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Servas: Helen

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Mit diesem Bild im Kopf ging er zurück zu dem Folianten. Er legte die Hand auf die freie Stelle neben seinem eigenen Bild und rief sich dieses Bild wieder in den Kopf.

Als er seine Hand weg nahm, prangte ihr Bild neben seinem auf der letzten Seite und wies sie als zukünftige Eigentümerin aus.

Unter dem Bild stand in Altgriechisch ihr Name geschrieben: »Ελένη«

Aber eine Kleinigkeit fehlte noch, um das Buch in ihr Eigentum übergehen zu lassen. Er wusste, sie würde Angst haben, doch leider war es die einzige Möglichkeit.

Also nahm er eine der Glasscherben vom Boden auf, wischte sie an den Resten ihrer Hose ab und nahm ihre Hand. Mit einer schnellen Bewegung schnitt er in ihre Handfläche. Ein Tropfen Blut blieb an der Scherbe hängen und er ging damit zurück zu dem Buch. Ihr Gesicht verriet große Angst.

»Mach dir keine Sorgen, das heilt schnell wieder«, sagte er. 'Schneller als es dir vorstellen kannst', fügte er in Gedanken hinzu.

Er ließ diesen Tropfen Blut auf die Stelle unter ihrem Bild fallen. Sofort leuchtete das Buch in einem hellen Schein auf. Er spürte eine Veränderung in seinem Körper. Es sammelte sich an einer bestimmten Stelle. Nun durfte er keine Zeit mehr verlieren.

Wieder trat er neben ihren Kopf. Er schaute sie an und öffnete den Mund.

Ihr Blick zeigte blankes Entsetzen. Balde schon würde sie verstehen.

Sie schüttelte den Kopf und versuchte, zu entkommen. Doch die Fesseln hielten eisern stand.

»Bitte vertrau mir. Es wird dir nichts geschehen mein schwarzer Engel«, sagte er leise. Er meinte es vollkommen ehrlich, doch natürlich gab es für sie keinen Grund, dem Glauben zu schenken.

Er legte die Hand auf ihre Stirn und hielt sie eisern fest als er seine Lippen zu ihrem Hals senkte.

Er zögerte einen Moment. Was er da tat, entsprach lediglich einem Klischee und es war eigentlich nicht nötig. Aus irgend einem Grund erschien es ihm aber einfach passend.

Als er seine Lippen von ihrem Hals nahm und die zwei roten Punkte dort betrachtete, sprach blankes Entsetzen aus ihren Augen.

»Warum?«, fragte sie leise und unter Tränen.

»Es geht nicht anders. Meine Zeit ist nun gekommen und es ist nun an dir, das fortzusetzen, was ich begonnen habe. Irgend wann wirst du wissen, wenn die Zeit reif ist, zu handeln. Und dann musst du vorbereitet sein. Auch ich war vollkommen unvorbereitet, genau so wie du es jetzt bist. Und im Gegensatz zu dir hatte ich kein Ziel, keine Aufgabe und keinen Weg den ich beschreiten konnte. Ich musste mir meinen Weg selbst suchen und ein Ziel festlegen. Du aber kannst aus meinen Erfahrungen schöpfen und wenn ich dich nicht vollkommen falsch einschätze, wirst du irgend wann einmal das selbe Ziel verfolgen wie ich.«

Er trat wieder an das Ende des Tisches und betrachtete das Buch. Der Name unter seinem Bild verblasste und nahm eine schwarze Farbe an, während ihr Name, »Ελένη«, in goldenen Lettern unter ihrem Bild prangte. Nun gehörte ihm dieses Buch nicht mehr, er hatte keine Macht mehr darüber, genauso wenig wie es noch Macht über ihn hatte. Dieser Foliant war nun ihre Bürde aber auch ihre Hilfe.

Er schloss das Buch und legte es auf den halb verfaulten Holztisch an der Wand. Dann legte er seine Kleidung ab und ging zu ihr.

Eigentlich wäre das eben nicht nötig gewesen, sinnierte er als er zu ihr auf den steinernen Tisch kletterte. Es war das erste Mal, daß er sie um Erlaubnis bat. Nicht mit Worten, sondern nur mit einem Blick. »Ja, nimm mich«, schienen ihre Augen zu schreien. Und genau das tat er.

Als er von dem Tisch herunter geklettert war und sich wieder angezogen hatte, streichelte er ihre Wange und wischte ihr eine Träne weg.

»Danke Herr«, sagte sie leise, fast unhörbar.

Er nickte ihr knapp zu und ging dann zu den Schränken. Aus diesen holte er seine Sachen heraus und prüfte sie eingehend. Dann wandte er sich ihr ein letztes Mal zu.

»Dieses Buch darfst du nie verlieren. Am besten versteckst du es irgend wo, so daß es niemand findet. Ich wünsche dir alles Gute für deine Zukunft.«

Er wandte sich ab und ging zu dem schmalen Gang.

»Wo gehst du hin?«, fragte sie.

»Ich gehe einen Krieg beenden«, sagte er und wandte sich zum Gehen.

»Was wird mit mir? Soll ich hier liegen bleiben und sterben?« Es lag etwas in ihrer Stimme, das ihm sagte, daß sie durchaus dazu bereit wäre. Doch dies würde nicht eintreten, bis sie ihre Bestimmung gefunden und ihre Aufgabe erkannt haben würde, so wie er es im Begriff war zu tun.

»Wenn das dein Wunsch ist«, sagte er lapidar. »Aber ich denke, du hast andere Wünsche. Erfülle sie dir. Das sollte für den Anfang reichen mein schwarzer Engel«, sagte er, griff in die Innentasche seines Jacketts und holte etwas aus dieser hervor. Er zeigte ihr den Umschlag und legte ihn zwischen ihre gefesselten Beine auf den Tisch, bevor er endgültig verschwand.

- - -

Wie lange sie auf diesem Tisch gelegen hatte, vermochte sie später nicht mehr sagen. Aber es muss eine lange Zeit gewesen sein. Sie spürte, daß ihr Körper sich veränderte. Ihre Muskeln und Knochen schmerzten unerträglich und sie schrie ihren Schmerz laut heraus. Selbst in ihrem Mund tat sich etwas. Sie hatte das Gefühl, ihre Eckzähne würden in ihrem Mund explodieren.

Irgend wann, als die Schmerzen nachließen, schlief sie vor Erschöpfung ein. Nun, als sie wieder erwachte, fühlte sie sich besser. Sie fühlte, daß etwas anders war. Doch sie war noch immer auf diesem Tisch gefesselt. Wie besessen zerrte sie an ihren Fesseln, doch diese wollten und wollten nicht nachgeben.

Ängstlich und vor Verzweiflung weinend lag sie nun auf dem Tisch und betrachtete die Fesseln durch ihre tränenüberströmten Augen, als sie eine Bewegung neben sich wahr nahm.

Sie blinzelte die Tränen aus den Augen. War er vielleicht doch wieder gekommen, um sie zu befreien?

Als sie die Augen öffnete, sah sie eine Ratte neben ihrem Arm sitzen. Diese schien sie anzuschauen. Sie schien zu wissen, daß sie sich nicht wehren konnte. Was passieren würde, wenn diese Ratte und vielleicht auch ihr ganzes Rudel beschlossen, sie zu fressen, mochte sie sich nicht einmal in ihren schlimmsten Träumen ausmalen.

Laut schrie sie auf, was diese Ratte aber nicht im geringsten zu stören schien. Statt dessen kam sie sogar noch näher. Sie bewegte sich zu ihrem Hals und schien daran zu lecken.

Wieder schrie sie laut auf und versuchte in ihrer Angst, dem Tier auszuweichen.

Doch dann passierte etwas, womit sie nicht gerechnet hätte. Die Ratte setzte sich zwischen ihren Arm und ihren Körper und schaute sie erneut an. Dann begann, sie wild zu zucken und fiel zur Seite. So blieb sie eine Weile liegen, wobei ihre Füße und ihr langer, glatter Schwanz wild herum zuckten.

Nach einigen Minuten stand die Ratte wieder auf, schüttelte sich und schaute sie erneut an.

»Komm schon, wenn du mich fressen willst, dann fang endlich an. Dann habe ich es hinter mir«, schrie sie laut.

Doch das Tier reagierte nicht und schaute sie weiterhin einfach nur an.

Irgend etwas schien mit dieser Ratte passiert zu sein.

»Wenn du mich schon nicht fressen willst, dann beiß wenigstens meine Fesseln durch«, sagte sie resigniert. Daß dieses Tier wirklich tat, was sie sagte, damit rechnete sie natürlich nicht.

Doch was dann passierte, ließ sie ins Staunen geraten. Die Ratte lief zu ihrem Handgelenk, kletterte auf ihren Arm und knabberte den Stoffstreifen durch. Als das geschehen war, kletterte sie an ihrem Arm entlang, über ihre Brust und knabberte auch den Stoffstreifen an ihrem anderen Handgelenk durch. Dann wandte sie sich um und kletterte erneut über ihren Körper, bis zu ihrem Fuß, wo sie auch diese Fesseln durch biss.

Erstaunt schaute sie zu der Ratte, die nun wieder neben ihr auf dem Tisch hockte und sich putzte.

»Danke«, sagte sie erstaunt und kletterte vorsichtig von dem Tisch.

Sie schaute sich in dem Raum um und fand ihre Kleider auf dem Boden liegend und zog sie sich über. Die Hose allerdings war vollkommen unbrauchbar und auch der Schlüpfer, so altmodisch er ihr auch erschienen war, war in mehrere Stücke gerissen und sie fragte sich, ob das ein übler Scherz sein sollte.

Sie fragte sich, was sie nun machen sollte und blickte sich in dem Raum um. Das Einzige, was sie fand, war das Buch, welches auf dem kleinen Tisch lag und der Umschlag auf dem steinernen Tisch. Sie öffnete diesen und war erstaunt, darüber, so viel Geld auf einmal zu sehen. Es waren 50.000 €, die er ihr einfach so da gelassen hatte.

»Aber ich denke, du hast andere Wünsche. Erfülle sie dir. Das sollte für den Anfang reichen«, hatte er gesagt.

Für den Anfang? Das war mehr Geld als sie sie in einem Jahr verdient hätte.

Dann kam ihr wieder die Stadt in den Sinn. Ihre Arbeitsstelle gab es nicht mehr. Genau wie ihre Wohnung war sie ein Opfer der Bomben geworden.

Sie fragte sich, ob ihre Freunde es geschafft hatten, die Stadt zu verlassen. Sie hatte in den Nachrichten gesehen, was die Bomben mit einer Stadt anstellten. Sie wusste, der Feuersturm würde nur wenig übrig lassen. Waren sie rechtzeitig gewarnt worden? Doch sie hatte keine Sirenen gehört, weder als sie auf dem Dachboden waren noch als sie die Stadt verließen. Wahrscheinlich war sie eine der wenigen Überlebenden gewesen, welche die Stadt rechtzeitig verlassen konnten.

Bei dem Gedanken daran überfiel sie eine tiefe Trauer. Sie hockte sich auf den Boden und weinte.

Wie lange sie da gesessen hatte, konnte sie später nicht mehr sagen, doch irgend wann war die erste Trauer vorüber und sie überlegte, was sie tun sollte.

Wieder fiel ihr das Buch auf, als sie sich erneut umschaute. Sie hatte es auf den steinernen Tisch gelegt. Sie öffnete es und sah, daß es in einer fremden Sprache geschrieben war, die sie nicht lesen konnte.

Als sie die letzte Seite aufschlug, etwas, was sie bei allen Büchern tat, die sie las, war sie überrascht, ihr eigenes Bild dort zu sehen, direkt neben seinem. Darunter las sie ihren Namen.

Wie war das möglich? Dieses Buch musste Jahrelang hier gelegen haben und sie kannte ihn doch erst seit einem halben Jahr.

Irgend etwas sagte ihr, daß dieses Buch enorm wichtig für sie sein würde.

Aber was sollte sie damit machen? Es wäre wohl zu auffällig, damit in der Gegend herum zu laufen. Also beschloss sie, es hier zu lassen und später zu holen.

In einem der Schränke fand sie eine stählerne Kassette, die sie nahm, auf den Tisch stellte und das Buch hinein legte. Sie löschte die Kerze und verließ den Raum durch den schmalen Gang. Sie kletterte durch das Loch an die Oberfläche und verdeckte es mit den Balken, die er vorhin weg geräumt hatte.

Wie lange sie dort unten gewesen war, konnte sie nicht sagen, aber jetzt ging wieder die Sonne auf.

Mit entsetzen dachte sie an die Geschichten über Vampire, die sie aus Filmen und Büchern kannte und fragte sich, was mit ihr wohl passieren würde, wenn sie der Sonne ausgesetzt war. Doch zu ihrem Erstaunen passierte nichts. Sie verbrannte nicht und zerfiel auch nicht zu in Staub.

Es kostete sie einige Mühen, die Balken wieder mit Erde und Zweigen zu tarnen. Als sie endlich damit fertig war und sich ihr Werk betrachtete, stellte sie fest, daß es so gut wie nicht mehr zu sehen war, zumal es auch hinter einem Busch versteckt war, der zusätzlichen Schutz vor Entdeckung bot.

Aber würde sie diese Stelle je wieder finden?

»Wenn ich bloß wüsste, wo ich hier bin«, sagte sie leise zu sich selbst.

In diesem Moment sah sie vor sich eine Karte der Umgebung. Erschrocken schloss sie die Augen, doch die Karte sah sie weiterhin. An einer Stelle, genau in der Mitte der Karte, befand sich eine tropfenförmige Markierung. Das musste die Stelle sein, an der sie gerade stand.

Gehörte das zu den Sinnen eines Vampirs? Aber eine so moderne Karte wäre sicher nicht das gewesen, was ein wahrscheinlich mehrere hundert Jahre alter Vampir zu sehen bekam.

Ein Vampir? Was war mit ihr selbst? Sie legte die Hand an ihren Hals und spürte zwei leichte Erhebungen, dort wo er vorhin seinen Mund auf ihren Hals gelegt hatte.

Mit der Zunge fuhr sie über ihre Zähne und spürte ihre Eckzähne. Diese waren viel länger als sie in Erinnerung hatte. Und sie waren verdammt spitz.

»Scheiße. Also doch«, rief sie aus und versuchte sich zu erinnern, was sie alles über Vampire wusste. Dann entsann sie sich, daß es wohl dringendere Probleme zu lösen galt.

Sie brauchte etwas zum Anziehen. Und soweit sie wusste, mussten auch Vampire irgendwo wohnen.

»Verdammt, wo kann ich denn jetzt hin?«, fragte sie sich.

Plötzlich veränderte sich die Karte, die sie sah. Ein Weg war markiert und an dessen Ende stand »Auffangstelle für Kriegsopfer.«

Der Weg erstreckte sich über gut zwanzig Kilometer, bis zum nächsten Ort.

- - -

Zufrieden verließ sie das Büro, in dem sie arbeitete, seitdem sie sich im Auffanglager gemeldet hatte. Dort war man sehr freundlich und überhaupt nicht erstaunt darüber, daß sie nur mit einem T-Shirt und einem Rollkragenpullover bekleidet dort an kam. Den Umschlag hatte sie vorsorglich unter dem BH versteckt.

Sie hatte dort neue Kleidung bekommen, nichts Besonderes, aber besser als ohne Hose herum zu laufen. Sie hatte zu essen bekommen und man hatte ihr diese Stelle und auch eine kleine Wohnung in einer Kleinstadt besorgt, die vermutlich kaum das Ziel der Bombenangriffe sein würde. Abgesehen von den täglichen Nachrichten ging das Leben hier beinahe normal weiter, während andere, größere Städte immer wieder Opfer der Bomben wurden, wie sie jeden Tag in den Nachrichten mit bekam.

Seitdem sie wieder eine eigene Wohnung hatte, hatte sie immer wieder versucht, herauszubekommen, was für Fähigkeiten sie als Vampir denn nun hatte. Aber das Einzige, was sie bisher herausgefunden hatte, war, daß sie durch die Karten die sie immer, wenn es nötig war sah, eine sehr gute Orientierung hatte. Später hatte sie festgestellt, daß sie sich alles, was sie seit dem er sie in diesem Hügel in der Weide zurück gelassen hatte, wieder sehen konnte, wenn sie es wollte, was ihr ein mehr als fotografisches Gedächtnis einbrachte.

Und als ihr Chef ihr einige Unterlagen vorgelegt hatte und sie bat, diese zum Übersetzungsbüro zu bringen, hatte sie festgestellt, daß sie diese ohne Probleme lesen konnte. Sie war in der Schule nie gut in Fremdsprachen gewesen, doch diese Unterlagen, die in Französisch geschrieben waren, konnte sie ebenso gut lesen, als ob sie in Deutsch geschrieben wären. Es dauerte nur so lange wie sie brauchte, diese abzutippen, bis sie ihrem Chef die Übersetzung wieder gab.

Nun war sie auf dem Weg nach Hause und ging eine kleine Nebenstraße entlang. Auf dem Gehweg sah sie einige Kinder Ball spielen, als sie ein Auto hörte. Dieses fuhr viel zu schnell und in eben diesem Moment sah sie auch den Ball auf die Straße rollen.

Sie schaute sich um und sah vor ihrem inneren Auge einige Linien. Diese Linien gingen von dem Auto, dem Ball und einem der Kinder aus und trafen sich genau in der Mitte der Straße.

Ohne nachzudenken, rannte sie los, wobei eine weitere Linie erschien, die der Richtung entsprach, in der sie gerade lief. Sie folgte dieser Linie und lief so schnell sie konnte auf den Punkt zu, an dem sich diese mit der Linie des Kindes kreuzte. Genau an diesem Punkt fasste sie das Kind von hinten und sprang in Richtung Gehweg.

Das Auto traf genau an dem Punkt, an dem die Linien sich kreuzten auf den Ball, der unter den Reifen geriet und mit einem Knall platzte.

Erst jetzt bemerkte sie, daß sie mit dem Kind unter dem Arm, fast aus dem Stand über die Motorhaube eines Autos gesprungen war, welches am Straßenrand geparkt war.

»Meine Fresse, das war verdammt knapp«, sagte sie zu dem Kind. »Du solltest wirklich nicht, ohne dich umzusehen, auf die Straße rennen.«

Verschüchtert sah das Kind sie an. »Ja«, sagte es und lief zu seinen Freunden, die um sie herum standen und sie mit offenen Mündern anstarrten.

»Was ist denn hier los?«, hörte sie eine Stimme.

Das Kind lief in Richtung der Frau, die gerade aus einem der angrenzenden Vorgärten auf den Gehweg gelaufen kam und das Kind in den Arm nahm.

»Hast du das gesehen, Mama?«, fragte ein anderes Kind. »Mandy ist auf die Straße gelaufen und wäre fast von einem Auto überfahren worden. Und dann ist die Frau gekommen, hat sie gepackt und ist mit ihr zusammen über dein Auto gesprungen. Sie ist so schnell gerannt, wie ein Blitz.«

»Ist das wahr?«, fragte die Frau entsetzt und schaute erleichtert zu ihrer Tochter.

»Na ja, so schnell bin ich sicher nicht gelaufen. Und über ein Auto gesprungen bin ich wohl auch nicht«, sagte sie verlegen. »Aber es hat nicht mehr viel gefehlt, sonst wäre ihre Tochter wohl wirklich angefahren worden.«

Die Frau kam zu ihr und bedankte sich überschwänglich bei ihr und wollte sie noch zum Essen einladen, doch dies lehnte sie dankend ab, mit dem Hinweis darauf, daß es doch selbstverständlich war, das Kind von der Straße zu bringen.

Statt dessen ging sie nach Hause und versuchte sich zu erinnern, was nun wirklich geschehen war.

Wie ein Film lief dieses Ereignis vor ihr ab, als sie daran zurück dachte.

Sie war tatsächlich unglaublich schnell. Und sie war wirklich über dieses Auto gesprungen.

Im Geiste machte sie sich eine Notiz zu ihren neu entdeckten Fähigkeiten gehörten nun auch Schnelligkeit und Stärke. Aber die klassischen Vampirfähigkeiten wie Fliegen oder sich unsichtbar machen können, gehörten ganz offenbar nicht zu ihrem Repertoire. Auch konnte sie sich im Spiegel sehen, was sie unheimlich wichtig fand, wenn es darum ging, sich zu schminken oder sich die Haare zu bürsten. Wobei sie mit dem Schminken gelegentlich Probleme hatte. Seit dem Tag in diesem Hügel war ihre Haut ziemlich bleich und ihr Make-up von damals ließ sich zwar abwaschen, doch auch darunter waren ihre Lippen blutrot und ihre Augen dunkel geschminkt. Egal, was sie auch versuchte, dieses Make-up ließ sich nicht mehr entfernen und so verbrachte sie jeden Tag einige Zeit damit, es zu überdecken, um nicht aufzufallen.

Eine weitere Fähigkeit entdeckte sie einige Wochen später, als durch einen weiteren Bombenangriff der Strom in der Stadt ausfiel. Es war gerade halb sechs Uhr morgens als sie zur Arbeit ging und alle Lichter erloschen. Es war stockdunkel und sie hatte schon Angst, vor eine Laterne oder einen Zaun zu laufen. Doch zu ihrem Erstaunen konnte sie deutlich alles sehen. Sie sah die wenigen Leute, die um diese Zeit auf der Straße waren, herumirren und sich tastend fort zu bewegen.

Eine ältere Frau war gerade dabei in Richtung Straße zu gehen. Dabei ging sie genau auf die Bordsteinkante zu und wäre diese herunter gefallen.

»Halt, der Bordstein!«, rief sie laut und ging zu der Frau. Sie nahm sie am Arm und führte sie zurück zu dem Haus, aus dem sie gekommen war.

Die Frau bedankte sich mehrmals bei ihr.

Mit den Worten »War doch selbstverständlich«, ging sie einfach weiter.

- - -

Es war mittlerweile zwölf Jahre her, daß sie so verändert aus dem Loch in der Heide gestiegen war.

Sie führte ein recht normales Leben, soweit man das in diesen Zeiten sagen konnte. Zwar hatten die Bombenangriffe weltweit beinahe aufgehört aber immer öfter las man nun von Menschen die von anderen Staaten verschleppt wurden, weil diesen die Arbeitskräfte ausgingen.

Obwohl diese Menschen durchweg gut behandelt wurden, gab es immer wieder vereinzelte Aufstände von Arbeitern, die zurück wollten in ihre Heimat.

Sie fragte sich, wann es soweit war, daß jemand versuchen würde, sie zu verschleppen.

Diese Angst grassierte in der Bevölkerung, obwohl die Militärs alles dafür taten, um die Bürger zu beschützen. Es gab Patrouillen, die durch die Straßen marschierten und es gab Ausgangssperren. Wer diese nicht einhielt, bekam entweder Hausarrest oder wurde, wenn es sich dabei um Bürger eines anderen Landes handelte, in dieses zurück gebracht.

Eigentlich hatte sie keine große Angst vor den Suchkommandos. Statt dessen fragte sie sich, ob diese aus einem offenen Kampf mit ihr wohl unverletzt heraus kämen. Ihre Fähigkeiten hatte sie immer besser unter Kontrolle und konnte sie auch einsetzen, wenn sie selbst es wollte.