Swipe, um zu sehen, wer jetzt online ist!

Für meine Flötenlehrerin

Geschichte Info
Nach Jahren sieht er seine Salzburger Lehrerin wieder.
7k Wörter
3.93
14k
0
Teile diese Geschichte

Schriftgröße

Standardschriftgröße

Schriftabstand

Standard-Schriftabstand

Schriftart Gesicht

Standardschriftfläche

Thema lesen

Standardthema (Weiß)
Du brauchst Login oder Anmelden um Ihre Anpassung in Ihrem Literotica-Profil zu speichern.
ÖFFENTLICHE BETA

Hinweis: Sie können die Schriftgröße und das Schriftbild ändern und den Dunkelmodus aktivieren, indem Sie im Story-Infofeld auf die Registerkarte "A" klicken.

Sie können während unseres laufenden öffentlichen Betatests vorübergehend zu einem Classic Literotica® Erlebnis zurückkehren. Bitte erwägen Sie, Feedback zu Problemen zu hinterlassen oder Verbesserungsvorschläge zu machen.

Klicke hier
EmaSen
EmaSen
19 Anhänger

Ich besuche meine Flötenlehrerin in Salzburg... nicht. Wegen Corona. Sie hätte mich sowieso niemals bei sich schlafen lassen...

***

1

Es war dämmrig im Abteil. Obwohl es noch später Nachmittag war, klebte die Dunkelheit bereits in den Ecken wie Augenränder auf den grünen Sitzen. Ich war den ganzen Tag unterwegs gewesen, von Frankfurt über München und die letzten schmuddeligen Karottenfelder vor den Bergen Österreichs, denen Salzburg das Tor war. Das Abteil war fast leer -- nur hinten unter einem zum Zerreißen ausgebeulten Gepäcknetz schlumpte ein Mädchen, schwarzbemalt, in der Ecke und nieste. Die Stimmung war angespannt; eben war eine Mutter mit ihrem Kind unauffällig in den nächsten Waggon verschwunden.

Ich war dem Zug und dem Sauwetter draußen in Gedanken weit voraus. Immer wieder streifte es mich wie am Rande meines Bewusstseins, und quälte mich, wie eine unsichtbare Mücke über der Bettdecke: das Schwenken einer Hüfte vor einer vermüllten Ein-Zimmerwohnung; schimmernde Haut, leicht fleckig und pinke Spitze. Weiter ging es nicht. Aber irgendwie ein Gefühl von Enge, Goldheit, Bekanntschaft --

»Schauns mal chrüber, bittschö --« Eine laute Stimme im Abteil. Ich schreckte auf. Die Uniformmütze des Schaffners ragte über die Kopflehnen; er hatte am Abteilende bei dem Mädchen zu schaffen. Das versprach Ärger. Ich hörte ihre Antwort nicht; es war wohl ein bloßes Gemurmel oder sie schwieg ganz. Der Schaffner blieb geduldig, wenn auch seine Stimme an Nasalität zunahm.

»Junge Doam -- I muss ans dis Gerät an Ihr Stirn richten -- Des tuat niet a mol weh.«

Ich spähte an der Lehne des gangseitigen Sitzes vorbei. In der Hand hielt der Schaffner ein futuristisch anmutendes Gerät, medizinisch weiß, grünlich blinkend, irgendwie zu lebhaft für diesen düsteren Nachmittag. Wie eine Sci-Fi-Pistole richtete er es vor, in der Erwartung, das Mädchen würde seine Stirn darbieten. Sie sah nicht so aus wie der Typ Jugendlicher, die mit dem Schaffner auf Du und Du standen.

»Madaam -- Wenn S' weiter a-woigern muss ich davon ausgähen, dass S' wos zu verbergen hoam. I hans Sie a-nießen ghört -- das wissen Sie.«

Ich lehnte mich wieder zurück in meinen Fenstersitz. Raue Zeiten. Ich war dankbar, dass das Abteil leer war.

Jetzt wurde die Stimme des Mädchens doch laut, bissig, aber weiterhin zu vernuschelt, dass ich es hätte verstehen können. Vielleicht war es auch kein Deutsch. Jedenfalls hatte der Schaffner wohl einen Notizblock gezückt.

»Noa, des müssen mir a-melden. So leids mir a tut.«

»Lassen Sie --« Doch das Mädchen: helle Stimme. Sie verstummte, denn hinter der aufgleitenden Abteiltür machte sich die Drohkulisse eines weiteren Schaffners bemerkbar. Ein bulliger Typ.

»Ah -- Josh, gut, dass...«

Aber Josh schien nicht interessiert. Er schob seinen breiten Brustkorb stoisch durch die Sitzreihen und passierte mich mit glasigen Augen. Was da wohl wieder los war, weiter hinten im Zug? Mir wurde mulmig. Das waren Zeiten, in denen nichts mehr hielt. Daheim hatte vor zwei Tagen alles dicht gemacht, was keine Kranken aufnahm oder Nudeln anlieferte. Es war überhaupt ein Wunder, dass noch Züge fuhren.

Ob das Mädchen jetzt eingeschüchtert genug oder dem Schaffner die Nerven durchgebrannt waren: Kurz darauf dirigierte er sie am Arm gepackt den Gang hinauf, seinem Kollegen folgend zum Zugkopf. Was immer sie dort erwartete -- vielleicht ein Quarantäneabteil? Sicherlich keine Heimfahrt. Das muss ihr auch aufgegangen sein in diesem Moment -- denn ihre schwarzkajalten Augen füllten sich mit trotzigen Tränen. Vielleicht war sein Griff auch einfach nur zu fest.

Gerade als sie mich passierten warf ich betont ein: »Herr Schaffner, möchten Sie bitte noch mein Fieber messen?« und guckte ihm so unschuldig bürgerlich ins Gesicht, wie ich konnte. Der lächelte gequält -- aber hob trotzdem seinen blinkenden Phaser, um meine Infrarotstrahlung abzugreifen. Das Gerät schloss mit einem abwiegelnd tiefen Pfeifton ab und ich hatte nichts mehr getan, als die Prozession zu verzögern. Immerhin fühlte sich das Mädchen nicht mehr ganz so allein in der Opferrolle.

*

Das waren hinterm Fenster schon die Ausläufer Salzburgs. Neben uns schlängelte sich die Salzach durch erwachenden Regen. Die Brücken nahmen zu. Nun war es ganz still im Zug. Derart allein gelassen wanderten meine Gedanken wieder vor, oder auch zurück -- -- zwei Jahre war es her, mindestens. Ich war noch jung gewesen, geradezu klein. Alles ändert sich so schnell. Wie ich hineintrat, stets mulmig, der Klassenraum verwaist bis auf eine Flötentasche und ihr Parfum. Sie war meine Flötenlehrerin gewesen, bis über die Abiturszeit hinaus. Ich hatte immer zu wenig geübt. Und sie war immer nachsichtig gewesen. Hatte mich geduldig in die oberen Oktaven und durch die zahllosen gespreizten Läufe angeleitet, ein ständiges auf und ab der Töne, als säßen wir gemeinsam in der Ladefläche eines Pick-Ups. Wir waren auch zu vielen Wettbewerben gefahren; Übernachtungen in Jugendherbergen, getrennte Zimmer; ein einziges Mal sie im Pyjama. Nichts besonderes, nicht einmal das Lächeln flapsiger, nur die ewige nachsichtige Wärme gegen den kleinen unfertigen altklug beklommenen Schüler.

Später war dann der Bruch gefolgt -- ein VWL-Studium. Man hatte sich im Guten aus den Augen verloren. Und sie mich noch zuletzt, ich ging gegen Neunzehn, allein angesehen als den Schüler, als könne sie mir die Jahre noch bis zur Elfjährigkeit hinunter abstreifen, mit der ich zum ersten Mal, die Hand des Vaters vertraulich im Nacken, nach Schulschluss vor der schäbigen Klassenraumtür wartete.

Hätte sie damals schon einige meiner Jugendträumchen gekannt -- Und kennte sie die Durchsetzungskraft, die mein Studium mir heutzutage abverlangte. Sie hatte sich dennoch nie unbefangen gegeben. Sie war eine distinguierte Frau, stets aufrecht, stets grazil, aber chaotisch bis aufs letzte. Ein paar Monate war ich ihr erster Schüler am Tag gewesen. Das hatte in zahlreiche Nachholstunden zu unmöglichsten Zeiten gemündet; bis zum späten Abend hatte ich in der Schule ausgeharrt, allein zwischen Erdkundebüchern und den liegengelassenen Sporttaschen von Mädchen...

*

Ungefähr so stellte ich mir auch ihre Wohnung vor. Und mit dem gleichen Gefühl stand ich eine Stunde später im Flur des Mehrfamilienhauses. Als öffnete ich eine Mädchensporttasche: Das Gefühl des Verbotenen, des Einbruchs in ein angeborenes Geheimnis, die Erwartung von Schmuddeligkeit, aber auch Schönheit in der Form.

Ich hatte den Regen draußen gelassen. Den Lichtschalter fand ich nicht. Irgendwo klonkte etwas metallisches an den Rohren. Die Anweisungen meiner Lehrerin per Whatsapp zogen mich ins zweite Stockwerk; Kunstdrucke zierten die Treppenhauswand. Eine gehobene Nachbarschaft.

Dort die Tür -- kalkweiß, ein kleiner Türspion wie ein dunkles Nippelchen und die Zimmernummer: 031. Meine Reisetasche landete lautstark auf dem Vorleger. Auf einmal war ich aufgeregt. Ich war ein anderer Mensch geworden. Ich wusste, was ich wollte -- nicht wie damals, als meine Eltern mir ein Musikstudium aufdrücken wollten, und die Lehrerin Wünschen nachgeben, die ich nicht trug. Sie musste gleich geblieben sein. Ich imaginierte ihr bekanntes Lächeln, als ein Klacken im Türschloss sprang und einem goldenen Schlitz sich öffnete.

Dort stand sie, im altrosanen Chiffonkleid, zur Seite gedehnt, wissend lächelnd, breiter grinsend, mich in die Arme schließend. Dann, halb zugewandt, einlassend. Sanft drückten sich ihre Kurven durch.

Ich ›checkte sie aus‹ wie Kommilitoninnen auf einer Party. Es musste ihr auffallen. Sie ignorierte meine Blicke, zog einen unsichtbaren Klafter Chiffon enger um die Brust -- vielleicht war sie das von ihren älteren Schülern gewohnt.

Sie war hochaufgeschossen, auch wenn sie keine Stöckel trug, und ihre lockigen dunkelblonden Haare gossen sich aufgesteckt wie ein Tannenzweig ihre Schulterblätter hinab. Ihr Parfum warf mich augenblicklich zurück in die Vergangenheit, wie ich ihr so durch den verdunkelten Flur, mit der absichtlich unbeleuchteten Einbauküche, ins goldene Wohnzimmer folgte, welches auch das einzige Zimmer der Wohnung war. Ihr Bett war mit einem überfließenden Seidendrapée bedeckt, welches Blüten und Vögel zeigte.

Ich nahm einen Schritt vor, um zu schnuppern. Sie merkte auch das: Die Spannung war eigentümlich willkommenheißend -- ich übertrat mit ihrer Wohnungstür eine Schwelle, die uns unserer über acht Jahre gefestigten Positionen enthob. Das hier war entschieden privat. Hier gab es keinen Stoff zu vermitteln -- -- oder -- wie ich, jetzt ein wenig über mich selbst amüsiert an ihr hinabblickend bemerkte -- vielleicht schon. Ihr Kleid war knöchellang. Darunter rumorte es; sie musste über einige herumliegende Kissen steigen.

Ich blickte umher; Ihre Versuche, aufzuräumen erwiesen sich als haltlos. Auf dem Teppich kreisten willkürlich Kissen umher, lange Bahnen von Wolldecken komplettierten das kuschelige Konzert. Teetassen säumten die schmalen Fenstersimse, hinter denen dunkle Salzburger Nacht stand; im Regen durchhängende Oberleitungen der E-Busse.

Ein mit Couscous- und Müslischachteln zugestapeltes Quadrat zur linken, zwischen zwei grünen Vorhängen, war wohl der Esstisch. Er war so klein, dass nicht die Sitzflächen beider Stühle gleichzeitig darunterpassten.

Wir hatten ausgemacht, dass ich hier schlafen würde. Ich hatte noch einen Onkel in der Stadt, der allerdings konnte mich nicht aufnehmen. Auch sie hatte nur dieses Zimmer; aber eine schmale Faltmatratze hatte sie mir dennoch bereitlegen können. Zum Fußende ihres Bettes; wir würden nicht nebeneinander schlafen. Diese Fragen waren auf später verschoben; Sie waren ungelöst.

Wir hatten jetzt einige Meter Abstand voneinander, weil sie spielerisch den Arm über ihrem Domizil kreisen ließ. Die Begrüßungsszene war zum halten gekommen; die Annäherung, die konventionell war, abgehandelt, wenn auch herzlich. Noch vor zwei Jahren hätte mich das verunsichert; so aber fing ich eigenmächtig an, die Packungen auf dem Esstischquadrat an die Wand zu türmen, damit wir dort essen konnten.

»Sollen wir dann gleich essen? Du könntest ja schonmal einzwei Teetassen ausspülen.« bemerkte ich beiläufig. Obwohl ich meine Augen auf den Pappschachteln ließ, entging mir nicht, wie sie einen Moment zurückzuckte, bevor sie mit vorsichtigen Bewegungen zwei Tassen vom Fenster nahm. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass ich die Führung übernehmen würde.

Wir schwiegen, während der Wasserhahn rauschte. Vielleicht ärgerte sie sich auch über sich selbst, dass sie nicht direkt einen Willkommenskaffee vorbereitet hatte; dann hätte ihr Besucher, ihr ehemaliger Schüler, gar nicht das Ruder ergreifen müssen. Es war ja auch wirklich peinlich gewesen, da so unschlüssig auf dem Teppich rumzukreiseln. Sie war ja nun selbst keine 14 mehr und wusste...

»Trinken wir noch Kaffee, oder schlafen wir dann nicht mehr ein?«

Da war es wieder dieses »schlafen«. Nicht, dass es ihr im Chat nicht schon aufgestoßen war. In dem Wort ballte sich fühlbar Unsicherheit zusammen, die er überspielte. Oder war es ihm ganz gleich, dass er -- mit ihr in einem Raum hieß das -- seiner Lehrerin...?

»Ganz wie du willst!« lachte sie zurück. »Bist du nicht auch ein... ›Nachteulerich‹? Ich würde eh vor Zwei nicht schlafen.« Sie spülte jetzt mit etwas eckigeren Bewegungen. Auf einmal fühlte sie sich beklommen. In dem engen Zimmer. Wie sollte das noch werden?

»Zwei? Was solln wir denn den ganzen Abend anstellen?«

Sie drehte sich von der Spüle zu ihm, ihre Augen weiteten sich erschrocken. Da drapierte er sich so über der Tischkante und seine Augen stachen herausfordernd. Ihr Rock war plissiert. Fiel großzügig über ihre Knie, die jetzt zwei Falten ausbeulten. Das war nicht der Schüler, den sie in Frankfurt zurückgelassen hatte.

Aber sie lächelte nur nachsichtig und meinte: »Hast du deine Flöte dabei?«

Ha. Das traf ihn. Er knautschte seine Miene zusammen. »Jaa... schon... aber...«

»Wir müssen ja auch nicht.« sprang sie ihm bei.

»Ja, sehr richtig.«

Für den Moment war sie beruhigt. Das waren ihre Zügel. Es war ja immer noch ihre Wohnung -- und er... ein fremder Mann?

*

»Hm --« Sie schluckte hinunter -- »Mh möchtest du n Glas Wein? Trinkst du schon Wein?«

»Mit Wasser verdünnt.« gab ich zu.

Sie stand auf; meine Augen folgten ihr, ihrem Gesäß. Ich war nun zunehmend aufgereizt, das muss ich zugeben. Ich folgte ihren fließenden Bewegungen mit ungewohntem Hunger. Es passte nicht, nicht dahinein, wie es sonst war zwischen uns. Wir saßen beim Taboulé, zwei gelbe Häufchen auf dampfenden Tellern. Uns war beiden warm. Die Unterhaltung erstickte darin. Aber das hintergründige Hecheln hinter unseren stockenden Worten war wahrzunehmen. Und es verunsicherte uns beide. Wir waren längst schon im Sog.

Sie kehrte mit dem verdünnten Wein zu mir zurück. Ich hatte mich eigentlich auf die Frage vorbereitet, wie dünn ich ihn den haben wolle; aber wie es aussah, hatte sie den Alkoholgehalt für mich entschieden. Hälfte-Hälfte. Fifty-Fifty.

Wir plauschten richtungslos. Studium, Wohnung, Reisepläne -- Sie fragte bewusst nicht nach Mädchen. Ich hatte schon einen Klumpen in der Brust, als ich zum ersten Mal ihren Fuß streifte. Wir saßen ohnehin schon vornübergebeugt, weil unsere Knie kaum Platz hatten unter der schmalen Platte. Und sie brauchten ja weiterhin ihre zwanzig Zentimeter Sicherheitsabstand. Sie trug weiße Halbschuhe mit schwarzen Lackspitzen. Ich glaubte nicht, dass sie immer in ihrer Wohnung Schuhe trug -- nur heute war es irgendwie formell.

Ob sie die Berührung gespürt hatte? Sie schaute weiterhin ihrem Teller ins Gesicht, als hätte sie eine stumme Parallelunterhaltung. Es fiel uns beiden schwer -- wir hatten nie viele Themen gehabt abseits von betonten oder unbetonten Phrasierungen in Bach-Sonaten.

»'S Lecker.« improvisierte ich, als die Seite ihres Schuhs ein weiteres mal an meinem Fuß entlangpendelte.

Wir hatten gemeinsam Gemüse geschnitten. Ich hatte das Rezept gesehen. Aber das Gespräch war mittlerweile so leer geworden wie unsere Gedanken, die langsam etwas Anderem platzmachten.

Sie sah auf und lächelte nachsichtig. Ihre Miene war schon eben darin erstarrt. »Weißt ja jetzt, wie es geht.«

Nun hatte ihr Fuß angehalten. Meine eigene Innenwölbung vibrierte scharf gegen das Bündchen ihrer weißen Außenwand. Die Berührung war intensiv. Wir stockten beide, kauten, aber schluckten nicht.

Wir hatten also den Mund voll. Eine Entschuldigung, es unkommentiert zu lassen. Ich spürte, wie ihr Schuh wieder der Anrainung zu meinem entkam, ein weiterer Pendler. -- Mein zwei Jahre jüngeres Ich schrie mir zu meine Flöte ohne Auswischen einzupacken und nach Hause zu laufen. Dann griffen meine beiden Füße geschlossen zu. Ganz präzis -- sie musste es nicht einmal spüren durch den lackierten Stoff.

Erst als es an ihren Hacken schleifend abglitt und das Klackern, mit dem ihre Sohle zu Boden fiel über die Tischplatte reichte, mussten wir es uns vorspiegeln.

»Das Geheimnis... Ist der Essig.« murmelte sie, betont.

Ich schauderte. Mein Spann hatte für einen winzigen Moment ihre Strumpfhose und ihre Sohle touchiert. Die Berührung war kühl gewesen, gleitend, unverbindlich -- elektrisierend. Polyester -- das elektrische Ticken schlug hinauf über unsere Knie.

Nach der Willkommensumarmung war dies die erste Berührung dieses Abends. Ich war als Freund in diese Wohnung eingetreten. Nun war ich etwas Schleichendes für sie. Etwas benebelndes. Sollte sie sich wehren?

*

Zähneputzen. Peinlich privat. Schaum um den Mund. Ich stand schräg hinter ihr. Vor ihr, sie gleichsam einkeilend der große Spiegel. Zwei Ichs, vorne und hinten.

Die Zahnbürste steckt in meinem Mund. Ich habe sie hängenlassen, auch wenn der Schaum jeden Moment überzuschwappen droht. Da ist wie eine unwillkürliche Spannung zwischen meinen Handflächen, die sich einander zuwenden und sich zu beiden Seiten ihres Beckens zusammenziehen. Ihr Körper ist an ihrem Becken abgeknickt über das Waschbecken. Die Handflächen sinken darauf, halt -- die Spannung wird unerträglich. Unter dem Chiffon schimmert es jetzt deutlich hindurch -- der Ansatz eines Höschens, mehr noch: ein spitzer Beckenknorpel. Als schöpfte ich ihr Becken -- das Becken einer Frau.

Vor mir, meine Lehrerin, schrubbte unverbindlich weiter in ihrem Mund herum, vorgebeugt -- den Blick starr: nicht im Spiegel, sondern in der Kante des Waschbeckens, wo es gummiert an die Wandfliesen eckt.

Im Spiegel ich, der ich ihr Becken gleichsam nichthalte, als imitierte ich einen Bilderrahmen. Ich nehme sie weg, fühle mich alleingelassen.

*

Sie hat sich nicht gewehrt. Der Gedanke gebärdet sich wie ein Homewrecker in ihrem Geist. Da stand der impertinente Junge da, mit seinen Händen nur beinahe nicht an -- an meinem Becken, bedenke erst meiner Taille! Ich habe nicht geguckt, das war richtig. Ich hätte mich aufrichten können. Ein geblubbertes Gespräch einschieben können.

Draußen wird er sich jetzt gerade umziehen. Hoffentlich. Hoffentlich nicht erst stehend in der Dunkelheit, wenn ich im Bett liege und mein Blick an der Decke hinabgleitet bis... zu ihm hinunter und seinem an sich werkelnden Körper. Wenn ich -- wieso nicht?

Sie stand einen Moment starr und sah sich in die Augen. Die waren trübe geworden. Wie ihre Haut, trübe und fleckig. Ihr BH saß tief, wenn man die Cups herausnahm, sackten ihre Brüste bereits ab, so wenig auch an ihnen dran war. Wie war es gewesen, als sie Siebzehn gewesen war? Sie sah sich in die Augen und inspizierte ihre Pupillen, diese im gelben Dämmerlicht hungrigen Pupillen, so menschlich und doch so fremd, wie ein Alien. Ihr Kleid glitt wie ein gehauchter Atem an ihr zu Boden, so leicht war es gewesen. Hatte sie es nicht extra schon angezogen, war nicht das schon eine bewusste Entscheidung? Ich sollte nachsichtig sein mit ihm. Vielleicht hatte ihn ihre sich durchdrückende Unterwäsche abgelenkt. Verständlich für sein Alter.

Als der Junge sechzehn gewesen war, war ihm einmal ein Lapsus unterlaufen. Ich hatte ihm eine besonders schwierige Stelle selbst vorgespielt, und immer wieder häppchenweise Erklärungen eingeworfen. Er hatte Stich um Stich widersprochen, also wollte ich ihn noch nicht selbst wiederspielen lassen, bis er nicht die gesamte Stelle einmal richtig angehört hätte.

Da plötzlich hatte er mich angepfiffen, zwei Töne, eine fallende Terz ungefähr, um meine Aufmerksamkeit zu erlangen, die gerade voll im Stück war. Wie man einen Hund anpfeift, der sich im Kauknoten verbissen hat.

Sie erinnerte sich an den Ärger, der in ihr aufgeflammt war. Ohrfeigenverdächtig, fand sie. Geschimpft hatte sie: »Was soll das denn -- ich bin doch nicht dein Pfiffi! Also das verbitte ich mir!«

Sie schimpfte sonst nicht. Vor allem nicht so giftig. Aber das hatte ihre Grenzen gesprengt. Den Rapport seiner Lehrerin herzupfeifen. Sie spürte sich bis heute rot werden.

Eine solche Impertinenz hatte der Junge sich nachher nie mehr erlaubt. -- -- Bis eben.

Und sie? Sie bedachte sich selbst und die Fliese, die sie eben scheinbar wohlmeinend und nichtsahnend im Zähneputzen angestarrt hatte, mit Verachtung. War sie jetzt sein Pfiffi? Halsbandverdächtig, meine Liebe.

Sie wählte ihren hässlichsten, minzgrünen Pyjama.

*

Sie gingen also doch früh schlafen. Das Zähneputzen nach dem Essen hätte ja auch eine Bläser-Marotte von ihr sein können -- er hatte das kommentarlos angenommen. Aber jetzt verlosch das Deckenlicht noch bevor der Badezimmerspalt sich weit genug geöffnet hatte, sie durchzulassen. Sie musste mit ihren Fingern hinausgetastet haben nach dem Lichtschalter. Hinter der Flurecke konnte er die Tür nicht einsehen.

Jetzt bekam er doch Muffensausen. Er saß im dunkeln. Hatte er was falschgemacht? Die Szene am Tisch mit ihrem Schuh? War der nicht eher zufällig vom Fuß abgefallen? Hatte er überhaupt -- was hatte er nochmal im Zug gedacht? Für rattigen Unsinn. Wie hatte er sich nur so lüstlich geben können -- die jahrelange Freundschaft aufs Spiel zu setzen mit einem einzigen steifen -- -- Und was sollte der Mist im Badezimmer! Was hatte er aus ihrer Hüfte herausbeschwören wollen?

EmaSen
EmaSen
19 Anhänger