten, oder einfach ‚Gib auf' sagen? Würde er sich meine mageren Erklärungen nicht anhören wollen, meine schwache Entschuldigung für vier Jahre Herzschmerz und Verzweiflung, in die ich ihn gestürzt hatte?

Nur mein Herzschlag war zu hören. Er setzte sich mir gegenüber auf die Decke. Er sagte nichts, wartete darauf, dass ich ein Gespräch beginnen würde. Aber es sollten keine Worte aus meinem Mund kommen, nicht für die nächsten fünfzehn Minuten.

Ich nestelte an der roten Schleife auf der kleinen Schachtel, reichte sie ihm dann herüber. Widerstrebend nahm er sie von meiner Handfläche. Ich sah ihn an. Seine Augen waren fragend auf mich gerichtet, nicht auf das Geschenk. Ich machte ihm eine Geste, den Deckel aufzumachen, mir eine Chance zu geben.

"Ich kann kaum glauben, dass du dich daran erinnert hast", sagte er so leise, dass ich ihn fast nicht verstand. Ich wollte ihn anschreien, dass ich es nie vergessen hatte, dass ich ihm innerlich an jedem Geburtstag gratuliert hatte, an dem ich nicht bei ihm war, aber ich tat es nicht. Er war herausgekommen, hatte sich vor mich gesetzt und ein Geschenk angenommen. Ja, er hatte mit mir gesprochen, obwohl ich mich fragte, ob seine Worte an mich oder an ihn selbst gerichtet waren. Der Mond war aufgegangen und tauchte uns in silbriges Licht.

Mühsam, als ob das Öffnen der Schachtel ihm Schmerzen bereitete, öffnete er den Deckel. Innen fand er ein Armband, es war Silber, es war graviert, schwarz eingeätzt nur ein Wort: Wahrheit.

Er sah mich fragend an. Ich bot ihm die Wahrheit an, wenn er sie hören wollte. Ich würde sie ihm geben, wenn er zuhörte. In zwölf Minuten. Er nahm das Armband aus der Schachtel und betrachtete es aus der Nähe. Vorsichtig nahm ich es ihm aus der Hand, öffnete die Schließe, hielt es dann so, dass ihm klar wurde, ich bot mich an, es ihm anzulegen. Zögernd streckte er seinen Arm aus, und ich schloss es so um sein Handgelenk, dass das Wort für ihn lesbar war.

Was bedeutet das, Wahrheit?" fragte er, nachdem er eine weitere Minute das Armband betrachtet hatte, irgendwie beeindruckt von der rätselhaften Bedeutungsschwere des Worts.

Ich nahm den Picknickkorb aus der Deckung hinter dem Zaun. Neugierig sah er zu, wie ich den Kuchen auspackte. Er war einfach und klein, mit einer Schokoladenglasur auf der Oberseite. In der Mitte hatte der Konditor nach meiner Anweisung ‚Liebe' mit rotem Zuckerguss geschrieben. Ich setzte den Kuchen vor ihn. Niklas schien frustriert. Er sah mich an, wollte eine Erklärung, aber die konnte ich ihm jetzt noch nicht geben. Ich sah auf meine Uhr. Noch zehn Minuten des Schweigens.

"Liebe?" fragte er mich argwöhnisch. "Du denkst, du ...liebst mich?"

Seine Augen starrten mich ungläubig an. Er versuchte sich klar darüber zu werden, was hier geschah. Mein Schweigen schien ihn irgendwie stinkig zu machen. Kein Wunder nach den Wochen, die dieser Nacht vorausgingen, in denen ich zu seinem Stalker wurde

"Schwachsinn! Du kennst mich noch nicht einmal mehr."

Seine Worte trafen mich wie Pfeile, denn ich musste ihm Recht geben.

„Was soll der Scheiß, Rolf? Wir waren Freunde, beste Freunde, und dann hast du mich, verdammt nochmal, geküsst, und dann bist du verschwunden, als ob nichts passiert wäre. Und jetzt soll ich dir glauben, du liebst mich?"

Ich nickte. Alles war wahr, jedes ätzende Wort, das er gerade gesagt hatte.

Es wurde schwierig, aber er sprach wenigstens mit mir, wenn seine Worte auch den Frust vieler Jahre ausdrückten. Ich wollte ihm so dringend erklären, wie ich mich fühlte und was mich umgetrieben hatte, aber die Minuten schienen sich wie Kaugummi zu dehnen.

Noch acht Minuten, acht Minuten des Schweigens, bis ich ihm endlich die Wahrheit sagen konnte. Meine Augen bettelten ihn an, Geduld mit mir zu haben. Ich hoffte, dass, nachdem ich ihm die Wahrheit gestanden hatte, den wahren Grund, warum ich ihn verlassen hatte, er in der Lage sein würde, es zu akzeptieren und mich nicht mehr hasste oder verabscheute. Ich hoffte sogar, dass er mich lieben konnte, wie ich ihn geliebt hatte, seit wir dreizehn waren.

„Ich meine, was für einen Zweck hat das Ganze", brummte er. „Erst weglaufen, dann nicht mit mir sprechen, dann war ich Luft für dich. Und dann nach vier Jahren tauchst du plötzlich wieder auf und erwartest, dass ich das alles vergesse. Was zum Teufel ist das?"

Er hatte Recht, so erregt zu sein. Das war zu erwarten und verständlich. Seine Reaktion war gerechtfertigt, und es wurde immer schwieriger für mich, ihm nicht jetzt sofort zu sagen, was ich auf dem Herzen hatte. Aber ich musste warten, noch sechs lange Minuten, und meine Lippen waren versiegelt.

"Was auch immer! Warum haust du nicht einfach ab?" fragte er und beantwortete seine Frage selbst.

„Ja, richtig, weil du mich liebst...", dröhnte er sarkastisch und rollte mit den Augen.

Er starrte in die Nacht, fragte sich vielleicht, warum er eigentlich gekommen war.

Ich zeigte auf eine Sternschnuppe am Himmel. Wir hatten viele Nächte miteinander verbracht und uns den Himmel angeschaut. Er war durcheinander wegen meiner Sturheit, nahm aber die Ablenkung willig an.

Ich hatte mir gewünscht, wir würden Freunde für ewig sein, wenn auch Ewigkeit für einen Dreizehnjährigen nicht wirklich greifbar ist. Ich hatte mich danach gesehnt, ihn zu lieben, immer bei ihm zu sein, aber das alles war zerbrochen, und meine einzige Ausflucht war, mich zu verstecken, vor ihm und vor allem vor mir selbst wegzulaufen.

Ich legte den Kuchen zurück in den Korb, holte eine Karte heraus, die ich für ihn gemacht hatte. Sie war aus weißem Zeichenkarton. Ich hatte ein rotes Herz aufgeklebt, ein Ebenbild der Zeichnung auf seinem Skateboard, mit dem Riss durch die Mitte.

Auf der einen Seite stand 'Nick' und auf der anderen Seite des Risses 'Rolf', aber anstelle des Wortes ‚Fragen' stand dort ‚Wahrheit'. Ich reichte ihm die Karte, und er nahm sie achselzuckend an. Ich hatte mir den Text von einem Song ausgeborgt, der meine Gefühle traf. Er öffnete die Karte und las.

Lieber Nick,

„Ich liebe Dich" kann ich nicht sagen

„Ich liebe Dich", kann ich nicht sagen!

Ich kann es nicht, ich bring's nicht 'raus!

Bei jedem and'ren würd' ich's wagen,

doch nur bei dir, da ist es aus.

Wenn ich mich früher nicht geniert hab',

dann war es Spaß, da ging's im Nu.

Doch, sooft ich's bei dir probiert hab',

da schnürt es mir die Kehle zu.

Ich habe dich geliebt,

Rolf

Als es seinen Augen wieder gelang, in meine zu blicken, waren sie weit geöffnet.

Da waren hundert Möglichkeiten, meine Sätze zu interpretieren. Ich hoffte inständig, dass ich in einer Minute immer noch die Kraft und Stärke besitzen würde, ihm die Wahrheit zu sagen. Die Stärke, die in den schweigenden Sitzungen unter der Buche ihren Ursprung hatte.

Ich sah in sein Gesicht. Es waren viele Fragen darin, die eine Klärung verlangten. Er wollte Antworten und ich sah wieder auf meine Uhr. Ich wartete, dass das neue Lebensjahr beginnen würde. Ich hatte mir selbst versprochen, ihm und auch nicht zuletzt mir selbst dann alles zu gestehen, was mich bewegte. Würde Niklas wieder ein Teil meines Lebens werden, oder nicht? Der Sekundenzeiger meiner Armbanduhr näherte sich Stunde Null. Ende der Verstellung. Wahrheit, komm' ans Licht! Noch eine Sekunde...Mitternacht!

"Ich bin schwul Nick, und ich habe dich geliebt. Ich war so verzweifelt, so erschreckt, so dumm, dass ich gedacht habe, wenn ich dich einfach links liegen lasse, würde sich das ändern."

In den ersten zehn Sekunden seines Ehrentags hatte ich mehr eingestanden als irgendjemand sonst in den letzten vier Jahren. Er saß mir nur gegenüber, erstarrt in der plötzlichen Erkenntnis, die ihm nun endlich eine Erklärung für mein Verhalten bot. Sein Mund öffnete sich und schloss sich wieder, als ob er etwas sagen wollte, ihm aber die Spucke weggeblieben war.

"Ich wünschte, ich wäre mutiger, wie du, oder klüger. Ich würde gerne all den Schmerz, die Verwirrung und die Einsamkeit zurücknehmen, aber ich kann nicht", sagte ich beschämt. Die kühle Nachtluft fand die Tränen, die stillschweigend über meine Wange liefen.

"Du bist nicht blöd", antwortete er mit der liebenswerten Stimme, die ich früher immer so geliebt hatte. Ich konnte mich nicht dagegen wehren, ich legte meine Arme um ihn, drückte ihn an mich, als wäre es für die ganzen, in vier Jahren vermissten, Umarmungen. Schnell zog ich mich auf meine Deckenseite zurück, denn ich fühlte, wie sein Körper in meinen Armen starr wurde.

„Hör' auf zu weinen, Rolf. Was hast du gemeint, als du gesagt hast, du hättest mich geliebt?"

Ich fragte mich, was er als Antwort hören wollte.

„Genau, was ich gesagt habe. Ich habe dich geliebt. Dich anzusehen, die Art, wie du mich angeschaut hast, du mir vertraut hast. Ich habe das geliebt. Ich liebte dich."

"Ich verstehe das nicht", gab er zu. „Wenn du gewusst hast, dass ich dir vertraue, warum bist du dann davongelaufen und hast mir keine Chance gegeben, dir zu zeigen, dass du mir auch vertrauen kannst, dass ich dich auch geliebt habe?

Jahre des Schmerzes lagen in seiner Stimme.

„Begreifst du nicht? Wenn ich dich und meine Liebe zu dir geleugnet hätte, hätte ich mir --vielleicht- auch nicht eingestehen müssen, dass ich schwul bin."

Ich fühlte mich in diesem Augenblick so erbärmlich lächerlich, wie meine Worte klangen.

Niklas dachte nach, eine ganze Minute.

„Du weißt selbst, das ist eine echt blöde Entschuldigung. Aber was sollte das, mir den Quatsch nicht früher zu erzählen? Ich komm' raus zu dir, spreche mit dir, aber du nicht mit mir."

"Jahre des Schweigens", murmelte ich. "Aber sie endeten um Mitternacht, und jetzt ist dein Geburtstag."

"Das ist wahr", stimmte er zu.

„Kuchen?" bot ich ihm an. „Es ist dein Lieblingskuchen oder das, was damals dein Lieblingskuchen war."

Ich wusste nicht, was er heute mochte oder nicht mochte.

„Und das ist?", befragte er mich mit einem Lächeln um die Lippen.

„Schokolade?"

„Okay, diesmal hast du gewonnen. Ich denk' mal, du erwartest, das ich Geburtstagskuchen an meinem Geburtstag esse, obwohl es erst halb eins am Morgen ist und du mir noch nicht einmal gratuliert hast."

Ich holte den Kuchen wieder heraus, wurde diesmal rot, als ich das Wort 'Liebe' las.

„Heiße Schokolade?"

„Mit Schokoladenkuchen?" lächelte er. „Vielleicht später."

Ich schnitt zwei Stücke ab und reichte ihm einen Teller.

„Der ist echt süß", sagte er nach einigen Bissen.

„Wirklich?"

Der Kuchen erschien mir wie ein normaler Schokoladenkuchen.

„Ja, wie du das Ganze hier geplant hast...du bist auch süß."

"Seine Lippen strichen flüchtig, aber zärtlich über meine."

Ich wurde rot wie eine Tomate, legte schockiert einen Finger auf die Stelle meiner Lippen, wo mich seine gerade berührt hatten. Niklas kicherte über meine Überraschung.

„Ess' deinen Kuchen. Und was soll der Quatsch mit den ominösen Jahren des Schweigens?"

„Nun, sie sind Vergangenheit Ich habe mir selbst versprochen, an deinem Geburtstag sollen sie enden. Sie waren Jahre der Intoleranz, der Angst vor mir selbst, der Vorurteile und der Selbstverleugnung. Heute ist mein Tag der Abrechnung, Auge in Auge mit der Person, die ich so schlecht behandelt habe, obwohl ich sie liebte."

"Du hast mich geliebt? Jetzt nicht mehr?" fragte er fast traurig.

"Die Wahrheit?" konterte ich, und ein leises Lächeln spielte um meine Lippen.

„Klar, die Wahrheit. Reinen Wein."

"Ich würde es gerne herausfinden... weil du heute so echt heiß aussiehst."

Hoffentlich konnte er im Mondlicht nicht sehen, dass ich knallrot geworden war.

„Ach? Na gut, wir könnten mal wieder zusammen zelten, wie wir es früher getan haben und vielleicht daran arbeiten", schlug er vor.

Ich nickte zustimmend, strich sanft über seine Haare. Eine weitere Sternschnuppe ging nieder, und ich hatte nur einen Wunsch. Niklas legte seine Hand auf meine und hielt sie fest. Seine Augen waren wie früher.

„Wir sollten reingehen, bevor das hier in Irgendwas ausartet."

Mit diesen Worten führte er mich in sein Zimmer und nahm meinen Kopf in beide Hände.