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Leah 1.1 - Lichtblick - 01

Geschichte Info
Leahs Begegnung mit der Geliebten der verstorbenen Mutter.
7.6k Wörter
4.7
15.6k
19

Teil 1 der 6 teiligen Serie

Aktualisiert 06/07/2023
Erstellt 10/25/2022
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Verzweiflung. Der Wind zerrt an mir, zerzaust mein Haar, will meinen Körper packen und hinfort schleudern. Und ich bin bereit, ihn gewähren zu lassen. Wie kann der schönste Moment, der hinreißendste Mensch, der mein Leben vervollständigt, nein, in ganz andere Höhen getrieben hat, so sehr mit dem schlimmsten und schrecklisten Moment verwoben sein. Einerseits bin ich so unfassbar glücklich und andererseits schäme und hasse ich mich selber so sehr dafür. Ich will nicht mehr. Ich kann nicht mehr.

Doch der Reihe nach...

Es war ein sonniger Tag, die Vöglein zwitscherten, die Schmetterlinge machten die Wiesen unsicher, eine leichte frische Brise mit dem süßen Duft des Frühlings lag in der Luft. Und ich stand da, mit versteinerten Gesicht und innerlich absolut leer auf der Beerdigung meiner Mutter. Eigentlich wollte ich gar nicht da sein. Klar, wer will schon auf der Beerdigung der Mutter sein, sie war.. immer für mich da. Verständnisvoll, wenn ich Mist gebaut habe, liebevoll, wenn mein Gefühlsleben auf Tauchstation gehen wollte, für einen Schwatz in Zeiten der Sorglosigkeit und mit einer kritischen Stimme, wenn jene Zeiten überhand nehmen wollten. Dennoch war ich sofort mit Achtzehn ausgezogen, raus in die nicht so weite Welt. Und jetzt wünschte ich mir diese ganzen Nervensägen hier weg, die mir nur ein weiteres Mal ihr Beileid klagen wollten und sich in diesen zwei Minuten so verhielten, als wenn alles Leid der Welt über sie hereingebrochen wäre. ‚Meine Mama war tot, ich muss damit klarkommen, also zischt ab und geht mir nicht auf den Sack.' So dachte ich zumindest anfangs. Nach der Trauerrede, die alle Stationen ihres Lebens und ihre Hobbys mitnahm, war mein Kopf nur noch leer. Irgendwie war ich hier vor das Grab gekommen und warf eine Rose und einen Klumpen Erde auf den Sarg. Ich wollte mich übergeben, wurde jedoch von einer Nachbarin an die Seite geführt.

Neben mir trat eine Frau, atmete schwer durch. Bitte keine weitere „es tut mir so unendlich leid"-Rede. Aber sie schwieg, zum Glück. Ihrem und meinem. Erinnerungen stiegen in mir hoch, wie glücklich meine Mutter war, wie wir in zwei Wochen ein Wellnesswochenende machen wollten, nur sie, meine Schwester und ich. Keine Arbeit, Ausbildung, Schule, nur Schlamm, Sekt und heiße Steine. In dem Moment hörte die Welt auf sich zu drehen und mein Kopf schleuderte weiter. Ich muss geschwankt haben, spürte ich doch einen stützen Griff von der Seite.

„Hey, alles gut? Ich hab dich", fragte die Frau.

Ich nickte nur, sah zu Boden und überlegte, ob ich auf meine Schuhe kotzen sollte. Entschied mich aber dagegen. Ich könnte jetzt sagen, ich wollte die Zeremonie nicht stören oder die hübschen Stiefel der Frau besudeln. Oder einfach, dass ich den Nachgeschmack nicht mag. Aber ich hatte seit gestern nichts gegessen und der Magensaft fraß sich gerade durch meinen Magen. Ein weiterer Grund, weswegen ich neben mir stand.

„Gehören Sie zur Familie?", fragte die Nachbarin, sah mich mitleidig an. Sie hatte mir schon gesagt, wie leid es ihr tat, zweimal, und verzichtete jetzt darauf.

„Ich, ähm... war eine Freundin von...", setzte sie an, brach aber ab, schluckte schwer.

Die Nachbarin nickte, sah kurz auf mich, dann wieder zu der Frau. „Passen Sie gut auf Leah auf, es ist gut, dass Sie da sind".

Die Frau sah mich kurz an und ich auch zu ihr. Sie sah so blass aus, wie ich mich fühlte. Eingerahmt von roten Haaren und schönen grünen Augen. Okay, dass sie grün waren, hatte ich den Moment noch nicht wahrgenommen. Dass sie ihre feuchten Augen weit aufriss und mich geschockt ansah, realisierte ich auch erst einen Moment später. Mir wurde schon häufiger gesagt, dass ich aussehe wie meine Mutter in dem Alter und auch heute noch eine deutliche Ähnlichkeit da ist.

Sie sah nach vorne, nickte.

„Versprechen Sie es, Leah ist so ein gutes Mädchen, geben Sie auf sie acht." Dann sah sie mich an. „Und dir und deiner Schwester alles Gute, wenn ihr irgendetwas braucht, meldet euch bitte".

Jetzt war ich mit nicken dran.

„Soll ich dich und deine Schwester nach Hause bringen?", fragte mich die Frau.

Ich schüttelte den Kopf. „Meine Schwester ist nicht da, ich komm schon irgendwie nach Hause."

Erneut atmete sie schwer ein, hin und hergerissen. Ich merkte, wie sie sich eigentlich davonstehlen wollte. Wer nicht, ihr Timing war auch einfach mies. In dem Moment neben der Tochter der Verstorbenen zu stehen, wenn diese fast umkippt.

„Komm, ich fahr dich nach Hause und setz dich da ab. Das ist das geringste, was ich tun kann."

„Okay, danke", murmelte ich.

Sie führte mich, ihren Arm weiter um meine Schulter gelegt, langsam fort. Auf dem Weg zu ihrem Wagen verabschiedeten sich Nachbarn, Arbeitskollegen und Freunde meiner Mutter. Anne, meine beste Freundin, umarmte mich noch einmal, brachte mich mit ihrem Heulen ebenfalls zum Heulen.

Peinlich berührt stand die Unbekannte zwei Schritte abseits. Warum sie den Moment zur Flucht nicht ergriff, verstehe ich bis heute nicht. Okay, heute verstehe ich es. Sie ist einfach nicht der Typ Mensch, der sich aus dem Staub macht.

Irgendwann, als Anne mich los lies und dann auch ging, fragte sie mich, „möchtest du gehen?"

Ich nickte und spürte, wie sie erneut stützend ihren Arm um mich legte. In dem Moment brauchte ich ihn nicht, fühlte mich zwar wackelig auf den Beinen, aber stabil genug. Zugleich brauchte ich ihren Arm, ihren Halt in dem Moment so sehr, war froh darüber. Irgendwie landete ich in ihrem Wagen, Passat, eigentlich ganz gemütlich.

Sie tippte in ihr Navi, „okay, wo wohnst du denn?"

Ich nannte ihr die Adresse und wir fuhren los. Die einzigen Geräusche kamen von dem Navi und dem Wagen, ansonsten schwiegen wir uns an. Dabei sah ich aus dem Seitenfenster und sah doch nichts.

„Brauchst du noch etwas?"

Erst da bemerkte ich, dass wir vor meiner Wohnung waren. Sie hatte einen Parkplatz erwischt, direkt hier vor dem Haus. Verrückt.

„Nein, ich... danke schön" und sah sie an. Jetzt erst zum ersten Mal. Eigentlich sah sie ganz sympathisch aus, Trotz der leicht geröteten, von Augenringen untermalt Augen. Nach wie vor zu blass, ein wenig nervös und doch irgendwie auch.. sorgenvoll. Ich kann nicht genau sagen, was mich in dem Moment bewegte. Ob es ihre warme Ausstrahlung war, ihre ehrliche Sorge, dass sie sich irgendwie genauso aufrichtig mies zu fühlen schien wie ich. Oder ich einfach nicht allein meine Küchenwand anstarren wollte.

Sie nickte. „Okay, dann..."

„Kommst du noch mit hoch?"

„Ich, ähm..."

Das ist das Problem, wenn man unvorbereitet in unangenehme Situationen kommt. Man hat einfach keine Ausreden parat. Was ich schamlos, aber auch in dem Moment unbewusst ausnutzte.

„Bitte... ich halt das gerade allein nicht aus. Nur für einen Tee, aber ich brauche.. jemanden, damit der Kopf aufhört zu denken."

Sie nickte erneut. Das schien wohl unser Ding zu sein, wortlos zu nicken.

„Okay, wenn dir das hilft", gab sie zurück und fühlte sich noch unwohler. Erst in dem Moment kam mir in den Sinn, dass es auch ihr nicht leicht fiel. Also die Sache mit meiner Mutter.

„Nein, ist schon okay, wenn du nicht.. ich möchte dich auch gar nicht, also, ich komm schon klar", stotterte ich, so positiv gestimmt, wie ich in dem Moment vortäuschen konnte. Das war eine blöde, egoistische Bitte von mir, unfair. Darum schob ich noch ein Wort nach. „Ehrlich." Spätestens jetzt war es wohl zu viel.

„Ja, ein Tee tut uns beiden wohl gut."

Ich führte sie in meine kleine Wohnung. Kleine, feine Zweizimmerwohnung mit dem Hang zu dezenter Unordnung, einem gemütlichen Sofa mit zwei großen Kissen, einer bestenfalls funktionalen Küche mit übersichtlich gefüllten Kühlschrank und meinem Schlafzimmer, das immer noch auf seine Einweihung wartete. So hätte ich es normalerweise in einer Anzeige beschrieben. Okay, die Nummer mit dem Schlafzimmer hätte ich anders formuliert, aber wir wollen gerade mal ehrlich sein. So ziemlich. Ganz aktuell war das Chaos noch etwas größer, diverse Sachen lagen einfach rum, die ich hektisch zusammenklaubte.

„Setz dich, ich räum nur noch schnell auf, tut mir schrecklich leid", murmelte ich erneut.

„Ist schon okay, bei mir sieht es gerade nicht besser aus... Soll ich uns einen Tee aufsetzen?"

Mit einem Wäscheberg in den Armen sah ich sie an. „Das muss ich doch machen." Und in dem Moment passierte es, sie schenkte mir zum ersten Mal ihr warmes, beruhigendes Lächeln.

„DU räumst jetzt erst einmal dein ganzes Zeug in irgend eine Ecke. ICH setze uns einen Tee auf. Und dann treffen WIR uns wieder hier. Okay?"

Da konnte ich nur noch nicken. Was auch sonst.

„Was für einen Tee magst du denn?"

„Ich hab sowieso nur grünen und schwarzen Tee. Und Pfefferminz, aber die ist wahrscheinlich schon abgelaufen... und Orange-Ingwer", fügte ich mit einem Klos im Hals an.

Sie lächelte abwesend. „Den hat deine Mama auch so gern".

‚Hatte...' ging es uns beiden durch den Kopf. „Ja, ist ihrer, ich.. der ist okay", antwortete ich und sah so überzeugt aus, wie ich mich fühlte.

„Ja... das muss man mögen." Dabei sah sie mich an und fragte vorsichtig. „Soll ich uns eine Kanne davon aufsetzen, weil...", sie atmete tief ein, gefasst, dass ich sie rausschmeiße.

Erinnerungen stiegen in mir hoch, ich musste einfach kurz lächeln. „Wäre wohl irgendwie passend. Gerne."

Wir trafen uns auf dem Sofa wieder. Ich weiß nicht, was man an einem sauren Heißgetränk finden kann, aber irgendwie lüftete der Tee die Seele.

„Wie heißt du.. Entschuldigung, wie heißen Sie denn eigentlich?" Eigentlich eine bescheuerte Frage zu diesem Zeitpunkt, aber ich wusste rein gar nichts von dieser Frau. Außer, dass sie meine Mutter kannte und wohl auch mochte.

„Franziska.. und bitte, ‚du'. Ich fühl mich heute sowieso schon wie 95", dabei blies sie über den heißen Tee und nippte daran. Auch sie fand ihn ‚okay'.

Mit einem Lächeln reichte ich ihr die Hand, „freut mich, ich bin Leah. Mit ‚h', bin ja keine Prinzessin aus Star Wars", spulte ich meinen Standardsatz ab. Grad lief mal wieder eine Serie aus jener Welt, da drehten zu viele durch. Das fehlende „i" überhörten die meisten sowieso.

Auch sie musste lächeln, fragte aber trocken, „schwere Kindheit gehabt, Prinzessin?"

Mein Grinsen wurde breiter, „zum Glück sind mir ‚Han' und ‚Luke' nicht über den Weg gelaufen". Ich bemerkte erst später, dass das das erste Mal war, dass ich bei der Anrede ‚Prinzessin' nicht aus der Haut gefahren bin.

Anders als Franziska auf meine anschließende eigentlich unschuldige Frage, woher sie meine Mutter kannte. Es waren nur Kleinigkeiten, der Griff um die Tasse, das leichte Aufrichten des Oberkörpers, die entweichende Lockerheit aus ihrem Gesicht.

„Ich, ähm... wir waren..." Da war es wieder, nicht vorbereitet und nicht gewohnt, schnell zu lügen. Ich kenne das Problem. „.. eine Freundin. Haben uns beim Gymnastikkurs kennengelernt und waren dann Fitnessschwestern." Sie zuckte mit den Schultern und fuhr fort, „Tipps zu den Getränken, irgendwann abends noch an der Sportsbar. Rezepte über Apfelkuchen ausgetauscht", wobei sie verträumt lächeln musste. „Naja... und dann hat man über alles Mögliche geplaudert, Bücher getauscht und gemeinsam Tee mit Apfelkuchen gemacht."

Ihre warme, weiche Stimme, das abwesende Lächeln bei ihren Schilderungen wickelten mich ein wie in eine warme Decke. Man konnte ihr nur gemütlich zuhören, da verstand ich sofort, was meine Mutter an ihr gefiel... und die Erkenntnis traf mich wie der Schlag. Natürlich, ein Puzzleteil fehlte auf der Beerdigung. Verwandtschaft hatten wir nicht viele, eine Tante meiner Mutter war da, zwei Cousins. Schon das war zu viel. Aber irgendwie fehlte da jemand.

„Du bist es", sprach ich angespannter als beabsichtigt. Sie verstand sofort.

„Ich, ähm, es tut mir leid...", wieder fluchtbereit. Sie sah sich um, stand auf. „Ich wollte nicht.. dich.. also.. respektlos sein. Und... ich.. sorry...", stotterte sie erneut. Eigentlich wollte sie sagen, ‚ich geh jetzt besser mal.' Aber das tat stattdessen ihr Körper für sie.

Warum auch immer, antwortete ich ihr, ihrem Körper, „nein, bitte.. bleib." Verwirrt sah sie mich an. „Ich mein, für dich ist es gerade auch nicht einfach."

Untertreiben konnte ich schon immer gut. Bescheuerte Sätze sagen auch. Unschlüssig sah sie mich an, ich senkte kurz den Blick, dann sah ich wieder zu ihr hoch.

„Sie hatte mir... zwei Tage vor ihrem.. Tod... davon erzählt. Dass sie jemanden neues kennengelernt hätte." Erneut musste ich lächeln. „Gott, war sie nervös. Druckste rum, hatte Schiss, wie ich reagiere. Ich mein, mein Erzeuger ist weg, als ich... drei war." Sie setzte sich wieder zu mir. „Ich meinte, es wäre für mich okay, würde mich freuen. Wäre eigentlich auch mal Zeit. Und wenn das ein Scheißkerl wäre, würde ich ihm die Beine brechen... oder lieber jemanden dafür bezahlen. Sie musste lachen, wurde noch nervöser... Naja, irgendwann beichtete sie, dass es eine Frau wäre. Ich merkte sofort, was in ihrem Kopf vorging. Was für eine blöde Nuss. Fragte nur, ob sie sie glücklich machen würde, also die Neue meine Mom... Da strahlte sie, meinte, sie wäre einfach wundervoll, so wohl hätte sie sich bei jemand anders schon ewig nicht gefühlt. Außer bei meiner Schwester und mir, aber doch ganz anders. Da wusste ich, das musste so sein. So glücklich hatte ich sie tatsächlich... lange, ewig nicht gesehen."

Franziska wischte sich eine Träne aus den Augen, auch wenn sie mehr hätte wischen können. Es brach mir das Herz, hatte doch nicht nur ich meine Mama verloren, sondern auch andere sie. Da lag es an mir, sie in den Arm zu nehmen, ihre Tränen aufzunehmen und einfach nebeneinander zu sitzen. Ihren Kopf an meiner Schulter. Wie ich später erfuhr, waren es ihre ersten Tränen nach dem Verlust. Gefühlt saßen wir eine Ewigkeit so schweigend nebeneinander. Irgendwann fing ich mit Anekdoten an, dann sie, begleitet von noch mehr Orangen-Ingwer-Tee.

Als es dunkel war, brach sie dann auf. Zum Abschied drückten wir uns noch einmal, Telefonnummern schon längst getauscht. Witzigerweise bemerkte ich erst jetzt, dass sie nur ein Stück größer war und ich war schon nicht die größte. Ohne ihre Stiefel wären wir wohl fast auf Augenhöhe... körperlich.

Erst als sie weg war, spürte ich, dass mir etwas fehlte. Sie mir fehlte. Ich sie schon jetzt vermisste, ihre warme, sonnige Art. Die positive Ausstrahlung, einfach ihre Wärme. Mein Magen signalisierte mir auch, dass ich sie vermisste. Mehr aber noch, dass ich jetzt echt etwas essen müsste.

Kauend schrieb ich ihr eine Nachricht... ‚es war ein schöner Tag'. Manchmal spreche ich nicht nur schneller, als ich denken kann. Ich tippe vor allem schneller. Mir wurd heiß und kalt, schrieb schnell hinterher, ‚ich mein, es war schön, dass du da warst'. Warum konnte ich hier nicht editieren, löschen, im Boden versinken.

‚Das fand ich auch. Ein Lichtblick in dieser dunklen Stunde', antwortete sie. Dann kam noch ein lächelnder Smiley hinterher.

Ich las die Nachricht an dem Abend noch viele Male. Dachte an den Nachmittag, den Abend neben ihr, zusammen. Was ich in dem Moment noch nicht wusste, so lange würde wir nie wieder nebeneinander sitzen. Also so anständig.

Das Erwachen. Irgendjemand sagte einmal zu mir, man würde den Tod eines Menschen erst dann verarbeiten, wenn man geheult hätte und die Person beerdigt wäre. Das war vor dem Tod meiner Mutter. Davor habe ich nie so wirklich darüber nachgedacht. Seitdem... ob es stimmt, weiß ich immer noch nicht. Aber so ganz falsch scheint es auch nicht zu sein, wobei ich mir nicht sicher bin, ob es daran lag, oder an etwas anderem. Jemand anderem.

Mit einem halben Brot und einem noch immer flauen, aber doch irgendwie anderem Gefühl im Magen bin ich ins Bett gekrochen. Tiefer Schlaf wurde durch ein schlafloses Umherwälzen zu früh abgelöst. Den alten Gedanken, wie geht den weiter, mischten sich neue dazu. Darunter zählte auch Franzi. Dreimal griff ich zum Handy ihr zu schreiben. Dreimal zuckte ich zurück. Wovor eigentlich, wir waren irgendwie Leidensgenossinnen. Wobei ich uns lieber als Rückkehrer gesehen habe. Zurück ins Leben. Gegen Sieben schrieb ich ihr. Vielleicht etwas früh für einen Samstag. Oder dafür, dass wir eigentlich nur... ja, was eigentlich? Anekdoten bei Tee ausgetauscht hatten.

‚Hey, Lust auf einen Spaziergang? Den Kopf lüften?' Ja, das klang unverfänglich, locker. Man konnte schlecht absagen und doch genug Vorwände vorschieben, wenn man keine Lust hätte. Jetzt musste ich erst einmal raus. Laufen. Rein in meinen Laufdress, die kurze, anliegende Hose und das passende Shirt. Die Schuhe geschnürt, die frische, kühle Luft auf der Haut, der aufgehenden Sonne entgegen. Nur ich, mein Keuchen und der angrenzende Park. Verdammt, ich sollte nicht so lange Winterpause halten, aber der Februar war auch zu lange zu kühl gewesen. Die Kälte und ich waren noch nie Freunde. Das Schöne beim Laufen ist, da kann ich völlig abschalten, an nichts denken. Außer an Franzi, wie sie mir lachend erzählt, wie sie versehentlich die Trinkflasche meiner Mutter erwischt, einen tiefen Schluck nimmt und statt ihrer süßen Apfelsaftschorle von einem intensiven scharfen und saurem kalten Kaffee erwischt wird, weil meine Mutter sich mit ihr einen Spaß erlaubt hatte. Sie bräuchte Mal einen belebenden Frischekick. Wobei Franzi der Frischekick vor Überraschung beinahe aus der Nase rausgekommen wäre. Dabei hatte sie gestern gelacht und in Erinnerungen geschwelgt und ich mich einfach in ihrer lebendigen Ausstrahlung gesuhlt.

Plötzlich stehe ich vor der Tür, schaue auf mein Handy, nur schnell Durchschnittsgeschwindigkeit checken. Stattdessen sehe ich ihre Nachricht, keine zwei Minuten, nachdem ich ihr geschrieben hatte. Musste wohl passiert sein, als ich halbnackt meine Sportpanty gesucht hatte.

‚Du kannst auch gerne zum Mittagessen vorbeikommen, wenn du magst. Magst du Spaghetti Bolo? Aber mit Linsen.'

Nun stand ich vor der Eingangstür und starrte auf das Handy. Ich mochte schon immer Spaghetti Bolognese, aber mit roten Linsen... Das war jetzt eine dreiviertel Stunde her. Ich blöde Kuh machte mir Sorgen, ob ich ihr eine Rückzugsmöglichkeit bei meiner Nachricht ließ und dann antwortete ich nicht auf ihre einfache Frage... Während ich die Treppen zu meiner Wohnung hochstiefelte, grübelte ich tatsächlich darüber nach. Sollte ich zusagen? Konnte ich das? Der Freundin... Partnerin... Ex..., Lebensabschnittswitwe von Mama? Schon wieder zu viele blöde Gedanken, mein Kopf stand mir einfach nur im Weg. Und wenn mir etwas in den letzten Tagen bewusst wurde, dann das man nicht immer das Schwarz suchen sollte, sondern einfach mal das machen, worauf man Lust hatte. Und ich wollte Franzis Bolo. Eigentlich wollte ich bei Franzi sein, mit ihr plaudern und lachen.

‚Gerne, wann soll ich da sein?', tippte ich schneller, als mir lieb war. Wäre auch freundlicher gegangen. Noch bevor ich oben ankam und aufschließen konnte, kam die Antwort. ‚Zwölf Uhr', dazu ihr Adresse. Kaum war ich drin, kam die zweite Nachricht.. und die dritte. ‚Oder 11", ‚oder 13 Uhr, wie es bei dir passt'. Gefolgt von einem lächelnden Smiley.

Meine Antwort war nicht weniger intelligent. ‚Gerne'. Das sagte viel aus, ich mochte es selber nicht, wenn man nicht wusste, wann Gäste kamen. ‚So gegen 11:30'. Im Spiegel sah ich, dass ich lächelte. Ich spürte es auch. Aber was ist, wenn ich trödel, mich verlaufe, oder...

‚Plus, Minus, muss auch noch den Bus checken', das sollte jetzt hinreichend genau sein und Platz für Unpünktlichkeiten lassen. Klang aber auch erschreckend hilflos. Also noch eine Nachricht nachgeschickt, ‚keine Sorge, bin vor 12 da'.

Ja, dachte ich. Das mach ich, aber erst einmal raus aus den Schuhen und Dusche.

‚Ich freu mich', leuchtete auf mein Handy. Jetzt kam ich nicht mal aus meinen Schuhen, ohne grinsend hängen zu bleiben und eine Antwort zu tippen. ‚Ich mich auch.'

Der Tag wurde besser, mein Hirn matschiger. Aber nichts, was eine Dusche nicht wieder hinbekommen würde, dachte ich zumindest. Ich seifte mir gerade die Beine ein, da kam die nächste Panik. Was zieh ich an? Legere Jeans? Lieber meine gute schwarze Stoffhose? Aber das war doch kein Date. Ein sommerliches Kleid? Zu fröhlich, unbeschwert? Bluse zu chic? Pullover zu nachlässig? Mein gelbes Top zu verspielt? Plötzlich hatte ich zu viele Teile, die alle zu nichts zu gebrauchen waren. In Rekordzeit hatte ich mich abgeseift, in ein Handtuch gewickelt und stand vor dem Schrank. Mit halbfeuchten Fingern sortierte ich Kleider, Hosen und Oberteile. Legte meine Wäsche dazu und verwarf alles wieder. Warum zum Henker machte ich mir eigentlich Gedanken um meine Wäsche? Es ging um ein Mittagsessen mit der Geliebten meiner Mama.