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Das Cembalo

Geschichte Info
... und Aufklärung mal andersrum.
8.5k Wörter
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Zur Übersicht für die geneigte Leserin und den geneigten Leser -- es gibt ja deren einige, denen meine Geschichten gefallen -- hier eine chronologische Übersicht meiner bisherigen Geschichten:

[Der Unterschied]

[Die Grundbegriffe]

Das Obligatorische

[Über einen starken Typ]

[Ferienspaß I]

PennälerInnenfeten

Lernen fürs Abitur

[Ferienspaß II]

Erstes Eheleben

Auf Schlingerkurs in den Hafen (mit Ferienspaß III)

Der weltberühmte Pianist hat heute nicht seinen besten Tag

Auf der Durchreise

Der Wanderclub

Die Ernennung

[Hinter unverschlossenen Türen]

Vetternwirtschaft

Vom anderen Ufer

An der Ostsee hellem Strande ...

Wenn der Herr außer Haus ist, tanzt das Mäuslein im Bette

Die Rettung aus der Gosse

Die Tröstung

Gartenarbeit

Das Cembalo

Die mit [] markierten Texte sind nicht in Literotica zu finden, denn sie handeln von Jugenderlebnissen, bei denen einige der handelnden Personen noch keine achtzehn Jahre alt sind, oder sie sind kürzer als 750 Wörter. Wer auch diese Texte lesen möchte, melde ich bei mir, möglichst per E-Mail.

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Nachdem die Wohnungsfrage mit allen Nachhutgefechten gelöst war, wollte ich mir einen lange gehegten Wunsch erfüllen: mir ein Cembalo anzuschaffen. Ich interessierte mich ja seit meiner Schulzeit vor allem für Barock- und noch frühere Musik, aber weil sich Dieter nicht für klassische Musik interessierte, spielte ich auch diese Musik nur manchmal auf meinem Klavier. Dieter ertrug dies mit Fassung und bat mich niemals, mit dem Spielen aufzuhören, aber zu der Anschaffung eines Cembalos ist es während meiner Ehe irgendwie nie gekommen, obwohl ich speziell dafür einen Geldbetrag aus dem Erbe meines Vaters zurückgelegt hatte.

Ich ließ mir Prospekte verschiedener Cembalofirmen aus Deutschland und dem Ausland schicken und fand bald heraus, daß, legt man Wert auf einen vollen Klang, nur der Nachbau eines Barockinstrumentes in Frage kommt, kein sogenanntes "Industriecembalo". Vor allem durfte es nicht für moderne kleine Wohnungen kurz gebaut sein, es mußte die volle Länge von mehr als zwei Metern haben, und die Saiten der Baßtöne durften nicht wie beim Piano umsponnen sein.

Ich besuchte daraufhin "das" Hamburger Musikhaus in den Colonnaden und sah mir an, was für Cembali in den Klavier-Etagen ausgestellt waren: nur Industriecembali, "aber wir können Ihnen jedes gewünschte Modell bestellen." "Vielen Dank für den Moment"; damit war dieses weltberühnte Haus, was den Cembalo-Kauf betraf, "gestorben".

Auch in dieser Lebenslage rettete mich wieder einmal Trudi. Sie kam aus einem katholischen Elternhaus, stand aber der evangelischen Kirche viel näher als ihrer katholischen, hatte in der Schule auch am evangelischen Religionsunterricht teilgenommen, war aber nie zur evangelischen Kirche übergetreten. Und das stand jetzt schon gar nicht auf dem Programm, denn vor kurzem hatte in ihrer Gemeinde nach der Pensionierung seines Vorgängers ein junger, modern eingestellter, "ganz süßer" Pfarrer sein Amt angetreten. Dieser Herr Borowsky, dessen Großeltern Polen aus der Gegend von Bromberg waren, sei, so erzählte Trudi, auch ein großer Fan alter Musik und habe auch ein Spinett, das er, weil seine Wohnung zu klein sei, in ihrer Kirche aufgestellt habe.

Bei einem Sonntagsnachmittagskaffe machte mich Trudi mit dem sympathischen Herrn Borowsky bekannt. Am Kaffeetisch saß nicht, wie erwartet, ein schwarzgekleideter Herr, sondern ein lustiger Mann, etwa Anfang vierzig, nicht gerade im Freizeitlook, aber mit blütenweißem Kragen, hochgeschlossenem grauem Pullover und grauem Sakko kaum als katholischer Pfarrer erkennbar.

Wir verstanden uns sofort, fachsimpelten über alte Musik, Cembali und Orgeln und verabredeten uns für den folgenden Montagnachmittag in seiner Kirche zu einem Probespiel auf seinem Spinett. Dieses Instrument hatte einen schönen Klang, war aber natürlich für die Kirche etwas zu zart. Herr Borowsky brachte aber zu diesem Treffen auch ein Heft einer Kulturzeitschrift mit, dessen Themaschwerpunkt "Der deutsche Cembalobau" war und in dem viele Firmen inseriert hatten.

"Ich schlage vor, Frau Knaack", sagte Herr Borowsky, "wir fahren mal am Nachmittag, wenn Sie Zeit haben, zu der Firma, von der ich mein Spinett habe. Die sitzt in einem Dorf auf der Stader Geest. Sie ist zwar hier in diesem Heft nicht vertreten, aber da kommen wir schnell hin und können sehen, was die zur Zeit anzubieten haben."

Diese Tour machten wir in der darauffolgenden Woche am Mittwoch Nachmittag, fanden aber bei der Firma kein Cembalo, was mir gefallen hätte. Zwar hatten sie ein großes Instrument mit sogar einem Sechzehnfuß, aber solch ein Subbaß wurde in der Barockzeit nur ganz selten eingebaut, und es heißt, ein gut gebautes Cembalo mit langen Baßsaiten und tragenden tiefen Tönen brauche kein solches Register. Außerdem war das Instrument bereits verkauft, und ein weiteres zu bauen würde bei der Auftragslage der Firma mehr als ein Jahr dauern. Ich wollte aber, wenn es irgend möglich wäre, schon recht bald ein Cembalo haben -- auch als Tröster in meiner derzeitigen Einsamkeit.

Auf der Rückfahrt nach Hamburg lud ich Herrn Borowsky zum Essen in einem Ausflugslokal ein, und wir besprachen das weitere Procedere.

"Rufen Sie einfach die eine oder andere Firma aus dem Zeitschriftenhaft an, ob sie was anzubieten haben. Sie müssen dann allerdings mit einigen weiten Fahrten rechnen, um eventuell die Instrumente probezuspielen."

Er erzählte dann noch von sich, seinen Eltern und Großeltern.

"Meine Eltern sind zwar schon in Deutschland geboren, fühlen sich aber noch ganz als Polen und haben uns Brüdern so urpolnische Namen gegeben: Tadeusz --"

"Das ist eigentlich biblisch."

"Da haben Sie recht, -- wenn man's genau nimmt --, und Wlodzimiesz. Sie haben uns auch polnisch lernen lassen, und das kommt mir jetzt zu gute, ich seh mal, daß ich mit meiner neuen Gemeinde eine Partnerschaft mit einer Gemeinde in Polen aufbaue, dem norddeutschen Naturell irgendwo im Norden, wahrscheinlich Kaschubien -- Pommern und Ostpreußen sind ja halbwegs bekannt, aber zum Beispiel Tuchola, Tuchel auf der Tucheler Heide, das ist für die Leute hier ja exotischer als Zentralafrika."

"Das finde ich interessant. Erzählen Sie mir mal von Ihren Fortschritten."

"Hoffentlich sehen wir uns noch. Ich will Sie ja nicht zu uns Katholiken rüberziehen, aber wir können ja Kontakt halten."

"Gern, Herr Borowsky! Brechen wir dann auf?"

"Okay, Frau Knaack."

Zu Hause begann ich die Anzeigen der Cembalofirmen zu studieren und sie der Reihe nach anzurufen. Es stellte sich bald heraus, daß vor allem ein Instrument eines süddeutschen Cembalobauers in Frage kam, das zur Zeit in einer Klavierhandlung in Kamen stand. Ich rief dort an, umd man sagte mir, am Samstag könne ich kommen, um es zu besichtigen. Kein Problem, wenn ich es bis zum Ladenschluß am Samstag um zwei Uhr Nachmittags nicht schaffte.

Ich rief gleich Herrn Borowsky an und berichtete ihm von meinem Finderglück.

"Von der Firma hab ich nie was gehört, aber ansehen kann man sich das Ding ja mal. Frau Knaack, ich habe eine Bitte: Lassen Sie mich mitfahren?"

"Natürlich, Herr Borowsky, gern, mit dem größesten Vergnügen! Wir sollte aber recht zeitig losfahren; es ist doch eine ziemlich weite Strecke."

"Wann meinen Sie?"

"Spätestens um acht."

"Gut! Dann um acht bei meiner Kirche?"

"Okay! Tschüs bis dann, Herr Borowsky."

Irgendwie brachte ich die Tage bis Samstag mit ihrem Schuldienst hinter mich, und am Samstag um acht Uhr stand Herr Borowsky schon reisefertig neben seiner Kirchentür. Auf der Fahrt unterhielten wir uns prächtig, und ich erzählte auch von meiner Fahrt durch Polen und meinem Besuch in Auschwitz, ohne allerdings meinen Reisebegleiter zu erwähnen. Herr Borowsky fragte auch vorsichtig nach meinem derzeitigen Befinden, "ich hab von Frau Kramer gehört, sie haben sich vor kurzem scheiden lassen. Sind Sie schon darüber hinweggekommen?"

"Ach, Herr Borowsky, mein Mann und ich haben uns schon lange auseinandergelebt und haben uns dann ohne Skandal getrennt."

Weiter verfolgte Herr Borowsky das Thema nicht, und als wir kurz vor Kamen an Münster vorbeifuhren, erzählte er, wie er vor einigen Jahren den Papstbesuch dort miterlebt hatte.

"Es ist ja schade mit unserem Papst", meinte er, "er hat ja die katholische Kirche in vielfältiger Weise geöffnet, aber in anderen Dingen ist er immer noch so stockkonservativ, das kann ich unseren jungen Gemeindegliedern kaum verständlich machen."

"Den Zölibat meinen Sie?"

"Den und noch manches andere."

Damit waren wir schon am Kamener Kreuz angelangt und fanden ohne Probleme den Weg in das nur wenige Kilometer davon entfernte, als schöne mittelalterliche Stadt fast unbekannte Kamen. Wir fanden einen Parkplatz, fragten nach der Straße, in dem sich das Klaviergeschäft befand, und standen nach wenigen Minuten --

Neben meinem Cembalo. Man sah sofort, um welches der hier ausgestellten Instrumente es sich handelte, ein Nachbau eines Tasquin aus der allerletzten Zeit des barocken Cembalobaus, schon gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Herr Wegener, so hieß der Händler, hatte noch zwei andere Cembali ausgestellt, alle von demselben Cembalobauer. Er sei mit diesem auf der Musikhochschule gewesen, erzählte er uns, und habe nach dem Studium dieses Klaviergeschäft übernommen. Sein Studienfreund biete hier seine Cembali an.

Herr Borowsky unterdrückte ritterlich seine Begierde, dieses Instrument zu spielen, und mir war nach zwei Takten -- nein: nach zwei Noten der Ordre XXV von François Couperin, die ich für das erste Probespielen ausgesucht hatte, klar: Dies war's! Dies würde mein Cembalo werden. Ich brauchte eigentlich gar nicht mehr lange darauf zu spielen. So überließ ich schon nach dem ersten Stück die Tasten Herrn Borowsky, der darauf das Präludium umd die Fuge in fis-moll aus dem Zweiten Teil des Wohltemperierten Klaviers von Johann Sebastian Bach recht meisterlich spielte. Mir kamen die Tränen, ich mußte mich setzen, und Herr Wegener reichte mir ein Taschentuch. Es setzte sich auch eine Dame neben mich, die zuvor einen Flügel probiert hatte, legte zart ihre Hand auf meine und sagte:

"Das ist ein wunderbares Instrument, nur schade, daß es jetzt wohl weggeht. Wir konnten es hier in Kamen einige Male in Konzerten hören. Aber ich kann Sie zu Ihrer Wahl nur beglückwünschen."

Nachdem er mit der Fuge fertig war, ließ Herr Borowsky wieder mich spielen, und ich wählte eine flotte Suite meines Barock-Heimatkomponisten Dietrich Buxtehude.

Dann schloß ich mit Herrn Wegener den Kaufvertrag ab. Da ich selbst noch kaum wieder sprechen konnte, führte meist Herr Borowsky die eigentlich nicht notwendigen Verhandlungen: Das Instrument war in Ordnung, es gab auch zwei Jahre Garantie, der Preis stand fest -- er überstieg etwas mein dafür Zurückgelegtes, aber ich brauchte keinen Ratenvertrag abzuschließen und konnte unmittelbar bei Lieferung bezahlen --, und diese Lieferung würde Sonntag in einer Woche sein, ohne zusätzliche Transportkosten, Herr Wegener bot selbst an, mir das Cembalo in seinem Renault Espace zu bringen, in die Wohnung zu transportieren und einmal durchzustimmen.

So war in "Windeseile" alles klar, und wir machten uns auf den Rückweg. Da ich immer noch mein Glück nicht fassen konnte und entsprechend unzurechnungsfähig war, bot Herr Borowsky an, daß er führe -- "ich hab zwar selbst kein oder noch kein Auto, aber ich fahre immer den Kleinbus meiner Gemeinde." Ich ließ ihn gern gewähren, und sein Fahrstil war angenehm defensiv und zurückhaltend. An der Raststätte Dammer Berge ließ ich ihn anhalten und lud ihn zum Essen ein.

Dieses war ja raststättengemäß nicht allzu doll, aber das bemerkte ich in meiner gehobenen Stimmung gar nicht. Wir unterhielten uns über den gerade getätigten Cembalokauf, und irgendwann sagte ich:

"Darf ich nicht vorschlagen, daß wir uns duzen? Ich heiße Melanie, Taufname allerdings Kerstin."

"Vielen, vielen Dank! Ich heiße, wie Sie -- wie Du ja schon weißt, Tadeusz. Vielleicht weißt du auch: Die polnische Kurzform davon heißt Tadziu."

"Dann auf dein Wohl, Tadziu!"

"Und auf deins, Melanie! Und aufs Cembalo!"

"Aufs Cembalo!"

"Und noch eine vorsichtige Frage: Darf ich dann auch ab und zu darauf spielen?"

"Natürlich, Tadziu."

Auf der Fahrt nach Hamburg lästerte Tadeusz wieder über die Sexualmoral seiner Kirche:

"Was soll ich den Jugendlichen meiner Gemeinde sagen, wenn sie fragen? Allgemeines, zwischenmenschliche Moral, das geht ja noch, aber die stellen auch ganz konkrete Fragen, und wenn ich nicht ihr Vertrauen verlieren will, muß ich darauf etwas sagen, nicht immer nur ,Enthaltsamkeit`. Von der Enthaltsamkeit kommen keine Kinder, die unser Volk ja so sehr wünscht."

",Seid fruchtbar und mehret euch`; da hab ich mich allerdings auch nicht dran gehalten."

"Wer soll über dich oder andere Menschen richten? -- Jedenfalls seid ihr Protestanten auf dem Gebiet schon viel weiter als unsere Kirchenführer. Aber verlassen will ich meine Kirche trotzdem nicht -- und ich hoffe auf Reformen."

"Da fällt mir ein: Hätten wir in Osnabrück nicht einen Besuch bei deinem Bischof machen sollen?"

"Da bist du eine der wenigen, die wissen, daß der Hamburger Bischof jetzt, und schon seit Jahrhunderten, in Osnabrück sitzt. -- Nein, da muß man sich Tage vorher zur Audienz anmelden."

"Und wo lebt eigentlich dein Bruder?"

"In Hannover, ist da verheiratet, hat zwei Jungs, ist Professor an der TH und arbeitet in der katholischen Studentengemeinde mit. Er hat mit mir die ersten vier Semester Theologie studiert, dann zog es ihn aber doch zum Technischen. Religion und Naturwissenschaften -- heute ein heißes Thema."

"Als katholischer Pfarrer hast du doch sicher eine Haushältersche?", fragte ich Tadeusz nach einer Pause.

"Nein, eine solche hab ich nicht; ich brat meine Eier selber."

Ich sah ihn ob diesem Ausdruck etwas verwundert von der Seite an, er sah zu mir und mußte lachen.

"Nein, Melanie, ich meinte wirklich eßbare Hühnereier, nicht ,dat dridde part, darvan ik ên man gehêten ward`."

"Du kennst den Reinke Vos?"

"Ja, ich hab neben Theologie auch Germanistik studiert und mich besonders für das Niederdeutsche interessiert. Bei uns im Norden sind ja noch so viele solche Inschriften in den Kirchen -- und zur ,Haushälterschen`: So eine haben heute wohl nur noch die ganz Oberen, für unsereinen wäre das viel zu teuer, obwohl wir gegebenenfalls einen kleinen Zuschuß kriegen. -- Und dann das Gerede in der Nachbarschaft und in der Gemeinde. Nein, ich bin kein großer Fleischesser und mach eigentlich immer reihum Spiegel-, Rühr- und gekochte Eier."

Weiter erzählte Tadeusz von seiner Arbeit mit den Jugendlichen seiner Gemeinde; von dieser Arbeit hatte mir Trudi schon viel Gutes berichtet. Die Zeit verging mit munterer Unterhaltung, auch über Politik, wie im Fluge, und schon stand ich vor dem Haus, in dem Tadeusz wohnte, und beim Abschied sagte ich noch zu ihm:

"Du kommst doch nächsten Sonntag, wenn Herr Wegener das Cembalo bringt!?"

"Wenn ich darf, Melanie, gern! Ich bring dann auch meine Querflöte mit, und vielleicht können wir die Bach-Sonaten spielen."

"Gut, daß du das sagst, dann muß ich mir nämlich die Noten kaufen."

"Ich kann doch meine mitbringen."

"Aber ich hab die noch nie gespielt und muß etwas üben."

"Na, wie du meinst. Dann tschüs bis demnächst."

Am Montag war ich zu faul, zum weltberühmten Musikhaus zu fahren und mir die Querflötensonaten von Bach zu kaufen; stattdessen fragte ich meinen Kollegen, den Musiklehrer Ludwig Meierhoff:

"Du, Lutz, besitzest du vielleicht Bachs Flötensonaten?"

"Ja, Melanie --"

"Und könntest du mir die mal für eine Zeit leihen?"

"Natürlich, gern, und wozu, wenn ich fragen darf?"

"Ich hab mir am Samstag ein Cembalo gekauft --"

"Gratuliere!"

"-- und der Bekannte, der mir dabei geholfen hat, will mit mir die Flötensonaten spielen."

"Ich bring sie dir morgen mit -- aber, Melanie, unter einer Bedingung:"

"???"

"Du weißt doch: Mein Hauptinstrument ist die Violine, und ich bring dir auch die Violinsonaten von Bach mit der Bitte, daß wir die auch einmal zusammen spielen."

"Na klar, Lutz, das machen wir. Nur: Die Violinsonaten brauchst du mir nicht zu bringen, die hab ich irgendwie von meinen Eltern geerbt."

Während der Woche rief Trudi an und ließ sich erzählen. Sie freute sich, daß ich mich so schnell entschlossen hatte, meinte aber im Laufe des Gesprächs:

"Ich glaube, ehrlich gesagt, nicht, daß Tadeusz hundertprozentig keusch lebt."

"Wie kannst du das wissen -- und bist du auch per Du mit ihm?"

"Ich nehme es an, ich hab es so im Gefühl, aber wissen tu ich es nicht. Mit mir jedenfalls hat er nichts, wenn du das meinst. Und das gegenseitige Du haben wir von seinem Vorgänger geerbt, der hat mich zwar nicht getauft, aber schon gefirmt."

Am großen Tag, am Sonntag, ging ich ab sieben Uhr morgens alle fünf Minuten auf den Balkon, ob nicht ein Espace auf unseren Parkplatz einbiegt, aber selbst, wenn Herr Wegener wirklich schon um -- sagen wir -- sieben Uhr losfährt, konnte er kaum vor zehn Uhr ankommen. Das rechnete mir Tadeusz vor, als er eben um zehn Uhr bei mir aufkreuzte.

"Was hast du denn da außer deiner Querflöte noch mitgebracht?", fragte ich ihn und zeigte auf seinen zweiten Pack.

"Noch eine Flasche Sekt zum Anstoßen."

"Und ich hab auch schon eine im Kühlschrank für denselben Zweck -- dann können wir uns ja mal richtig besaufen."

"Ist ja auch eine einmalige Gelegenheit", meinte Tadziu lachend und legte seine Flasche neben meine in den Kühlschrank, auf den er gleich losgesteuert war, denn die Küchentür stand offen.

"Richtig, du warst ja noch nie hier -- dann will ich die mal meine Wohnung zeigen. Hier also ist mein Reich, mein Arbeits-"

"-- aber das ist doch alles dein Reich, denn du lebst doch leider allein."

",Leider` -- na, wie man's nimmt. -- Die Küche hast du ja schon selbst entdeckt, hier daneben das Wohnzimmer mit dem großen freien Platz, auf den das Cembalo soll, da hinten geht's auf den Balkon, und rechts hinten zum Schlafzimmer und Bad und Klo. Ein kleines Gästeklo geht noch von der Diele ab."

Als Tadeusz keine Anstalten machte, wie die meisten neugierigen Wohnungs-Anseher auch das Schlafzimmer zu inspizieren, sagte ich zu ihm:

"Du kannst gern auch ein Blick in die hinteren Räume werfen, wenn du willst."

"Ist eigentlich nicht nötig; aber wenn du das so nett sagst, ist da vielleicht noch ein Fenster in Richtung Westen, daß man auf Hamburg sehen kann?"

"Leider nicht; das ist eine durchgehende Wand", sagte ich, während Tadeusz sich zum Schlafzimmer durchwand.

"Es geht ein bißchen umständlich um die Ecke", entschuldugte ich mich.

"Macht doch nichts! -- Oh, wat't dat denn?"

"Die Schrankwand hab ich mir nach meiner Scheidung gegönnt -- ich hab sie erst eineinhalb Wochen."

"Wenn man sich in Gegenwart einer Dame so ausdrücken dürfte, würde ich sagen: etwas puffig. -- Aber entschuldige, Melanie: Du wirst wissen, warum du dir das hingestellt hast, und abgesehen von allem anderen ist es sicher auch sehr praktisch beim Anziehen. Wenn ich zum Beispiel so was hätte, dann hätte ich sicher bemerkt, daß meine Hosen nicht gut gebügelt sind."

"Machst du das auch selbst?"

"Wenn es sein muß, ja. Sonst fahr ich alle zwei -- drei Wochen zu meinem Bruder, und seine liebe Frau bügelt mir die schwierigeren Sachen und näht mal einen Knopf an. -- Na dann, gehen wir zurück ins Wohnzimmer oder sehen vom Balkon, ob Wegener nicht allmählich kommt. Hoffentlich haben wir ihm den Weg genau genug beschrieben."

"Er kann sich ja durchfragen."

Wir frühstückten noch einmal auf dem Balkon -- niemand kam, wir unterhielten uns über unsere Arbeit mit der Jugend -- niemand kam -- wir spielten zusammen eine von Bachs Flötensonaten, "noch" "nur" mit Begleitung auf dem Piano -- niemand kam -- ich fragte Tadeusz nach seinen Germanistikprofessoren -- es klingelte: Herr Wegener.