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Finde deinen Weg

Geschichte Info
Mal etwas anderes von mir.
5.8k Wörter
4.7
3.9k
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Liebe Leserin/ lieber Leser

Bitte gestatte mir dieses Vorwort

Diese Geschichte hatte ich ursprünglich für eine sehr gute Freundin geschrieben die eine schwierige Zeit durchmachte. Sie hat mir auch die Genehmigung zur Veröffentlichung gegeben. Doch warum habe ich diese Geschichte geschrieben?

Als guter Rat? Definitiv Nein. Der Mensch ist einfach ein zu fehlerhaftes Wesen, um anderen Ratschläge zu geben. Obwohl das viele anders sehen.

Als Trost? Vielleicht. Doch findet man wirklich Trost darin, wenn man erkennt, das andere Menschen auch Probleme und Sorgen haben? Da habe ich so meine Zweifel.

Diese Geschichte soll nur eines sagen: „Du bist nicht alleine!"

Es gibt für jeden Menschen einen Freund, der einfach nur zuhört.

Ohne dumme Kommentare! Ohne blödsinnige Ratschläge!

Manchmal muss man diesen Freund nur suchen.

Und wenn man einen guten Freund hat, der einfach nur zuhören kann, zuhören will, dann, und nur dann, findet man den Weg. Den eigenen Weg.

Unabhängig von den Einflüssen anderer.

Und dies soll diese Geschichte sagen. „Finde deinen Weg!"

Wieder mal ein schöner Sommerabend.

Mit meinem kleinen Rucksack über den Schultern schlenderte ich durch den englischen Garten. Jetzt, im Herbst meines Lebens, hatte ich die Zeit und die Muße, zu tun und zu lassen was ich wollte.

Früher war das mal ganz anders gewesen. Hektisch, ständig unter Strom stehend, auf der Jagd nach Geld und Macht. Nun. Auf der Jagd war ich immer noch.

Aber anders wie früher. Der englische Garten, die Isarauen und der Viktualienmarkt waren meine bevorzugtes Jagdgebiete. Hier saß ich oft stundenlang, beobachtete die Menschen, prägte mir ihre Eigenheiten ein, machte mir Notizen, um diese Eindrücke später in meinen Büchern zu verarbeiten.

Ja. Ich bin Schriftsteller.

Ein gutes dutzend Bücher hatte ich schon veröffentlicht. Unter meinem Namen.

Dazu kamen dutzende Kurzgeschichten, die ich unter einem Pseudonym herausgegeben hatte. Vielleicht waren diese Geschichten mir peinlich!

Spielten doch in diesen Geschichten zärtliche Gefühle, Lust, Liebe und Erotik eine große Rolle. Dabei beschäftigte ich mich nicht nur mit „normalen" Paaren, sondern auch gerne mal mit gleichgeschlechtlicher Liebe, dem dritten Geschlecht oder Tabuthemen.

Es ist einfach unheimlich spannend in Personen tief einzutauchen, fiktiven Menschen Leben einzuhauchen, sich ihre Gefühlswelt zu eigen zu machen.

Dabei floss auch immer ein wenig von mir in die Hauptdarsteller meiner Romane.

Der Mensch ist eben kompliziert. Und da bin ich bestimmt keine Ausnahme.

Ganz im Gegenteil. Ich bin ganz furchtbar kompliziert. Aber wenn man das erst mal erkannt und akzeptiert hat, kann man damit eigentlich ganz gut leben.

Aber zurück zu diesem Abend.

Wie gesagt schlenderte ich durch den englischen Garten. Ziel wie immer „meine" Parkbank. Strategisch gut gelegen stand sie auf einer kleinen Anhöhe und verschaffte mir einen ungehinderten Blick auf das Geschehen ringsum.

Genug Vorlagen für dutzende Geschichten. Also alles wie immer?

Nicht ganz! Denn auf „meiner" Bank saß schon jemand. Eine junge Frau.

Grob geschätzt Anfang / Mitte zwanzig.

Und noch etwas fiel mir an ihr auf. Ihr Blick. Irgendwie verloren, zweifelnd, hoffnungslos. Die Augen ohne Glanz.

Langsam ging ich zu der Bank. „Darf ich mich hier setzen?" so meine Frage.

Ihre Handbewegung war weder eine eindeutige Bestätigung noch eine Ablehnung. Also beschloss ich ihre Geste einfach mal als ein Ja zu werten. Und so setzte ich mich an das andere Ende der alten Parkbank, musterte sie vorsichtig.

Die junge Frau schien interessant zu sein, sprach mich an. Also meine Schriftstellerseele. Saß dort die nächste „Hauptdarstellerin" einer meiner

zukünftigen Geschichten? Mal abwarten.

Ich öffnete meinen Rucksack, entnahm ihm meine große Thermoskanne und zwei Becher. Warum ich immer mehrere Becher mit mir herumschleppte ist mir übrigens bis heute ein Rätsel. Vielleicht einfach ne Marotte von mir. Oder ein Wink des Schicksals. Wer weiß das schon!

Vorsichtig goss ich den Tee in die Becher.

Einen davon hielt ich der jungen Frau hin. „Darf ich Ihnen einen Tee anbieten?"

Erstaunt hob die junge Frau ihren Blick, sah mich an. „Mate-Tee. Aus Argentinien. Etwas bitter. Aber mit einem Schuss Zitrone eine Köstlichkeit."

Freundlich lächelnd hielt ich ihr den Becher entgegen. Ich sah die Überraschung in ihrem Gesicht, als ich sie ansprach, ihr einen Tee anbot.

„Entschuldigen Sie. Meine Manieren. Ich heiße Werner. Werner Winkler. Und, nur zu Ihrer Beruhigung. Das ist keine plumpe Anmache. Ich rede einfach nur gerne mit interessanten Menschen." Ihr zweifelnder Blick wurde etwas offener.

„Sie finden mich interessant?" Ich nickte zur Bestätigung.

„Sehen Sie. Ich bin Schriftsteller. Und als solcher interessieren mich Menschen nun ein mal. Ihre Ansichten. Ihre Sorgen und Probleme. Ihre Träume. Und verzeihen Sie wenn ich das so direkt sage. Ich kenne diesen Blick. Leider zu gut. Auch von mir."

Scheinbar hatte ich ihre Aufmerksamkeit geweckt.

Ich schnupperte an meinem Tee, schloss für einen Moment die Augen. Das Aroma meines Heißgetränks weckte Erinnerungen. Schöne und Traurige.

Dann sah ich wieder zu der jungen Frau, die mich ansah, dazwischen auf den Becher mit dem Tee, den sie inzwischen in der Hand hielt.

„Verzeihen Sie einfach einem alten Mann. Wir Menschen sind nun ein mal kommunikative Wesen. Und ich vielleicht ein Extrembeispiel dafür. Ich denke, das bringt wohl mein Beruf mit sich. Obwohl ich es eher als Berufung ansehe," sprach ich weiter, grinste dabei.

Ein erstes, zaghaftes Lächeln von ihr. Hoffnung machte sich in mir breit. Hoffnung auf ein gutes Gespräch, neue Erkenntnisse über meine Mitmenschen, neue Eindrücke, neue Gedanken.

„Ich heiße Susanna," kam es leise aus ihrem Mund.

Susanna! Auch dieser Name weckte Erinnerungen.

„Susanna. Ein schöner Name. Es gab ein mal eine Susanna in meinem Leben," erzählte ich. „Ohne sie würde ich hier wahrscheinlich gar nicht sitzen."

Aufmerksam sah sie mich an, nippte an ihrem Tee.

„Mhhh. Der ist wirklich gut. Ungewohnt. Aber wirklich lecker."

„Freut mich wenn es Ihnen schmeckt, Susanna. Ich darf doch Susanna zu Ihnen sagen?" fragte ich vorsichtig. „Aber gerne Herr Winkler."

„Werner bitte. Ich heiße einfach Werner. Nachnamen sind für Geschäfte, nicht für Unterhaltungen. Nachnamen fördern Distanz. Wie soll man ein gutes, vielleicht tiefsinniges Gespräch führen, wenn man sich mit Nachnamen anspricht?"

„Also gut. Werner. Wahrscheinlich haben Sie recht."

„Bestimmt sogar. Kommt manchmal vor," grinste ich. „Ich sehe das Sie Probleme haben. Unglücklich sind. Ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten, Susanna. Aber manchmal hilft es mit einem Fremden zu reden. Einem Menschen, der nicht in die Umstände involviert ist. Der die Sache von außen betrachtet. Der keine vorgefasste Meinung hat."

Sie überlegte. Das konnte ich nur zu genau sehen. Doch noch war sie nicht soweit. „Wollen Sie mir dann Ratschläge erteilen?" fragte sie.

Ich spürte ein wenig Misstrauen.

„Gott bewahre, nein. Ich bin wohl kaum der Richtige für gutgemeinte Ratschläge. Erstens steht mir das gar nicht zu und außerdem habe ich selbst in meinem Leben viel zu viele Fehler gemacht um als Ratgeber zu dienen. Wobei ich nicht glaube, das Ratschläge wirklich weiterhelfen. Dazu sind die Menschen einfach zu verschieden. Nein. Aber ich bin ein ganz guter Zuhörer."

Das Misstrauen in ihrem Blick verschwand allmählich.

„Und ich kenne diesen Blick," fuhr ich fort. „Sie sind unglücklich. Aber vielleicht sollte ich erst mal von mir erzählen. Damit Sie wissen wer ich bin. Ich stelle es Ihnen dann frei von sich zu erzählen. Ich bin kein Mensch der Zwang ausübt. Ich biete mich nur als Zuhörer an. Es liegt an Ihnen das Angebot anzunehmen."

Ich nahm einen Schluck Tee, kramte in meinen Erinnerungen.

„Ich wurde vor gut sechzig Jahren geboren. Als Sohn reicher Eltern. Wie man so schön sagt: „Mit dem berühmten goldenen Löffel im Mund" : Ich hatte alles. Alles wovon andere nur träumen konnten. Kinderfrau, Privatlehrer, Personal-Trainer.

Alles was ich wollte, bekam ich auch. Alles was man für Geld kaufen konnte.

Das ich keine Freunde hatte, also richtige Freunde, das ich keine wirklichen Eltern hatte, das fiel mir gar nicht auf. Was man nicht kennt, vermisst man ja

auch nicht. Ich lebte in einer abgeschlossenen Welt. Ohne Kontakt zum wahren Leben. Und ich entwickelte mich so, wie es meine Eltern für mich geplant hatten. Auch das Verhältnis zu meinen Eltern war eher ein...sagen wir mal geschäftsmäßiges Keine Liebe, kein Kuscheln, keine tiefen Gespräche.

Tränen wurden als Schwäche gesehen und streng bestraft. Das Klima zuhause war kalt , fast schon steril. Geprägt von oberflächlichem Luxus und Zurschaustellung von Besitz. Nur das zählte in dieser Welt. Und man umgab sich mit Menschen, die genauso waren. Menschen mit Herz, mit Mitgefühl für andere, wurden gnadenlos aussortiert. Erfolg, Reichtum und Macht waren das einzige was zählte. Jeder ein Egoist, der ohne mit der Wimper zu zucken, andere Menschen ausbeutete, um noch mehr Reichtum, noch mehr Macht anzuhäufen.

Und ich wurde so, wie meine Eltern mich haben wollten. Nein. Sogar noch schlimmer. Ich war ein Raubtier. Ohne Gefühle. Ohne Erbarmen. Ohne Mitleid. Werder für mich, noch für andere. Schon mit Zwanzig hatte ich ein Vermögen angehäuft, das das meiner Eltern in den Schatten stellte.

Alles auf dem Rücken anderer. Mit einem Federstrich schickte ich hunderte hart arbeitende Menschen in die Arbeitslosigkeit. Und machte mit keine Gedanken darüber. Hauptsache wieder ein paar Millionen mehr auf meinem Konto. Und so wie mein Geschäftsleben, so war ich auch im Privatleben. Wenn man das denn überhaupt so nennen kann."

Susanna hatte mir gebannt zugehört, unterbrach mich nicht einmal.

Ich sah ihr an, das sie nicht alles verstand. Ich gebe gerne zu, das mein früheres Leben sehr komplex war. Und ich hatte bisher noch niemandem soviel von mir erzählt. Na ja. Stimmt auch nicht so ganz.

Einen Menschen hatte es gegeben. Einen, der alles über mich gewusst hatte.

Aber dazu später mehr.

Ein weiterer Schluck Tee, der langsam kalt zu werden drohte.

Ich fuhr fort. „Ich benutzte Menschen.beruflich und Privat. Und auch Frauen. Zu tieferen Gefühlen war ich nicht fähig. Frauen waren für mich nur Gespielinnen, Statussymbole, manchmal lästige Anhängsel, die dann schnell abgeschoben und ersetzt wurden. Ich arbeitete viel. Immer auf der Jagd nach noch mehr Geld, noch mehr Macht, noch mehr Anerkennung. Ohne Rücksicht auf mich und andere. Ich hatte eine riesige Villa und dutzende Angestellte, Gärtner und Köchinnen. Nur für mich alleine. Doch ihre Arbeit nahm ich gar nicht wahr. Machte mir auch gar keine Gedanken darüber. Ich bezahlte sie ja dafür. Und selbst darüber kümmerte ich mich nicht selbst. Dafür hatte ich ja auch Angestellte, Buchhalter etc. ."

Susanna unterbrach mich. „Hört sich nicht danach an, als wenn Sie glücklich gewesen wären. Eher einsam," stellte sie fest.

„Richtig. Aber ich nahm das gar nicht so wahr. Es war für mich normal.Ich führte das Leben meiner Eltern einfach weiter. Nur noch radikaler, noch rücksichtsloser, noch gefühlloser und noch erfolgreicher als sie.

Es zählte für mich nur Reichtum und Erfolg. Glück, Zufriedenheit, ja sogar meine offensichtliche Einsamkeit waren für mich unerheblich. Gefühle waren störend, fremdartig, falsch. Doch irgendwann bekommt man im Leben immer die Rechnung für sein Verhalten präsentiert. Früher oder später."

„Und bei Ihnen?"

„Bei mir war es eine Woche vor meinem vierzigsten Geburtstag. Der jahrelange Raubbau an meinem Körper, der ewige Stress, die ewige Unzufriedenheit, die Jagd nach Geld und Macht. Ich klappte einfach zusammen. Herzinfarkt. Mir knapp Vierzig. Drei Tage kämpften die Ärzte um mein Leben. Drei Tage immer wieder Herzstillstände. Drei Tage mehr tot als lebendig."

„Oh." Susanna schaute mich erschrocken an. „Das tut mir leid."

„Muss es nicht, Susanna. Muss es nicht. Ich glaube inzwischen, das mir diese Vollbremsung, so nenne ich sie, mir sogar das Leben gerettet hat."

„Ehrlich Werner?"

„Ja. Das ist meine Überzeugung. Zumindest hat es mir die Augen geöffnet. Ich hatte plötzlich, gezwungenermaßen, zeit. Viel Zeit. Sehr viel Zeit. Für mich. Zum Nachdenken. Mich umzuschauen. Eine ziemliche Neuerfahrung. Ich wusste erst mal gar nichts mit mir anzufangen. Ich war es nicht gewohnt. Aber zum ersten Mal hatte ich ein Gefühl. Ein sehr starkes Gefühl. Angst."

„Wieso Angst, Werner?" fragte Susanna.

„Weil ich plötzlich merkte, wie schnell alles vorbei sein konnte. Und das ich damit gar nicht anders war, wie „normale" Menschen. Und ich begann nachzudenken.

Und glauben Sie mir, Susanna. Das kann manchmal ziemlich weh tun. Ich begriff langsam, das ich mich auf einem Irrweg befunden hatte. Das ich so ziemlich alleine in dieser Welt war. Und das lag nicht nur daran, das mich niemand besuchte."

„Wirklich niemand? Nicht ein mal Ihre Eltern? Das kann ich mir nicht vorstellen."

„War aber so. So furchtbar es sich anhört. Kranke Menschen,Menschen die Zuspruch und Hilfe brauchen, passten nicht in diese Welt."

„Das ist ja furchtbar!"

„Könnte man meinen. Bei vielen anderen Mitmenschen wäre es ein furchtbarer Gedanke. Doch, eigenartigerweise, war es für mich ein heilsamer Schock. Zu erkennen, was ich bisher verpasst hatte, was mir wirklich fehlte. Und das man das Alles nicht mit Geld kaufen konnte. Mein Infarkt war ein Wink des Schicksals. Wie sagt man so schön? Ein Schuss vor den Bug.

Also beschloss ich, mein Leben zu ändern. Aber wie? Mir war bewusst, das es hart werden würde. Richtiges Leben? Damit hatte ich ja keine Erfahrung.

Ich hatte in einer Art Blase gelebt. Abgeschottet von der wirklichen Welt.

Eine Welt, in der man andere Menschen dafür bezahlt einem die Steine aus dem Weg zu räumen. Statt selber nach Lösungen zu suchen. Vielleicht war in diesen drei Tagen der „alte" Werner Winkler gestorben und ein neuer geboren worden. Wer weiß das schon. Und noch etwas war neu. In mir wuchs der Wunsch zu schreiben.

Ehrlich gesagt hatte ich vorher nie ein Buch in die Hand genommen. Geschweige denn gelesen. Tageszeitungen, Börsenberichte, ja die las ich. Aber sonst?

Und plötzlich wollte ich schreiben. Doch nicht über mich. Über wirkliche Menschen. Doch dazu musste ich erst mal lernen, was richtige Menschen denken und fühlen. Welche Sorgen und Probleme sie haben. Und so wurde ich zum aufmerksamen Bobachter meiner Umwelt. Plötzlich sah ich die Menschen, wie sie wirklich sind. Ich sah die Krankenschwester, die, obwohl unterbezahlt kaum gewürdigt und ständig Überstunden machend, trotzdem für jeden Patienten ein freundliches Lächeln und ein paar aufmunternde Worte hatte. Trotz der Doppelbelastung durch Kinder, die ja viele von ihnen außerdem hatten. Und ich begann sie dafür zu bewundern.

Oder die Ärzte im Praktikum. Zwei Jahre Schicht- und Wochenendarbeit ohne Bezahlung, nur um irgendwann anderen Menschen helfen zu dürfen.

Pfleger, Sanitäter, ehrenamtliche Helfer. Oder pflegende Angehörige. Alles bewundernswerte Menschen die viel zu wenig beachtet werden.

Am Anfang hielt ich mich noch abseits, beobachtete nur. Doch nach und nach suchte ich das Gespräch mit all diesen bewundernswerten Menschen. Und was ich da teilweise erfuhr erschütterte oft genug mein bis dahin geltendes Weltbild. Diese Menschen waren keine Verlierer, so wie ich das früher oft geglaubt hatte.

Die allermeisten von ihnen waren Gewinner. Denn sie hatten etwas, was ich nie hatte. Eine liebevolle Beziehung, ihren Traumberuf oder ein Hobby das sie ausfüllte. Und sie hatte Gefühle. Sie verspürten Liebe, Trauer, aber auch eine innere Zufriedenheit. Und die allermeisten hatten Familie, Freunde, Arbeitskollegen, die sich um sie sorgten, mit ihnen lachten und sie trösteten.

Eigenartigerweise verspürte ich keinen Neid, das sie etwas hatten, was ich nie besessen hatte. Im Gegenteil. Ich konnte mich für sie und mit ihnen freuen.

Dort im Krankenhaus, und später in der Reha, entstand mein erster Roman. Geprägt durch meine Eindrücke, der Begegnung und den Gesprächen mit den Menschen um mich herum."

Ich hielt die Thermoskanne in die Höhe. „Noch einen Tee, Susanna?"

„Sehr gerne Werner. Sie sind ein außergewöhnlicher Mann, wenn ich das sagen darf."

„Ehrt mich, das Sie das so sehen, Susanna. Aber ich denke eher das ich gar nicht so außergewöhnlich bin. Die Menschen die täglich den Kampf um ihr Leben, ihre Zukunft und ihr Auskommen führen, die sind außergewöhnlich. Was dagegen hatte ich bisher schon geleistet? In Wirklichkeit gar nichts! Ich hatte nur Geld. Gearbeitet hatten andere dafür. Nicht ich. Und plötzlich bekam ich mit wie schwer es andere Menschen in ihrem Leben oft hatte.

Alleinerziehende Mütter, die kaum einem gutbezahlten Job nachgehen konnten weil sie ja auch kleine Kinder zu versorgen hatten. Und Kindergarten- und Hortplätze sind ja noch immer Mangelware. Und die Beiträge oft unverschämt hoch, während Eltern, die den ganzen Tag zu Hause rumgammeln meist nichts bezahlen müssen.

Oder Rentner, deren Rente viel zu niedrig ist obwohl sie sich ein Leben lang abgerackert hatten. Oder junge Menschen, die ihrem tristen Elternhaus entkommen wollen, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen und etwas bewirken wollen. Junge Familien mit geringem Einkommen. Oder behinderte Menschen. All diese Menschen werden in unserer Ellbogengesellschaft an den sozialen Rand gedrückt.

Bezahlbare Wohnungen kaum vorhanden. Hilfsangebote viel zu wenig.

Nachhilfe kaum bezahlbar. Und das ist ja nur die Spitze des Eisbergs.

Und der Staat zieht sich immer mehr zurück. Na ja. Und wir Superreichen hatten sich ja schon lange aus dem Ganzen verabschiedet."

„Sie gehen ganz schön hart mit sich ins Gericht Werner. So schlecht ist die Welt nun auch wieder nicht. Es gibt doch immer noch Menschen, die sich um andere sorgen, ihnen Hilfe anbieten," erwiderte Susanna.

„Stimmt schon. Aber ihre Zahl wird immer geringer. Und die großen Hilfsorganisationen können Sie vergessen. Ist Ihnen bewusst, wie viele der Spendengelder dort in der Verwaltung „versickert"?"

„Nein. Nicht wirklich," gab sie zu.

„Teilweise siebzig Prozent und mehr. Oder dachten Sie wirklich ein Filmstar oder Sportler würde seinen Namen und sein Gesicht umsonst bereitstellen? Nein. Da fließen oft sechsstellige Summen pro Jahr, nur um den Star als Werbefigur nutzen zu können." „Ist das wirklich so schlimm?"

„Oftmals schon. Leider. Und so beschloss ich zu helfen. Geld hatte ich ja mehr als genug. Aber keine Kontakte. Und keine Erfahrungen. Nur den Wunsch etwas Nützliches zu tun. Und so begann ich Menschen zu suchen, die anderen helfen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Schnell bekam ich Kontakt zu kleinen Hilfsorganisationen die vor Ort, manchmal nur im eigenen Stadtviertel, ihre Hilfe anboten. Natürlich war man mir gegenüber erst mal misstrauisch. Verstand ich nur zu gut. Und es brauchte schon so einiges an Überzeugungsarbeit, das ich es ernst meinte. Und dann traf ich Sie. Susanna. Meine Susanna."

Ich unterbrach. Erinnerungen. Trauer. Schmerz. Tränen in den Augen.

Ich musste erst mal tief durchatmen, nahm einen großen Schluck Tee der inzwischen kalt geworden war. Mein Blick schweifte in die Ferne. Schon lange nicht mehr waren meine Erinnerungen an Susanna so heftig gewesen.

„Haben Sie sie geliebt?" Leise und vorsichtig kam ihre Frage.

Ich sah die junge Frau vor mir an. Die Frau, die den selben Namen trug wie meine große Liebe. Meine einzige Liebe.

„Sehr. Sie war meine große Liebe. Die einzige die ich jemals geliebt habe. Als ich sie kennen lernte, war es als ob mich ein Blitz trifft. Liebe auf den ersten Blick. Wunderschön, klug und ein Herz aus purem Gold. Sie nahm mich, den unerfahrenen Milliardär an ihre Hand, zeigte mir worauf es im Leben wirklich ankommt." Wieder stieg die Trauer, der Schmerz in mir hoch.

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