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Rapunzel 02

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Damit hatte er irgendwie nicht gerechnet. Zuerst machte er ein ziemlich dummes Gesicht, bis sie ihm zuzwinkerte.

„Am liebsten ihre Version von „You Really Got Me" -- was hältst du davon?"

„Hmm", machte er und und spürte, wie sich in ihm die Vorfreude regte. Er war wirklich schon fast wieder der Alte. „Kann sein, dass ich das auch noch draufhabe."

Sie stieß sich vom Türrahmen ab, an den sie sich gelehnt hatte und begab sich mit fast tänzelndem Schritt in den Flur. „Na, dann zeig 's mir", forderte sie ihn frech auf.

Da ließ er sich nicht lange bitten.

***

Was zum Teufel war bloß mit ihr los? In der Uni bekam sie kaum mit, was die Dozenten versuchten, ihr beizubringen; wenn sie unterwegs war, pfiff und summte sie ausgelassen vor sich hin und schenkte den Leuten nur ein Lachen, wenn sie verwunderte Blicke erntete. Ganz selbstverständlich aß sie mit Magnus und seiner Clique in der Mensa zu Mittag, alberte mit ihnen herum als würde sie schon immer dazugehören und zögerte nicht mehr lange, wenn Magnus sie fragte, ob sie nach der Uni noch mit ihm einen Kaffee trinken oder in die Stadt wollte. Sie achtete zwar darauf, sich nicht zu viel Zeit zu lassen, bis sie nach Hause kam, aber Mick hatte ohnehin keinen Anlass zur Beschwerde, so oft, wie sie mit ihm schlief. Jeden Tag. Mindestens einmal. Aus irgendeinem Grund bekam sie überhaupt nicht genug davon, ihn in sich zu spüren, seine kräftige Brust zu küssen und die Form seiner Muskeln zu erforschen.

„Meine Fresse", staunte er einmal kopfschüttelnd, als er friedlich auf dem Sofa saß und sie ihm unvermittelt auf den Schoß sprang, „bist du irgendwie auf Drogen oder so?"

Sie grinste ihn nur an. „Wird 's dir zu viel, Pa?"

„Das könnte dir so passen", knurrte er, während seine Hände unter ihren Pulli glitten. „Von mir aus können wir diese Frequenz beibehalten."

Es war ein bisschen, als hätten sie die Rollen getauscht. Normalerweise war es Tanita, die den Großteil des Tages in der Wohnung verbrachte, sich um Haushalt und Essen kümmerte, während Mick die meiste Zeit unterwegs war, nach der Arbeit noch schnell einkaufte -- und häufig die Initiative ergriff, wenn es um Sex ging. Dadurch aber, dass man ihn nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus für zwei Wochen krankgeschrieben hatte, blieb er jetzt zu Hause, ließ alles etwas ruhiger angehen und lenkte sich mit Putzen ab, wenn ihm zu langweilig wurde. Tanita wusste, dass es ihm lieber gewesen wäre, sie hätte ihm während dieser Zeit mehr Gesellschaft geleistet, aber sie hatte ihm für ihre Verhältnisse ungewöhnlich energisch erklärt, dass sie nicht einfach blau machen konnte.

„Als Student kann man sich heutzutage kein Lotterleben mehr leisten und kommen und gehen, wie es einem passt", hatte sie gesagt. „Heute haben wir in den Kursen Anwesenheitspflicht! Da kann ich es mir nicht erlauben, einfach so zu fehlen -- sonst muss ich nächstes Jahr alles noch mal machen!"

Natürlich war das etwas übertrieben. Aber wenn sie zugegeben hätte, dass für die Vorlesungen keine Anwesenheitspflicht bestand und sie auch in den Übungen zumindest einmal unentschuldigt fehlen durfte... er hätte sie garantiert dazu gebracht, zu schwänzen. So aber musste er es wohl oder übel zulassen, dass sie alleine zur Uni fuhr und auch gleich die Einkäufe erledigte, wenn sie schon mal unterwegs war. Diese für ihn untypische Nachgiebigkeit war eigentlich nur damit zu erklären, dass er tatsächlich noch nicht wieder vollständig fit war. Zum Sex musste er zwar nicht erst überredet werden, aber Tätigkeiten, die Konzentration erforderten -- wie zum Beispiel Autofahren --, ließ er sicherheitshalber noch sein.

„Wie sieht 's aus?", fragte Magnus Tanita am Mittwoch nach dem Schnippelkurs, während er ihr ganz selbstverständlich den Arm um die Schultern legte. „Hast du nicht Lust, heute mal wieder mit zu mir zu kommen? Wir könnten 'nen DVD-Abend machen."

„Abend ist bei mir nicht so günstig", erwiderte sie, „aber heute Nachmittag könnt ich für 'ne Weile."

Er strahlte und drückte sie kurz. „Super!"

Es war auf den Tag genau zwei Wochen her, dass er sie das erste Mal angesprochen hatte. Zwei Wochen nach Micks Unfall. Wenn Tanita da jemand gesagt hätte, wie unbefangen sie innerhalb dieser kurzen Zeit werden würde und wie schnell sie sich einen Tag ohne Magnus nicht mehr würde vorstellen können -- sie hätte überhaupt nicht verstanden, wovon derjenige sprach.

Sie traten aus dem Bioturm hinaus in die Kälte. Der Eingang war überdacht, die Hauswände links und rechts davon vorgezogen. Man musste noch um eine Ecke biegen um zur Treppe zu kommen. Aus Gewohnheit schweifte Tanitas Blick an dieser Stelle zum Parkplatz.

Keine Sekunde später hatte sie nach Luft schnappend einen Satz zurück gemacht und presste sich mit dem Rücken an die sichere Hauswand. Magnus warf ihr einen irritierten Blick zu.

„Was ist denn los?"

Sie stöhnte nur und er schaute vorsichtig um die Ecke. Sein Gesicht wurde ernst.

„Aha", sagte er, „verstehe. Jetzt sagst du mir gleich, dass du heute Nachmittag doch nicht kannst."

Tanita wich seinem Blick aus, biss sich verzweifelt auf die Unterlippe. Sie hatte schon fast vergessen, wie es sich anfühlte, klein und machtlos zu sein.

„Tut mir Leid", sagte sie leise.

„Nein", schüttelte er den Kopf, „mir tut es Leid. Ich weiß, das klingt völlig abgedroschen, aber es ist wirklich so. Es tut mir weh, dich so zu sehen. Was ist los mit dir?"

Sie zuckte mit den Schultern. „Nichts."
„Tana." Das war sein Spitzname für sie, irgendwann hatte er sie mal im Spaß so genannt. „Du hast Angst. Warum? Tut er dir was?"

Jetzt schaute sie ihm wieder ins Gesicht. „Nein!", widersprach sie empört.

„Aber... warum versteckst du dich dann jetzt vor ihm? Warum lässt du es zu, dass er so über dich bestimmt?"

Darauf hatte sie nur gewartet, die ganze Zeit, die sie sich kannten, hatte sie mit so etwas gerechnet. Er verstand sie nicht. Wie auch?

„Tana, bitte. Du erzählst nie etwas über dich oder deinen sogenannten Freund. Ich möchte dir helfen, aber wie soll ich das können, wenn ich nichts über dich weiß?"

Jetzt ging er zu weit. Woher nahm er das Recht, zu behaupten, sie brauche Hilfe? Sie hatte ihn zu nah an sich herangelassen, das war es. Man konnte mit so einem dummen Jungen einfach keine Freundschaft schließen, ohne dass er sich irgendwann herausnahm, über einen urteilen zu können.

Energisch stieß sie sich von der Wand ab. „Schieb dir deine Hilfe in den Arsch!", fuhr sie ihn an, ließ ihn einfach stehen und sprang die Stufen hinunter. Er brüllte noch irgendetwas wie „Hey!" hinter ihr her, aber sie reagierte nicht mehr. Mit gesenktem Kopf stapfte sie auf Micks Auto zu und stieg ein.

„Das ist 'ne Überraschung, was?", begrüßte er sie fröhlich. „Ich hatte vorhin auf einmal richtig Lust, mich wieder in die alte Kiste zu setzen. Dachte mir, wenn das schon so gut geht, kann ich dir auch gleich 'ne Freude machen und dir den dämlichen Bus ersparen."

Tanitas Lächeln war im Grunde keins, es war nur ein mechanisches Hochziehen der Mundwinkel. Marionetten-Grinsen.

„Schön", sagte sie tonlos.

Umgehend erntete sie ein Stirnrunzeln, allerdings ein besorgtes.

„Alles okay?", erkundigte er sich ernst.

„Ja, klar", schwindelte sie. „Bin nur müde. War ein anstrengender Tag."

Es sah so aus, als würde er das schlucken, auch wenn die Sorge noch nicht ganz aus seinem Blick verschwand.

„Verstehe", nickte er und startete den Wagen. „Ganz ehrlich, man sollte geistige Arbeit nicht unterschätzen. Ich bewundere Leute wie dich, die sich das Hirn bis zum Rand mit Wissen vollknallen können. Für mich wär das nichts."

Tanita hörte nicht zu. Sie drehte den Kopf zur Seite und schaute aus dem Fenster, ohne etwas von dem wahrzunehmen, was draußen vorbeizog. Micks Gerede kam ihr wie ein monotones Hintergrundrauschen vor, es ging ihr unsagbar auf die Nerven. Endlich hielt er die Klappe.

Als sie zu Hause aus dem Auto stiegen, sagte sie zum ersten Mal wieder etwas.

„Das heißt wohl, ab jetzt ist alles wie immer."

Aus seinen Gedanken gerissen, blickte er ein wenig zerstreut auf. „Hm?" Dann zuckte er mit den Schultern. „Klar. Wie sollte es sonst sein?"

Mit einem bitteren Lächeln nickte Tanita, drehte sich wortlos um und ging zur Haustür.

„Aber ich denk gar nicht dran, morgen schon wieder bei der Arbeit aufzukreuzen", fügte er hinzu und folgte ihr. „Bis Ende der Woche bin ich ja schließlich noch krankgeschrieben, da wär ich ja wohl schön blöd, wenn ich mir die zusätzlichen freien Tage durch die Lappen gehen lassen würde."

Sie reagierte nicht, sondern polterte schneller als sonst die schmale Treppe hoch. Jetzt wurde es ihm anscheinend zu bunt. Im Hochparterre hatte er sie eingeholt und hielt sie am Ellenbogen fest.

„Was hast du?", wollte er wissen. In seinem Gesicht kämpften Sorge und Wut miteinander. Tanita schlug gleichgültig die Augen nieder, als er ihr unters Kinn fasste und ihr Gesicht zu sich drehte.

„Du bist doch nicht einfach nur müde! Sag mir gefälligst, was los ist!"

Sie musste grinsen. Hatte er sich mit Magnus abgesprochen? Beide stellten heute dieselbe dämliche Frage.

„Halt die Klappe", kam es fast schon verächtlich aus ihrem Mund, ohne dass sie vorher darüber nachgedacht hätte. Die Worte waren einfach da. Vielleicht hatten sie schon länger auf ihren Einsatz gewartet.

Ungläubig starrte er sie an. „Was?" Die Wut gewann, er packte er sie an den Schultern und schüttelte sie. „Was fällt dir eigentlich ein?", schnauzte er sie an.

Neben ihnen ging eine Wohnungstür auf und Frau Kunstein, eine alte, immer etwas missmutige Frau, schob sich ins Treppenhaus.

„Würden Sie Ihre Auseinandersetzung..." Sie brach ihre Rüge sofort ab, als sie sah, wie Mick Tanita vermeintlich in der Mangel hatte. Erschrocken zog sie den Kopf ein, brachte aber trotzdem noch ein klägliches „Herr Steffen!" hervor.

„Halten Sie sich da raus!" Trotzdem ließ er das Mädchen los. Ohne eine Regung hatte sie seine rüde Behandlung über sich ergehen lassen. Irgendwie war ihr alles egal. Gelangweilt hörte sie, wie Mick das Übliche von sich gab: „Sag doch endlich was... Rede mit mir... Mach den Mund auf, du verstocktes Ding...", und plötzlich hatte sie keine Lust mehr, zu stehen. Sie sackte einfach so zusammen, sagte ihren Knien, sie könnten mal Pause machen. Bevor sie auf dem Boden landen konnte, hatten Micks kräftige Arme sie schon fest im Griff. War dieser entsetzte Aufschrei eben etwa von ihm gekommen?

„Mein Mädchen... Scheiße noch mal, was hast du bloß...?"

„Keinen Bock mehr", sagte sie und grinste schon wieder. Er versuchte, sie wieder auf die Beine zu stellen, aber sie machte sich schwer wie einen Mehlsack, bis er sie auf den Arm nahm.

Die arme Frau Kunstein war nun vollkommen außer sich. „Du meine Güte! Ich... brauchen Sie Hilfe, Herr Steffen? Kann ich etwas für Sie tun?"

Mick begann, mit Tanita auf den Armen die Treppe zu ihrer Wohnung hochzusteigen.

„Ja", grollte er die alte Frau finster an. „Fahren Sie zur Hölle!"

Am liebsten hätte er geheult. Natürlich tat er das nicht, das brachte ihn schließlich auch nicht weiter. Kurz hatte er überlegt, den Notarzt zu rufen oder sein Mädchen gleich selbst ins Krankenhaus zu fahren, aber dann tat er es doch nicht. Fieber hatte sie keins und ihr Puls erschien ihm kräftig und regelmäßig. Vielleicht war sie nur unterzuckert, hatte zu wenig getrunken oder war übermüdet. Konnte auch Eisenmangel sein, es gab tausend Gründe, wegen denen der Kreislauf einer an sich gesunden jungen Frau schlapp machen konnte.

Mick hatte sie direkt aufs Bett gelegt und ihr beim Ausziehen helfen wollen, aber da war sie plötzlich wieder lebendig geworden, hatte ihn abgewehrt, Jacke und Schuhe abgestreift und war dann mit dem Rücken zu ihm liegen geblieben. Er fühlte ihr die Stirn und Wangen, fand aber, dass sie eine normale Temperatur hatten, höchstens etwas kühl waren. Als er ihren Puls messen wollte, zog sie nach nicht einmal zehn Sekunden unwirsch die Hand weg.

Unglücklich saß Mick an ihrer Seite, wusste nicht, was er tun sollte.

„Tanita, Mädchen, was fehlt dir denn?"

Er fragte sie alles mögliche: Ist dir schlecht, schwindelig, hast du Schmerzen?

Keine Antwort.

„Willst du was trinken? Oder essen?"

Sie drehte den Kopf und vergrub das Gesicht im Kissen.

Fast zaghaft streckte er die Hand aus und streichelte ihre Schulter.

„Es tut mir Leid. Ich wollte nicht so ausrasten. Aber... so hast du dich noch nie benommen. So abweisend. Ich verstehe dich nicht."

Ihre Schulter machte eine Bewegung, als wollte sie seine Hand abschütteln. Und dann endlich sagte sie etwas.

„Lass mich einfach in Ruhe."

Dumpf drang ihre Stimme aus dem Kopfkissen heraus, schleppend und unendlich müde.

Diesmal wagte Mick nicht, sie anzuschreien oder womöglich grob anzufassen. Es schien, als wäre das Schlimmste, was er jetzt tun konnte, sich weiterhin in ihrer Nähe aufzuhalten. Also stand er langsam auf und schlich wie ein geprügelter Hund aus dem Schlafzimmer.

Jetzt hockte er in einer Mischung aus Ratlosigkeit und Verzweiflung im Wohnzimmer auf dem Sofa und würgte die Tränen herunter, die sich in seinem Hals aufgestaut hatten. Die letzte Zeit war Tanita doch so ausgelassen gewesen, noch heute früh erst hatte sie ihn fast stürmisch zum Abschied umarmt. Wie passte da dieser... dieser Zusammenbruch ins Bild?

Irgendwann ging er in die Küche um sich etwas zu essen zu machen. Sollte er noch einmal zu ihr gehen und sie fragen...? Sie musste doch etwas essen. Aber andererseits wollte sie in Ruhe gelassen werden -- und noch einmal so eine Verletzung wie vorhin einzustecken, dazu fühlte er sich nicht in der Lage.

Lass mich einfach in Ruhe. Bis sie diesen Satz ausgesprochen hatte, war Mick nicht bewusst gewesen, wie weh Worte tun konnten. Während er sich mechanisch ein Brot mit Butter beschmierte -- Hunger hatte er eigentlich ebenfalls keinen, geschweige denn Appetit -- spürte er erneut, wie es war, als sie ihn weggestoßen hatte. Wie war so etwas nur möglich, nach tausenden „Mick, ich liebe dich" und ebenso unzähligen „Mick, ich will dich"?

Lustlos kaute er auf dem Brot herum. Allmählich mischte sich wieder so etwas wie Wut in die Angst, die er um sein Mädchen hatte. Er würde verdammt noch mal eine Erklärung von ihr verlangen, wenn sie wieder ein normales Verhalten an den Tag legte.

Kurz vor sieben. Die Zeit wollte einfach nicht vergehen. Wenn er den Fernseher einschaltete, würde er Tanita nur stören. Er könnte über Kopfhörer zumindest Musik hören oder etwas lesen, aber für beides hatte er keinen Nerv. Der Abend war definitiv gelaufen, im Grunde genommen konnte er auch jetzt schon ins Bett gehen.

Wenn sie mich denn nicht gleich rausschmeißt, dachte er mit einem Anflug von Galgenhumor.

Leise öffnete er die Schlafzimmertür. Ein Lichtstreifen fiel aus dem Flur auf das Bett. Tanita hatte inzwischen auch Jeans, Sweatshirt und Socken ausgezogen und sich unter der Bettdecke vergraben. Die Sachen lagen achtlos hingeworfen auf dem Boden. Das sah ihr nun absolut nicht ähnlich -- ihr, die schon mit ungefähr elf Jahren angefangen hatte, hinter ihm herzuräumen. Behutsam trat er ans Bett, hob die Kleidungsstücke auf und legte sie auf einen Stuhl. Fast scheu beugte er sich anschließend über sie, damit rechnend, ihrem erschreckend ausdruckslosen Blick zu begegnen.

Aber sie schlief schon, die Decke bis zur Nase hochgezogen. Auf ihren Wangen erkannte Mick selbst im schwachen Licht deutliche Spuren von Tränen.

Diesmal konnte er es nicht verhindern, dass er nasse Augen bekam. Ich bin doch immer für dich da, mein Mädchen. Warum erzählst du mir denn nichts? Warum vertraust du mir nicht?

Jedenfalls konnte er sich jetzt ziemlich sicher sein, dass sie nicht krank war, sondern traurig und verzweifelt. Aber besser war das bestimmt nicht.

„Tanita! Aufwachen, du musst zur Uni. Hey, Mädchen, jetzt komm schon."

Mit geschlossenen Augen ließ sie das leichte Rütteln an ihrer Schulter über sich ergehen. Sie wollte immer noch nichts von der Welt da draußen wissen. Irgendwann hörte das Schütteln auf, aber dafür wurde ihr plötzlich mit einem Ruck die Bettdecke weggezogen. Empört quiekte sie auf und versuchte reflexartig, noch einen Zipfel der Decke zu erhaschen. Umgehend wurde sie an Handgelenk und Hüfte gepackt und auf den Rücken gedreht. Sie schlug die Augen auf und blitzte Mick, der sich über sie beugte und fest im Griff hatte, zornig an.

„Verdammt noch mal", sagte er fast verzweifelt, „warum hast du dir keinen Wecker gestellt? Du musst los!"

Tanita schnaubte nur und schloss die Augen wieder, woraufhin Mick sie erneut schüttelte. „Bitte nicht schon wieder! Schweig von mir aus, aber guck mich wenigstens an. Bitte, mein Mädchen!"

Mein Mädchen. Gestern hatte sie sich vorgenommen, ihn zu hassen, ohne sich über den Grund dafür im Klaren zu sein. Sie wollte es einfach. Wollte ihre Ruhe vor ihm. Hatte keine Lust mehr. Er war ein Scheißkerl. Magnus war ein Scheißkerl. Aber sie gingen ihr beide nicht aus dem Kopf, verfolgten sie bis in den Traum.

„Tanita..."

Wieso klang seine Stimme so merkwürdig? Ohne es zu wollen, öffnete sie die Augen ein zweites Mal. Mick wandte den Kopf ab, aber sie sah noch, wie er blinzelte und schluckte.

„Weinst du?", fragte sie heiser. Ihr Hals fühlte sich trocken und kratzig an, weil sie seit gestern Nachmittag nichts mehr getrunken hatte.

Jetzt war er es, der ihr eine Antwort schuldig blieb. Er ließ sie los und fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen.

In diesem Moment konnte Tanita ihn einfach nicht mehr hassen. Noch nie hatte Mick irgendetwas so mitgenommen, dass er deswegen geweint hätte -- zumindest nicht in ihrer Gegenwart. Sogar als ihre Eltern gestorben waren, hatte er seine Trauer beiseite geschoben um ihr Halt zu geben. Und jetzt saß dieser Kerl, den sie fast ausschließlich stark kannte, zusammengesunken neben ihr und weinte.

Sie gab ihren Widerstand auf und nahm ihn in die Arme. Er vergrub das Gesicht in ihrem Haar und erwiderte die Geste, hielt sie so fest, als könnte sie jeden Moment einfach verschwinden.

„Warum weinst du?", fragte Tanita leise, als er sich ein wenig beruhigt hatte und sein Griff sie nicht mehr zu ersticken drohte.

Mick stieß zischend die Luft aus, sein Atem fuhr heiß an ihrem Hals entlang.

„Warum machst du das mit mir?", fragte er zurück. „Du... du behandelst mich wie den letzten Dreck. Warum? Was hab ich dir denn getan?"

Die Antwort war da, in ihr drin, aber sie konnte sie nicht in Worte fassen, also schwieg sie. Verzweifelt stöhnte er auf und schob sie von sich. Verletzung sprach aus seinem Blick.

„Jetzt fängst du wieder an. Warum redest du nicht mehr mit mir? Ich dachte gestern, du wärst krank, aber... Was ist es denn, verflucht? Sag es mir! Was willst du?"

Müde rieb sie sich die Stirn. In ihrem Kopf und Herzen vermischten sich alle Gedanken und Gefühle zu einem einzigen, klumpig-zähen Brei. Die Lösung des Ganzen war irgendwo darunter, aber sie musste Ordnung in das Wirrwarr bringen um sie zu finden.

„Ruhe", sagte sie deshalb endlich und ehe sie sich versah, fing sie an zu heulen. Bestürzt schaute Mick sie an. Als er zaghaft den Arm um sie legte und sie streichelte, sträubte sie sich nicht.

„Ist ja gut... versteh dich schon... du hast zu viel mit mir mitmachen müssen in letzter Zeit... nimmst dir alles so zu Herzen... schsch... bin dir nicht böse, hatte doch nur Angst um dich... ganz ruhig, mein armes Mädchen."

Seine tröstenden Worte beruhigten sie tatsächlich, auch wenn seine Vermutung falsch war. Nicht sein Unfall hatte sie so belastet oder die Verantwortung, die sie infolge dessen übernehmen musste. Sondern...

„Mick..."

„Ja?"

„Ich würd heute gerne im Bett bleiben."
Sanft strich er ihr über die Stirn. „Na klar. Ruh dich aus, mein Mädchen. Aber etwas trinken musst du unbedingt. Und essen!"

Matt nickte sie. „Okay."

Er löste sich von ihr und stand auf. „Leg dich wieder hin, ich bring dir was. Heute musst du dich um nichts kümmern. Du hast dich die letzten Tage um mich sorgen müssen, jetzt bin ich wieder dran."