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Dunkler Abgrund Ch. 10

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„Hm", machte Holly leise und merkte erst, dass der Laut hörbar gewesen war, als sich eiskalte, graue, uralte Augen auf sie richteten. Sie zuckte zusammen.

Doch dann glitt Alecs Blick weiter. „Meine Damen", grüßte er mit kühler Stimme. Es hätte auch nicht zu ihm gepasst, wenn er plötzlich vor Wärme und Freundlichkeit gesprüht hätte. „Wir haben also einen gemeinsamen Feind."

Seine vorher kühle Stimme wurde bei dem Wort „Feind" eisig. Holly erschauderte. Diesen Mann wollte sie mit Sicherheit niemals in ihrem ganzen Leben zum Feind haben. Die Hexen schienen dasselbe zu denken, denn keine von ihnen antwortete.

Alec trat weiter in den Raum und setzte lehnte sich gegen eine Kommode, sodass er halb darauf saß, und verschränkte die Arme vor der nackten, riesigen Brust. „Was genau war der Plan von euch, nachdem ihr die Waffen geklaut habt?"

Alle Frauen und auch Lukan richteten demonstrativ ihren Blick auf Jean Antoine. Der setzte sich gerade wieder und legte einen Knöchel auf sein anderes Knie. Es war eine sehr männliche Pose, die zu seinem jungen Aussehen so gar nicht zu passen schien. Der blonde Jüngling ließ mit einem leicht blasierten Lächeln den Blick schweifen. „Der Sturm auf die Bastille hat auch irgendwie hingehauen." Er grinste Alec an. „Weißt du noch?"

Alecs Gesicht blieb vollkommen ungerührt. Nur einer seiner Mundwinkel zuckte auf eine Weise, die Holly von einigen ihrer Imbisskunden kannte. So zuckten Menschen, wenn sie seit Tagen nicht geschlafen, aber viel Kaffee getrunken hatten. Wenn das ein Lächeln war, dann wollte Holly das lieber nie wieder sehen. Das war das Grinsen eines Verrückten. Unwillkürlich schlang sie ihre Arme um sich und sah Lukan an, als wolle sie abschätzen, ob dieser sie vor Alec beschützen würde und könnte. Was natürlich vollkommen lächerlich war, schließlich wollte sie so viel Abstand wie nur möglich vor diesen Fangzähnen haben.

„Leider sind wir keine verhungernde, aufgebrachte Meute an Franzosen, Jean Antoine." Alec verlagerte sein Gewicht auf seinen linken Fuß. „Ich habe vor dem Überfall auf mich eine Weile in Damons Anwesen gelebt. Sein Obergeschoss ist unspektakulär, aber durchplant. Das ganze Haus soll den Eindruck machen, dass es zwar Sicherheitssysteme gibt, aber nichts davon unüberwindlich ist. Der wirkliche Knackpunkt seiner Anlage liegt unterirdisch."

Eine Hexe räusperte sich. „Das ist unser Haus gewesen. Die unteren Gänge haben wir erschaffen, nachdem wir den natürlichen Grundwasserstand gesenkt hatten. Seit meiner Geburt habe ich darin gewohnt und kenne jeden Zentimeter."

„Bist du in der Lage uns einen Plan von den Umrissen zu zeichnen?", fragte Lukan ruhig.

„Unter der Vorraussetzungen, dass Damon nicht jede einzelne Wand versetzt hat", fügte Alec hinzu und sah die Hexe herausfordernd an.

Eine andere Hexe schüttelte sofort den Kopf. „Umbauarbeiten waren ihm nur bedingt möglich. Er kann zwar zwei, drei neue Wände ziehen, doch nicht unendlich viele. Das hätte den Energiefluss verändert und so unsere Magie blockiert. Wenn er da unten nicht alles unter Wasser setzen wollte, hat er sich zurückgehalten. Wir können allerdings in den Plänen berücksichtigen, was davon möglich war."

„Gut", murmelte Alec gedankenverloren und nickte den beiden Frauen zu. „Lukan, du wirst ihnen dabei helfen. Du wirst am besten abschätzen können, wie Damon seinen Stützpunkt organisiert hat."

„Warum?", fragte Holly und verkroch sich weiter in dem Sofa, als der tödliche Blick des Schwarzen Arkaios für einen Moment wieder auf ihr ruhte.

„Jean Antoine hatte ihn während seiner Amtszeit als Botschafter", sagte Alec, als erkläre das alles.

Holly sah ihn verwirrt an.

Lukans Stimme lenkte ihren Blick auf ihn. „Ich bin selbst viel gereist und kenne deshalb die Raumaufteilung und die Sicherheitsmaßnahmen der meisten Arkaios. Von mir wusste Jean Antoine auch von Alecs Versteck hier. Damon wird sich an irgendwelche Vorbilder halten, wenn er wert auf eine gute Verteidigung legt. Ich schätze, ich kann herausfinden, wo er die Waffenkammern und Folterräume hat."

Alec nickte knapp. Sein Gesicht zeigte nicht mal im Ansatz, wie er dies fand. „Jean Antoine, wir werden wohl eine Liste machen müssen von den Leuten, die wir um Hilfe bitten können."

Pheobe beugte sich vor. „Wir haben auch noch einige Helfer in der Hinterhand."

Alecs weiße Narben glänzten in seinem Gesicht, als er den Kopf wandte. „Sind dies nicht alle Coven?"

Michelle schüttelte den Kopf und strich sich eine verirrte, rote Strähne aus dem Gesicht. „Doch, schon. Aber einige von uns sind in der Lage zu beschwören. Andere können segnen. - Wir können nicht nur Kartentricks."

„Kartentricks?" Alecs Blick brannte sich in ihre Augen. „War das ein Scherz?"

„Ich meine nur... Viele glauben..."Michelle senkte den Kopf.

„Glaub mir, ich kenne eure Macht." Der Schwarze Arkaios ließ seinen Blick schweifen. Dann nickte er wieder knapp. „Ich bin trotzdem der Ansicht, dass ihr euch mit meinen Waffen vertraut machen solltet."

„Was ist mit dieser Frau?", fragte eine Hexe, die bei dem Erkundungstrupp von Jean Antoine gewesen war. „Kann sie kämpfen?"

Jean Antoine gab einen kurzen Laut von sich, während Alec bereits den Kopf schüttelte. „Sie kann kämpfen, aber nicht so, wie es nötig wäre."

„Holly auch nicht", meldete sich Lukan zu Wort.

Holly starrte ihn an. „Bitte?" Sie musste zugeben, dass sie tatsächlich ziemlich nutzlos war, aber sie konnte sehr wohl kämpfen! Was bildete sich dieser Schmalspuridiot eigentlich ein? Wenn sie nicht mitgehen wollte, dann war das immer noch ihre Entscheidung!

„Holly und Grace werden hier bleiben."

Holly funkelte den Schwarzen Arkaios an und senkte rasch den Blick, als er sie ansah. Fein! Spitze! Weshalb war sie dann überhaupt mitgekommen? Um die Aufpasserin für eine Vampirgeliebte zu sein? Hatten jetzt alle den Verstand verloren? Hilfesuchend warf sie Michelle und Pheobe einen Blick zu, doch beide schienen mit der Entscheidung einverstanden zu sein. Verletzt setzte sich Holly zurück. So sah das also aus. Sie war nur eine Gefahr für alle, wenn sie mitkäme. Dabei hatte Pheobe ihr immer und immer wieder gesagt, dass sie ein Teil der Cove war und nicht anders als die anderen. Jetzt zeigten sich also die wahren Gesichter ihrer sogenannten Freundinnen. Schmerz ballte sich in ihrem Inneren zusammen und wurde noch schlimmer, als sie merkte, dass Lukan ihr einen entschuldigenden Blick schenkte. Sie warf den Kopf zurück und versuchte ihn nieder zu starren, doch er wandte den Blick nicht ab. Schließlich kapitulierte sie und stand auf, als auch der Rest der Hexen sich auf den Weg zu den Waffenkammern machte. Doch sie hatte nicht vor, mit ihnen zu gehen. Sie brauchte erst einmal Luft und Zeit für sich. Vielleicht sollte sie einfach heimgehen. Ihr Imbiss wartete auf sie und der spontane Einfall alles ihrer Kellnerin, Laura, alles zu überlassen war trocken betrachtet eine mehr als dumme Idee gewesen. Sie seufzte. Trotz allem wollte sie immer noch nicht gehen. Endlich konnte sie sich und ihren Freundinnen beweisen, dass sie genau so nützlich war, auch wenn sie das mit dem hexen nicht auf die Reihe kriegte.

„Warte hier", befahl Alec an Jean Antoine gewandt und schloss dann zu ihnen auf. „Ich hole nur Grace, dann zeige ich euch alles."

Holly trat unwillkürlich einen Schritt zur Seite, um dem Krieger viel, viel Platz zu machen, als er durch den Salon ging und hinter einer offenen Tür verschwand. „Gruselig!", murmelte sie.

Eine Hexe aus Idaho nickte schnell. „Auf jeden Fall. Aber der Vampir wirkt nett, nicht wahr?"

Holly sah sie verwirrt an. Von wem sprach sie?

*

„Es kommt Bewegung ins Spiel", urteilte Sam, nachdem der Berichterstatter den Raum verlassen hatte. Seine Finger glitten nahezu zärtlich über den Rand des Weinglases, in dem sich tatsächlich Merlot befand und kein Blut wie bei den anderen Anwesenden.

Damon warf ihm einen scharfen Blick zu. „Findest du das witzig?"

Sam hob den Blick. „Ja."

Damon stemmte sich aus seinem Stuhl mit so einer Gewalt, dass der Stuhl umkippte und über den Boden schlitterte. Mit der Faust schlug er auf den Tisch ein, bevor er plötzlich den Kopf senkte. Mit einer Hand strich er sein glattes Haar zurück und zupfte an seinem Jackett. „Wir müssen jetzt zuschlagen", sagte er schließlich ruhig. „Wenn Alec bereits Kontakt zu den Wahren Familien aufgenommen hat und seine Loyalisten zusammentrommelt, wird der Krieg immer schwerer zu gewinnen. Wir reden hier von einer Armee von gut neuntausend Vampiren."

„Machbar", schloss Sam ruhig.

Damon trat von dem Tisch zurück und wandte sich zum Fenster. Die Sonne würde erst in ein paar Stunden aufgehen, also war sein Kontrollblick eher zeitschindender Natur. „Die Verluste werden riesig sein. Wenn wir überhaupt gewinnen."

Die Verluste waren Sam herzlich egal. Ihm war es sogar recht, wenn sein ganzes verficktes Rudel bei dem Krieg verreckte. Von den Vampiren ganz zu schweigen.

Hyrie stellte klangvoll ihr Weinglas ab. Mit einem Finger wischte sie den Blutrand von ihrer Oberlippe. „Wenn Alec zum Angriff bläst, solltest du dir weniger Gedanken um die Wahren Familien als um Alec machen. Er ist die wirkliche Gefahr für deinen Plan."

Damon schloss zu ihr herum. „Das weiß ich!" Er verschränkte die Arme hinter dem Rücken und atmete tief durch. „Wir können nicht darauf warten, dass sie angreifen. Wir müssen einen Präventivschlag durchführen. Noch sammelt er sich in New Orleans, also werden wir alle Vampire und Werwölfe zusammenrufen und ihn angreifen."

„Ich dachte, wir wollen ihn dort eh erst einmal finden und versuchen ihn erneut in die Finger zu bekommen", sagte Sam.

„Die Wahren Familien sind alarmiert und sind schon auf dem Weg. Sie werden den Krieg so oder so führen. Selbst wenn Alec wieder in meiner Gewalt ist, werden sie das nicht glauben und angreifen. Wir müssen ihn töten. Die Blutsverbindungen durch die Eide auf ihn werden ihnen die Gewissheit geben, dass er tot ist. Dann haben wir ein leichtes Spiel."

„Wie schnell können Alecs Verbündete kommen?", fragte Sam und trank einen kleinen Schluck Wein.

Hyrie wandte ihm den Blick zu. „Das erfordert noch einiges an Planung. Außerdem werden sie noch ein paar Tage auf meine offizielle Erklärung als Königin warten. Zwei Wochen, vielleicht mehr, vielleicht weniger."

„So viel Zeit brauchen wir auch", meinte Sam. „Für einen erfolgreichen Angriff."

„Die Zeit haben wir nicht. Wir greifen mit allem an, was uns jetzt zur Verfügung steht. Sorgt dafür, dass Morgana einsatzfähig ist. Morgen fahren wir los."

„Eine Kamikazeaktion?", fragte Sam, obwohl er die Antwort wusste.

„Für uns nicht. Aber für die meisten meiner Krieger schon. Die Verluste werden zu verschmerzen sein, aber sorgt dafür, dass genügend Krieger da sind, um für unseren Gewinn zu garantieren."

„Bis morgen?" Sam schüttelte den Kopf. „Entweder willst du die Garantie auf den Sieg oder du willst morgen los fahren. Du musst dich schon entscheiden."

Damon starrte ihn an. „Ich will beides, Sam. Und du wirst dafür sorgen, verstanden?"

Sam erwiderte seinen Blick kühl. Schließlich nickte er. Das war er dem Vampir schuldig.

*

„Das Essen steht in der Küche", erklärte Grace erneut und lächelte die Hexen an, die sich in der riesigen Waffenkammer umsahen. „Es gibt Tortillas."

Zwei Frauen nickten ihr angespannt zu. Wahrscheinlich fühlten sie sich ebenso überfordert wie Grace selbst. Allerdings hatte sie sich fast eine Woche in dem Bunker und - nachdem sie aus ihrem einwöchigen Lungenentzündungskoma erwacht war - zwei Tage in Freiheit an den Gedanken gewöhnen können, dass es zu einem Krieg kommen würde. Wenn sie genauer darüber nachdachte, kannte sie Alec erst seit zwei Wochen. Eigentlich müsste sie diejenige sein, die vollkommen überfordert mit einer Armbrust hantierte und irgendwie nach einem Ausweg suchte. Stattdessen hatte sie Tortillas gemacht.

Diese zwei Tage mit Alec verschwammen irgendwie vor ihrem geistigen Auge und ließen diese Zeit miteinander wie eine Ewigkeit erscheinen. Eine dieser guten Ewigkeiten, die niemals enden sollten.

Es war unglaublich, wie viel in diesen kurzen Tagen in Freiheit passiert war, seit sie in diesem sündhaft teuren Hotel aufgewacht war. Sie hatte halb Amerika durchquert, hatte mit Alec das Blut getauscht, war in eine Art Koma verfallen, in New Orleans angekommen und direkt mit ihm ausgegangen. Dann hatten sie die halbe Nacht Sex gehabt und den Rest der Nacht mit Fremden verbracht, die in ihr Haus eingestiegen waren. Das klang wirklich eher nach der Abenteuerreise von drei Monaten, als nach zwei mickrigen Tagen. Irgendwie unrealistisch, aber was konnte sie dazu schon groß sagen? Sie war schließlich auch mit einem Vampir ins Bett gestiegen. Was war daran realistisch?

Zwei warme, vertraute Arme legten sich um sie und sie fühlte das Gewicht von Alecs Kinn auf ihrem Scheitel. Mit den Fingernägeln strich sie über seine vernarbten, kräftigen Unterarme und lehnte sich an ihn. „Das ist verrückt, nicht wahr?"

Er fragte gar nicht erst, was sie meinte, denn das schien er irgendwie immer zu wissen. „Ja." Er küsste ihr Haar und atmete tief ein, bevor er zufrieden brummte. „Jean Antoine hat Kontakt zu den Wahren Familien aufgenommen. Zumindest zu meinen loyalen Verbündeten. Sie kommen in zwei Wochen und dann greifen wir an."

„Und ich?", fragte sie und sah den Frauen zu, die immer noch durch die Regalreihen gingen und Waffen sammelten.

„Du bleibst hier." Nach einer kurzen, schweigsamen Pause fügte Alec hinzu: „Kein Protest?"

Grace schüttelte den Kopf und fühlte, wie sich ihr Haar an seinen Bartstoppeln verfing. „Ich bin nicht dumm, Alec. Ich habe keine Ahnung von diesem ganzen Zeug und werde mit Sicherheit nicht in irgendeinen Kampf stützen, weil ich meine dich retten zu können. In Filmen und Büchern ist das immer der Moment, wenn die Bösen die Oberhand gewinnen." Sie drehte sich in seiner Umarmung zu ihm um und küsste ihn kurz. „Das hasse ich immer. In den Filmen, meine ich. Diese dummen Frauen haben meiner Meinung nach einfach nicht verdient zu überleben. Wenn der Held zu ihnen sagt „Bleib hier" und sie trotzdem aus dem sicheren Versteck gehen, sollten sie auch sterben."

Alec hob seine gespaltene Augenbraue und seine grauen Augen funkelten. „Blutrünstig."

Grace grinste unschuldig. „Ich würde es eher ausgleichende Gerechtigkeit nennen, aber blutrünstig trifft es wohl auch." Sie zögerte einen Moment. „Hast du gerade eine Erektion?"

Er beugte sich zu ihr und küsste ihre Wange. Dabei drängte er sein Becken an ihren flachen Bauch und zeigte deutlich, dass er hart war. „Ich mag es, wenn du blutrünstig bist."

„Das ist pervers." Sie erschauderte wohlig.

„Oh ja." Alec schob sie langsam rückwärts, bis sie mit dem Rücken an einer Fläche landete. Wahrscheinlich eine Wand, vielleicht auch der Türrahmen. Er schob einen Fuß zwischen ihre Knöchel und drängte sie auseinander, während sich sein harter Schwanz in ihren Bauch bohrte.

„Uh", machte sie erstaunt, als er begann sich an ihr zu reiben. „Alec!", versuchte sie zu protestieren, doch es endete eher in einem langgezogenen Stöhnen, als er seine Hände unter ihre Pobacken legte und sie hochhob.

„Hm?", machte er und küsste einen Pfad von ihrem Wangenknochen bis zu ihrem Hals. Mit der Nase schob er zärtlich ihr Haar aus ihrem Nacken und biss leicht zu. Nicht genug, um ihre Haut zu verletzen, doch genug um einen heißen Blitz durch ihre Eingeweide zu jagen.

Sie fasste nach seinen Schultern und versuchte ihn zurückzuschieben. „Wir sind nicht allein."

Alec erstarrte für einen Moment und schien sich mit all seiner Kraft zum Aufhören zu zwingen. Schließlich trat er einen Schritt zurück. Seine Augen glitzerten wie der Himmel vor einem Sturm, als er sie ansah. „Lauf. Ich gebe dir zehn Sekunden das Schlafzimmer zu erreichen, sonst ficke ich dich genau dort, wo ich dich finde."

Sie runzelte die Stirn und ließ den Blick über die feine Narbe an seinem Kinn und dann seinen vollem Mund gleiten. „Also wirklich! Das ist so was von vorsintflutlich. In zehn Sekunden kann ich niemals..."

„Neun."

„Alec. Mach dich nicht lächerlich. Das ganze Haus ist voller..."

„Acht."

Grace starrte ihn an. Als er gerade erneut den Mund öffnen wollte, warf sie sich herum und rannte kreischend durchs Haus.

*

Jean Antoine ließ das Telefon sinken und legte es neben sich auf die Couch. Mit einem tiefen Seufzer der Frustration bog er den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Es war unglaublich, wie wenige ihm glaubten. Alec würde sie alle persönlich anrufen müssen, wenn er die Unterstützung der Wahren Familien wollte. Bisher dachten alle, es sei nur einer von Jean Antoines Plänen sie zu der Rettungsmission zu überreden. Besonders unglaubwürdig fanden sie allerdings, dass Alec einfach in dem Haus in New Orleans auf Jean Antoine gewartet hatte.

„Dann hätte er sich doch gemeldet!"

„Das kann nicht sein!"

„Wenn er frei ist - wofür braucht er dann noch uns?"

„Was ist denn so schlimm daran, wenn Damon Arkaios wird? Soll er doch, solange er endlich Alec freilässt. Hier herrscht das Chaos. Wir brauchen ihn lebend."

Jean Antoine schlug die Augen wieder auf und angelte nach seiner Liste. Besonders die letzte Aussage hatte er heute mehrfach gehört. Und er glaubte nicht, dass Alec das ungestraft lassen würde. Gut, dass er auf der richtigen Seite war. Mit Alec als Krieger an seiner Seite hatten die anderen nicht die geringste Chance. Und Alec würde sich mit Sicherheit den wenigen Loyalisten mit aufopferungsvoller Dankbarkeit begegnen.

Unwillkürlich wanderten seine Gedanken in die Vergangenheit. Er war lange nicht mehr in Südamerika gewesen. Fast hundert Jahre, um genau zu sein. Was sich wohl verändert hatte? Und damit meinte er nicht die menschliche Politik und de Wirtschaftslage, sondern sein eigenes Reich im Dschungel. Wissenschaftler waren in den letzten Jahren zu tausenden auf der Suche nach den Hinterlassenschaften der Inka gewesen. Vielleicht hatten sie sein Reich ebenfalls entdeckt. Vielleicht war es schon verfallen. Die Natur kämpfte sich immer wieder ihren Platz zurück. Wahrscheinlich war sein Schloss allerdings einfach zu einer antiken Anlage der Inka oder Maya erklärt worden. Dabei war sein Reich um einige Jahrtausende älter. Von den Menschen dort war er als Gott der Nacht verehrt worden, bevor die Europäer in das Land einfielen wie eine Horde Insekten. Doch Jean Antoine hatte sich damit arrangieren können. Sein Name Yáhuántano wurde zuerst zu der spanischen Form Juan Antonios und schließlich unter dem französischen Einfluss zu seinem heutigen Jean Antoine. Als blonder Jüngling war er zwischen den europäischen Menschen nicht weiter aufgefallen und das Sterben seiner braunrothäutigen, dunkelhaarigen Landsleute machte es ihm unmöglich, sich nicht einzugliedern. Anpassung bedeutete immer überleben. Doch all die Veränderungen hatten niemals seine Liebe zu diesem Fleckchen Erde getrübt. Weil er dort das letzte Mal...

Er schüttelte den Kopf. Nun gab es Lukan. Nur Lukan zählte und die Gegenwart. Dass er so ähnlich aussah wie... wie... Nein, das spielte keine Rolle. Das war Zufall. Er hatte sich schon lange von der Idee einer Reinkarnation verabschiedet. Lukan war anders. Rebellisch, jung, unausgeglichen, störrisch und von einer Wut zerfressen, die ihm das Leben vermieste. Und trotzdem liebte Jean Antoine ihn vom ganzen Herzen.

Hinter seinen geschlossenen Lidern blitzten die schönen, ungetrübten Erinnerungen an Lukan wieder auf. Als er noch ein Mensch gewesen war. Jean Antoine hatte ihn sofort als Prohibitionsagenten entlarvt, als er in seine Flüsterkneipe stolperte. Er mimte den Betrunkenen auf der Suche nach dem verbotenen Alkohol und stellte sich tatsächlich äußerst geschickt dabei an. Doch Jean Antoine kannte den glasigen Blick von Menschen, die tatsächlich betrunken waren. Und Lukan war es nicht gewesen. Glasklar hatten seine karamellbraunen Augen seinen Blick erwidert und sich in ihm festgesaugt, nachdem ihn Jean Antoine zu seinem Tisch geladen hatte. Es war wie Liebe auf den ersten Blick gewesen, doch der Vampir hatte zu lange gelebt, um nicht von Natur aus von Zweifeln und Argwohn zerfressen zu sein.