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Rapunzel 02

Geschichte Info
Wie Tanita sich änderte.
7.1k Wörter
4.41
10.6k
00

Teil 2 der 3 teiligen Serie

Aktualisiert 03/17/2021
Erstellt 12/22/2013
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Der Bus ratterte und quietschte, als drohte er jeden Moment auseinanderzufallen. Die anderen Fahrgäste schien das nicht zu stören, die meisten schauten gleichmütig aus dem Fenster, einige hatten die Kopfhörer ihres iPods in die Ohren gestöpselt oder lasen. Das hieß dann wohl, dass alles in Ordnung war.

Allmählich entspannte Tanita sich und schaute ebenfalls aus dem Fenster. Sie war noch nie in einem Bus unterwegs gewesen, zumindest nicht, dass sie sich erinnern konnte. Erstaunlich, was diese Linie für einen Umweg fuhr. Aber laut Fahrplan, den sie sich im Internet gestern noch angeschaut hatte, war sie am praktischsten um schnell zur Uni zu kommen.

Tanitas anfängliches Unbehagen legte sich zusehends. Mick behauptete immer, ein Mädchen wie sie würde überall die Aufmerksamkeit der Leute auf sich ziehen, vor allem von solchen, die ihr nicht wohlgesonnen waren. Deshalb bestand er unter anderem darauf, dass sie ihre langen Haare zu einem schlichten, langweiligen Zopf geflochten trug, außer wenn sie mit ihm allein war. Sie blickte sich unauffällig in ihrer Umgebung um. Starrte sie irgendjemand an? Nö. Alle mit sich selbst beschäftigt.

Tja, Mick, du hast eben nicht mit allem recht.

An der Uni war sie schließlich auch nur eine von vielen. Mochte ja sein, dass Mick in ihr etwas Besonderes sah, aber ansonsten interessierte sich niemand für sie. Außer... außer Magnus vielleicht.

Schon wieder eine Bushaltestelle. Meine Güte, sie hatte das Gefühl, überhaupt nicht voranzukommen. Eine Handvoll junger Leute stieg ein, dem Anschein nach ebenfalls Studenten. Den großen Kerl mit blondem Wuschelkopf unter ihnen kannte sie doch. Wenn man vom Teufel sprach...

Magnus entdeckte sie fast sofort und ließ sich ihr gegenüber in den Sitz plumpsen.

„Hey", strahlte er sie an. „Heute ohne Wachhund unterwegs? Wie kommt denn das?"

„Er liegt im Krankenhaus", erwiderte Tanita trocken.

Augenblicklich verschwand das Lachen aus seinen Augen und machte ehrlicher Betroffenheit Platz. „Ach du Scheiße. Was ist denn mit ihm -- ich meine, wenn ich fragen darf?"

„Arbeitsunfall. Hat was auf den Kopf bekommen." Als sie Magnus' erschrockenes Gesicht sah, fügte sie schnell hinzu: „Ist aber nicht so schlimm, wie es hätte sein können. Da war sein Dickschädel ausnahmsweise mal nützlich."

Magnus blies die Backen auf. „Puh. Gott sei Dank. Sonst hätt ich mir den dummen Spruch von eben nie verziehen."

„Unsinn", lächelte sie. „Das konntest du ja nicht ahnen."

„Hat er denn so einen gefährlichen Job? Auf dem Bau oder so?"

„Na ja, es geht. Er ist KFZ-Mechaniker. Ehrlich gesagt hab ich auch nicht ganz verstanden, was ihm da gestern passiert ist. Nicht mal sein Chef schien sich das richtig erklären zu können."

„Ob du 's glaubst oder nicht", meinte Magnus kopfschüttelnd, „das nimmt mich irgendwie richtig mit, obwohl ich ihn gar nicht kenne. Dustin Hoffman im Krankenhaus -- Mann, Mann."

Obwohl Tanita wenig Übung im Smalltalk hatte, fühlte sie sich im Gespräch mit ihrem Kommilitonen kein bisschen unwohl. Im Gegenteil, während der restlichen Fahrt taute sie richtig auf und stellte ihm ihrerseits lebhaft Fragen. Als sie aussteigen mussten und gemeinsam zum Bioturm gingen, hatte sie schon das Gefühl, seine gesamte Lebensgeschichte zu kennen.

Als hätte er ihre Gedanken erraten, stellte Magnus fest: „So, von mir weißt du jetzt, woher ich komme, dass ich nach dem Abi ein Zivi-FÖJ und danach Work and Travel in Australien gemacht hab, dass ich mich quasi ausschließlich von Pizza ernähre und Bio nur studiere, weil ich in der Schule nichts anderes konnte. Und von dir weiß ich gerade mal deinen Namen und dass du einen Freund hast, der seine Beschützerrolle sehr ernst nimmt, diese aber zu meinem Glück gerade nicht ausüben kann. Wie stehen denn die Chancen, mehr über dich zu erfahren?"

Schlagartig wurde Tanita aus ihrer guten Laune gerissen. Sie brauchte nicht viel Fantasie um sich auszumalen, was er wohl zu dem sagen würde, was sie zu erzählen hatte. Wahrscheinlich würde er sie für komplett gestört halten, aber bestimmt nicht verstehen. Daraus konnte sie ihm noch nicht einmal einen Vorwurf machen, er war schließlich genau wie die anderen, in deren konservativer Denkweise schlicht kein Platz war um ihre Lebensweise zu akzeptieren.

Magnus spürte offenbar, dass er irgendeine Art von Fettnäpfchen erwischt hatte. „Okay, lassen wir das. Mal was anderes: Was machst du denn sonst immer so zwischen Zoologie und Chemieübung?"

Etwas überrumpelt sagte Tanita: „Ach... nichts besonderes. Meistens geh ich in die Bib und arbeite da ein bisschen."
„Hättest du nicht Lust, heute mal mit in die Mensa zu kommen? Oder hast du dem Essen dort komplett abgeschworen?"

Aus Gewohnheit wollte sie schon nein sagen, aber -- warum eigentlich? Magnus war doch nur ein Kommilitone, niemand, vor dem man sich in Acht nehmen musste. Und außerdem stand jetzt kein Mick hinter ihr, der von ihr eine Rechtfertigung verlangte.

Ihre zuvor noch verschlossene Miene hellte sich auf. „Ich komm gern mit", sagte sie.

Es kam ihm so vor, als sei er gerade erst eingedöst, da riss ihn schon wieder etwas aus seinem leichten Schlaf. Mühsam öffnete Mick die Augen. Sie tränten und fühlten sich geschwollen an, geschuldet der hinter ihm liegenden Nacht, wohl der bisher beschissensten seines Lebens. Was er dann allerdings sah, ließ ihn seinen hämmernden Schädel und die ständige Übelkeit einen Moment vergessen.

„Hallo", sagte Tanita und strahlte ihn an.

Er hoffte, dass das, was seine Mundwinkel taten, zumindest entfernte Ähnlichkeit mit einem Lächeln hatte.

„Hey, mein Mädchen. Wie lange bist du denn schon hier?" Das war ja furchtbar, er brachte kaum einen vernünftigen Ton raus. Sein Mund war total trocken, aber wenn er jetzt was trinken würde, käme es ihm garantiert wieder hoch.

„Seit gerade eben. Ich fürchte, ich hab dich geweckt."

„Ach was. Hier kriegt man eh kein Auge zu. Komm", er klopfte leicht mit der Linken auf die Bettkante, „setz dich mal zu mir."

Sie kam seiner Aufforderung nach und griff mit ihren schlanken Händen nach seiner. Wenn sie wüsste, wie gut ihm ihre Nähe tat.

„Wie geht 's dir?", wollte er wissen.

„Hey, ist das nicht mein Text?", fragte sie lachend. „Was macht dein Kopf? Siehst du mich noch doppelt?"

Er kniff die Augen zusammen. „Nicht mehr ganz. Nur noch irgendwie verschoben."

„Das klingt doch nach leichter Besserung", stellte Tanita zufrieden fest. „Du bist auch nicht mehr so totenblass wie gestern Abend. Und man kann sich wieder richtig mit dir unterhalten."

Jedes Wort kostete Mick eine Menge Kraft, aber er hütete sich, sie das merken zu lassen.

„Ist bei dir denn alles okay?", wiederholte er. „Warst du in der Uni?"

Sie nickte, nicht ohne Stolz. „Klar. Und ich kann dich beruhigen, es lief alles gut, niemand hat irgendwelche Anstalten gemacht, mich anzuekeln."

„Das soll auch keiner wagen."

„Jedenfalls hast du hiermit ja wohl die offizielle Bestätigung, dass ich nicht vollkommen unselbstständig bin", sagte Tanita.

Himmel, das klang fast, als würde sie jetzt eine Diskussion anfangen wollen. Irgendwie nicht ganz fair.

„Das hab ich ja auch nie behauptet", entgegnete er matt. „Aber auch großen Mädchen kann alles mögliche passieren."

„Mag sein, aber ich hab mittlerweile auch so einige Menschen kennengelernt und von denen sind die meisten weit davon entfernt, Arschlöcher zu sein." Ihre Augen funkelten ihn fast herausfordernd an.

„Aha", meinte er spöttisch, „so wie diese Matschbacke, wegen der du gestern so spät dran warst." Gestern, verdammt. Das schien schon reichlich lange her zu sein. „Dieser Riesenkerl. Blondie."

„Magnus", sagte Tanita und biss sich plötzlich auf die Unterlippe. Auch sein lädiertes Hirn erkannte das als Signal zur Wachsamkeit.

„Weiter", forderte er sie mit leicht gerunzelter Stirn auf. „Du hast mir nicht zufällig was über ihn zu erzählen?"

Täuschte er sich oder glitten ihre Augen kurz zur Seite, bevor sie seinen Blick erneut erwiderte? Mick war sich nicht sicher, es fiel ihm zunehmend schwer, sich zu konzentrieren.

„Er hat dich mal gesehen und findet, du hast Ähnlichkeit mit Dustin Hoffman", platzte sie heraus und schaffte es mit diesem unvermuteten Satz mal wieder, ihm den Wind aus den Segeln zu nehmen.

„Ach ja?", fragte er verblüfft. „Wundert mich ja, dass er den überhaupt noch kennt. Der ist doch höchstens so alt wie du."
Tanita öffnete den Mund, aber im letzten Moment schien sie sich noch einmal zu überlegen, was sie sagen wollte. „Willst du damit etwa andeuten, dass du zum alten Eisen gehörst?", erkundigte sie sich verschmitzt.

Er schloss die Augen und schnaufte. „Jetzt gerade will ich überhaupt nichts andeuten, höchstens dass ich irgendwie ziemlich geschafft bin."

„Tut mir Leid, Pa", sagte sie zerknirscht. „Ich hätte dich nicht so zutexten dürfen. Soll ich dich lieber allein lassen?"

„Alles, bloß das nicht", murmelte er und hielt ihre Hände fest. „Bleib hier sitzen. Wenn 's dir nichts ausmacht."
„In Ordnung", hörte er ihre sanfte Stimme, bevor er langsam abdriftete ins Reich der Träume. „Dann bin ich jetzt einfach nur da."

Drei Tage war Tanita auf sich allein gestellt. Drei Tage Unabhängigkeit, in denen sie zunehmend mutiger wurde und entdeckte, wie viel Spaß es machen konnte, flexibel zu sein. Am zweiten Tag hatte sie nach der Uni noch mit Magnus in der Campus Suite gesessen und einen Kaffee getrunken, bevor sie zu Mick in die Klinik fuhr. Er wusste ja nicht, wie die Fahrpläne der Busse aussahen und außerdem hatte er im Moment ohnehin kein vernünftiges Zeitgefühl mehr. Der Tag im Krankenhaus zog sich endlos dahin und bestand für ihn in erster Linie daraus, zu schlafen, ein bisschen zu essen und in regelmäßigen Abständen den Blutdruck gemessen zu bekommen. Und auf Tanitas Besuch zu warten.

Der dritte Tag war Samstag. Als Tanita schon am Vormittag in Micks Zimmer schneite, konnte sie ihre Aufregung nicht ganz verbergen. Sie war heute tatsächlich verabredet! Magnus hatte sie gefragt, ob sie nicht zufällig Ahnung von Mathe hätte und sie kurzerhand eingeladen, bei seiner Lerngruppe vorbeizuschauen. Die zwei anderen, die auch noch dabei waren, ein Typ und ein Mädchen, kannte Tanita zumindest vom Sehen, also sagte sie ohne langes Nachdenken zu. Dementsprechend war sie Samstag ein bisschen durch den Wind. In ein paar Stunden würde sie bei Magnus in der Wohnung sitzen! Zum ersten Mal seit Jahren unternahm sie in ihrer Freizeit etwas ohne Mick!

Er machte schon einen ziemlich munteren Eindruck auf sie, das Kopfende des Bettes war höher eingestellt, sodass er aufrecht sitzen konnte. Seine grünen Augen blitzten freudig auf, als sie hereinkam.

„Gute Neuigkeiten", begrüßte er sie mit beinahe gewohnt kräftiger Stimme. „Morgen komm ich raus."

Diese Worte bereiteten ihrer Ausgelassenheit sofort ein Ende. Tanita spürte, wie das ihr mittlerweile sehr vertraute schlechte Gewissen sich schmerzhaft regte. Rasch versuchte sie, zu ihrem Lächeln zurückzufinden, aber es wollte nicht so recht klappen, deshalb trat sie schnell an seine Seite und umarmte ihn vorsichtig. „Hey, das ist ja toll."

Aber Mick kannte sie zu gut. Er fasste sie an den Schultern und schob sie ein Stück von sich, damit sie ihr Gesicht nicht mehr verbergen konnte.

„Was ist los?", fragte er argwöhnisch.

„Was soll sein?", gab sie unschuldig zurück.

Seine Augen wurden schmal, er legte ihr eine Hand auf die Brust und fühlte ihr wild pochendes Herz.

„Warum bist du so nervös?", erkundigte er sich mit lauerndem Tonfall.

Gute Frage. Schließlich hatte sie nichts getan, wofür sie sich vor ihm hätte rechtfertigen müssen. Außer... außer dass die paar Tage ohne ihn ihr seltsamerweise ganz gut getan hatten. Aber sonst... es war doch nichts gewesen. Magnus war ein netter Junge, aber mehr auch nicht, eigentlich hätte sie Mick von ihm erzählen können... wenn er nicht die Angewohnheit gehabt hätte, sich wegen jeder Kleinigkeit aufzuregen. Und Aufregung konnte er doch im Moment nicht gebrauchen, oder?

Tanita schaute ihm gerade in die Augen, möglichst ohne mit der Wimper zu zucken. „Ach, Mick. Ich hab keine Ahnung, warum. In den letzten Tagen geht bei mir irgendwie alles drunter und drüber. Das war so ein Schock, als dein Chef mir gesagt hat, dass du im Krankenhaus bist. Ich hatte solche Angst, dass dir was richtig Schlimmes passiert sein könnte. Und dann... dann hab ich mich gefreut, dass es dir langsam besser ging und fand es gleichzeitig schlimm, dich immer hier alleine lassen zu müssen. Tja, und jetzt... jetzt weiß ich irgendwie gar nicht, was ich dazu sagen soll, dass du nach Hause kommst. Das ist alles so..."

„... viel", sagte er, plötzlich verständnisvoll. „Komm mal her."

Während sie sich auf die Bettkante sinken und in die Arme nehmen ließ, dachte sie, dass sie zumindest nicht gelogen hatte. Sie hatte ihm zwar nicht die ganze Wahrheit gesagt, nicht alles, was sie bewegte -- aber zumindest einen Teil davon.

„Weißt du eigentlich", murmelte Mick und streichelte ihr übers Haar, „dass ich sehr stolz auf dich bin?"

Verlegen schmiegte Tanita den Kopf an seine Schulter. „Womit hab ich das denn verdient?"

„Na, einfach so von jetzt auf gleich quasi alleine dastehen, dabei noch einen klaren Kopf bewahren und jemand anderem Trost und Kraft spenden -- das soll dir erst mal jemand nachmachen."

„Das ist ja wohl gar nichts dagegen, von heute auf morgen für ein fremdes Kind verantwortlich sein zu müssen."

Er schwieg einen Moment nachdenklich. „Du warst ja nicht fremd für mich. Wir kannten uns schließlich schon ungefähr drei Jahre. Wenn du noch ein Baby gewesen wärst, hätte ich mich wohl auch schwerer getan. Aber du hast es mir ziemlich einfach gemacht."

Sie schnaubte. „Einfach? So weit ich mich erinnern kann, hab ich die ersten Wochen ständig geheult und dich gefragt, wann Mama und Papa wieder da sind, weil ich nicht kapieren wollte, was mit ihnen passiert ist."

„So was will keiner kapieren", meinte er fast grimmig. „Weißt du, was ich damals manchmal gedacht habe? Es war ungefähr ein halbes Jahr, bevor deine Eltern den Unfall hatten, als Uwe mich gefragt hat, ob ich dich zu mir nehmen würde, falls deiner Mutter und ihm mal was passieren sollte. Als sie dann wirklich... also, in der ersten Zeit hab ich mich tatsächlich gefragt, ob ich den Tod meiner Freunde irgendwie heraufbeschworen habe, nur weil meine Antwort damals „Ja" war."

Überrascht hob Tanita den Kopf. „Das hast du mir noch nie erzählt."

„Weil es Schwachsinn ist. Wenn ein Unglück passiert, das man nicht verhindern konnte, macht man sich manchmal die bescheuertsten Vorwürfe. Aber mit Gedanken bringt man keinen Zug zum Entgleisen. Abgesehen davon hab ich bloß deshalb zugesagt, weil ich weder deine Eltern noch dich enttäuschen wollte. Ehrlich gesagt konnte ich mir mit 23 Jahren nämlich nichts weniger vorstellen, als plötzlich Ziehvater zu sein." Er drückte sie an sich. „Und heute kann ich mir nicht mehr vorstellen, ohne dich leben zu müssen."

Tanita strich ihm über die Brust. „Heute würde ich dich aber nicht mehr unbedingt als meinen Ziehvater bezeichnen", grinste sie, wurde aber gleich darauf wieder ernst. „Mick -- ich liebe dich."

Statt einer Antwort küsste er sie. „Wird Zeit, dass ich nach Hause komme", brummte er.

Seufzend legte sie den Kopf wieder auf seine Schulter. Einerseits ja, aber andererseits... Vielleicht würde sie ihm eines Tages auch von ihrem schlechten Gewissen erzählen. Aber ganz sicher nicht jetzt.

Viertel nach drei. Eigentlich hatte sie schon seit kurz vor zwei frei. Mick knirschte unwillkürlich mit den Zähnen, er bearbeitete das schmutzige Geschirr zunehmend unsanfter. Vielleicht war sie ja einkaufen gegangen. Aber was zur Hölle sollte sie jetzt schon wieder kaufen wollen? Sie hatte doch gestern erst alles besorgt, was sie für die Woche brauchten.

Er war gerade im Begriff, den Abwasch sein zu lassen und sie auf dem Handy anzurufen, das er ihr mitgegeben hatte, als er hörte, wie die Wohnungstür aufgeschlossen wurde. Dann folgten die weiteren vertrauten Geräusche des Nachhausekommens: das Plumpsen ihres Rucksacks auf den Boden, das Rascheln, als sie die Jacke auszog, das leise Poltern mit dem ihre Schuhe neben seinen in der Ecke landeten.

Keine zwei Atemzüge später stand sie auch schon in der Küche und schlang fast ausgelassen von hinten die Arme um ihn.

„Hi! Mensch, danke fürs Abwaschen. Aber eigentlich gehörst du noch ins Bett."

„Ist mir allein zu langweilig", gab er zurück. Der leichte Groll in ihm war verflogen, er liebte es, wie sie sich an ihn drückte, sodass er ihre weichen Brüste an seinem Rücken fühlte. Außerdem rührte ihn ihre Besorgnis.

Tanita lachte leise. „Wenn du schon wieder an so was denkst, kann 's deinem Kopf ja nicht mehr so schlecht gehen."

„Wüsste nicht, dass ich dafür je meinen Kopf gebraucht hätte", grinste er und gab ihr einen Kuss auf die Schläfe. „Warum bist du heute eigentlich so spät dran?"

„Ach, ich hab noch kurz mit ein paar Leuten zusammengesessen, wir haben versucht, ein paar Fragen zu klären. Chemie und so."

„Was für Leute?", wollte er misstrauisch wissen.

„Kommilitonen. Leute, die mehr von Chemie verstehen als ich. Wir haben nur etwa 'ne halbe Stunde in der Mensa zusammengesessen und dann musste ich noch 'ne Viertelstunde auf den Bus warten. Das dauert natürlich, bis ich dann hier bin."

Mick ließ das Spülwasser ablaufen und fing an, unter fließendem Wasser den Schaum von den Tellern zu spülen. Tanita löste sich von ihm und schnappte sich das Geschirrtuch.

„Ich hab 's dir immer gesagt", meinte er nicht ohne Genugtuung. „So schnell und zuverlässig wie ich bringt dich kein Bus von A nach B."

„Ja, schon", antwortete sie bedächtig und räumte das abgetrocknete Geschirr in den Schrank. „Aber andererseits brauche ich kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn ich mit dem Bus fahre."

„Wie soll ich das jetzt verstehen?"

Tanita schaute ihn nicht an. „Na ja", sagte sie zu dem Besteck in ihrer Hand, „wenn jetzt mal ein Kurs nicht pünktlich endet, brauche ich mir keine Sorgen zu machen, dass deswegen jemand zu spät zurück zur Arbeit kommt und womöglich unkonzentriert ist."

Vor Verblüffung glitt ihm eine Tasse aus der Hand und landete zum Glück unversehrt wieder in der Spüle.

„Jetzt mach aber mal 'n Punkt!", sagte er laut. „Hältst du mich für nicht mehr zurechnungsfähig oder was?"

„Nein!", rief sie heftig um gleich darauf in ruhigerem Tonfall hinzuzufügen: „Ich will doch bloß nicht, dass du meinetwegen Stress hast. Also reg dich bitte wieder ab."
„Ich reg mich auf, so viel ich will!", knurrte Mick und drehte den Wasserhahn so fest zu, als hätte er stattdessen am liebsten jemanden erwürgt. „Glaubst du vielleicht, die dämliche Motorhaube ist mir deshalb auf den Kopf gedonnert, weil ich deinetwegen nicht bei der Sache war? Du hast sie doch nicht mehr alle!"

Sie antwortete nicht, sondern räumte still das letzte Glas in den Schrank. Mit einem Mal taten ihm seine groben Worte leid.

„Mein Mädchen... schau mich mal an."

Tanita gehorchte, ihre Augen wirkten ein wenig traurig. „Ich will eigentlich gar nicht mit dir streiten, Mick."

Er machte einen Schritt auf sie zu und legte ihr versöhnlich die Hand auf die Schulter. „Ist nicht deine Schuld", sagte er in einem Anflug von Selbsterkenntnis. „Manchmal bin ich halt ein altes Ekel."

Jetzt lächelte sie schon wieder. „Du bist weder alt noch ein Ekel. Weißt du..." Sie unterbrach sich, ihr Blick glitt einen kurzen Moment zur Seite.

Gespannt hob er die Augenbrauen. „Na?"

„Weißt du", wiederholte sie gedehnt und zupfte spielerisch an seinem Hemdkragen, „was ich jetzt gerne mal wieder machen würde?"
Mick schmunzelte. Gut, dass sie beide eine ähnliche Vorstellung von Versöhnung hatten.

„Tja, keine Ahnung", antwortete er mit Unschuldsmiene.

Tanita ließ seinen Kragen los und machte Anstalten, die Küche zu verlassen. „Ich würde gerne", sagte sie über die Schulter und machte eine bedeutungsvolle Pause, „mal wieder Van Halen hören."