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Dunkler Abgrund Ch. 06

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Und das bewies sie in diesem Moment, als Michelle den Arm ihrer Geliebten griff, zu Holly nickte und dann etwas sagte. Pheobe hob den Kopf und biss sich auf die Unterlippe. Dann nickte sie.

„Meine Damen?", fragte sie laut. „Wir haben noch eine ganze Menge vorzubereiten. Was haltet ihr davon, wenn wir schon mal vorgehen, damit später alles klappt?"

Es dauerte fast zwanzig Minuten, bis auch die letzte Frau der Aufforderung nachkam und verschwand. Michelle blieb, um Holly bei den Aufräumarbeiten zu helfen. Pheobe und Michelle waren nun schon seit fast fünf Jahren zusammen und es war ganz natürlich, dass sie auch zu Holly eine Freundschaft aufgebaut hatte. Der durchsetzungsstarken Frau konnte man auch schlecht etwas ausreden, wenn sie sich zu etwas entschieden hatte.

„War er heute schon da?", fragte Michelle wie beiläufig und schob ein paar Stühle herum, damit sie an den Tisch herankam.

Holly fragte nicht, wen sie meinte. Er war ein mysteriöser Fremder, der seit drei Monaten jeden Morgen um Punkt sechs Uhr auftauchte, einen Milchkaffee bestellte, bar bezahlte und verschwand. An sich wäre er nur einer von vielen Gästen, die morgens nahezu wortlos ihren Kaffee tranken und danach zur Arbeit gingen. Allerdings gab es zwei kleine Unterschiede: Der mysteriöse Mann gab fast krankhaft viel Trinkgeld und er war der schönste Mann, den Holly jemals gesehen hatte.

Fast könnte man glauben, er gäbe das Trinkgeld, um sich ein bisschen bei ihr einzuschmeicheln, bevor er sie vielleicht um ein Date bat, doch er sprach nicht ein einziges Wort, saß stumm da und starrte in seinen Becher. Es war Lauras Idee, die Mitarbeiterin von Holly in der Morgenschicht, diesen Mann Mr. Orgasmusgarantie zu nennen, weil man allein von seinem Anblick schon zerfloss. Holly war die letzte, die dies bestreiten würde.

Ihr Blick glitt kurz zur Uhr. Es war fünfzehn Minuten vor sechs. „Ich glaube, er kommt heute nicht mehr", murmelte sie und wurde rot. Er hatte sich noch nie verspätet, allerdings hatte er bisher auch jeden einzigen Tag seinen Kaffee hier morgens getrunken. Immer an demselben Tisch, immer schweigend, immer in seinen Becher vertieft. Wahrscheinlich würde er auch heute kommen, doch es war ihr irgendwie peinlich, dass Michelle meinte, sie brauche Hilfe. Vielleicht brauchte sie die, aber es war demütigend, dass Michelle das von sich aus sah. War sie wirklich so unbeholfen?

Einmal hatte Holly so getan, als könne sie seinen Schein nicht wechseln, damit er mit Karte zahlte. Holly hatte vorgehabt, seinen Namen endlich von der Karte abzulesen, um ihn nicht immer Mr. Orgasmusgarantie zu nennen, doch der Mann hatte einfach gesagt „Behalten sie den Rest" und war verschwunden.

Holly gefiel seine Stimme. Er sagte natürlich nie viel, sondern immer nur „Ein Milchkaffee" oder „Ich möchte zahlen" oder „Behalten sie den Rest", aber dieser Klang, dieser dunkle, tiefe Klang brachte Holly jedes Mal zum Schaudern. Vor Lust.

Würde er nur ein einziges Mal den leisesten Verdacht zulassen, er hätte auch nur ein bisschen Interesse an ihr - Holly würde ihn an den Ohren in die Toilette schleifen und ihn ficken, bis sie Sterne sah. Sie hatte noch nie einen Mann getroffen - oder auch nur im Fernsehen gesehen - der Sex wie einen Duft zu verströmen schien. Jedes Mal, wenn er gegangen war, wurde Holly sich peinlich bewusst, dass ihre Unterwäsche feucht war. Sie hatte niemals geglaubt, dass es so etwas in Wahrheit gab, doch es gab jede Menge Sachen, die Holly erst durch ihn kennengelernt hatte. Diese... spontane Lust war nur ein Beispiel. Eine ganz andere Erkenntnis war, dass sie oberflächlich war. Welche normale Frau würde schließlich nur von einem hübschen Gesicht... und einem heißen, göttlich perfekten Körper... und dieser dunklen, rauen Stimme... von Schweißausbrüchen geplagt werden? Nun, bei Holly war es in jedem Fall so. Und es ließ sich nichts an der Situation ändern.

Das schlimmste allerdings war, dass auch Laura seit einiger Zeit überraschend früh zu ihrem Dienst erschien, statt wie üblich eine halbe Stunde zu spät. Klar, es war schön für das Unternehmen, wenn sich die Mitarbeiter einbrachten, aber Holly gefiel einfach der Grund nicht, den Laura zur Frühaufsteherin machte. Genau wie auch Holly hatte ihre neunzehnjährige Kellnerin ein Auge auf den Fremden geworfen. Und gegen Laura hatte Holly einfach keine Chance.

Laura war die Art von junger Frau, die noch in der Schule schwanger geworden war und trotzdem ihr Leben auf die Reihe kriegte. Sie arbeitete vormittags, wenn ihr kleiner Junge bei seiner Großmutter war und verdiente bei Holly solides, wenn auch schwer erschuftetes Geld. Nachmittags war sie dann ganz für den drolligen Kleinen da und abends ging sie in die Abendschule und machte dort einen Abschluss nach. Sie hatte nicht vor, ewig in diesem Nest zu bleiben, sondern wollte sich und ihrem Sohn ein besseres Leben ermöglichen. Sie hatte schon entschieden, dass sie auch ihren Collegeabschluss machen wollte, doch sie war sich noch nicht sicher in was. Sie schwankte gerade zwischen dem Lehrberuf in Mathematik, Geographie oder in Französisch. Wahrscheinlich würde sie alles machen, dachte Holly und schloss die Augen. Laura war nicht nur bildschön, intelligent und smart, sondern hatte die Art von dreckigem Humor, die selbst Holly regelmäßig zum Lachen brachte. Sie war... charmant und nett. Ein Rundumpaket, wenn man die perfekte Traumfrau suchte. Es war schlimm, wirklich schlimm, dass Holly eifersüchtig auf diese tolle Freundin und Kellnerin war.

Wie auf Kommando riss die Türglocke Holly aus ihrer innerlichen Erstarrung und sie sah auf. Mr. Orgasmus-auf-zwei-Beinen glitt mit geschmeidigen Schritten in das Lokal und wandte sich ohne aufzusehen an den letzten Platz links neben der Wand. Sein kräftiger, eins achtzig großer Körper falteten sich, nachdem er den Stuhl zurückgeschoben hatte, und er ließ sich auf den Stuhl sinken. Holly konnte unter der blanken Tischplatte sehen, wie er zuerst das rechte, kräftige Bein ausstreckte und dann den linken Knöchel hinter seine Ferse schob. Obwohl er wie jeden Tag nur einen Milchkaffee bestellen würde, streckte er seine Finger mit den abgeknabberten Fingernägeln nach der Karte aus und betrachtete sie. So würde er sitzen bleiben, bis Holly zu ihm ging. In der letzten Zeit war Laura meist schneller gewesen, doch heute hatte sie es offensichtlich nicht geschafft. Es sollte sie stören, dass sie schadenfroh war, weil sie selbst nun diesen Augeblick genießen würde, doch es störte sie eben nicht. Freude füllte vielmehr ihr kräftig schlagendes Herz und ihre trainierten Beine begannen plötzlich unangenehm zu zittern.

Michelle grinste schamlos, doch Holly ignorierte sie, als sie den Stuhl an den Tisch schob und schnell durch den Raum wankte, um die Kaffeebestellung aufzunehmen.

Sie atmete schneller, obwohl sie daran gewöhnt war, stundenlang von Tisch zu Tisch zu laufen, als sie den mysteriösen Mann erreichte. „Guten Morgen", sagte sie mit einer viel zu hellen, nervösen Stimme und schalt sich innerlich für ihre Albernheit. Dies war nur eine lächerliche Schwärmerei und sie war eindeutig alt genug mit ihren sechsundzwanzig Jahren, um sich das wenigstens nicht anmerken zu lassen. „Was kann ich für sie tun?" Ihre Stimme klang immer noch atemlos und mädchenhaft. Sie rollte innerlich mit den Augen, weil sie sich so bescheuert benahm.

Sein brauner Schopf mit den goldenen und schwarzen Sprenkeln hob sich und seine haselnussbraunen Augen sahen sie einen Moment an. Sein Gesicht blieb vollkommen unbewegt, während er ihr in die Augen sah und ihr einen Blick in diese karamellbraunen Tiefen gewährte. So musste es sich anfühlen, wenn man in warmen Honig badete. Der Blick ließ ihr Herz schneller schlagen und verschlug ihr für einen Moment den Atem.

„Ein Milchkaffee", sagte er vollkommen tonlos und ließ sie nur diesen Hauch von einem fremdländischen Akzent hören.

Ihr Höschen wurde nass. Einfach so. Während ihre Finger begannen zu zittern, fragte sie sich wieder, was für ein Akzent das war. Er klang nicht britisch, aber er war auf eine seltsame Weise sehr vornehm. Die Akzente waren klar gesetzt und die Stimme war so volltönend, dass Holly sich vorstellte, wie er vor einem riesigen Publikum einen Rocksong brüllte.

„Sofort", atmete sie mehr, als dass sie es auch nur hauchen konnte. Ihre Füße ruckten herum und sie erwischte sich dabei, wie sie fast zum Tresen rannte.

Michelle lachte in der anderen Ecke, aber sah bei ihren Aufräumarbeiten nicht auf. Sofort stieg Hitze in Hollys Gesicht und sie warf ihrer Freundin einen gereizten Blick zu. Einfach, weil Michelle sie erwischt hatte und sich lustig über sie machte.

Sie huschte hinter den Tresen, stieß sich mit der Hüfte an die Ecke der Arbeitsfläche und biss sich auf die Lippe, um nicht laut zu schreien vor Schmerz. Stattdessen griff sie einen blauen Kaffeebecher, füllte ihn mit Kaffee, schämte währenddessen die Milch auf und kippte dann beides zusammen. Vierzig Sekunden später stand sie wieder atemlos am Tisch des Mannes und stellte den Becher ab. „Okay so?", fragte sie, einfach um etwas zu sagen.

Er sah nicht auf, sondern nickte nur und trank einen kleinen Schluck. Dann senkte er die Tasse wieder, entspannte auf eine sehr künstliche Weise seine Schultern und lehnte sich ein kleines bisschen zurück. Bei seiner Statur sah selbst die Wand hinter ihm mickrig aus.

Holly blieb einen Moment einfach stehen und starrte ihn wie ein Mondkalb an. Seine kastanienbraunen Augenbrauen waren einfach zwei Balken über diesen dunklen Augen und zeigten nicht den Hauch einer Bewegung. Auch seine schmalen Lippen waren vollkommen unbewegt. So würde er nun eine viertel Stunde hier sitzen. Alle paar Minuten einen Schluck trinken und in den Becher starren.

„Was machen Sie heute noch?", fragte Holly und erstarrte dann. Sie hatte... Oh mein Gott, sie hatte ihn gerade tatsächlich gefragt, was er machte! Sie hatte ihn überhaupt etwas gefragt! Obwohl sie am liebsten geflüchtet wäre, waren ihre Füße an den Boden getackert, sodass sie sich nicht bewegen konnte. Mit angehaltenem Atem wartete sie auf seine Antwort.

Er sah nicht auf, sondern starrte auf die Tasse zwischen seinen großen Händen. „Ich werde schlafen gehen." Er ließ eine winzig kleine Pause, in der Hollys Herz bis in ihre Kehle hüpfen konnte, bevor er fortfuhr. „Allein."

Hollys Herz sackte in ihren Magen und begann zu schmerzen. Sie schluckte trocken und leckte sich über die Oberlippe, bevor sie unsicher nickte. „Dann... Schlafen Sie schön." Sie wandte sich ab und spürte das Brennen auf ihrem Gesicht, während sie versuchte sich hinter dem Mantel ihrer Haare vor Michelles neugierigem Blick zu schützen. Tief durchatmend blinzelte sie die Tränen der Demütigung aus ihren Augen und wankte mit schweren Schritten zum nächsten Tisch, um ein paar Kaffeebecher und Teller aufzusammeln.

Michelle senkte den Blick und Holly atmete auf, denn sie brauchte diesen einen Moment, um den Korb zu verarbeiten, damit sie gleich nonchalant mit den Schultern zucken könnte, als hätte sie das nicht getroffen. Michelle würde über die Männerwelt sagen, dass sie eben keinen Geschmack hatten und alles wäre beim Alten. Dieser Schmerz, dieser vollkommen überzogene Schmerz in ihrem Brustbein würde weg sein. Schließlich war er nur ein Fremder mit einem netten Gesicht. Nichts weiter. Nein, nichts weiter.

Sie stellte die Tassen auf den Tresen, atmete tief durch und versuchte ihren Schmerz wegzuatmen, wie sie es bei den Yogastunden der Hexencove gelernt hatte. Doch er verging nicht. Einen Moment bekam sie Panik, ob dies ein Herzanfall war, doch dann flaute der Druck in ihrer linken Herzkammer ab. Der Schmerz wanderte irgendwie in ihren Magen und zog ihn qualvoll zusammen, doch wenigstens wusste sie nun, dass dies nicht der Augenblick ihres Todes war. Sondern einfach... Moment mal! Liebeskummer?

Sie schüttelte den Kopf und straffte die Schultern. Männer! Wer brauchte die schon? Die waren doch alle scheiße! Sie nickte sich selbst zu und ging langsam zum nächsten Tisch, der in Michelles Nähe stand. Diesmal erwiderte sie den Blick ihrer Freundin, grinste und zuckte mit den Schultern nach dem Motto Was soll's? Ich hab's wenigstens versucht. Mir doch egal. Alles egal. Leck mich, Männerwelt.

Michelles Augen leuchteten amüsiert und sie grinste zurück, bevor sie die verbrannten Serviettenspender vom Tisch kratzte und zum Tresen kam. Der Mülleimersack gab ein pupsendes Geräusch von sich, als der schwere Serviettenklumpen drin landete und die Luft aus der Mülltüte presste. Holly ignorierte für einen Moment erfolgreich den Schmerz in ihrer Brust und lachte bei dem Geräusch.

Michelle fiel in das Lachen mit ein und sie giggelten für ein paar Sekunden wie Teenager, als sie von dem Geräusch der Türglocke unterbrochen wurden. Laura winkte kurz, zog sich mit einer samtigen Bewegung einen feinen Seidenschal von dem schlanken Hals und hängte ihn an den Ständer neben der Tür. Ihr Blick glitt kurz enttäuscht zu dem mysteriösen Arschloch und Holly meinte sie seufzen zu hören, während sie ihre Jacke ablegte.

„Die Sonne geht um sieben Uhr sechsundfünfzig auf", riss Michelle sie aus ihren Beobachtungen und Holly sah sie an. „Sei bitte pünktlich zum Wiccatreffen."

Holly streckte impulsiv die Zunge aus und grinste dann. Vielleicht war es das Teenagerlachen, das sie gerade geteilt hatten, oder einfach dieses Gefühl, wenn zwei Freundinnen die Männerwelt blöd fanden, aber dieses Zungenrausstrecken hatte etwas erstaunlich befriedigendes an sich. „Ich bin nicht Pheobe."

Michelle lachte leise und schüttelte den Kopf. „Natürlich. Tut mir leid, ich bin einfach viel zu sehr daran gewöhnt mit einem Menschen ohne Gedächtnis zusammen zu sein." Ihr Gesicht verzog sich für einen Moment und ihr Lächeln kippte an den Mundwinkeln nach unten, bevor sie sich wieder im Griff hatte.

Holly verstand plötzlich. Sie griff über den Tresen nach der Hand ihrer Freundin. „Denk auch mal an dich, Süße. Das Treffen der Coven war zwar Pheobes Idee, aber wieder bist du es, die alles erledigt und plant." Holly meinte das nicht böse, aber manchmal war es besser, wenn Michelle sich einfach in ihrer Beziehung auch als Person und Individuum durchsetzte und an sich dachte. Pheobe wäre die erste, die endlich mal zurückschrauben würde, doch dafür reichte es eben nicht, einfach alles hinzunehmen. Irgendwann würde Michelle sonst noch kaputtgehen und die Beziehung würde zerbrechen. Dabei machten die beiden sich tatsächlich glücklich. Es wäre schade drum, denn sie liebten sich heiß und innig. „Du solltest Pheobe nicht immer vorspielen, dass es dir nichts ausmacht."

Michelle sah ihre Freundin nachdenklich an und nickte langsam. Sie verstand wohl, was Holly damit sagen wollte, doch bevor sie antworten konnte, unterbrach Laura das Duo.

„Wenn du Tipps im Vorspielen brauchst, bist du gerade bei der Richtigen, oder, Holly?" Laura grinste Holly an und schnürte sich währenddessen die Schürze um den Bauch.

Holly hob eine Augenbraue und rollte mit den Augen. Das war er; Lauras dreckiger Humor. Und er war gerade genau das richtige. „Als ob du die Orgasmusqueen wärst."

„Natürlich", log Laura ungeniert und warf einen Blick über die Schulter. „Ich brauche schließlich nur an Mr. Perfect da denken und schon..." Sie schloss flatternd ihre Augenlider.

Obwohl Hollys Brust plötzlich wieder schmerzte, als die an den Fremden dachte, lachte sie genau so laut wie Michelle.

*

Lukan biss auf seinen Daumennagel und zupfte mit seinen scharfen Eckzähnen an einem überstehenden Splitter, bis er ihn endlich zu fassen bekam und ausspuckte. Ein Speichelfaden benetzte dabei seine Oberlippe und er wischte ihn sich ungeduldig mit dem Ärmel ab, bevor er seinen Daumen ansah. Die andere Ecke stand auch ab. Er kaute weiter.

Es war eine lästige und bescheuerte Angewohnheit, die er aus seinem menschlichen Dasein übernommen hatte. Immer wenn er nervös, aufgeregt, überfordert oder einfach... irgendetwas war, was vom Schlafzustand abwich, knabberte er an seinen Fingernägeln. Er konnte es nicht kontrollieren. Er konnte es nicht stoppen. Er bekam es die meiste Zeit nicht mal mit.

Sein Blick ruhte wie immer vollkommen emotionslos auf der anderen Straßenseite und er beobachtete mit kalten Augen, wie die Besitzerin des Diners zehn Minuten nach dieser lesbischen, rothaarigen Frau den Laden verließ.

Lukan sah auf sein Handgelenk. Es war fast sieben Uhr. Noch gut eine Stunde bis Sonnenaufgang. Was zur Hölle machte sie da? Ab und an, meist alle vier Tage, verschwand Holly um acht Uhr aus dem Laden und kaufte im Lebensmittelgeschäft auf der anderen Straßenseite ein paar Lebensmittel, bevor sie zurückkehrte. Die Nächte wurden unaufhaltsam kürzer und bald würde Lukan nicht mehr in der Lage sein, diese wunderschöne Frau bei ihren Einkaufstouren zu beobachten. Wie sie am Gemüse roch, das Obst nach der Reife prüfte und drückte, und jedes Mal eine viertel Stunde vor dem Süßigkeitenregal stand, bis sie sich endlich für eine Kleinigkeit entschieden hatte. Meist nahm sie einen Daim-Schokoriegel und presste ihn an die Brust, bis sie an der Kasse ankam, als sei dies ihr geheimer Schatz. Bald würde er dem Ritual nicht mehr zusehen können, denn der Frühling kam und die frühmorgendliche Sonne würde seinen Tod bedeuten.

Zum Glück würde er nicht viel verpassen, denn diese Frau lebte nach einem strikten Zeitplan. Jeden Morgen um drei Uhr stand sie auf, verließ ihr Schlafzimmer und blieb eine halbe Stunde in diesem verdammten Badezimmer, in das er von der Straße aus nicht sehen konnte. Dann aber kam sie endlich raus, meist nur von einem Handtuch bekleidet und cremte ihren ganzen, feuchtwarmen Körper mit dieser Vanillelotion ein. Nackt verrichtete sie dann ein paar Kleinigkeiten wie einen kleinen Obstsalat schneiden, oder Toast machen, bis die Lotion getrocknet war. Jedes Mal war dieses Beobachten grausamer, weil jedes Mal Lukans Verlangen wuchs. Er stand in der Dunkelheit auf der anderen Seite der Straße und hätte genauso gut auf einem anderen Kontinent sein können. Ihre duftende Haut blitzte auf, ihr Körper spannte sich an, wenn sie sich streckte, ihr volles Haar streichelte ihren Rücken. Und er konnte nur zusehen. Für ein paar traurige Minuten, bis die Lotion eingezogen war. Dann erst zog sie sich dieses Kellnerinnenkostüm an, das aus einem schwarzen Kleid bestand und einer Schürze vor dem Bauch. Ihre Mitarbeiterin Laura hatte schon vor Wochen den Rock gekürzt und das viereckige Dekoltée mit weißer Spitze aufgepeppt. So sah Laura aus wie ein Traum eines Hausmädchenfetischisten. Zumindest war sie so klug und trug feste Schuhe, keine Stilettos für ihre stundenlange Arbeit auf ihren Füßen.

Obwohl Laura wohl heute eher dem Geschmack der Männerwelt zu entsprechen schien, verschwendete Lukan keinen weiteren Gedanken an dieses Mädchen. Stattdessen stellte er sich unwillkürlich vor, wie es wäre, wenn die volle, weibliche Holly dieses Outfit tragen würde. Er knurrte leise, als sich seine Lenden schwer wurden.

Seine Füße bewegten sich langsam aus der kleinen Gasse hinter dem Eisenwarenladen heraus und nahmen die Verfolgung auf. Holly hatte ihre Arbeitsuniform noch an, aber offensichtlich hatte sie nicht vor, gleich zur Arbeit zurückzukehren. Ein dicker Mantel schützte sie vor der Kälte des Morgens und eine dicke Handtasche hing an ihrer Schulter.

Sein Magen zog sich zusammen, als er an ihre schüchterne Frage nach seinen Unternehmungen dachte. Natürlich konnte er sie nicht treffen. Das wäre gefährlich für sie. Und das letzte, das Lukan wollte, war sie in Gefahr zu bringen. Trotzdem... Seine Abfuhr war harsch gewesen und heute waren bestimmt noch ein paar Bars am Stadtrand offen. Hatte sie es aufgegeben auf ihn zu warten und nahm sich jetzt einen anderen?

Er wusste, dass sie ihn anziehend fand. Er roch es jedes Mal an ihr, wenn sie in seine Nähe kam. Und er stahl sich diese kleinen, winzigen Augenblicke, in denen er nur roch, statt schmeckte; nur sah, statt fühlte, obwohl er wusste, wie gefährlich das war. Doch er konnte nicht anders. Er brauchte sie; diese schmerzhaft kurzen, gestohlenen Momente für ein Leben in Einsamkeit.