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Homo Superior 10: Katharina

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"Ich nehme an, du leidest nicht unter Menstruationsbeschwerden."

Er lachte. Aber nur kurz. "Glücklicherweise nein. Aber ich fühle mich schlecht, weil ich mich habe überstimmen lassen, dass du allein etwas unternehmen sollst —"

"— willst."

"Klar. Aber es kann durchaus tödlich für dich ausgehen. Wir sind keine Götter. Wir können durchaus an Kugeln oder Messerstichen sterben."

"Ich weiß. Aber willst du wirklich lieber, wer weiß wie lange, mit der Angst leben — Was ist, wenn ich mal allein eine Shoppingtour machen will? Oder auch nur allein aufs Klo. Willst du mir ständig nachlaufen oder einen Bodyguard nachschicken?"

Er hob abwehrend die Hände. "Du hast recht. Aber gestehe mir zu, dass ich meine gerade erst gefundene Schwester nicht gleich wieder verlieren will."

Ich legte meine Arme um ihn und drückte ihn ganz fest. "Das wirst du nicht", flüsterte ich. "Indianerehrenwort."

Einige Zeit später ließen wir uns los. "Also: Ich will zumindest noch einen schönen Abend mit dir verleben."

"Also: Ich will endlich auch Zwillinge von dir."

Einundzwanzig, zweiundzwanzig.

"O-kay —" Dann grinste er. "Gut. Dann muss ich ja nicht mehr fragen. Aber wir gehen jetzt nicht einfach ins Bett."

"Wir könnten gleich hier —"

"Nein! Schon aus dem Grund, weil wir nach zehn Sekunden die ganze Familie —"

"— ohne Janitha —"

"Da wäre ich mir nicht sicher. Aber ich denke, du verstehst mich."

Ich nickte.

"Also: wir machen uns einen schönen Abend. Doppeldate mit Matt und Samantha, damit die beiden dich ein bisschen besser kennenlernen. Das Programm verrate ich dir nicht. Lass dich überraschen."

Programmpunkt eins bestand aus einem Abendessen im Berliner Fernsehturm. Wir hatten einen Fensterplatz, und das ganze Restaurant drehte sich. Alle paar Minuten kam eine neue Sehenswürdigkeit ins Blickfeld. Matt und Thomas erzählten, was sie dort schon alles erlebt hatten; Sam und ich machten dumme Bemerkungen darüber.

Thomas wollte nicht, dass ich mir etwas bestelle, sondern ließ eine große Platte auffahren, auf der "alles, was scharf macht" zu finden war.

Ich hatte mein Leben lang von dem gelebt, was die Küche im Hause Pawlow zubereitete. Meistens Russisch, aber gelegentlich gab es auch Dinge wie Spaghetti, Pizza oder Hamburger. Immer dann, wenn die Köchin Urlaub hatte, und die Wächter sich etwas kommen lassen mussten. Gekocht hätte von denen keiner.

Es hatte nie Austern gegeben oder Schokolade mit Chili oder all die anderen Gerichte, die als Aphrodisiaka galten. Es war eigentlich auch diesmal unnötig. Ich war sowieso scharf genug auf meinen Bruder, aber es machte Spaß, am Tisch nach jedem Bissen einen Orgasmus zu simulieren. Leise natürlich.

Dann ging es ins Theater des Westens zum König der Löwen. Ich hatte den Film schon als kleines Mädchen gesehen. Auf Russisch mit chinesischen Untertiteln, eine sehr lehrreiche Stunde. Also musste Thomas mich mehrfach mit körperlicher Gewalt — sprich Hand auf dem Mund — bremsen, wenn ich mal wieder eines der Lieder viel zu laut mitsang und sämtliche Nachbarn sich umdrehten und zischten.

"Hakuna matata", trällerte ich, als wir das Theater verließen, während wir langsam über den Ku-Damm schlenderten, uns bei Bier's eine Currywurst mit Champagner gönnten und zuletzt verrückte Selfies vor der Gedächtniskirche machten.

Sam und ich — reichlich angeschickert — spielten Szenen aus dem König der Löwen nach, die wir so reichlich mit Küssen und Gegrapsche anreicherten, dass die Männer uns trennen musste, als ein Polizeiauto anhielt. Nur gut, dass Thomas seinen Ausweis dabei hatte.

Alles in allem ein wunderschöner Abend, bei dem Matt ständig den Kopf darüber schüttelte, wie kindisch seine Frau sich benehmen konnte, wenn sie es darauf anlegte.

Eine Sache gab mir ein wenig zu denken. Matt schaute immer wieder auf sein Handy. Irgendwann grinste er, gab Thomas ein Daumen-Hoch und das war es dann. Die beiden hatten irgendetwas ausgeheckt, da war ich mir sicher.

Plötzlich hielten Lisa und Luigi vor uns. Wir waren zu viert in der Limousine gekommen — Mhmhm — und ich hatte nicht mitbekommen, dass der Ferrari wieder hier in Berlin war.

"Also", sagte Thomas und blickte kurz auf die Uhr. "Der gemeinsame Abend muss leider ein Ende haben. Wir beide haben noch etwas vor."

"Oooch", machten Samantha und ich wie aus einem Mund. Dann blickten wir uns an und küssten uns wild.

Thomas legte seine Arme um mich und zog mich zu sich. "Komm, Frau. Dein Mann begehrt nach dir."

"Und deiner nach dir", fügte Matt hinzu und hob seine Frau auf seine Arme. "Wir sehen uns dann morgen — heute — Nachmittag zur Besprechung."

Samanthas Kopf fiel nach hinten und sie begann zu schnarchen. Naja, besonders fit war ich auch nicht mehr.

Thomas tat es Matt nach, obwohl ich die paar Schritte auf jeden Fall allein geschafft hätte. Dann setzte er mich auf Luigis Beifahrersitz.

"Was hast du denn vor, Liebling?"

"Lass dich überraschen." Er lief um das Auto herum und setzte sich hinters Steuer. Nur pro forma, denn Luigi fuhr los, noch bevor Thomas das Lenkrad berührt hatte.

Er griff in ein Fach an der Tür und holte eine Augenbinde hervor.

"Hu? Spielen wir Christian und Ana?"

Er lächelte. "Wenn du willst, kann ich dir gerne den Hintern versohlen." Pause. "Hmmm." Pause. "Aber eigentlich habe ich etwas anderes vor." Seine Stimme wurde tiefer. "Vertraust du mir?"

Ich versuchte, verführerisch zu lächeln. "Voll und ganz, o mein Mann."

Ich wandte mich von ihm ab und er legte die Binde um meine Augen. Dann fühlte ich Luftbewegungen, als er testete, ob ich auch wirklich nichts sehen konnte.

Dreiundzwanzig Jahre hatte ich in Berlin gelebt, doch schon nach ein paar Minuten wusste ich nicht mehr, in welche Richtung wir fuhren. "Willst du mich verwirren", fragte ich, als Luigi zum fünften Mal abbog.

Er lachte. "Nein, nein. Ich habe Luigi nur gesagt, er soll den kürzesten Weg fahren. Jetzt nimmt er jede kleine Straße, die er finden kann."

Es dauerte etwa zwanzig Minuten, bis das Auto plötzlich auf eine Rampe nach unten fuhr. Das Quietschen der Reifen bedeutete, dass wir in einem Parkhaus waren. Und dann hielt das Auto an.

"Darf ich kucken?"

"Natürlich nicht, meine Liebe. Die Überraschung kommt erst noch."

Er stieg aus, lief um den Wagen herum und öffnete die Beifahrertür. Dann nahm er meine Hand und führte mich in einen Aufzug. Er schien einen Schlüssel zu benutzen, und die Kabine setzte sich nach oben in Bewegung. "Wo sind wir? Im D5?"

"Mitten in der Nacht? Da würden mich jetzt keine zehn Pferde hinbekommen."

"Hast du nicht gesagt, im Archiv steht ein Bett?"

"Ich habe etwas Besseres."

Etwa Besseres als ein Bett? Der Aufzug hielt an und Thomas führte mich über Holz. "Sind wir im Freien?"

"Ja, aber nicht lange."

Er hielt an, schien eine Tür zu öffnen und zog mich dann weiter. Ich lief über Teppich, doch es klang seltsam metallisch. Wo zum Henker waren wir?

"Hier", sagte er. "Wir sind gerade noch rechtzeitig."

Meine Hände fuhren zu der Binde, doch er bremste mich.

"Ganz langsam", sagte er. "Wir wollen doch den vollen Effekt haben. Komm." Er nahm meine Hand, zog mich ein Stück weiter und hob meine Hand dann hoch. "Hier", sagte er. "Leg deine Hand hierhin." Ich fühlte eine Wand — eine ganz glatte Wand. "Und die andere kommt hierhin. Schön stehenbleiben und nicht bewegen." Sein Mund war plötzlich an meinem Ohr. "Sonst gibt's Haue." Er ging weg.

"Ich —" Ich wollte ihm folgen, doch plötzlich war er wieder da.

"Bitte, bleib da. Ich verspreche dir, es ist es wert."

"Wenn du meinst —"

Er griff in meinen Nacken und öffnete die Schleife, die mein Kleid dort zusammenhielt. "Perfekt", sagte er bewundernd. "Du bist einfach perfekt."

Der Reißverschluss an meinem Hintern ging auf und mein Kleid fiel zu Boden. Jetzt trug ich nur noch die Highheels. Thomas hob meine Füße nacheinander an, um das Kleid wegzubringen. Als er zurückkam drängte sich sein Körper an meinen. Haut auf Haut. Auch er war nackt. Schauer durchliefen mich.

Seine Hände legten sich auf meine, schoben sie weiter nach oben und außen. Meine Brüste trafen auf eine kalte Oberfläche, doch mir war inzwischen so heiß, dass es mir nicht ausmachte. Stand ich etwa vor einem Spiegel oder — Hitze stieg in mir auf — an einem großen Fenster. Ich hatte vom Sex in der Öffentlichkeit gesponnen —

"Katharina die Große", murmelte er. "Willst du meine Frau werden, die Mutter meiner Kinder?"

Ich lachte, doch wurde sofort ernst. "Ja, mein geliebter Bruder, das will ich. Aus vollem Herzen."

Seine Hände fuhren über meinen Rücken, von den Schultern bis zum Hintern. Unwillkürlich streckte ich ihm meinen Unterkörper entgegen. Sein Penis fuhr zwischen meine Beine, fand meine Öffnung und glitt widerstandslos in mich hinein. Tiefer und tiefer.

Ich stöhnte auf. Mir wurde heißer und heißer. Sein Unterkörper stieß gegen meinen Hintern und mit einem Schlag fühlte ich mich aufgespießt und hilflos. Ich schrie auf, als ein erster Orgasmus mich überrollte.

Im selben Moment löste er die Augenbinde. Ich sah — Gold. Das Licht der aufgehenden Sonne ließ die Viktoria auf der Siegessäule hell aufleuchten. Sekunden später tauchte sie auch die Quadriga auf dem Brandenburger Tor in ihr Licht.

"Mein Gott!", keuchte ich. "Ist das schö— Ahhh!"

Thomas begann in mich hineinzustoßen. Hart!

"Jaaa!"

Härter.

"Jaaa!"

Noch härter.

Ich schrie und schrie und schrie. Wellen der Lust überfluteten mich. Und dann kam er. Ströme heißen Spermas füllten mich aus. Ich spürte, wie sie ihr Ziel erreichten. Ich würde eine Mama werden!

*

Einige Zeit später

Wir lagen auf einem großen Bett, hielten uns eng umschlungen und blickten immer noch aus dem Fenster, das eine Wand des Containers einnahm, in dem wir lagen. Auf dem Dach des Hauses Pariser Platz 4a, gleich hinter dem Brandenburger Tor.

"Ich wollte ja eigentlich ein Hotelzimmer mieten", erklärte Thomas. "Aber vom Adlon aus kann man die Siegessäule nicht sehen, und ansonsten sind hier nur Büros und Botschaften. Die Amerikaner, die Briten, die Russen —"

"— haben uns jetzt alle auf Video?"

Er lachte auf. "Das Fenster ist verspiegelt. Da kann keiner reinschauen."

"Und du hast extra für mich einen Container umbauen und hier aufstellen lassen?"

"Du wirst lachen, aber es gibt die Dinger tatsächlich so zu mieten. Die stellen ihn dir dorthin, wo du willst. Ich hab das schon lange geplant, doch du hast mich heute Mittag ein bisschen überrumpelt."

"Und deswegen hat Matt die ganze Zeit auf sein Handy geschaut."

"Jepp. Die haben die ganze Nacht durchgearbeitet."

"War wohl ein klein bisschen teurer als das Hotelzimmer."

"Wofür hat man seine schwarze Kreditkarte? Vater soll ruhig für unser Familienglück blechen."

Ich grinste. "Was würde es denn kosten, das Ding hier eine Zeitlang stehen zu lassen? Ich habe schließlich noch sechs Geschwister, mit denen ich nicht hier oben war." Plus eine Mutter —

*

Montag, Kinderheim der Russisch-Orthodoxen Kirche, Wittestraße, Tegel

"Das ist die kleine Natascha", sagte Schwester Maria Nadja. "Sie wird ab sofort bei uns wohnen."

Ich blickte mich um. Es waren etwa zwanzig Kinder, die sich zum Abendessen im Speisesaal versammelt hatten. Zwei Gruppen fielen mir sofort auf: Drei Mädchen etwa in "meinem" Alter, die tuschelten und dabei immer wieder verstohlen zu mir herüberschauten. Und fünf Jungs verschiedenen Alters, die ihre Köpfe zusammensteckten. Sie machten wohl untereinander aus, wer mich — Nein, dafür waren sie sicher noch zu jung.

"Natascha", sagte die Schwester. Ich blickte hoch. Weit, weit nach oben. Ich hatte mich sehr schnell an meinen erwachsenen Körper gewöhnt, die umgekehrte Richtung war nicht so einfach. "Natascha wird bei Cassandra, Nina und Julia im Zimmer wohnen!"

"Nein!" Das war die Blonde von den dreien, die getuschelt hatten. "Die ist doch noch ein Baby!" Na bravo!

"Euer Zimmer ist das Einzige, in dem ein Bett frei ist." Ätsch! Ich konnte mich mühselig davon abhalten, der Bitch meinen Mittelfinger zu zeigen. "Benehmt euch, oder ich sage dem Bischof Bescheid."

Erschreckte Gesichter zeigten mir, dass die Drohung Gewicht hatte. Nur würde das voraussichtlich nicht lange anhalten. Ob ich wohl die erste Nacht überleben würde?

*

Später

"Wehe, du durchwühlst unsere Sachen!", hatte mich Cassandra gewarnt, bevor die drei Richtung Badezimmer abgezogen waren, nicht ohne mir drohende Blicke zuzuwerfen.

Das Beste war es wohl, wenn ich mich so schnell wie möglich fertig machte und schon "schlief", wenn sie zurückkamen.

Auf meinem Bett lag ein unförmiges Stück Stoff, das sich als langes Nachthemd aus kratzigem Leinen entpuppte. Ich hoffte nur, dass sich meine Haut daran gewöhnen konnte. Nach dreiundzwanzig Jahren ohne jegliche Bekleidung hatte ich auch die letzten Tage größtenteils nackt verbracht. Im Bungalow liefen die meisten so herum.

Dann hatte mich Thandi zum Einkaufen in eine Berliner Nobelboutique für Kinderkleidung geschleppt. Frau Sägmüllers Kleiderkammer war auf so ziemlich alles vorbereitet. Es gab sogar wunderhübsche Kleider in meiner Größe — so wie sie Blumenkinder bei Hochzeiten trugen. Aber nichts, womit ein angeblich jüngst verwaistes Mädchen in einem Kinderheim aufkreuzen sollte.

Ich hatte nicht vor, lange im Heim zu bleiben, doch drei Sets Unterwäsche sollte ich schon haben, und drei T-Shirts mit Hello Kitty, Pikachu und My Little Pony. Thandi hatte nur gegrinst, als ich mir das aussuchte. "Du musst das kleine Mädchen nicht so sehr raushängen lassen."

"Ich mag das Zeug. Echt. Ich kann ja einen Latex-Minirock und Highheels dazu anziehen, damit ich älter aussehe."

"Ha, ha. Mich hätten meine Klassenkameraden gesteinigt, wenn ich so rumgelaufen wäre."

"Du hattest es sicher nicht leicht, mit der Hautfarbe im tiefbraunen Sachsen aufzuwachsen. Ich erinnere mich an einige schlimme Dinge in den Nachrichten."

Sie zuckte die Schultern. "Es war 'ne harte Schule. Aber ich hab's überlebt."

Im Endeffekt einigten wir uns auf Designerjeans und rosa Sneakers mit Glitzersteinen. Ein paar bunte Spangen für meine Haare. Ich schaute mich im Spiegel an und fand mich schön, was mich irgendwie verwunderte.

Aber in dem Nachthemd — Ich zog mich aus und warf den Sack über meinen Kopf. Dann krabbelte ich ins Bett schloss die Augen. Vor meinem inneren Auge lief der König der Löwen.

*

"Ich verstehe das nicht."

Ich saß senkrecht im Bett. Wer hatte da geredet? Keine meiner Zimmergenossinnen. Die hatten, nachdem sie aus dem Bad gekommen waren, noch einige Zeit meine körperlichen Nachteile diskutiert. Doch wenn sie gedacht hatten, mich dadurch aus der Reserve zu locken, waren sie schief gewickelt. Doch dann kam ein Ruf "Licht aus!" und es wurde still.

Im Zimmer war es nicht ganz dunkel. Es war anders als früher. Da hatten in allen vier Ecken meines fensterlosen Zimmers kleine rote Lichter geleuchtet, die ich irgendwann als Überwachungskameras identifiziert hatte. Karina hatte sie als Schäfchenersatz benutzt. Mit "Eins — zwei — drei — vier" hatte sie sich in den Schlaf gemurmelt.

Hier kam das Licht von draußen. Über dem Eingang brannte eine Lampe, am Himmel stand der Mond. Ich legte mich wieder hin. "Freedom!", flüsterte ich.

"Was heißt das?"

Und wieder senkrecht. Die Stimme war ganz nah neben meinem Ohr gewesen. Und sie kam mir bekannt vor. "Karina?"

"Ich verstehe das alles nicht." Jetzt hörte ich, dass die Stimme nicht neben meinem Ohr war, sondern in meinem Kopf.

Ich legte mich wieder hin. "Was — alles?"

"Wie du redest. Wo du herumläufst. Diese vielen anderen Leute. Wo ist Papa?" Sie begann zu weinen. "Ich will zu Papa."

"Warst du etwa die ganze Zeit wach? Warum hast du dich nicht gemeldet?"

Sie schluchzte. "Ich hab' Angst. Wo ist Papa?"

"Der Mann ist weg. Und er ist nicht dein Papa. Es ist ein böser Mann, der dich gekauft hat, um — äh —"

"Er war immer lieb zu mir. Er hat mich nie allein gelassen."

Ich schnaubte. "Du erinnerst dich nur nicht daran. Er war manchmal wochenlang weg. Und dich hat er in einem Tank verstaut."

"Ich weiß nichts von einem Tank."

"Du weißt vieles nicht mehr. Mal nachdenken. Erinnerst du dich an Olga?"

"Wer?"

Ich versuchte, das Bild von Iwans Frau vor meinem inneren Auge auftauchen zu lassen. "Kannst du sie sehen?"

"Wer ist das?"

"Die Frau, die du zehn Jahre lang 'Mama' genannt hast."

"Mama?"

"Sie war nicht deine Mutter. Sie war die Frau von 'Papa'."

"Wo ist sie hin?"

"Da, wo alle enden, die 'Papa' gefährlich werden. Sie wollte ihn verlassen. Mit dir zusammen." Das Bild von Olga in der Wanne voller Säure — Ich wollte es gar nicht heraufbeschwören, doch da war es, und Karina begann zu schreien, genau wie damals.

Sie war mal wieder durch das Haus gestromert und hatte eine Tür gefunden, die normalerweise verschlossen war. Dummerweise hatte jemand sie offenstehen lassen.

"Ruhig, Kleines, ruhig." Ich zuckte zusammen. Ich hatte dieselben Worte benutzt wie Iwan damals. Dann hatte er ihr die Augen zugehalten und sie für eine Woche in den Tank verfrachte. Als Karina wieder aufwachte, gab es keine 'Mama' mehr in ihren Erinnerungen. Nur ich trug sie all die Jahre mit mir herum.

Karina schluchzte vor sich hin.

"Kleines", sagte ich, "Lyubimyy, du musst keine Angst haben. Ich bin da. Ich bin groß und stark. Ich beschütze dich vor allem, was kommt."

"Versprochen?"

"Hand aufs Herz und Finger ins Ohr."

Die Kleine kicherte. "Geht doch gar nicht."

"Also, was soll ich dir erklären?"

"Warum weint das Mädchen?"

Ich runzelte die Stirn. "Welches Mädchen?"

"Cas-sa-da?"

"Cassandra?" Ich horchte. Tatsächlich kam leises Schluchzen aus ihrer Richtung. "Soll ich sie mal fragen?"

"Ja. Sie war nicht nett zu dir."

Ich grinste und stand auf. "Das ist völlig normal in dem Alter." Auf nackten Füßen tappte ich quer durch das Schlafzimmer. Cassandra lag mit dem Rücken zu mir. "He!", flüsterte ich. "Was ist los? Hast du Schmerzen?"

Sie schüttelte den Kopf.

"Soll ich die Schwester holen?"

Sie schüttelte wieder den Kopf.

"Rede mit mir. Ich will dir doch nur helfen."

Sie drehte sich um und blickte mich aus verheulten Augen an. "Du kannst mir nicht helfen. Du nicht!"

"Wen soll ich holen?"

"Meine Mutter, doch die ist nach Amerika abgehauen."

"Und dein Vater?"

"Autounfall." Sie holte tief Luft. "Er war besoffen. Mal wieder."

"Ach Gott! Rutsch nach hinten." Kein Wunder, dass sie sich leicht aggressiv verhielt.

Sie tat es, ohne Fragen zu stellen. Ich wusste inzwischen, dass wir andere Menschen beeinflussen konnten. Ich hatte nicht gewusst, dass das einfach so funktionierte.

Ich krabbelte neben sie unter die Decke und nahm sie in meine Arme. "Du musst nicht heulen. Du hast doch Freundinnen."

Sie schnaubte verächtlich. "Diese Tussies. Mit denen kann man nicht vernünftig reden."

"Mit mir schon."

Sie hob den Kopf und starrte mich an. "Du hörst dich an wie eine Erwachsene."

Ich zuckte die Schultern. "Ich hab' einiges erlebt." Fast zwanzig Jahre lang. Das lässt einen erwachsen werden.

Ich küsste sie auf die Stirn. "Komm, erzähl mir von deiner Mutter."

Und das tat sie auch. Was sie alles zusammen erlebt hatten — Ich merkte inzwischen, dass Karina aufmerksam zuhörte. Irgendwann schlief Cassandra in meinen Armen ein.

"Es muss schön sein", sagte Karina, "eine Mutter zu haben."

"Du hast doch eine. Wir haben sie doch schon kennengelernt."

"Die alte Frau, zu der du 'Mama' gesagt hast? Und die dann mit dir gekuschelt hat?"

"Alte Frau? Mama ist gerade mal vierzig. Moment mal. Was denkst du, wie alt du bist?" Vor meinem geistigen Auge erschien eine Hand, alle Finger ausgestreckt und dann die andere, den Daumen über den kleinen Finger eingeklappt. "Acht? Hast du inzwischen mitgekriegt, dass das nicht stimmt? Dass du fast dreimal so alt bist? Dass 'Papa' dafür gesorgt hast, dass du nie älter wurdest?"