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Nikolaj Nikolajew

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Armer Poet soll Lehrer werden, doch die Situation eskaliert.
7k Wörter
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HINWEIS: Im Folgenden werden sexuelle und körperliche Gewalt sowie Drogenmissbrauch beschrieben. Wenn Sie dies nicht gutheißen, lesen Sie nicht weiter.

Es handelt sich um einen fiktionalen Text, der lediglich zur Unterhaltung geschrieben wurde. Weder befürworte, noch rechtfertige ich die beschriebenen Handlungsweisen in der Realität.

„Nikolaj Nikolajew!"

Ich erkannte die Stimme meines Freundes, die mir auf der Straße hinterherrief, sofort und drehte mich um, um ihn zu begrüßen. Ohnehin gab es hier im Exil nur wenige Menschen, die meinen Namen kannten. Zwar nannte man Baden-Baden, diese bedeutende Kurstadt im Großherzogtum Baden am Rande des Schwarzwalds, auch die einzige russische Stadt außerhalb Russlands. Aber eine Kur konnte man nur genießen, wenn man die Möglichkeit hatte, sich zu erholen und anschließend wieder in die Heimat zurückkehren zu können. Und natürlich, wenn man die nötigen Geldmittel hatte, um sich Unterkunft, Verpflegung und Zerstreuung leisten zu können. An beiden Voraussetzungen mangelte es mir gegenwärtig. Dennoch breitete sich ein ehrliches Lächeln auf meinen Zügen aus.

„Dmitrij, mein Freund. Schön dich zu sehen. Gut siehst du aus."

Tatsächlich schien es ihm seit unserer Ankunft deutlich besser ergangen zu sein, als mir. Seine Garderobe wirkte neu und war nach der aktuellen Mode geschnitten. Sein früher kurzgeschorenes blondes Haar war nun mittellang und an den Seiten gewellt. Und sein Teint schien rosig und gesund. Ich dagegen gab in allem die sprichwörtliche Erscheinung des armen Poeten wieder, der ich ja auch war. Meinem einzigen Anzug sah man deutlich an, dass ich ihn schon seit Jahren trug. Meine schwarze Mähne fiel mir bis auf die Schultern herab, da ich mir den Gang zum Barbier nicht leisten wollte. Ein günstiger Nebeneffekt davon war, dass der buschige Bart, der mir gewachsen war, meine hohlen Wangen verbarg und mir ein einigermaßen verwegenes Aussehen verlieh.

Verbunden mit der Tatsache, dass ich einen Kopf größer als die meisten meiner Mitmenschen aufragte und eine breite Statur hatte, wirkte ich auf viele, die mich nicht näher kannten, bedrohlich. Dmitrij aber wusste, dass ich ein sanftes Wesen hatte. Er grinste mich breit an. Wir umarmten uns, dann schob er mich weg und hielt mich eine Armeslänge von sich, um mich zu mustern. Ihm schien nicht wirklich zu gefallen, was er sah.

„Danke für das Kompliment, Nikolaj. Ich fürchte, ich kann es nicht aus ehrlichem Herzen zurückgeben. Wie geht es dir?"

„Nun, ich komme über die Runden. Aber die Heimat fehlt mir."

„Ja, wem sagst du das," Sympathie schwang in seiner Stimme mit, „doch wird es noch einige Jahre dauern, bis wir wieder nach Hause können."

„Wenn wir überhaupt heimkehren können," gab ich zu bedenken, „Wir sind beide über dreißig und wer weiß, wie viele Jahre uns noch verbleiben. Aber lass uns das nicht auf der Straße diskutieren. Ich fürchte, dass die Spitzel der Ochrana auch hier unterwegs sind."

„Du hast recht. Komm mit!"

Er legte mir einen Arm um die Schulter und zog mich einfach mit, als er losmarschierte, ohne mir eine Wahl zu lassen.

„Wohin gehen wir?"

„Ich bin auf dem Weg zur Arbeit."

„Ah, ja?"

Ich sah ihn fragend an.

„Mein Studium der Pharmacie hat mir dazu verholfen. Ein örtlicher Apotheker hat mich als Assistent eingestellt. Die vielen reichen Russen, die zur Kur in Baden-Baden weilen, ziehen es vor, in ihrer Muttersprache bedient zu werden. So ist allen gedient, den zufriedenen Kunden, meinem Arbeitgeber, der seinen Umsatz erhöht, und nicht zuletzt mir, der ich meinen Lebensunterhalt davon bestreiten kann."

Mir entging nicht die Ironie der Situation. Dmitrij lebte vom Geld genau jener Klasse, gegen die wir daheim agitiert hatten. Wie hatte Dostojewskij geschrieben? ‚Knechtet uns, aber macht uns satt'. Doch ich wollte meinen Freund nicht beleidigen und schwieg. Nachdem ich Hunger und Armut zur Genüge kennengelernt hatte, kamen auch mir gelegentlich Zweifel, ob ein reines Gewissen oder ein voller Bauch erstrebenswerter war.

An der Apotheke angekommen, schloss Dmitrij eine Seitentür auf und führte mich in einen Arbeitsraum, in dem Tiegel, Retorten und allerhand andere chemische Apparaturen säuberlich aufgereiht auf Tischen warteten. Sanft drückte er mich auf einen Stuhl, griff in den Beutel, den er über der Schulter getragen hatte, und reichte mir eine Metalldose.

„Hier, iss!"

„Aber das ist dein Mittagessen," lehnte ich ab.

„Iss!", sagte er im Befehlston noch einmal, „Ich werde wegen einer versäumten Mahlzeit nicht verhungern. Aber du siehst aus, als würdest du auf der Stelle umfallen, wenn du nicht umgehend etwas in den Magen bekommst. Ich mache derweil Tee."

Tatsächlich fühlte ich mich wesentlich besser, nachdem ich gegessen und mehrere Tassen heißen Schwarztees mit viel Zucker getrunken hatte. Dmitrij wartete geduldig, bis ich fertig war, dann nahm er das Gespräch wieder auf. Ich meinte, ihm eine Erklärung für meinen Zustand schuldig zu sein.

„Im Gegensatz zu dir kann ich leider kein praktisches Studium vorweisen. Alles was ich gelernt habe, ist Gedichte zu schreiben. Und später unsere Pamphlete zu verfassen. Mit beiden Künsten kann ich hier nicht reüssieren. Mit Gelegenheitsarbeiten halte ich mich über Wasser. Das Geld reicht gerade mal so, um die Miete für meine kleine Dachkammer zu bezahlen. Der Rest ist zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel."

Er sah nachdenklich aus. Ich machte mir Sorgen, zu viel gejammert zu haben.

„Um Gottes Willen, Dmitrij, ich erwarte nicht, dass du mich unterstützt", schob ich nach.

„Nein, nein," beruhigte er mich, „doch könnte ich mir vorstellen, dass deine Fertigkeiten dir hier sehr wohl nützlich sein könnten. Lass mich ein, zwei Gespräche führen, dann melde ich mich bei dir."

„Ich werde nichts tun, was mich wieder ins Visier der Geheimpolizei bringt."

„Keine Sorge. Ich denke an nichts Verwerfliches oder Illegales. Bitte habe nur ein wenig Geduld. Bis dahin hilft dir das möglicherweise über die Runden."

Er öffnete eine Schublade und reichte mir daraus ein paar winzige Papierbriefchen.

„Was ist das?"

„Ein neues Medikament, das ein Forscher in Göttingen erfunden hat. Es hilft gegen Schmerzen, Depression und allgemeine Antriebslosigkeit. Und nebenbei unterdrückt es das Hungergefühl."

Ich schüttelte den Kopf und wollte es ihm zurückreichen.

„Das kann ich nicht bezahlen."

Er schloss meine Faust um die Tütchen und erklärte in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete:

„Nimm es. Mein Arbeitgeber überließ es mir, um damit zu experimentieren und die Wirkung und Dosierung exakter zu beschreiben. Mir fehlt ohnehin ein Proband für diese Studien. Berichte mir einfach, wie es auf dich wirkt, nachdem du es genommen hast. Das ist Gegenleistung genug. Leider muss ich jetzt den Laden aufschließen. Du kannst dich aber gerne hier noch weiter ausruhen."

„Danke, du hast schon mehr als genug für mich getan. Bis bald."

„Bis bald. Ich melde mich."

*

Ich vertrieb mir den Vormittag mit Spaziergängen. Nachdem ich Dmitrijs Zwischenmahlzeit verzehrt hatte, fühlte ich mich einige Zeit lang satt. Doch danach kam der Hunger umso nagender zurück.

Zurück in meinem Zimmer öffnete ich skeptisch eines der Briefchen. Darin fand ich ein weißes Pulver, das einen leicht blumigen Duft verbreitete, vermischt mit unterschwelligen chemischen Gerüchen. Die positiven Wirkungen, die mein Freund beschrieben hatte, wollten mir ein bisschen zu wunderbar erscheinen, aber welchen Grund sollte ich haben, an ihm zu zweifeln? Er würde mich gewiss nicht belügen oder vergiften wollen. Und wenn ich ihm bei seiner Forschungsarbeit helfen konnte, indem ich das Medikament ausprobierte, würde ich dies gerne tun.

Vorsichtig nahm ich mit der Spitze meines kleinen Fingers ein wenig des Pulvers auf, leckte es ab und verteilte es im Mundraum. Es hatte einen bitteren Geschmack sowie eine leicht betäubende Wirkung auf der Zunge ähnlich wie bei sehr scharfen Pfefferkörnern.

Aufmerksam horchte ich in mich hinein, konnte aber keine Veränderung feststellen. Vielleicht hatte ich eine zu geringe Dosis zu mir genommen. Ich beschloss, die Erfahrung schriftlich zu dokumentieren und holte mein Notizbuch hervor. Während ich formulierte und schrieb, spürte ich eine Aufheiterung und Euphorie in mir aufsteigen, wie ich sie schon lange nicht mehr gefühlt hatte.

Bald sprang ich auf. Eine schon vergessen geglaubte Energie erfüllte mich und zwang mich geradezu, hinaus zu gehen und mich zu betätigen. Ich rannte die Treppen hinab und auf die Straße, die ich entlangeilte. Gewiss musste jedermann, der mir begegnete, erkennen, dass ich vor Leben sprühte. Mit hoch erhobenem Haupt schritt ich dahin, grüßte alle und jede, die ich sah, und wollte die ganze Welt an meinem Glück teilhaben lassen.

Irgendwann stellte ich fest, dass ich nicht mehr wusste, wo ich mich befand. Die Straßen waren mir unbekannt und außerdem fröstelte ich, denn ich war verschwitzt und hatte vergessen, meinen Rock überzuziehen, was auch bedeutete, dass ich weder meine Börse noch meine Hausschlüssel bei mir hatte.

Mühselig fand ich meinen Weg zurück. Die Tür zu meiner Kammer stand offen. Auf dem wackligen Tischchen fand ich neben meinem Buch einen Zettel mit Dmitrijs Handschrift.

Er hatte mich nicht angetroffen, wollte mir die gute Nachricht aber unbedingt zukommen lassen. Eine Kundin von ihm suchte einen Lehrer für russische Literatur für ihre beiden Töchter. Er hatte mir einen Vorstellungstermin verschafft und die Anschrift auf dem Papier niedergeschrieben. Seine Botschaft endete mit der dringlichen Bitte, unbedingt morgen gegen 10 Uhr vormittags dort zu sein.

Ich schob das Blatt in meine Kladde und grübelte. Sollte ich meine Überzeugung verraten und von den Krümeln leben, die mir diejenigen überließen, die unser Volk unterdrückten und ausbeuteten? Lange konnte ich nicht einschlafen.

*

Als ich aufwachte, hatte ich meine Entscheidung getroffen. Ich hatte eine Verpflichtung meinem Freund gegenüber. Nicht nur hatte er mir diese Gelegenheit verschafft und sicherlich für mich gebürgt. Wenn ich nicht erschien, würde es ein schlechtes Licht auf ihn werfen. Auch hatte er mir das Wundermittel überlassen, das mir durch seine aufhellende Wirkung erleichtern würde, mich vorteilhaft zu präsentieren und die Verstellung, die meinerseits erforderlich sein würde, um meine Abscheu zu verbergen, zu meistern.

Ich wusch mich, bürstete meine Kleidung aus und trimmte meinen Bart, so dass er nicht mehr gar so verwildert aussah. Zuletzt zog ich mich an und kontrollierte mein Aussehen vor dem Spiegel. Noch einmal überkamen mich Zweifel, ob ich das Richtige tat. Ich holte das schon geöffnete Päckchen aus der Jackentasche und nahm eine etwas größere Menge als beim ersten Mal heraus.

Die erhoffte Wirkung setzte unterwegs ein. Meine Unsicherheit verflog und ich hastete zu der angegebenen Adresse. Ein großes, mehrstöckiges Gebäude erwartete mich, in dem diverse Appartements an wohlhabende Familien vermietet wurden. Ein Pförtner ließ mich ein und verwies mich, nachdem ich mich vorgestellt und mein Anliegen vorgetragen hatte, zu einer bestimmten Wohnung.

Vor der Tür zögerte ich. Auf keinen Fall wollte ich riskieren, so wie am Vorabend zu einem ungünstigen Zeitpunkt aus der Euphorie zu fallen, was jeden guten Eindruck, den ich vielleicht machen konnte, verderben würde. Entschlossen holte ich die angebrochene Portion hervor und schüttelte sie in den Mund. Der aufgewirbelte Staub geriet mir beim Einatmen in die Nase. Er kitzelte und nur mit Mühe konnte ich ein Niesen unterdrücken. Dann klopfte ich vehement.

Ich musste nicht lange warten, bis geöffnet wurde. Im größer werdenden Türspalt erschien eine junge Frau, etwa Mitte zwanzig. Sie schaute fragend und ein wenig argwöhnisch zu mir auf. Ihr Gesicht war eher unscheinbar, ihr hellbraunes Haar war streng nach hinten frisiert und im Nacken zu einem festen Knoten geschlungen. Sie trug ein façonnables, cremefarbenes Kleid mit eng geschnürter Taille. Umso ausladender wurde es nördlich und südlich des Äquators. Wobei großzügige Wellen des kostbaren Tuchs die natürlichen Körperformen unter sich verborgen. Lediglich der Hals und ein Teil der Schultern zeigten ein bisschen Haut. Ein Hauch von Veilchenduft wehte mir entgegen.

Noch einmal erklärte ich, wer und weshalb ich hier war. Ihre zunächst misstrauische Miene glättete sich und sie bat mich herein.

Mein Herz raste und ein leichtes Zittern hatte sich meiner Hände bemächtigt. Eigentlich neigte ich nicht zu Nervosität und ich schob die Symptome auf den Umstand, dass ich mit meinem Auftreten meiner innersten Weltanschauung zuwiderhandelte. Aber einen Rückzieher wollte ich nun auch nicht mehr machen, nachdem ich schon einmal hier war.

Die Hausherrin führte mich in einen Salon, in dem ein gepolstertes Sofa und bequeme Stühle um ein kleines Teetischchen mit einem darauf platzierten silbernen Samowar gruppiert waren. Eine verglaste Vitrine enthielt feines Porzellan und auf drei an den Wänden stehenden Kommoden waren Nippes-Figuren aufgestellt. Die hohen Fenster wurden von langen, schweren Vorhängen eingerahmt.

„Ich bin Olga," stellte sie sich vor, „meine Schwester Polina begleitet noch meine Mutter zum Kurarzt. Sie sind etwas zu früh erschienen."

Es klang nach einer nüchternen Feststellung, keinem Tadel, doch ihre Stirn legte sich in Falten und sie kniff die Augen zusammen, als sie mich ansah. Ich spürte eine gewisse Verärgerung über ihr strenges Verhalten, obwohl ich mir eigentlich kein reizbares Naturell zuschrieb.

Andererseits konnte ich ihr nicht ernsthaft widersprechen. Meine einzige Taschenuhr hatte ich schon vor langer Zeit versetzt. Und zwar hatte ich die Zeit, die ich für die Wegstrecke von meiner Unterkunft zum Zielort zu benötigen gedachte, grob abgeschätzt. Jedoch war es wahrscheinlich, dass ich zu zeitig aufgebrochen war und die Distanz unter der Wirkung des belebenden Mittels schneller als erwartet zurückgelegt hatte. Ich rang mir eine Entschuldigung ab.

Sie bat mich, Platz zu nehmen, blieb selbst aber mit im Schoß gefalteten Händen stehen und wusste offensichtlich nicht, was sie mit mir anfangen sollte, während wir warteten. Nach einigem peinlichen Schweigen fragte sie:

„Kann ich Ihnen etwas anbieten? Einen Tee vielleicht?"

„Ja, gerne," erwiderte ich hastig, obwohl ich nicht durstig war, froh die unangenehme Situation aufzulösen.

Erleichtert, etwas zu tun zu haben, prüfte sie den Kessel des Samowars und die kleine Kanne mit dem Teekonzentrat, das auf seiner Spitze warmgehalten wurde.

„Ich muss Wasser auffüllen."

Wieder war es eine einfache, neutrale Aussage, doch ihr Blick, den sie mir dabei zuwarf, wirkte, als gebe sie mir die Schuld dafür, dass der Wasserbehälter nicht voll war. Ich konnte nicht mehr an mich halten und platzte heraus:

„Habe ich Sie irgendwie verärgert?"

„Nein, keinesfalls," sie erschrak sichtlich über meine Frage, „wie kommen Sie zu dieser Annahme?"

„Sie sehen mich an, als würde Sie meine Anwesenheit stören. Wenn Sie es wünschen, werde ich mich sofort verabschieden und das Haus verlassen."

Meine Beine zuckten und am liebsten wäre ich aufgesprungen. Ich war aufgebracht, weil die gute Laune, in die mich die Medikation versetzt hatte, durch die bedrückende Stimmung im Zimmer in ihr Gegenteil verkehrt zu werden drohte.

„Oh, nein, das ist ein Fehlschluss." Mit einer affektierten Geste legte sie einen Handrücken an ihre Stirn. „Ich habe lediglich ein wenig Migräne. Bitte entschuldigen Sie, dass ich deswegen keine gute Gastgeberin bin. Ich hatte beabsichtigt, mich ein wenig hinzulegen, weshalb ich meine Mutter und Schwester nicht begleitet habe."

Ich kam mir vor wie ein Idiot und brachte stammelnd mein Bedauern zum Ausdruck, dass ich sie davon abgehalten hatte.

„Ich bitte Sie, das ist doch kein Problem. So konnte ich wenigstens verhindern, dass Sie vor dem Haus hätten auf uns warten müssen," versuchte sie, mich zu beruhigen.

Dabei stahl sich zum ersten Mal, seit wir uns kennengelernt hatten, ein Lächeln auf ihre Lippen, wie ein Sonnenstrahl, der eine Wolkendecke durchbrach und einen trüben Tag aufhellte. Unvermittelt schmolz mein Unmut wie Schnee in der Frühlingssonne. Ich lächelte zurück.

„Sie sind zu gütig. Ich bitte vielmals um Verzeihung, dass ich Ihre Erholung gestört habe."

„Keine Ursache. Dann kümmere ich mich jetzt um heißes Wasser."

Geschäftig eilte sie davon, kurz darauf hörte ich klappernde Geräusche, vermutlich aus der Küche. Noch bevor sie den Salon verlassen hatte, war mein Entschluss gefasst. Ich musste das liebliche Wesen von seinen Kopfschmerzen befreien. Ohne Zögern riss ich ein neues Briefchen auf, schüttete den kompletten Inhalt in die Teekanne und schwenkte sie ausgiebig, damit die Körnchen sich auflösten.

Als sie mit einem Topf gekochten Wassers zurückkehrte, schnellte ich von meinem Stuhl hoch wie eine Sprungfeder, stieß gegen den Tisch und alles geriet gefährlich ins Wanken. Glücklicherweise kam es zu keiner Katastrophe. Olgas herzliches Lachen über meine Ungeschicklichkeit ließ den Schrecken prompt verfliegen. Sie musste ein Engel sein.

„Haben Sie denn keine Bediensteten, die Ihnen die Arbeit abnehmen könnten?"

„Unsere Angestellten sind in Moskau, wo sie sich um unseren Vater kümmern, der seine Geschäfte weiterführt, während wir hier auf Kur sind. Unsere Mutter ist außerdem der Ansicht, dass Polina und ich durchaus lernen sollten, einen Haushalt selbst zu führen. Ich habe auch gar nichts dagegen, selbst Hand anzulegen, sondern finde es sehr sinnstiftend, etwas Praktisches zu tun."

Ich war sehr erleichtert zu hören, dass meine Befürchtung, dass sie zu den Parasiten gehören könnte, die nur zu Lasten der unteren Stände lebten, unbegründet war.

Ich half ihr, den Heizkessel aufzufüllen. Danach holte sie zwei Tassen aus der Vitrine und bereite unseren Tee, ehe sie sich auf das Sofa setzte, dabei geschickt ihre ausladenden Röcke bändigend, um eine halbwegs bequeme Position einzunehmen.

Mit spitzbübischer Vorfreude wartete ich darauf, dass sie ihr Getränk zu sich nahm und dann feststellen würde, dass es ihr besser ging. Erst danach würde ich enthüllen, dass ich die Ursache ihrer Genesung war. Sie würde nichts als Dankbarkeit mir gegenüber empfinden, was mich jetzt schon mit einer Erregung erfüllte, die ich schon Ewigkeiten nicht mehr gespürt hatte. Zusehends nahm ich sie als Frau wahr und wurde mir schmerzhaft bewusst, wie lange ich schon völlig alleine lebte. Ich meinte, den Tränen nahe zu sein. Meine rasanten Stimmungsumschwünge verwirrten mich.

„Sie sind also Literaturprofessor, Nikolaj Nikolajew?"

Ihre Frage riss mich aus meinen Träumen.

„Äh, nein. Nicht wirklich. Ich bin Dichter. Und, bitte, nennen Sie mich einfach Nikolaj."

„Aber das gehört sich nicht für eine Schülerin gegenüber ihrem Lehrer, ihn nur mit dem Vornamen anzusprechen."

„Noch bin ich nicht ihr Lehrer, Olga. Erst müssen Sie und selbstverständlich auch Ihre Mutter und Ihre Schwester mich für würdig befinden."

„Also gut, Nikolaj. Dichter zu sein stelle ich mir sehr romantisch vor. Ich bin überzeugt, dass Ihre Gedichte ganz wunderbar sind. Vielleicht habe ich schon einmal eines Ihrer Werke gelesen?"

„Ich fürchte, das wird kaum möglich sein, denn ich habe noch kein eigenes Buch veröffentlicht."

„Oh, weshalb denn nicht?"

Nun bewegte sich die Konversation in eine Richtung, die mir als sehr gefährlich erscheinen wollte. Meine Geschichte und die Gründe, weshalb ich Russland hatte verlassen müssen, waren nichts, was ich offenbaren wollte. Also wechselte ich das Thema und erkundigte mich, welche anderen Autoren sie schon gelesen hatte. Tatsächlich war sie in der Literatur einigermaßen bewandert und wir unterhielten uns wunderbar, wobei es mir gelang, sie immer wieder mit meinen profunden Kenntnissen oder für sie frischen Einsichten in ihre Lektüre zu erstaunen.

Währenddessen hielt ich zusehends nervös nach Anzeichen Ausschau, dass die Medizin Olgas Beschwerden linderte. Ihr Gesicht rötete sich zusehends und eine Ader an ihrem weißen Hals fing an, im schneller werdenden Takt ihres Herzens sichtbar zu pulsieren. Ihre Bewegungen wurden fahriger und zunehmend unruhig rutschte sie auf ihrem Platz hin und her. Ihr Busen unter dem züchtigen Kleid hob und senkte sich mit ihrem merklich beschleunigten Atem. Ich erwartete, dass sich bei ihr in Kürze das Hochgefühl einstellte, das ich bereits erfahren durfte.