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Verteidigungsrede des Opernsängers

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Ein Opernstar verteidigt sich gegen Missbrauchsvorwürfe.
1.8k Wörter
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[ © 2020 Emanuel Senden / This story makes use of italics ]

Das Publikum ist unruhig. Schon einige Pointen sind heute eingeschlagen. Von hier vorne sehen ihre vielen flüsternden Münder wie schnappend nach Zuckerstücken aus. Fast glücklich. Vor ihnen sitzen -- sie schauen nur auf die zittrigen Rücken, von blondem, braunem und rotem Haar -- weich fließt es bis an die Flanken, eigentlich wie aus einer übervollen Badewanne -- drei heulende Frauen.

Der Sänger betritt die Bühne. Die Präsenz des beleibten Herrn mit der perlmuttweißen Bauchbinde und Smoking, wie zur Tosca, seinem rundgetrimmten lockigen Backenbart und den Schweinsäuglein, die aber -- trotz ihrer naturgemäßen Dümmlichkeit -- vom Licht der Scheinwerfer selbst schon im Halbdunkel seines Auftritts beseelt sind, war schon zuvor im Saal spürbar. Selbst die Richterin hat sich an den dezent mit Klarlack lackierten Nägeln gerieben als hätte sie einen Schmutzfleck darunter entdeckt; von all den Frenchnails, die im Schatten der Reihen die Innennähte der Handtaschen aufknibbeln, ganz zu schweigen. Es geht um viel.

Es hatte eine Pause gegeben; die brummenden Köpfe haben wieder auslaufen können, das Becken gießt sich aus den Ohren auf das Gitterwerk der Fliesen aus. Sie wollen das Finale hören, selbst wenn sie selbst bis zum Knöchel in der Lache stehen -- allesamt: Angehörige, Zeugen, die eventuelles Kichern und Stöhnen in der Wand haargenau rekapitulieren wollen; teure Frauenrechtlerinnen und, irgendwo in den Sitz geduckt wie hinter die Theaterkulisse eines Buschwerks: ein sonderbar alleingelassenes achtzehnjähriges Mädchen.

Wie antiseptisch vermieden, ungefähr so, wie man die Griffe der U-Bahn auch nicht anguckt, die man nicht anfasst. Sie trägt ihre Haare schwarz, aber die sind gefärbt. Noch nicht allzulang volljährig weiß sie noch nicht, dass die Erwachsenen sie an ihrem Kajal erkennen werden. Und absondern. Besonders hier. Verhohlen blinzelt sie links und rechts. Aber ihre Sitznachbarinnen ignorieren sie wie einen schwarzen Silberlöffel im Antik-Laden, in dem sie auch ihre Cloisonné-Blumen-Broschen kaufen. Offensichtlich bevorzugen sie Pastellfarben, Krokodilsleder und Chanel, das sich in unter ihren Röcken herausschwadend in den High-Heel-Stöckeln verfängt. Die Pudel erstickt, die in endlos knuddeligen Rangkämpfen weiß zwischen den Stuhlbeinen aufblitzen. Aber schäbig-weiß, so wie die Converse-Chucks des Mädchens, auf die sie beständig hinabblickt. Am Spann sind sie teils aufgerieben, aber sie hat es einfach nicht übers Herz bringen können, sie auszutauschen. In diesen Schuhen hat sie ihren Vater kennengelernt. Es ist nur passend, wenn sie sie heute trägt.

Auch wenn sie, zugegeben, ihm heute noch nicht in die Augen geblickt hat. Wie beiläufig nur nimmt sie das Podium wahr, einen der Frauenrücken, als sie spürt, dass das Publikum sich bereits von seinem sorgsamen Auftritt in den Bann schlagen lässt. Natürlich von seiner Ausstrahlung. Die beherrschte schon den Raum, als er ihn noch gar nicht betreten hatte. Sie findet ihn gefährlich, diesen Charme, der ihr vor zwei Jahren zum ersten Mal den Arm um die Schulter legte. Und trotzdem -- Lauschen tut sie mit allen anderen mit, als der Sänger zu Sprechen anhebt.

*

»Man hat mich gebeten, zu einigen Vorwürfen Stellung zu nehmen und ich will es gerne tun. Die Tat, die Sie mir, genauer jene drei Damen dort, vorwerfen, verjährt nicht. Anders als zahlreiche der (sogenannten) Zeuginnen gebe ich durchaus zu, meine Erinnerung bemühen zu müssen, ja, wenn nicht gerade bitten, von jenem Abend noch einmal die Schleier zu heben. Und auch das -- will ich gerne tun. Und wenn ich es gerne tue, dann, erlauben Sie, aus Liebe. Nicht etwa, weil die Presse mich bestürmt. Nachgerade Sie.« Dieses Kinndeuten gilt der Runde des Rampenlichts; zuvor war sein Blick ins Publikum geirrt.

»Nicht nur das Erinnern stellt mich vor ein Problem der ›Gêne‹, Nein -- Sie sehen mich als einen vom alten Schlag. Ich glaube, dass es Dinge gibt, die tun wir einfach -- und sprechen nicht darüber. Aber bitte -- ich glühte im Rausch des Konzerts, wir hatten den Turandot gemacht -- das prägt sich ein. Die Gesichter prägen sich ein -- und -- ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen« -- ein gönnerhaftes Ausschenken der Hand -- »schöne Gesichter waren es. Die mich just hinterm zweiten Vorhang erwarteten (der war nach dem zweiten Akt schon zugegangen), wo die Bühne sich zum Ausgang verengt im -- malen sie es sich aus -- geisterhaften Schein der Rettungsleuchte. Die Röte geschminkter Lippen tritt dort hervor. Sie waren zu dritt -- und, Euer Ehren: Es waren die selben Frauen, die heute hier sitzen!«

Monumentale Beweisführung, sein Finger ist erhoben. Im Übrigen streifen seine Blicke die aufgedunsenen Gesichter der Delinquentinnen stets gerade so flüchtig, um sie wissen zu lassen, dass er -- wie ein Panther -- näherkommt.

»Ich kannte die drei nicht. Flüchtig vielleicht -- eine Regieassistentin, eine... Praktikantin -- richtig? -- und eine Bühnentechnikerin, die, so hat man mir später nahegetragen, das ganze erste Jahr hinter dem Verfolger verbracht hatte, wegen eines... gewissen Arbeitsunfalls. Ich habe jedenfalls mit dem Bühnenvolk nicht viel zu schaffen -- ich singe nur, wissen Sie?« Er ist jetzt röter. Die Rage steigt.

»Denn ich werde Ihnen jetzt -- konträr zu einigen bereits gefallenen Paukenschlägen, Typ Blaskapelle Bottrop-West, denn ihr Knalleffekt ist ungefähr so plump -- etwas über das Ranschmeißen erzählen. Karrierismus.«

»Bitte!« ruft die Richterin. Aber auch sie ist hilflos. Sie hängen bereits an seinen Lippen.

»In Sekundenschnelle waren sie bei mir. In Stockwerken, eine im Bleistiftrock halb kniend schon, die andere aufschauend zu mir an meiner Brust, die ihre gespreizten schlanken Finger ziert -- und immer noch bebte vom Diecimille anni --, die andere, eine Rothaarige stellt sich auf die Zehen und haucht mir ins Ohr: ›Na, Pavarotti, ein wenig Spaß im Nachklang?‹ Ihre Stimme war warm. Was soll ich sagen -- man hätte mich, beduselt vom Applaus, mit einem Gewehr bestücken und in die nächste Bank ziehen können -- Ich folgte ihnen.«

Es ist nicht die Rothaarige, die zwischendrin aufbegehrt. Aber es ist allein der verunsicherte Blick der Richterin, der sie zum Schweigen bringt.

»Auf meine Suite übrigens. Berlin selbst hat sie mir gebucht -- die Stadt meine ich. Erst kürzlich habe ich ein altes Schokoladenplättchen gefunden, direkt aus dem Bürgermeisterhaus. Aber das ist klassisch -- und der Portier machte keine großen Augen, sonderbarer wäre es für die Stunde und diese Empfangshalle gewesen, drei Bücher im Arm zu tragen und im Fahrstuhl zu verschwinden. Sollte er dies hier noch sehen -- geschweige gar sich im Raum befinden, was ich nicht annehmen darf aufgrund der Natur des Zeugenstands -- möchte ich die Schachpartie anbieten, die ich noch schuldig bin -- mein überhasteter Aufbruch raubte uns der Gelegenheit.«

Er schaut triumphierend in die Menge und eine Fernsehkamera hinten an den Türflügeln.

»Bitte, keine Abschweifungen.« Das kam von der Staatsanwaltschaft. Es trifft. Er setzt sich wieder in Grundpositur, Brust raus, Arme pendelnd, als sähe man es in seiner Mundhöhle bereits arbeiten, sich konnektieren mit seiner Atemsäule, die wie Marmor auf dem Gerichtspodest steht.

»Ja! Ich werde ihnen keine Details ersparen, denn es sind -- verzeihen sie der Künstlernatur -- exquisite Details; aber ich nehme Rücksicht auf den Zustand der drei Damen -- die allerdings, soviel werden sie mir zugestehen, damals ganz und gar keine Rücksicht einforderten. Ich erinnere mich mehrere gelinder Schreie nach ›mehr‹. Wir badeten gemeinsam. Sie kennen Hotelbadewannen der Obergeschosse -- es war also möglich. Es war warm. Es war nah. Es war gehaucht und geküsst -- -- bitte, wie viel wollen Sie wissen! -- Wir zogen aufs Bett um. -- --«

Hinter einhundert Stirnen hat sich die Szenerie ergeben -- eines halbdunklen Zimmers, eine Tischlampe brennt und drei Schönheiten, blond, brünett und rot und sonst gar nichts umgeben einen jungen Adonis. Einen kostbaren Star, am Beginn seiner Karriere noch eine dünnwandige kostbare Vase; nicht muskulös, aber bleich schimmernd, wie anzuknacksen. Wortspiel: sprunghaft. Dann, kurz darauf später, sind sie nur Dellen in der Matratze, werden sie Linien auf seiner Glasur.

Das Publikum will es hören, den Singsang, das Gekicher und zutrauliche Gehechel, aus seinem Mund bitten sie darum. Nicht nur ein Knie hat sich in den Rängen berührt. Härchen stellen sich auf. Das Trio aus Souffleusen vor ihm aber spürt den Stimmungswandel und duckt sich. Sie haben den Text vergessen.

»-- Aber als ich aufwachte, da war es anders. Ich hatte nicht geträumt. Nur wachgelegen, gegärt, während es um mich herum mehrstimmig geschnauft hat; runde Balkone ins Laken gestanzt. Beim Aufwachen ist es dann klar geworden; man kann sagen, die Hefe hat sich ausgefällt. Und hier werden Sie jetzt eine Pointe der Geschichte kredenzt bekommen, die ganz und gar konträr ist zu dem, was ihnen aus trockenen Taschentüchern heraus heute vorgestammelt wurde.«

Jetzt ist der Zorn da. Die Maske der Ruhe ist abgenommen. Aber es scheint niemanden mehr zu stören. Ein Gesicht hat sich hoffnungsvoll aus der Reihe gehoben, ein kleines.

»Ich stand am Fenster. Blau war die Morgenstunde und gelb der Frühverkehr zwischen den Hochhäusern. Es war mit dem Blinken der Klimaanlage -- erlauben Sie mir, dass ich mir gestatte, diesen... diesen Wendepunkt, diesen Akt, der sich erst... der sich erst Sechszehn Jahre später schloss, und damals öffnete -- dass ich ihn mir ganz genau eingeprägt habe -- das Blinken der Klimaanlage gegen die graublaue Kulisse, dass zeitweilig die Spiegelung der drei nackten schlafenden Gestalten gegen die Innenseite des Fensters abfärbte. Braun-golden. All die Farben noch heute pulsierend vor meinem inneren Auge.

Denn ich erinnerte mich. Erstlich. Wie ich früher gewesen war, ja, noch vor meinem Gesangsstudium überhaupt. Bevor ich all die... Kulisse und Theatralik in mein Leben ließ und die Mädchen, die mich liebten, Studentinnen, die auf die Cartier-Uhr meines Vaters hereinfielen (die hatte ich -- wo wir schon in einem Gerichtssaal sind -- ihm vor meiner Abreise nach Wien geklaut), die ich quälte. Weil selbst mein heißer Atem nur ›in Szenen portioniert‹ in ihre Lippen hineinpurzelte; niemals mehr echt. Nur additiv.

Wie ich war, als ich noch gedacht hatte, man würde mir erlauben, hingebungsvoll zu sein. Eine Frau hingebungsvoll zu lieben. Ich habe gelesen, Storm, Rilke, Shakespeare -- Hölderlin: Hyperion! Die Sterblichkeit nur die Flecken in unseren Augen, die bleiben, wenn wir in die Sonne starren

Er schreit bald. Er fühlt sich noch immer getäuscht. Von den Frauen und sich selbst, heißt das.

»Und dann sah ich zurück aufs Bett -- und -- verachtete sie. Nein, bitte, Euer Ehren -- diesen einen Satz noch. Die Badewanne war ohnehin schon übergelaufen, der Teppich feucht, die Socken nass. Wir hatten vergessen, in unserem einverständigen Rausch, das Badewasser abzustellen. -- --

Denn wissen Sie, was ich darauf tat? (Und vielleicht sollte ich diesen drei Frauen dennoch dankbar sein!) Ich legte Geldscheine auf den Tisch und ging. -- -- Und seitdem habe ich diese Frauen kein einziges Mal mehr gesehen.«

*

Der Saal schweigt. Noch wartet er auf eine Pointe nach der Pointe. Auf die Fuge nach dem Finalsatz. Der Sänger kennt diese glücklose Erwartungshaltung. Und wendet sich traurig ab. Um -- in aller Bescheidenheit, dass er sie nicht erfüllen kann -- seinen Applaus entgegenzunehmen.

Der ist dürftig. Genauergesagt klatschen nur zwei Hände im ganzen Raum. Und das klingt lächerlich, dagegen, wie er eben den Namen »Hölderlin!« geschmettert hat. Und doch fühlt er sich nicht mehr angeklagt, jetzt. Nicht mehr im Eigentlichen. Dort steht und klatscht seine Tochter. Sie liebt ihn, jetzt. Stumme Verständigung über die Reihen: Heute schläft niemand. Es gibt viel zu erzählen.

EmaSen
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2 Kommentare
Marty_RTMarty_RTvor etwa 4 Jahren
Jawohl...

... Lieber Anonymus: wenn Du über diesen einen englischen Satz nicht hinaus gekommen bist, dann ist das wirklich dünn.

Der Rest ist übrigens auf Deutsch, ich habe ihn gelesen, und mir gefällt's.

AnonymousAnonymvor etwa 4 Jahren
Was soll das denn?

"This story makes use of italics"

a)Warum in englisch und

b) was soll's, kursive Schrift, weshalb extra erwähnen?

Dünn insgesamt.

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