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Der Mai

Geschichte Info
Kleine Gedenkschrift.
966 Wörter
3.4
3.1k
00
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»Vielleicht schreibst du mal was drüber.«

Das ist wohl der eigentliche Grund, warum sie mich dabei haben wollte. Dem einen letzten, mickrigen Sinn verpassen. Memoria-Aspekt. Allzu großkotzig hab ich mich vor ihr als Dichter und Schriftsteller produziert. Dabei kenne ich sie erst nur flüchtig. Kannte -- muss ich jetzt wohl schreiben.

In den letzten Wochen hat sich unser Kontakt intensiviert. Hauptsächlich ihrer fixen Idee geschuldet. Denn natürlich hab ich versucht ihr zu helfen. Ich habe oft neben ihr gesessen, während sie all die Hotlines durchtelefoniert hat. Manchmal saßen wir dafür im Pfarrgarten, mit dem Handy auf der Steinbank in der sonnigen Laube, ein andermal gar an der Bushaltestelle.

Sie wusste, dass sie mir viel aufbürden würde, wenn ich mich nicht davon überzeugen könnte, dass sie wirklich alles versucht hat. Und ich garantiere euch: Das ist eine Prozedur. Diese Gesellschaft lässt einen nur sehr unlieb gehen. Und immer wenn sie mir dann sagte: »Ich hab das alles über mich ergehen lassen. Es ist zu viel, viel zu viel. Ich muss mich umbringen.«, dann hatte ich doch noch die Nacht damit verbracht, eine weitere letzte Adresse im Internet herauszufinden. Später aber, und das ist einige Tage her, war es wirklich die letzte. Sie ging hin, diesmal allein. Und das war das.

Wir haben uns bei ihr zu Hause getroffen, im Pfarrhaus. Das muss im Baukern sicher einige hundert Jahre alt sein. Es hat sogar die zugehörige Kirche überlebt. Ihr Vater predigt nun im Nachbarbezirk. Aber der war gerade auf Missionsreise in Neu-Guinea, oder so.

Ihre Stube ist schön. Es ist ruhig und eine einzelne schwarzwälder Uhr tickt. Es hat Ohrensessel, einen für sie und einen für mich. Bücherregale zieren die Wände, beladen auch mit Statuetten oder Scherenschnitten bekannter Dichter, Maler und einiger -- ausgewählter -- Philosophen. Der Blick geht in den Garten. Ich musste daran denken, wie mit ihr irgendwie auch das Pfarrhaus untergeht. Ich zumindest werde es nicht mehr betreten.

Gott weiß, woher sie die Tabletten hatte. »Das darfst du gar nicht wissen.« hat sie gesagt. Ebensowenig, welche es sind -- sie hat die Schachtel vor mir verdeckt gehalten. Je weniger ich weiß, desto weniger wird mich die Polizei belangen. Das ist natürlich illusorisch. Was ich getan habe (Sterbehilfe) ist verboten -- und ich hoffe, der Leser wird es mir nachsehen.

»Vielleicht schreibst du mal was drüber.« Das hat sie gesagt, als sie noch relativ wach war. Draußen regnete es Kirschblüten. Ein wunderbarer, wahnsinniger Tag. Und ihre (schönen) Augen sind trübe und fiebrig geworden. Wir saßen uns gegenüber. Und haben uns angeschaut. Ich hatte jetzt keinen Notizblock dabei, oder so. Ich hatte den Eindruck, das wäre dann doch pietätlos. Auch wenn sie sich nonchalant gegeben hat. Aber mein Beisein war eine Rückversicherung für sie. Sie hat immer viel gelesen. »Ich lebe hart an der Kante des Fiktionalen« hat sie mir mal gebeichtet. Ich glaube, das war in der Laube, auch wenn ich das vielleicht rückblickend romantisiere. »Vor allem, wenn die ganzen Vorwürfe, all das scheiß Moralische zu stark werden.«

Auf dem Tisch lag auch ihr Abschiedsbriefchen. Selbst das Letzte hat noch seine soziale Konvention. Wenn das sprichwörtliche Hemd auch keine Taschen hat -- nach irgendeiner Mode muss es doch geschnitten sein. »Das solltest du aufschreiben...« hat sie gemurmelt. Da hat sie ihre Lippen kaum noch aufgemacht.

Sie hat dann geweint, so lange sie eigentlich noch im Stande gewesen wäre, zu reden. Danach hat sich sie noch einmal beruhigt und ist wieder stumm und ernst geworden. Hat mich weiter angeblickt, nicht ein einziges Mal nach draußen, wo noch immer die Kirschblüten tobten, was mich verwundert hat. ›Im Galarock des heiteren Verschwenders‹ heißt es in einem Gedicht von Erich Kästner. Und Verschwendung ist das wohl in der Tat.

›Auch Glück kann weh tun. Auch der Mai tut weh.‹ Und ist es zu unverständlich, zu makaber, wenn ich mich ein klein wenig glücklich fühlte? Im Paradox vielleicht ein wenig vom Rausch der großen Einschnitte. Oder der intensive Moment, den wir teilten. Sie war ja immer noch ein Mädchen. Und der geheime Plan -- geheimer ehrlichgesagt, als alles, was mir zuvor je anvertraut worden war -- hat uns zusammengeschweißt.

Das Narkotikum tat seine Wirkung, die wohl verheerend war; wäre sie nicht gewollt gewesen. Wenn sie zuvor noch zwischenzeitlich ein Bein überschlagen, oder sich am Knie gekratzt hat, regte sie sich bald immer weniger. Und bald wurde sie dann ganz reglos. In ihrem Blick aber hab ich es noch weiter gesehen. Der Funke.

Und auch als der verlosch habe ich noch gewartet, bis der letzte Eindruck von Präsenz aus dem Raum verschwunden war. Das ist etwas ganz Schlimmes. Ich möchte es hier nicht wiedergeben. Aber der Sonnenstrahl, der schlussendlich langsam über ihre besockten Zehen wanderte...

Ich bin dann hingegangen und sah es in meiner Verantwortung, den Exitus festzustellen. Ich habe am Hals ihren Puls gefühlt, mit zwei Fingern. Natürlich war es noch warm -- sie war noch warm. Aber vom Gefühl mehr wie ein Stück Stoff. Eine Sofalehne, auf der die Katze gelegen hat.

Natürlich hab ich auch ein wenig geweint. Eigentlich aber war ich zu ruhig. Das Narkotikum hat uns beide eingeschläfert. Es stirbt auch immer die Person, die wir für den anderen sind.

Ehrlichgesagt hatte ich kurz die Versuchung, ihren Abschiedsbrief zu lesen -- Während sie noch hinter mir starr in dem Sessel saß! Dann griff ich aber doch daneben zum Telefon und wählte die Nummer der Polizei.

Zum Rest lässt sich nicht mehr viel sagen. Kästner bezieht sich sicher auf das alte Volkslied ›Hoch auf dem gelben Wagen‹. Ich möchte denken, dass auch sie eine der Schönheiten des Lebens gewesen ist, an denen mein Wagen vorbeirollt. Es ist übrigens Anfang April, wenn ich dies schreibe, nicht Mai, noch nicht.

»Vielleicht schreibst du mal was drüber.« Das habe ich hiermit. Ich hoffe, damit ist Dir (Dir, Dir, Dir!) genüge getan.

EmaSen
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