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Das Schloss Teil 01

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Als Erstes gehe ich in ein nahegelegenes Restaurant und esse zu Mittag. Erst als ich vor meinem Teller sitze und ihn anstarre, wird mir klar, dass ich gar keinen Hunger habe. Zu sehr beschäftigt mich die ganze Sache. Mir wird allmählich immer klarer, dass sich mein Leben komplett ändern wird. Mir ist noch nicht ganz bewusst, wie das Erbe mein Leben beeinflusst. Mir ist jedoch klar, dass eine Veränderung unausweichlich ist.

Ich stochere lustlos in meinem Spaghetti-Teller herum und grüble dabei vor mich hin. Ich habe den Schreck noch nicht wirklich verdaut. Es wird wohl noch ein paar Tage dauern, bis ich die gesamte Tragweiter und alle Folgen dieser Erbschaft richtig einschätzen kann. Vieles wird sich erst im Laufe der Zeit herauskristallisieren. Das Beste wird wohl sein, ich lasse alles auf mich zukommen.

Ich werde das Hotel besuchen, um mir ein genaueres Bild zu machen. Auf dem Papier wirkt alles sehr abstrakt. Eine klare Einschätzung kann ich nur vor Ort machen, wenn ich den Komplex gesehen habe. Also los!

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Nach dem Essen mache ich mich mit meinem alten, klapprigen Auto auf den Weg gen Süden. Ich bin fürchterlich angespannt. Ich kann es immer noch nicht glauben, ich bin Schlossbesitzer! Welcher Junge träumt als Kind nicht davon? Alte Mauern, Ritter, mittelalterliche Helden und romantische Gefühle tauchen als diffuse Bilder immer wieder vor mir auf. Diese Träumereien treffen meine Situation jedoch nicht im Mindesten. Es ist etwas völlig anderes. Es geht um ein Hotel, das am Laufen gehalten werden muss, es geht um Mitarbeiter, Gäste und viel Geld. Dinge, von denen ich keinen blassen Schimmer habe.

Als Student habe ich manchmal bei Veranstaltungen als Kellner ausgeholfen. Das hat mehr recht als schlecht funktioniert. Doch ein Hotel ist ein sehr komplexer Betrieb, da muss alles funktionieren. Da ist es mit Grundkenntnis im Servieren von Getränken bei weitem nicht getan.

Zum Glück dauert die Fahrt etwa zwei Stunden. Das ist für mich Zeit genug, meine Gedanken halbwegs zu sortieren und mich mental auf diesen Besuch vorzubereiten.

Das Navi meines Handys zeigt mir recht zuverlässig den Weg. Ich bin zum ersten Mal am Gardasee, obwohl das für einen Münchner eher ungewöhnlich ist. Während meiner Studentenzeit hätte ich mir nie im Leben einen Urlaub leisten können und auch jetzt bin ich nur ein kleines Licht im Betrieb und verdiene nicht besonders viel. Das ist eben so, wenn man ins Berufsleben einsteigt. Lehrjahre sind halt keine Herrenjahre, wie man so schön sagt. Natürlich habe auch ich als Student davon geträumt, einmal ein berühmter und gut bezahlter Architekt zu werden. Doch der Weg dorthin ist steinig, lang und ungewiss.

In Riva am Gardasee lotst mich das Navi auf eine enge Seitenstraße. Einen Moment lang frage ich mich, ob ich falsch abgebogen bin. Doch schon nach rund 200 Meter, gleich hinter einer Kurve öffnet sich der Weg und man fährt auf einer von Pinien gesäumten Zufahrt geradewegs auf ein wunderschönes Schloss zu. Man kommt sich so vor, als sei man auf der via Appia in Rom. Die Pinien am Straßenrand, die Mittelmeervegetation und das warme Wetter vermitteln ein lebendiges Gefühl von Sommer, Ferien und dolce vita. Es ist beeindruckend. Der Anblick des Gebäudes ist herrschaftlich und ich kann auf Anhieb verstehen, warum sich meinen Onkel in dieses wunderbare Fleckchen Erde verliebt hat. Es ist unsagbar schön hier.

Ich fahre auf den Hotelparkplatz und stelle den Wagen ab. Meine alte Klapperkiste wirkt zwischen den zahlreichen Nobelkarossen ein wenig deplatziert. Dieser Gedanke flackert kurz in meinem Hirn auf. Ich schiebe ihn allerdings gleich wieder zur Seite. Mir wird schnell wieder klar, dass der Eindruck, den mein Wagen hinterlässt im Moment mein kleinstes Problem ist. Mich beschäftigt vielmehr die Frage, wie ich vorgehen soll. Gehe ich zur Rezeption und sage, ´Hallo Leute, ich bin Euer neuer Chef´? Wohl kaum!

„Mi scusi, il parcheggio per il personale è all´inizio della via d´accesso", spricht mich ein Mann an. Er ist sehr freundlich, reißt mich aber dennoch aus meinen Gedanken. Ich betrachte ihn einen Moment lang etwas abwesend. Ich schaffe es nicht, mich gleich auf ihn zu konzentrieren. Er könnte Gärtner sein. Das lassen zumindest seine Kleider und die Gummistiefel vermuten. Eine grüne Schürze und die zerklüfteten Hände untermauern den Eindruck.

"Wie bitte?", frage ich überrascht. Ich habe kein einziges Wort von dem verstanden, was er zu mir gesagt hat.

„Die Parkeplatz für die Personal ist zu Anfang die Straße", versucht er mir in sehr gebrochenem Deutsch zu erklären.

„Io non lavorare", stammle ich eine Antwort. Auch ich versuche die wenigen Brocken Italienisch so aneinander zu fügen, dass sie halbwegs einen Sinn ergeben könnten. Die Verständigung zwischen uns ist definitiv schwierig.

Der Gärtner zieht die Augenbrauen nach oben und schaut mich irritiert an. Es ist ihm ins Gesicht geschrieben, dass er keinen blassen Schimmer davon hat, wie ich das meine und was er von mir halten soll. Wie ein Gast sehe ich definitiv nicht aus, das ist mir klar. Doch wie soll ich ihm klar machen, wer ich bin? Bevor ich noch einmal etwas Unverständliches von mir geben kann, zuckt er resignierend mit den Schultern und lässt mich stehen. Er wendet sich wieder seiner eigentlichen Aufgabe zu. Damit kann er nichts falsch machen. Ich bin ihm immer noch nicht geheuer, das sieht man ihm deutlich an.

Ich schenke ihm keine weitere Aufmerksamkeit, das würde sicher auch nichts bringen. Also setze ich meinen Weg fort und gehe auf das wirklich traumhaft schöne Schloss zu. Vor dem Eingang bleibe ich kurz stehen und lasse das Gebäude in seiner ganzen Pracht auf mich wirken. Aus dieser Perspektive wirkt der prunkvolle Bau unglaublich imposant. Hier muss einst ein sehr mächtiger Mann residiert haben. Ich kann immer besser verstehen, warum dieser Ort mein Onkel so fasziniert hat, dass er sesshaft geworden ist. Nicht nur von der Größe, auch von der Architektur her beeindruckt der Bau. Ich bin vom Fach und kann auch einschätzen, dass es perfekt in Schuss ist. Auf den ersten Blick ist mir klar, dass es sich um ein ausgesprochen luxuriöses Haus handeln muss.

„Guten Tag, könnte ich bitte Frau Pia Winter sprechen?", frage ich, als ich an der Rezeption stehe.

„Wen darf ich melden?", erkundigt sich die Dame am Empfang freundlich in perfektem Deutsch. Sie mustert mich mit kritischem Blick. Sie wird sich vermutlich fragen, was ich hier zu suchen habe. Gast bin ich definitiv keiner.

„Mein Name ist Thomas Müller", antworte ich.

Ohne eine Miene zu verziehen nimmt sie das Telefon zur Hand und informiert den Teilnehmer oder die Teilnehmerin auf der anderen Seite von meiner Anwesenheit. Was sie sagt, kann ich nicht verstehen, da sie Italienisch spricht. Doch schon nach wenigen Minuten legt sie den Hörer wieder zurück.

„Sie kommt sofort. Bitte nehmen sie inzwischen dort drüben Platz. Es kann nicht lange dauern", bittet mich die Empfangsdame. Dabei macht sie eine einladende Handbewegung in Richtung Lobby. „Kann ich Ihnen etwas bringen? Kaffee, Wasser oder sonst etwas?"

„Danke nein, ich möchte im Augenblick nichts."

Ich gehe zu einer gemütlich wirkenden Ecke, die aus einem Tischchen, einem Sessel und einer kleinen Bank besteht. Die Garnitur ist in eine Nische der großen Halle eingebettet. Man ist abgeschieden und doch mitten im Geschehen. Ich setze mich in den Sessel, der ausgesprochen bequem aussieht. Von hier aus habe ich einen perfekten Überblick.

Das Schloss wirkt ursprünglich und ausgesprochen herrschaftlich. Die Einrichtung passt perfekt und sieht sehr hochwertig. Ich gehe davon aus, dass ein großer Teil des alten Mobiliars neu aufgerichtet wurde. Es wirkt alles sehr authentisch. Das Besondere an der Halle ist die einzigartige Atmosphäre. Sie hat etwas ganz Besonderes an sich und zieht mich sofort in ihren Bann. Man hat den Eindruck, in eine alte, längst vergangene Zeit zurückversetzt zu sein, als wäre an diesem Ort die Zeit einfach stehen geblieben. Man verfällt unweigerlich in romantische Träumereien von wackeren Rittern, hübschen Burgfräuleins und Minnesängern. Ich kann mir gut vorstellen, dass in dieser Halle einst rauschende Bälle gefeiert wurden. Für einige Minuten vergesse ich, warum ich hier bin und hänge meinen Fantasien nach.

Obwohl es sich um ein Hotel handelt, herrscht eine vornehme Ruhe. Die Gäste, die sich in der Halle aufhalten, wirken ausgesprochen erlesen. Ich vermute, die Preise dieses Hauses sind ähnlich exklusiv. Die Urlauber gehören zu jener Schicht, die bereit ist, einen ordentlichen Preis zu zahlen, um dafür unter ihresgleichen zu sein. Zum Glück habe ich mich für den Notartermin nach meinen Möglichkeiten schick angezogen. Trotzdem passe ich immer noch nicht wirklich in diese feine Gesellschaft.

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„Herr Müller, Thomas Müller?", reißt mich eine Stimme aus meinen Gedanken. Sie gehört einer bezaubernd aussehenden jungen Dame.

„Ja, der bin ich. Und Sie müssen Pia Winter sein?", antworte ich unsicher.

Ich stehe höflich auf und reiche ihr die Hand. Auch Sie wirkt nervös, das verrät mir ihr zurückhaltendes Lächeln. Verstohlen mustert sie mich und ich weiß nicht, ob sie mein Äußeres unter die Lupe nimmt oder meine Kleidung. Auf jeden Fall verzieht sie keine Miene und lässt sich nicht im Mindesten in die Karten schauen. Ich habe absolut keine Ahnung, ob ihr erster Eindruck von mir positiv oder negativ ist. Sie hat das perfekte Pokerface, das man als Hotelmanagerin wohl besitzen muss.

Mir fallen sofort ihre stahlblauen Augen auf. Ich habe den Eindruck, sie blicken durch mich hindurch oder besser noch, in mich hinein. Ich komme mir nackt vor, als würde sie mich komplett durchschauen. Pia ist ein unglaublich attraktives Mädchen. Sie ist noch jung, verdammt jung für eine Hotelmanagerin. Ich schätze sie auf Anfang Zwanzig. Sie hat lange, blonde, leicht wellige Haare und was ich unter dem hinreißend schönen Kleid erkennen kann, ist einfach atemberaubend. Die Figur verspricht ein Traum zu sein. Pia hat aber vor allem ihre ganz eigene Ausstrahlung, der man sich unmöglich entziehen kann. Sie zieht mich unweigerlich in ihren Bann. Eine derart perfekte Mischung aus Jugend, Kompetenz, Schönheit und Selbstsicherheit habe ich noch nie erlebt.

Auch ihr Lächeln ist besonders. Es strahlt Freundlichkeit aus und wirkt so unglaublich ehrlich. Da ist nichts Aufgesetztes, Gespieltes oder gar Hinterhältiges. Sie wirkt nur ein klein wenig unsicher. Doch auch das überspielt sie gekonnt.

„Es freut mich Sie kennenzulernen. Ihr Onkel hat bis zu seinem Tod bedauert, dass er keine Gelegenheit mehr hatte, Sie kennenzulernen."

„Und er hat sie in den höchsten Tönen gelobt. Er hat ganz große Stücke auf Sie gehalten. Das lässt sich aus einem Brief herauslesen, den er mir hinterlassen hat."

„Ich habe nur ein wenig geholfen, das Hotel zu führen", antwortet sie äußerst bescheiden.

„Ich denke, das hat er anders gesehen und Ihre Hilfe sehr zu schätzen gewusst. Er hat mir gegenüber den Wunsch geäußert, dass wir zusammen das Hotel führen sollten. Das wäre ihm das liebst. Es gibt dabei allerdings einen gewaltigen Haken", komme ich gleich zu Sache. Ihre Augen werden deutlich größer. „Um ehrlich zu sein, verstehe ich nicht viel vom Gastgewerbe. Also wird wohl doch wieder alles an Ihnen hängen blieben."

„Aber Sie sind doch der neue Besitzer", wirft sie schüchtern ein.

„Es ist schon später Nachmittag und es war ein sehr aufregender und anstrengender Tag für mich. Ich hoffe, Sie haben ein Zimmer für mich. Ich würde mich gerne ein wenig frisch machen und ausruhen. Es würde mich sehr freuen, wenn Sie mir die Ehre erweisen, mit mir später zu Abend zu essen. Dann können wir das Wichtigste besprechen", schlage ich vor. "Ich hoffe, Sie haben jetzt nicht den Eindruck, dass ich gleich alles an mich reißen will. Dem ist ganz und gar nicht so. Ich bin nicht der nimmersatte Erbe, der alles selber machen will und alles besser weiß. Allerdings könnten Entscheidungen anstehen, die bald getroffen werden müssen und es kann ja auch sein, dass Sie Fragen an mich haben. Für alles andere können wir uns Zeit nehmen."

„Ich verstehe Sie sehr gut, Herr Müller. Ich werde Ihnen ein Zimmer vorbereiten lassen. Bis zwanzig Uhr habe ich Verpflichtungen. Danach stehe ich Ihnen zur Verfügung", bietet Pia an.

„Gibt es einen diskreten Platz, wo wir essen und alles in Ruhe besprechen können? Ich denke, es sollten nicht zu viele Ohren mithören. Es gibt vermutlich Dinge, die vertraulich sind.

Sie müssen auch ein wenig Zeit mitbringen, denn sie müssen mir wohl oder übel alles von Grund auf erzählen und erklären. Ich fürchte, Sie brauchen viel Geduld mit mir. Mein Fachwissen ist gleich Null."

„Ich lasse für uns den Tisch im Rosengarten vorbereiten. Es ist unser Plätzchen für Verliebte, aber es ist auch der Tisch, der am abgeschiedendsten ist und uns damit die gebotene Diskretion bietet."

„Wenn das Ihr Freund nur nicht in den falsch Hals kriegt."

„Ich habe keinen Freund. Also keine Sorge, niemand wird eifersüchtig", lächelt sie. Es ist das erste Mal, dass sie etwas lockerer wirkt.

„So hübsch und keinen Freund? Sind die Männer blind?"

„Das nicht gerade, aber es war für mich bisher nie der Richtige dabei", meint sie verlegen. Pia bekommt sogar einen leicht roten Schimmer im Gesicht und sieht damit richtig süß aus.

Sie geht zur Rezeption, wohl um ein Zimmer für mich zu organisieren. Ich kann mich jedoch nicht ganz des Eindrucks erwehren, dass es ihr auch ein wenig gelegen kommt, dass sie sich abwenden kann. Das Gespräch scheint sie etwas in Verlegenheit gebracht zu haben. Ihre Flucht dauert jedoch nur kurz, Pia kommt schon nach wenigen Minuten zurück.

„Das ist mir schrecklich peinlich. Wir haben kein freies Zimmer mehr. Es ist Hochsaison und die Suite, die wir normalerweise für Notfälle bereithalten, wurde soeben für einen französischen Minister gebucht, der überraschend sein Kommen angekündigt hat. Ich kann Ihnen ein Zimmer anbieten, das für Mitarbeiter gedacht ist oder ich lasse für Sie die Räumlichkeiten ihres Onkels vorbereiten. Was ist Ihnen lieber?", meint sie.

Pia ist es sichtlich unangenehm. Ihr Blick ist eine einzige Entschuldigung. Ich überlege kurz. Darauf, in einem Personalzimmer zu hausen, habe ich echt keine Lust.

„Ich sehe keinen Grund, nicht in den Räumlichkeiten meines Onkels zu wohnen. Diese müssen irgendwann sowieso wieder benützt werden. Ich werde öfter hier sein und dann ist ein Hotelzimmer nicht die ideale Lösung. Warum also nicht gleich von Anfang an, sesshaft werden? Zudem bekomme ich auf diese Weise die Gelegenheit, mir ein genaueres Bild von ihm machen zu können. Wenn ich die Welt mit seinen Augen sehe, bin ich ihm hoffentlich ein wenig näher und kann mich besser und schneller einleben."

„Wie sie wünschen. Ich schlage vor, dass sie kurz auf der Terrasse Platz nehmen. Ich lasse Sie rufen, sobald die Räume fertig sind", schlägt sie vor.

Kapitel 3 -- Das Hotel

Ich setze mich auf die Terrasse und genieße den herrlichen Blick über den See. Er ist einfach nur atemberaubend. Die Sonne scheint und wärmt nicht nur meinen Körper, sondern erreicht auch meine Seele. Ich schaffe es tatsächlich abzuschalten und die Umgebung auf mich wirken zu lassen. Die Kulisse ist traumhaft. Das Schloss, das Wasser, die Felswände am gegenüberliegenden Seeufer, die leichte Brise, ich komme mir vor, wie losgelöst von Raum und Zeit. Allein die Möglichkeit, hier zu sitzen, ist bereits ein bisschen wie Urlaub. Ich lasse diese wundervolle Stimmung auf mich wirken, beobachte die Leute auf der Terrasse sowie die Surfer und die Boote auf dem Wasser. Ich versuche ein Gefühl für diesen besonderen Platz zu bekommen. Ach ja, das alles gehört jetzt mir. So ganz ist das bei mir noch nicht angekommen.

Die Gäste sind alle ausgesprochen vornehm. Mir fällt auf, dass es fast ausschließlich Paare sind, die auf der Terrasse sitzen. Ich sehe keine Familien, keine Kinder und nur einen einzelnen Mann. Auch bei den Paaren sind nur wenige, die ich als Ehepaare einstufen würde. Meisten sind es ältere Herren mit jüngeren Damen. Mir drängt sich unweigerlich die Frage auf, ob in diesem Hotel vorwiegend Männer mit ihren Geliebten absteigen? Mir wäre neu, dass es dafür ein spezielles Angebot gibt. Natürlich sieht man in Hotels immer wieder ältere Männer, die sich mit ihrer Geliebten einquartieren, um zusammen ein paar schöne Tage zu verbringen. Hier allerdings scheint der entsprechende Anteil unverhältnismäßig hoch zu liegen. Kann es sein, dass die Männer immer untreuer werden?

Ich finde es spannend, auf der Terrasse zu sitzen und den Leuten zuzuschauen, sie zu beobachten. Ich hänge einfach nur meinen Gedanken nach und denke mir Geschichten aus, die mit den Menschen und Paaren zu tun haben, die mich umgeben. Ich lasse meiner Fantasie freien Lauf. Mein normaler Alltag ist eher stressig. Am Abend hänge ich in meiner Stammkneipe oder in einem Club ab. Bisher hatte ich das Gefühl, ich brauche in meiner Freizeit Action und Bewegung um mich herum. Schließlich bin ich noch jung und auf der Jagd nach Abenteuer. Wenn ich nun aber mein Leben aus dieser völlig entspannten Perspektive betrachte, gefällt mir dieser ruhige und gelassene Augenblick genauso gut. Kann es sein, dass ich alt werde?

„Herr Müller, würden Sie mir bitte folgen? Ihre Räumlichkeiten sind jetzt fertig. Ich bringe sie hin."

Vor mir steht eine etwa fünfundzwanzig Jahre alte, ausgesprochen attraktive, junge Dame, die zudem in perfektem Deutsch mit mir spricht. Sie lächelt ein wenig unsicher aber sehr freundlich. Offenbar hat sich bereits herumgesprochen, wer ich bin. Dazu hat sicher auch der Umstand beigetragen, dass ich in den Räumen wohne, in denen bisher mein Onkel gelebt hat.

Mich irritiert ihre ausgesprochen devote Haltung. Wir sind in etwa gleich alt und ich war in meinem bisherigen Leben immer einen recht saloppen Umgang gewohnt. Nun gut, ich muss zugeben, dass es bei den wenigen Kontakten, die ich mit Kunden hatte, auch steifer zuging. In diesen Fällen war allerdings ich es, der leicht unterwürfig war. Doch von ihr werde ich behandelt, als sei ich eine hochgestellte Persönlichkeit. Ich komme mir vor, wie ein alter Knacker.

„Danke", antworte ich nur kurz. Ich stehe auf und folge ihr. Die neuen Eindrücke verunsichern mich.

Wir fahren mit einem Lift in den vierten und obersten Stock des Schlosses. Sonja, so heißt die junge Dame, führt mich einen langen Gang entlang und bleibt schließlich vor einer Tür stehen. Sie nimmt einen altmodisch aussehenden Schlüssel in die Hand und sperrt die Tür auf. Sie öffnet diese zwar, tritt aber nicht ein. Die Räume meines Onkels sind offenbar ein Heiligtum.

„Wir sind im obersten Stock?", frage ich.

„Ja, an der Nordseite, um genau zu sein. Herr Gerber hat diesen Teil besonders schön gefunden. Diese Räume liegen im sogenannten Nordturm. Der untere Teil ist an den Felsen angebaut. Das Reich unseres früheren Chefs erstreckt sich über zwei Stockwerke. Der obere Bereich ragt über den Felsen und über den Rest des Gebäudes hinaus. Deshalb nennt man es den Nordturm. Ein zweiter praktisch identischer Turm befindet sich an der Südseite", versucht sie zu erklären.

Ich verstehe allerdings nicht ganz, was sie mir alles erzählen will. Es sind zu viele Informationen auf einmal. Ich nehme mir allerdings vor, das Ganze später genauer unter die Lupe zu nehmen. Denn egal, was sie mir sagen wollte, diese Räume sind besonders, so viel habe ich auf jeden Fall begriffen.

Ich verabschiede mich von Sonja und betrete die Räume, in denen Onkel Franz seine letzten Jahre verbracht hat. Es sind überraschend helle Räume, eher untypisch für ein so altes Gemäuer. Alles ist unglaublich großzügig gehalten. Der vor mir liegende Raum reicht über die gesamte Breite des Schosses. Es ist nicht zu übersehen, dass die beiden Eckzimmer zu einem einzigen Raum zusammengelegt wurden. Onkel Franz wusste zu leben und hat auf sich geschaut. Er hat sich nicht irgendwo verkrochen, um auch aus dem letzten freien Zimmer noch Kapital zu schlagen. Er war ein Lebemensch und hat, auch auf seine alten Tage hin, das Leben genossen. Diese Einstellung gefällt mir.