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Club Funtasie

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Widrige Umstände lassen dich Dinge tun
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Ich hasse Jazz.

Tut mir wirklich leid, aber so ist es nun mal. Das Quietschen des Glases, das ich gerade poliere, ist angenehmer als das unrhythmische Katzengejammer, das der Saxophonist von sich gibt.

Seufzend versuche ich mich mit meinem Schicksal in Form der Thekenschicht abzufinden, die bis zum letzten Ton und darüber hinaus andauern wird. Jenny, aka Glitter, wippt hingegen auf ihren mörderischen Pumps neben mir im Takt auf und ab und will ihre Begeisterung für die hohe Form der Kunst gar nicht verbergen. Aus diesem Blickwinkel kann ich der Beschallung dann doch etwas abgewinnen. Ich spanne, ziele und lasse das Geschirrtuch auf ihren formvollendeten, halbnackten Hintern schnalzen, was ihr ein Kreischen entlockt, das im wirren Klangteppich der Musik nicht weiter auffällt. Sie fährt zu mir herum, aber die Entrüstung weicht sofort einem ihrer koketten, schiefen Grinsen. „Freches Luder!"

Ich lache sie an und lasse das Geschirrtuch angriffslustig in der Hüfte kreisen. Ihr geübter Blick gleitet von meiner improvisierten Peitsche über die Gäste an der Bar, bevor sie abwinkt. „Lohnt nicht."

Mit einem Schulterzucken senke ich die Hand . Sie hat natürlich Recht. Unsere kleine Routine hinter der Theke ist normalerweise dazu gedacht, die Kunden mit ein wenig harmlosem Girl-on-Girl-Geplänkel anzuheizen, doch heute ist das Publikum ein gänzlich anderes. Dass ich nebenbei meinen privaten Spaß an der kleinen Einlage habe, ist Jenny nicht bewusst.

Der Jazz zerrt schon den ganzen Abend an meinen Nerven, sodass ich keinerlei Gefühl für den Raum habe. Unser normales Klientel aus spaßorientierten, etwas angeheiterten Gästen wurde für diese Soiree durch Liebhaber der Kunst ersetzt, mit einer kleinen Beimischung der üblichen Gesichter, versteht sich. Die Band stammt aus den USA; es ist wohl eine nicht unberühmte Kombo, die sich für ihr einziges Konzert in der Hansestadt ausgerechnet unseren Club ausgesucht hat. Ich kann nur mutmaßen, was Künstler aus dem Land der Puritaner dazu bewegt, in einem Puff zu spielen.

Damit tue ich unserem Etablissement natürlich unrecht. Das Funtasie ist viel mehr als nur ein Puff, auch wenn der Name ... nun ja. Reden wir nicht davon. Der Club ist in der Tat eine Art Geheimtipp. Etwas abseits der ausgetretenen Pfade hat sich unser Boss, von allen nur Cheffe genannt, sein eigenes kleines Paradies ganz nach seiner Vorstellung geschaffen. Es gibt keine Plakate mit nackten Brüsten, die an jedem Stromkasten hängen, keine nervtötenden Promoter, die unsere Flyer auf der Reeperbahn und außerhalb verteilen. Wir haben nicht einmal eine dieser blinkenden Leuchtreklamen an der Fassade. Das Funtasie ist eher so eine Art Fight Club, nur dass es natürlich keine Regel gibt, die das Reden über uns verbietet. Wir machen unser Geld mit den Klienten, die durch Mund-zu-Mund-Propaganda von uns erfahren.

An jedem Wochenende gibt es einen Live-Act, meistens noch unbekannte Garagenbands, die von Hard Rock bis Black Metal alles spielen, was in die Glieder fährt. Auch Blues ist ein gern gesehener Gast und bringt oft neue Kunden mit sich, die sich unter den langhaarigen, tätowierten Gestalten, die unsere Haupteinnahmequelle darstellen, erstaunlich wohl fühlen. Doch heute muss es unbedingt Jazz sein.

Ich kratze mich am Hals. Warum ich das Lederband mit dem grünen Steinchen, das vom Ring in der Mitte meiner Kehle baumelt, heute überhaupt angelegt habe, ist mir ein Rätsel. Das Publikum besteht hauptsächlich aus Paaren mittleren Alters, gutbürgerlich bis gehobene Klasse, und die wenigsten von ihnen sind wegen der Nebenschauplätze hier. Und selbst wenn sie die Freuden abseits der Musik erkunden wollten, keiner der gutbetuchten Jazzliebhaber weiß von mir.

Ich suche in der Menge nach bekannten Gesichtern. Es sind Stammgäste da, aber keiner von meinen.

Ein besonders hoher, nach Fingernägeln auf Schiefertafel klingender Ton fährt mir wie ein Stromstoß die Wirbelsäule hinunter. Wie kann man diesen Krach bloß mögen? Als ich sehe, dass sich sogar die Haare auf meinen Unterarmen aufgestellt haben, werfe ich das Handtuch. Beinahe räume ich damit ein paar Schampus-Gläser ab, die sonst nie gebraucht werden, heute aber hoch im Kurs sind.

Ich öffne die kleine Schublade unter dem Brett mit den Zimmerschlüsseln und wühle zwischen Pfefferspray, Parfümflaschen und Kondompackungen nach meinem zweiten Steinchen. Als ich das kantige Glas ertastet habe, fühle ich so etwas wie Erleichterung. Zügig schraube ich den grünen Klunker aus der Fassung und setze den roten an seine Stelle, bevor ich Jenny ein Zeichen gebe, dass ich kurz Pause mache. Sie wedelt nur abwesend mit der Hand, dann wendet sie sich wieder tänzelnd der Band zu. Da es heute abgesehen von dem gelegentlichen Drink nur wenig für uns zu tun gibt, habe ich kein schlechtes Gewissen, als ich mich durch die Schwingtür neben der Bar drücke und die Küche durchquere, um zum Hinterausgang zu gelangen. Der Koch und seine Helfer schenken mir keine weitere Beachtung; sie sind schwer beschäftigt. Unter dem Klappern von Töpfen und Geschirr und den barschen Rufen ist die Musik, die vom Main Floor durch die Lautsprecher übertragen wird, kaum zu hören.

Die frische Luft und die Ruhe, die mir im Freien entgegenschlagen, sind eine wahre Wohltat. Mit einem tiefen Atemzug sauge ich das Salz im leisen Wind ein. Ich habe mir gerade eine Zigarette zwischen die Lippen gesteckt, als eine Flamme vor meinem Gesicht aufzischt.

Japsend springe ich einen Schritt zurück und reiße die Arme vor den Körper. Adrenalin schießt in meine Venen. Ich bin einen Moment lang panisch, weiß nicht mehr wo ich bin und was ich tun soll, außer mich an die Wand zu drücken, bis ein bekanntes raues Lachen ertönt.

„Sorry, Kätzchen. Hab nicht dran gedacht, wie scheu du bist."

Winselnd lasse ich den angehaltenen Atem aus meinen Lungen entweichen und entspanne mich, so gut es geht. „Cheffe?"

„Japp."

„Ich hätte dir fast in die Eier getreten!"

Wieder lacht er. „Sah gar nicht danach aus."

Ich schnaube nur, als ich in die Hocke gehe, um nach meiner Zigarette zu tasten, die mir im Eifer des nicht vorhandenen Gefechts aus dem Mund gefallen ist. Der Puls beruhigt sich nicht so schnell, wie ich es gern hätte. Im Stillen verfluche ich meine Schreckhaftigkeit.

Cheffe greift mir unter eine Achseln und zieht mich hoch. „Die ist hin, hat geregnet. Nimm." Dabei hält er mir seine geöffnete Schachtel entgegen.

Zögerlich greife ich nach der angebotenen Kippe. Sein Feuerzeug flammt erneut auf, damit ich sie anzünden kann. Ich presse den Rauch des ersten Zugs passiv zwischen den Lippen hervor und lehne mich an die Wand. „Danke, Boss."

Er erwidert nichts, stattdessen drückt er auf den Lichtschalter. Ich kneife die Lider vor der plötzlichen Helligkeit zusammen und beobachte ihn angespannt, wie er langsam die Hand auf mich zubewegt. Durch das Halsband meine ich zu fühlen, dass er den Ring berührt. Ich sehe nach unten, wo er das rote Steinchen anhebt und es zwischen Daumen und Zeigefinger reibt,

„Nicht dein Abend?"

Ich schüttle den Kopf und hoffe, dass er die Signalfarbe wie die Male zuvor einfach akzeptiert. „Jazz macht mich ... irre?", murmle ich entschuldigend.

Er nickt. „Mh. Katzengejammer."

Wir tauschen ein Grinsen des gemeinsamen Leidens aus. Cheffe ist ein guter Kerl. Er regiert den Club mit harter Hand, aber seine Mädchen zwingt er zu nichts. „Warum hast du die Band denn eingeladen, wenn du kein Fan bist?"

Er zuckt nur mit den Schultern. „Verpflichtungen." Mehr sagt er nicht dazu. Allerdings tritt er näher, lässt einen glasigen Blick über meine Lippen und hinab bis in den Ausschnitt wandern.

Ich schlucke. Mister Boss-Man hat dem Whiskey zugesprochen. Nervös halte ich die Zigarette zur Seite, weil ich weiß, dass er gleich noch einen halben Schritt mehr auf mich zukommt, und ich ihn nicht verbrennen will. Am Anfang hat mich seine Art, wenn er getrunken hatte, milde gesagt irritiert. Was rede ich, ich hatte irrsinnige Angst vor ihm. Aber mittlerweile weiß ich, was ich zu erwarten habe.

Ich sehe zu ihm hoch. Mein Herzschlag ist auf eine normale Geschwindigkeit heruntergefahren und bleibt auch dort. Trotz des leichten Schnapsgeruchs und des unsteten Blicks seiner Augen kommt die Panik nicht wieder. Er legt den Kopf schräg und schiebt die Nase in meine Haare. Ein Brummen vibriert an meinem Nacken.

„Ich mag dich, Kätzchen."

Ein kleines Grinsen kann ich mir nicht verkneifen. Er sieht so böse aus, in seiner Lederkutte und mit den Fünf-Tage-Stoppeln unter dem Undercut. Die Tattoos an seinem Kehlkopf tun ihr Übriges. Trotzdem antworte ich völlig wahrheitsgemäß: „Ich dich auch, Cheffe."

Ich spüre sein Lächeln am Hals. Mit der Nase streift er den Kiefer entlang, bevor sich seine Lippen auf meinen Mund senken. Ich öffne mich ihm bereitwillig und begegne der warmen Zunge.

Der Kuss dauert nur kurz, bevor er den Kopf hebt. „Zug."

Dem leisen Befehl folge ich gern und nehme eine Lunge voll Rauch von der Zigarette. Er hat nur einen einzigen Fetisch, und das ist die Mischung aus Parfüm und Tabak. Nachdem ich unter seinem sehnsüchtigen Blick an meiner Kippe gezogen habe, greift er mir ins Genick und bringt unsere Münder wieder zusammen.

Man würde eigentlich einen gierigen, kompromisslosen Kuss erwarten. Schließlich ist der Mann Besitzer eines Bordells, ein Zuhälter. Aber Cheffe ist anders. Er ist kein Pimp, der sich von seinen Weibern nimmt, was er will. Er hat es nicht nötig, gewaltsam seine Herrschaft zu beweisen.

Der Kuss ist sanft, fast ehrerbietig. Weich gleitet seine Zunge über meine, er leckt kaum fühlbar an der Unterlippe. Nur der nachdrückliche, ausweglose Halt der Hand unter meinem Haaransatz verleiht seinem Hunger Ausdruck, verschwindet jedoch so schnell, wie er gekommen ist. Ein Streicheln der Fingerknöchel über meine Wange ist das Signal, dass der Moment auch schon vorbei ist.

Cheffe zieht sich zurück und atmet tief durch, als wollte er das Duftgemisch aufsaugen, bevor er durch die Küchentür im Gebäude verschwindet.

Ich lasse mich gegen die Mauer sinken und rauche zu Ende, fühle mich fast ein wenig wehmütig. Es ist nie mehr als das, was gerade eben passiert ist. Wenn mein Boss getrunken hat, dann will er einen Kuss. Nicht mehr, nicht weniger. Es kommt mir seltsam vor, dass ich mir manchmal mehr wünsche. Letzten Endes ist er schließlich mein Zuhälter. Hat man vor denen nicht normalerweise Angst?

Mit einem Schnauben drücke ich die Kippe im Aschenbecher aus und mache mich widerstrebend auf den Weg zurück zur Bar.

Die Band hat eine Runde angestimmt, die nicht mehr ganz so nervenaufreibend ist, sodass ich mich einigermaßen konzentrieren kann. Allerdings hat sich nun auch das Publikum hauptsächlich auf die Sitzplätze verteilt und wird von den Mädchen auf dem Parkett bedient. Somit bleibt für Jenny und mich so gut wie nichts zu tun. Eine von uns hinter der Theke ist genug, also schicke ich sie raus auf den Floor, damit sie ihre aufgestaute gejazzte Energie abtanzen und vielleicht noch einen Klienten für die Nacht an Land ziehen kann.

Während ich die wunderschöne Jenny beobachte, wie sie ihren etwas ungelenken, aber doch perfekt geformten Körper zwischen den Tischen hindurchschlängelt, kann ich nicht anders, als meine Situation glücklich zu schätzen. Ich bin nicht auf das schnelle Geld angewiesen. Als hauptberufliche Thekenkraft bekomme ich für meinen Job ein volles Gehalt. Es ist nicht viel, aber es reicht zum Leben. Wenn ich mich an einem Abend wie heute umsehe und kein lüsternes Gesicht in meine Richtung blickt, stellt das für mich keine existentielle Bedrohung dar.

Warum hast du dann deine kleine Nebenabmachung?, fragt die nervige Stimme in meinem Kopf.

Ich schüttle mich, bevor ich mich auf den älteren Herrn im adretten Anzug konzentriere, der einen der uralten Schnäpse im Regal hinter mir ordert. Während ich mit geübt dramatischen Gesten den Alkohol in einen Tumbler fallen lasse, fühle ich den taxierenden Blick des Bankers, Lehrers oder Landrats, was auch immer er sein mag, über meinen Körper wandern. Es tangiert mich nicht im Geringsten. Ja, es gab zu Anfangs eine Zeit, da wurde ich nervös, wann immer mich ein Kunde abgecheckt hat. Damals habe ich mich gefragt, ob er zu einem der Securitys geht und nach meinem Preis fragt, nur um dann abgewiesen zu werden. Es fühlte sich seltsam an, Teil der Auslage zu sein, aber dann auch wieder nicht. Als ich schließlich mit Cheffe meinen kleinen Deal an der Seite abgemacht hatte, wurde es eher eine Art Würfelspiel. Ene-mene-muh, auf welchen Kink stehst du?

Der Herr Studienrat, wie ich ihn soeben in meinem Kopf getauft habe, fragt sich definitiv, wie viel ich koste. Aber er würde niemals den Mund aufmachen, um die Frage tatsächlich zu stellen. Ich lächle ihn unverbindlich an, worauf er mit amüsanter Erleichterung reagiert. Er will es gar nicht wissen, möchte seinen Schnaps lieber von einer redlichen Bedienung wie mir eingeschenkt kriegen, die nicht für den nächsten Bieter die Beine breit macht.

Wenn du wüsstest, Herr Studienrat.

Redlich war vorbei, als ich aus meiner Wohnung geworfen wurde. Von wegen Eigenbedarf. Der Ehemann der Frau Vermieterin kam eines Abends mit seinen Kumpanen durch die Tür des Clubs und warf nur einen Blick auf mich. Wiedererkennen -- Einsortieren -- im Geiste die erboste Kündigung schreiben. Elende heuchlerische Spießer. Im Puff saufen und vögeln ist das eine, aber eine vermeintliche Hure im eigenen Haus? Undenkbar!

Die Wut kocht in mir hoch, und ich kann nichts dagegen tun. Gedanken kreisen in meinem Kopf, ich steigere mich in den Teufelskreis aus widrigen Umständen, Verzweiflung, Erniedrigung und Wut hinein. Erst als das Glas in meinen Händen ein gefährliches Knacken von sich gibt, fange ich mich und trete einen mentalen Schritt zurück. Ich will mich gerade für das Selbstmitleid schimpfen, als ein bekanntes Augenpaar das meine trifft.

Tom. Ausgerechnet jetzt, in genau diesem Moment, sehe ich Tom.

Die schweren Samtvorhänge, die den Main Floor an jedem anderen Tag umgeben, sind zugunsten der Akustik zusammengerafft und zur Seite gebunden, womit sie den Blick auf die schmalen Fenster auf Höhe des Gehsteigs freigeben. Dort hockt er und blickt suchend in meine Richtung. Ich kann das Grinsen nicht verhindern, das sich über mein Gesicht stiehlt, als er mich entdeckt und winkt.

Keine Minute später steht er vor mir. Die Ellenbogen auf die Theke gestützt, sieht er mich mit einem diebischen Grinsen an. Ich bin schon dabei, ihm seinen üblichen Drink zu mixen, da fällt sein Blick auf das Steinchen an meinem Hals. Sofort geht die Stirn in ein enttäuschtes Runzeln über.

Ich wende ihm den Rücken zu und komplettiere den White Russian. Mit einem kurzen Horchen in mein Inneres stelle ich fest, dass ich den Jazz in den letzten Minuten ziemlich erfolgreich verdrängt habe und deutlich entspannter bin. Womöglich ist das auch einfach seinem Auftauchen zu verdanken, aber so genau muss ich es gar nicht wissen. Also drehe ich mich mit einem lasziven Hüftschwung zu ihm um und schiebe ihm das Getränk entgegen, wobei ich die Brüste präsentabel auf die Kante der Bar drapiere. Meine Hände bleiben lange genug an seinem Glas, dass er mich berühren muss, um den Drink zu greifen.

Als unsere Finger in Kontakt kommen, lasse ich den Daumen über seine Knöchel wandern. „Na, Fremder?"

Er schmunzelt. „Ja, ich weiß."

Ich tue so, als wüsste ich nicht, wovon wir beide reden, obwohl mir schmerzlich bewusst ist, wie lange er nicht mehr hier war. Und ihm auch, dem geplagten Gesichtsausdruck nach zu urteilen. Sein Blick wandert zu dem Steinchen, nur um sofort in meinen dargebotenen Ausschnitt zu gleiten. Unbewusst leckt er sich über die Lippen.

Ich krame fieberhaft nach einem geistreichen Kommentar, doch ich ziehe blank. Alles, was mir einfällt, ist ein klischeehaftes „Siehst du etwas, das dir gefällt?"

Er blinzelt langsam, bevor er sich mit einem dezenten Kopfschütteln zur Ordnung ruft. „Definitiv." Als seine Augen wieder bei meinem Gesicht oder vielmehr unter meinem Kinn angekommen sind, setzt er nach: „Aber das ist heute anscheinend nicht auf der Karte."

Nachdem ich mich blitzschnell versichert habe, dass uns niemand zuhört, senke ich die Stimme zu einem Murmeln. „Du warst so lange weg, dass ich gern mal sehe, was ich für dich tun kann."

Seine Pupillen weiten sich. Die Zähne fangen die Unterlippe ein. „Die Ampel steht aber auf rot."

„Für den Durchgangsverkehr, ja."

Plötzlich grinst er. „Ich bin also so was wie ein Schwertransport mit Überlänge?"

Mein schallendes Lachen lässt ihn zurückzucken, sodass ein Schluck seines White Russian über den Rand schwappt. Zügig wische ich die Theke ab, lasse ihn dabei jedoch nicht aus den Augen. Er ist mein Ticket aus der Jazz-Hölle. Und er ist Tom. Tom, mein Erster.

Ich kichere wie ein kleines Mädchen und es ist mir kein bisschen peinlich. „Gib mir eine Minute, okay?"

Er nickt hoffnungsvoll, dann folgt er mir mit einem Blick, der sich schnell in etwas Raubtierhaftes verwandelt, als ich mich durch die Tische auf dem Parkett in Jennys Richtung schlängle. Sobald ich sie erreicht habe, muss sie nur mein Gesicht sehen und dann zur Theke schauen, um zu wissen, was Sache ist. Sie folgt mir zurück und übernimmt die Bar, damit ich Toms Arm greifen und ihn in das kleine Büro nebenan ziehen kann.

Sobald die Tür hinter uns zufällt, werfen sich zwei Meter Mann auf mich und drängen mich gegen den Schreibtisch. „Süße, der letzte Job hat definitiv zu lange gedauert!" Toms Hände sind überall und nirgendwo, an meiner Hüfte, in meinen Haaren, auf meiner Brust.

Geduldig wehre ich seine Avancen ab, bis er sich besinnt und daran erinnert, dass das hier zu aller erst eine Geschäftstransaktion ist.

Da mein Boss vermutlich nicht mehr in der Lage ist, irgendwas zu regeln, und ich sowieso nicht weiß, wo er gerade ist, hole ich die Checkliste aus dem Schreibtisch, dann lasse ich mich auf der vordersten Kante des Chefsessels nieder.

Tom tigert im Raum auf und ab. Er kennt das Prozedere besser als irgendwer sonst, aber anscheinend ist er gerade etwas zu aufgeregt, um sich zu konzentrieren. „Tom?", spreche ich ihn sanft an.

Sein Kopf schnellt zu mir herum, er blinzelt und fängt sich. „Ja, richtig." Mit einem Rest an Ungeduld sackt er mir gegenüber in einen Stuhl. „Wo ist ... du weißt schon?"

„Cheffe?"

„Hm".

„Beschäftigt. Lass uns das hier hinter uns bringen, okay?"

Er nickt fahrig und rauft sich die Haare. „Gib mir eine Sekunde!"

Es dauert einen Moment, bis mir klar wird, warum er so unwirsch reagiert. Normalerweise macht er die Bedingungen und Regeln und so weiter mit meinem Boss aus. Nicht mit der Frau, die er sich gleich zu eigen machen will. Womöglich ist er deswegen so ... unentspannt.

Ich schiebe ihm das Blatt Papier hin und senke den Kopf. Tiefe Atemzüge. Rollenwechsel. Das fällt mir nicht schwer, denn letztendlich nehme ich nur eine Persönlichkeit an, die tief in mir verwurzelt ist. „Bitte treffen Sie Ihre Wahl", murmle ich.

Er zieht die Luft durch die Zähne. Ich spüre seinen Blick auf mir, die aufgestaute Energie, die von ihm ausströmt. Er zieht das Formular zu sich. Nimmt den Kugelschreiber. Nach einigen Sekunden höre ich einen einzigen Kratzer auf dem Papier.

Unter gesenkten Lidern stehle ich einen Blick. Nur ein Haken. Erstaunt lehne ich mich zurück, versuche jedoch soviel Demut in meine Stimme zu legen wie möglich. „Das sind 500, bitte."

Ohne mit der Wimper zu zucken schiebt er einige Scheine über den Tisch. Ich nehme sie und zähle so unauffällig wie möglich nach. Alles da. Ich bin baff. Tom hat noch nie die Flatrate genommen. Sollte mich das beunruhigen?

Ich verdränge den Gedanken und sortiere das Papier in den vorgesehenen Ordner und verschließe die Scheine in der Kasse. Einen Moment lang bin ich ratlos. Sonst stand ich immer hinter dem gegenüberliegenden Stuhl, die Hände im Rücken verschränkt. Habe gewartet, was als nächstes passiert. Wie soll ich mich jetzt verhalten?