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Galaverse-Story: Unvollständig

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Die nächste Siedlung lag fast fünfhundert Kilometer von meiner Hütte entfernt. Trotzdem musste ich weder Hunger leiden, noch mich von Soylent Green ernähren. Einmal pro Woche erhielt ich Besuch von einer grossen Transportdrohne, die mich mit frischen Lebensmitteln und was ich sonst noch alles zum Leben brauchte versorgte.

Ich war hier draussen ganz alleine. Und ich hätte es nicht anders gewollt. Während ich in Rom meine Wohnung und mein Labor nur selten verlassen hatte, hatte ich es mir hier angewöhnt, jeden Tag einen Spaziergang zu machen. Dieses tägliche 'Kopf lüften' erwies sich als wahrer Segen, denn es gelang mir innerhalb von zwei Monaten, die meisten Probleme welche mich davor zum Teil jahrelang beschäftigt hatten, zu lösen. Ich stand inzwischen tatsächlich kurz vor dem Ziel. Alles, was jetzt noch fehlte, war ein Test. Beziehungsweise ein Testsubjekt.

***

Ich sass auf der Veranda, auf dem Schaukelstuhl den ich selbst gezimmert hatte und beobachtete gebannt einige Rentiere, die unten am Fluss ihren Durst löschten. Ich schoss mit meinem ComPad einige Bilder. Vielleicht würde sich ja eines der Bilder als Vorlage eignen. Eines der wunderschönen Tiere blickte kurz neugierig zu mir hoch, bevor es sich wieder dem Wasser zuwandte. Ein Geräusch aus dem Unterholz verschreckte die Vierbeiner, und sie ergriffen die Flucht. Ich versuchte auszumachen, was sie erschreckt haben mochte und konnte für einen kurzen Augenblick eine graue Gestalt ausmachen, die ihnen offenbar hinterherjagte. War das etwa ein Wolf? Ich überprüfte auf meinem ComPad, ob dies tatsächlich der Fall war. Man hatte mir gesagt, dass sämtliche gefährlichen Tiere mit signalgebenden Nanobots ausgestattet worden waren. Doch die App auf meinem ComPad meldete keine entsprechende Fauna in meiner Nähe.

Ich kehrte in mein Büro zurück und überprüfte ein letztes Mal die Ergebnisse meiner Simulation. Alles im grünen Bereich. Keine Fehler. Keine Abweichung. Kein Grund, es länger hinauszuschieben. Zeit, Theorie in die Praxis umzusetzen.

Ich überlegte, ob ich Marius anrufen sollte, um mir ein Shuttle schicken zu lassen, welches mich nach Ornellas Beauty bringen würde. Doch ich entschied mich dagegen. Die Auswahl eines geeigneten Kandidaten konnte ich ebenso gut Marius überlassen. Das war, hinsichtlich der praktischen Umsetzung, sowieso die bessere Vorgehensweise. Ich hätte vermutlich an jedem Kandidaten irgendetwas auszusetzen gehabt und Tage, wenn nicht gar Wochen, damit verbracht, jemanden auszuwählen. Doch wenn das von mir entwickelte Verfahren tatsächlich etwas taugte, dann musste es bei jedem Kandidaten gleichermassen angewendet werden können. Derweil konnte ich unterdessen die Zeit nutzen, um das Gästezimmer einzurichten und weitere Simulationen mit unterschiedlichen Parametern durchführen lassen. Ja, das war ohne jeden Zweifel die bessere Vorgehensweise. Wen auch immer mir Marius schicken mochte. Es würde ein passender Kandidat sein.

*** Kapitel 05: Das Baby (aus Kearas Sicht) ***

Die Blicke waren das Schlimmste. Viele sahen mich an, als sei ich eine aus einem Zirkus entflohene Kuriosität. Damit konnte ich umgehen. Aber in den Augen der meisten war jenes Gefühl zu lesen, welches ich am meisten verabscheute: Mitleid. Mitleid mit dem armen Krüppel.

Ich hatte in der Magnetbahn nach OB das ganze Abteil für mich alleine. Selbst im daneben liegenden Abteil hatte sich niemand hingesetzt. Als ob ich eine ansteckende Krankheit hätte. Am liebsten hätte ich den vorbeilaufenden Leuten, die mir jeweils einen verstohlenen Blick zuwarfen, entgegengeschrien, dass man sich an 'Arm- und Bein-Verlieritis' nicht anstecken konnte. Doch ich liess es sein. Im Moment beschäftigte mich Wichtigeres.

Der Chefarzt, Marius Feinbaum, hatte mich nach Ornellas Beauty zitiert, um 'etwas' mit mir zu besprechen. Er hatte mir nicht gesagt, worum es ging, doch ich konnte es mir denken. Vermutlich hatte Roberta, dieses Miststück, mich verpetzt. Oder vielleicht hatte Sean dem Arzt einen Bericht über meinen Gemütszustand geliefert. Vielleicht wollte er mir nun das übriggebliebene Geld wegnehmen. Oder, noch schlimmer, mich einweisen lassen. Fuck. Ich hätte wohl doch eher Schluss machen sollen, als ich noch Gelegenheit dazu gehabt hätte. Aber ich hatte noch, wenn auch aus der Ferne, den Pirate Day miterleben wollen. Es hiess, dass an dem Abend ein brennendes Schiff mit altertümlichen Kanonen unter Beschuss genommen werden sollte. Offenbar hatte man dies schon ein Jahr zuvor getan, was gemäss einhelliger Meinung der lokalen Nachrichtensprecher DAS Highlight in Pirate Bay gewesen war. Allem Anschein nach hatte die Stadtverwaltung beschlossen, daraus ein alljährliches Event zu machen. Ich hatte das noch sehen wollen, bevor ... ich dem Gras von unten beim Wachsen zusah. Und somit hatte ich wohl die Chance vertan, mein Leben nach meinen eigenen Bedingungen zu beenden. Fuck.

Dies war daher auch der einzige Grund, warum ich mir an diesem Tag kein Primal Scream gegönnt hatte; Ich musste diesen sternverdammten Arzt davon überzeugen, dass mit mir alles in bester Ordnung war. Dass es nicht den geringsten Grund gab, mich für unzurechnungsfähig zu erklären. Dementsprechend war ich dann auch etwas ... kribbelig. Ohne die beruhigende Wirkung von Primal Scream war ich ein regelrechtes Nervenbündel. Ich hätte mir wohl inzwischen sämtliche Fingernägel abgekaut - hätte ich denn welche gehabt. Stattdessen sass ich wie ein Sack voller Flöhe in meinem Abteil und funkelte die vorbeilaufenden Passagiere böse an.

Und als dann der nächste Gaffer an mir vorbeikam und mich ansah, als ob er gerade eine extraterrestrische Lebensform entdeckt habe, hielt ich mich nicht mehr zurück.

"Hey, Arschloch! Du solltest aufpassen, denn ich bin ansteckend! Gleich fallen dir nämlich die Augen raus!"

Die Röte fuhr dem Mann ins Gesicht, und er beschleunigte seinen Schritt. Ich lächelte grimmig. Es tat gut, Mal Dampf abzulassen. Indes richtete Sean seine optischen Rezeptoren auf mich.

"Frage: Sind meine medizinischen Akten über dich unvollständig? Mir ist nicht bekannt, dass du an einer ansteckenden Krankheit leiden würdest, die zum Ausfall der Augen führt."

Ich prustete los. Sean mochte eine Maschine sein, aber manchmal war das Ding echt witzig.

"Nein, Sean. Deine Akten sind vollständig. Ich habe ... einen Witz gemacht." Ich hatte keine Ahnung, ob seine KI wusste, was ein Witz war. Aber man hatte mir gesagt, sie sei lernfähig. Wenn Sean also nicht wusste, was ein Witz war, dann konnte er es vielleicht lernen. Seine nächste Frage überraschte mich dann doch.

"Warum?"

Ich überlegte, ob ich ihn anflunkern sollte, denn ich hatte keine Lust, mein Innenleben mit irgendjemandem zu teilen. Doch Sean war kein Jemand. Er war eine Maschine. Ich konnte ihm gegenüber ehrlich sein, ohne zu riskieren, dass er es in den falschen Hals bekam - oder sonstwie emotional darauf reagierte.

"Weil ich es nicht ausstehen kann, wie mich die Leute ansehen. Es gibt mir das Gefühl ... minderwertig zu sein."

"Ich verstehe", antwortete der Droide und wandte seine Rezeptoren wieder ab. Als dann die nächste Person, eine etwas ältere Frau, an mir vorbeikam, stand Sean auf und wandte sich ihr zu. "Bitte wenden sie den Blick von der von mir betreuten Person ab. Sie riskieren ansonsten akuten Augenausfall."

Die Frau machte ein entsetztes Gesicht, während ich mich auf meinem Sitz vor Lachen kugelte. Ich fiel zur Seite auf den Nebensitz, und Sean setzte mich wieder gerade hin und wischte meine Tränen ab. Jetzt war es an mir, eine Frage zu stellen.

"Warum hast du das getan, Sean?"

"Weil, gemäss meiner medizinischen Datenbank, Lachen für Menschen gesund sein soll. Heute ist das erste Mal, dass ich dich lachen sehe, Keara. Ich bin der Meinung, du solltest öfter lachen."

Ich blickte den Droiden verwundert an. Sean mochte nichts anderes als eine seelenlose Maschine sein. Aber wer auch immer seine KI programmiert hatte, verdiente meiner Meinung nach einen Orden.

"Danke, Sean", sagte ich leise.

"Das ist ebenfalls neu. Du hast dich noch nie bei mir bedankt", stellte er in seiner nur allzu monotonen Stimme fest. Und hatte damit absolut recht.

***

Als ich in Marius Feinbaums Sprechzimmer schwebte, war er nicht da. Stattdessen sass an der Wand ein gut gelaunt aussehender Mann, der mit einem Bündel in seinem Schoss beschäftigt war. Erst als ich näherglitt stellte ich fest, dass es sich bei dem Bündel um ein Baby handelte. Der Mini-Mensch quiekte vergnügt und zeigte mit einem kleinen Zeigefinger auf mich. Der Mann hob den Blick, wandte mir seine grünen Augen zu und lächelte mich freundlich an.

"Hallo", begrüsste er mich, bevor er sich wieder dem Mini-Mensch zuwandte.

"Wer bist denn du?", fragte ich argwöhnisch. Die Frau am Empfang hatte nicht erwähnt, dass noch jemand anwesend sein würde. Irgendwie kam mir sein Gesicht bekannt vor, aber ich konnte nicht sagen, woher.

"Ich bin Cy", antwortete der Mann, ohne seinen Blick vom Baby zu wenden. "Und diese kleine Dame hier ist Cassi. Und wer bist du?"

"Keara", antwortete ich knapp. Cy? Cassi? Ungewöhnliche Namen. "Ich habe einen Termin mit Marius Feinbaum", fuhr ich fort, während mich das Baby, Cassi, mit denselben grünen Augen wie der Mann, Cy (wieso kam mir der Name nur so bekannt vor?) mit offenem, sabberndem Mund bestaunte.

"Er musste kurz auf Toilette, sollte gleich wieder da sein", erklärte Cy, während er das Baby aus seinem Schoss nach oben hob, um diesem einen schallenden Schmatzer auf den Hinterkopf zu platzieren. Der Mini-Mensch quiekte erneut und zeigte mir ein zahnloses Lächeln.

"Hast du auch einen Termin beim Doc?", fragte ich den grünäugigen Mann.

"Nein, ist ein Freundschaftsbesuch", antwortete er. "Ich gehe auch gleich." Er machte Anstalten aufzustehen.

"Würde es dir etwas ausmachen, hierzubleiben?", fragte ich aus einem Impuls heraus. Ich wusste nicht warum, aber das Baby schien eine beruhigende Wirkung auf mich zu haben. Beruhigung konnte ich im Moment dringend brauchen. Cy setzte sich mit einem neugierigen Blick wieder hin, doch er verzichtete darauf, nach dem Grund zu fragen.

"Wenn du möchtest, bleiben wir. Nicht wahr, Cassi?" Als hätte sie den Mann verstanden, gab sie einen Jauchzer von sich. Ich fragte mich, ob er mich nicht durchschaut hatte. Nämlich, dass es mir tatsächlich um die Anwesenheit des Babys und nicht um die seine ging. Gleichzeitig wurde mir bewusst, dass er, Cy, nicht so wie die Passagiere auf der Magnetbahn, oder sonstige Passanten, auf meine gliedlose, schwebende Gestalt reagiert hatte. Er hatte mich angesehen, als sei ich ein ganz normaler Mensch. Keine Zirkus-Attraktion. Kein bemitleidenswerter Krüppel. Und dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen.

"Du bist Cygnus. Cygnus Montichiari", hauchte ich. "Einer der Besitzer und Geschäftsleiter von CyCo."

"Einfach nur 'Cy', Keara", antwortete er gelassen, während er dem Baby mit einem Taschentuch behutsam den Sabber vom Mund wischte.

Das also sollte der sagenumwobene Mann sein, der den Planeten in eine grüne Oase zwischen den Sternen verwandelt hatte? Der Mann, der die Galaxis verändert hatte? Irgendwie wirkte er so ... gewöhnlich. So bodenständig. So umgänglich. Ich hatte ihn mir ganz anders vorgestellt: Ein arroganter, eingebildeter Schnösel. Unnahbar. Ein Arschloch, eben. Bei näherer Überlegung war es aber vielleicht genau das, was ihn aussergewöhnlich machte; Dass er so gar nicht der Vorstellung entsprach, die man sich von einem 'Wunderkind' machte.

"Oh, hallo Keara!", begrüsste mich Marius Feinbaum, als er aus einem Nebenraum in sein Sprechzimmer kam. "Schön, dass du da bist!" Meine Anspannung kehrte augenblicklich zurück.

"Doc", grüsste ich mit einem Nicken zurück. "Du wolltest mich sehen?"

"Ja. Ja. Es gibt da etwas, dass ich mit dir besprechen möchte." Bildete ich mir das nur ein, oder war er aufgeregt? Er setzte sich an seinen Schreibtisch und grinste mich breit an. "Ich habe einen Vorschlag für dich." Ich kniff die Augen zusammen. Das kam jetzt unerwartet. Ich hatte fest damit gerechnet, über meinen ungesunden Lebenswandel belehrt zu werden. Stattdessen strahlte der Arzt über beide Ohren, als sei heute Lovers Day, und er den besten Blowjob aller Zeiten von seinem Liebchen erhalten habe. "Ich möchte dich fragen, ob du neue Beine und neue Arme haben willst."

Ich seufzte.

"Hatten wir dieses Gespräch nicht bereits, Doc? Ich habe dir doch bereits gesagt, dass ich keine kybernetischen Prothesen will. Ich will nicht so aussehen wie eine Mischung aus ... mir und Sean!"

"Sean?", fragte Cy neugierig.

Mein Droide hob einen Zeigefinger.

"Das wäre dann ich."

"Ah", gluckste Cy und widmete sich wieder dem Mini-Mensch auf seinem Schoss.

Mein Blick fiel auf den Droiden. Er hatte durchaus eine menschliche Gestalt, aber die Silikonbeschichtung konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass er nichts anderes als eine Maschine war. Kybernetische Prothesen sahen genau so aus, wie Seans Gliedmassen. Künstlich. Ausserdem musste man sich eine hässliche Schnittstelle implantieren lassen, um die künstlichen Gliedmassen bedienen zu können. Etwas, dass man von Grund auf lernen musste. Gemäss den Berichten dauerte es mindestens ein Jahr, bis man schon nur die einfachsten Bewegungen damit durchführen konnte. Ich hatte nicht die geringste Lust darauf, von der Zirkus-Attraktion vom Typ A in die Zirkus-Attraktion vom Typ B verwandelt zu werden.

"Ja, ich weiss", fuhr Marius Feinbaum fort. "Aber davon ist hier nicht die Rede. Ein guter Freund von mir, Doktor Amadeo De Folli, hat ein komplett neues Verfahren entwickelt. Du würdest Gliedmassen erhalten, die sich äusserlich von den Originalen nicht im Geringsten unterscheiden würden. Sie würden sich auch so anfühlen! Mit echter, sensitiver Haut bezogen. Vom Muskelaufbau her identisch. Und das Beste: Du müsstest keine Schnittstelle implantieren lassen, denn sie würden direkt mit deinem Nervensystem verbunden werden! Du würdest nichts neu lernen müssen, sondern könntest gleich ... lossprinten!"

Ich blickte ihn verdutzt an. Das klang alles viel zu schön, um wahr zu sein.

"Wo ist der Haken, Doc?", fragte ich misstrauisch. Es gab immer einen Haken.

"Das Verfahren ist brandneu. Das heisst, es wurde noch nie an einem Menschen erprobt. Das heisst, du wärst die erste."

"Ahhhh. Versuchskaninchen."

Dem Mini-Menschen schien das Wort zu gefallen, denn sie jauchzte erneut.

"Ja, so könnte man es ausdrücken", antwortete der Arzt, bevor sein Gesicht eine überaus ernste Miene annahm. "Dein Betreuer-Droide, Sean, hat mir berichtet, du seist selbstmordgefährdet."

Ich presste die Lippen zusammen, während ich darüber nachdachte, ob ich es irgendwie bewerkstelligen konnte, dass das nächste Mal, wenn diese miese blecherne Petze die eigenen Batterien auflud, ich den Strom so weit hochdrehen konnte, dass es ihm die Schaltkreise durchschmorte. Was ich, ironischerweise, ohne seine Hilfe gar nicht hinbekommen hätte.

In diesem Moment war ich verbittert. Man hatte mir den Droiden untergejubelt, um mich zu überwachen. Um mich zu kontrollieren. Damit ich keine 'Dummheit' beging.

"Und wenn ich nicht zustimme, als Versuchskaninchen hinzuhalten? Sperrst du mich dann ein?"

"Natürlich nicht", gab Marius Feinbaum leicht angesäuert und zu meiner vollkommenen Überraschung zurück. "Du bist inzwischen lange genug auf diesem Planeten, Keara. Selbstbestimmung wird hier ganz gross geschrieben. Dazu gehört auch, dass ein Mensch das Recht hat, seinem Leben ein Ende zu setzen, wenn die Lebensumstände unerträglich geworden sind. Ich kann mir nur schwer vorstellen, wie sehr du unter deiner aktuellen Situation leidest. Aber ich habe Verständnis für deinen Wunsch. Versteh mich nicht falsch, Keara: Ich würde es zutiefst bedauern, wenn ein so junger Mensch wie du, der noch sein ganzes Leben vor sich hat, sich für einen Exit entscheiden würde. Aber es ist deine Entscheidung. Ich ... biete dir lediglich eine Alternative an."

Ich war vollkommen verwirrt. Einerseits war ich froh darüber, dass man mich nicht daran hindern wollte, zu meinen Bedingungen Schluss zu machen. Andererseits war ich indes verärgert, dass man mich nicht davon abhalten wollte. Die Gedanken überschlugen sich in meinem Kopf, und ich sehnte mich plötzlich wie verrückt nach einem Schuss Primal Scream.

Cassi jauchzte erneut. Ich blickte zu ihr rüber und dann zu Cy, der mich aufmerksam beobachtete.

"Was würdest du tun, Wunderkind?"

Statt zu antworten stand er auf und kam, den Mini-Menschen im Arm, auf mich zu. Er hielt sie mir vors Gesicht.

"Riech mal", sagte er. Ich zögerte einen Augenblick, dann sog ich die Luft durch die Nase ein. Es roch nach ... nach ... "Babypuder", beantwortete Cy meine unausgesprochene Frage. Es roch herrlich! Ich hatte noch nie mütterliche Instinkte besessen, noch je den Wunsch gehegt, ein Kind in diese beschissene Welt zu setzen. Doch in diesem Moment packte mich ein tiefes Verlangen. In diesem Moment wünschte ich mir nichts sehnlicher, als dieses Baby in die Arme zu nehmen und an mich zu drücken. Was ich nicht konnte, weil ich keine Arme besass. Heisse Tränen brannten in meinen Augen. "Was hast du zu verlieren, Keara?", fragte Cygnus Montichiari mit einem herausfordernden Lächeln im Gesicht. "Im schlimmsten Fall erweist sich das neue Verfahren als Seifenblase und du kannst danach immer noch einen Schlussstrich ziehen. Im besten Fall rufst du mich an, und ich lass dich Cassi Babysitten."

*** Kapitel 06: Die Unberührbare (aus Amadeos Sicht) ***

Ich hätte nicht gedacht, dass ich meinen Entschluss die Auswahl eines Kandidaten Marius zu überlassen, so schnell bereuen würde. Die Frau war furchtbar.

Zum einen sah sie überhaupt nicht so aus, wie in den Unterlagen die mir Marius zugestellt hatte. Sie war eindeutig übergewichtig, wog mindestens zehn Kilo zu viel, was bei ihrer aktuellen Grösse rund einen Viertel ihres Körpergewichtes ausmachte. Das warf mich in meinen Plänen schon mal um mindestens zwei, vielleicht sogar drei Wochen zurück. Schlimmer noch: Sie war betrunken UND high. Ihre Galancino-Fahne war deutlich zu riechen, während ihr glasiger Blick unmissverständlich darüber Auskunft gab, dass sie Primal Scream konsumiert hatte. Diesem Blick war ich auf der Erde oft begegnet. Obschon illegal grassierte der Stoff wie eine Seuche in der Unterschicht und stürzte die Leute noch tiefer ins Elend, als sie es schon waren. Hier, auf Galamex 2, war die Substanz, aus mir unerklärlichen Gründen, legal.

Marius hatte mir ihre Unterlagen am Vormittag zugestellt, mit dem Hinweis, dass sie innert tagesfrist eintreffen würde. Ich hatte ja schon ein mulmiges Gefühl gehabt, als ich gelesen hatte, dass die Frau als Prostituierte gearbeitet hatte. Sie gehörte also zur untersten der untersten Schichten. Im ehemaligen Kastensystem Indiens hätte man sie wohl 'Unberührbare' genannt.

Sie hätte durchaus ein hübsches Gesicht gehabt, wenn es nicht so aufgedunsen gewirkt hätte. Ihre ganze Gestalt war ungepflegt, das feuerrote Haar zerzaust und ungekämmt. Augenringe mit denen man den Saturn hätte schmücken können. Einfach nur furchtbar.

Sie trug einen Repulsorgürtel, der viel zu hoch flog. Zudem wurde sie von einem Betreuer-Droiden der neusten Generation begleitet, ein von Trabantian hergestelltes Modell, dessen Preisklasse im sechsstelligen Bereich rangierte. Er trug ihr Gepäck, einen verschlissenen Rucksack, der bei jedem Schritt des Droiden klimperte. Vermutlich hatte sie auf Ersatzkleidung verzichtet und sich dafür mit Alkohol und Primal Scream eingedeckt. Dem würde ich dann wohl gleich als erstes Abhilfe schaffen müssen.

"Hallo, Frau O'Malley. Ich bin Amadeo De Folli", begrüsste ich sie.

*** Kapitel 07: Der Gottesanbeter (aus Kearas Sicht) ***

Der Typ war mir auf den ersten Blick unsympathisch. Auch diese Sorte kannte ich nur allzu gut.

Konzern-Höfling. Mindestens doppelt so alt wie ich, eher älter. Das waren in der Regel jene mit den perversesten Fantasien. Versaute Kerle, die darauf standen, Frauen zu demütigen.

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