von Silversingle
Auftakt zu einer Geschichte, die den Voyeurismus als sexualpsychologische Störung erst nimmt und durch detailreiche Beschreibungen in historischer Kulisse für erheblichen Lesegenuss sorgt.
Im Mittelpunkt stehen die dysfunktionalen Familien- und Generationenbeziehungen innerhalb eines spanischen Adelsgeschlechts, die den Protagonisten Pablo beschädigt zurückgelassen haben. Es ist der fulminante Auftritt seiner angeheirateten Tante Alba (Milf avant la lettre), der Pablo seine prekären Stellung bewusst macht. Es ist leicht zu erraten, dass sie in den folgenden Teilen zu seiner Motivationsquelle werden wird, aus dem Schatten seines Vaters, eines gewalttätigen Grobians, herauszutreten (Ödipus ick hör dir trapsen).
Die erotischen Verstrickungen der Protagonisten zu psychologisieren und zu pathologisieren und als Ergebnis von Familienkonstellationen und Erziehung zu präsentieren, macht eine Ansiedlung im 19. Jahrhundert durchaus plausibel. Allerdings bleibt das Jahrhundert sonst auffallend blass. Hier könnte der Autor nachschärfen, indem er die Eisenbahnaktien erwähnt, mit denen sich der Ehemann Albas verspekuliert hat, die moderne Technologie der Fotografie, derer sich Pablo bedient, um seine Lust zu befriedigen, und die französischen Liebesromane, die Alba liest, um sich aus ihrem harten Kampf um gesellschaftlichen Aufstieg fortzuträumen.
Sprachlich ist der Beitrag auf einem sehr hohen Niveau. Die beiden Erzählperspektiven sind schlüssig umgesetzt, hätten aber vielleicht noch mehr Einblick in die Gedankenwelt, die persönliche Sichtweise von Pablo und Alba geben können. So wirkt der auktoriale Einschub, in dem der Ursprung von Pablos Voyeurismus, der Urgrund seiner Obsession, referiert wird, auf mich äußerst spröde. Leicht hätte man ihn in die Gedanken integrieren können, die Pablo sich macht, während er am Schlüsselloch klebt.
Als äußerst anachronistisch ist mir der Begriff 'offene Ehe' aufgestoßen. Würde nicht so etwas wie 'ein gewisses Arrangement' der Vorliebe dieser Zeit (und vielleicht einer katholischen Gesellschaft) für Verschleierung besser Rechnung tragen? Außerdem beschreibt offene Ehe grade nicht das, worum es zu gehen scheint. Soweit das klar wird, geht es nicht (oder vielleicht nicht vorrangig und für Alba) um das freie Ausleben der Lust, sondern um das Erringen von Vorteilen in der hierarchischen Adelsgesellschaft durch sexuelle Verfügbarkeit.
Bin gespannt, wie es weitergeht. Ich erahne bereits das große Serienfinale: Pablos und Alabas gemeinsame Reise nach Wien, wo er auf der Couch eines gewissen Dr. Freud landet ...