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Die Farben des Lebens 02

Geschichte Info
Die Flucht.
12.7k Wörter
4.05
23.4k
1
Geschichte hat keine Tags

Teil 2 der 2 teiligen Serie

Aktualisiert 03/17/2021
Erstellt 08/24/2009
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Andy43
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Teil 02

Die Flucht

Der Weg schlängelte sich über den Bergkamm. Hin und wieder stellten sich ihm haushohe Felsblöcke in den Weg, die durch die extreme Witterung starke Risse bekommen hatten und aussahen, als habe Thor mit seinem Hammer auf sie eingeschlagen. Sie standen wie Soldaten in Reih´ und Glied und zeigten mit ihren keilförmigen Spitzen in den Himmel. Schaute man aus dem Tal mit dem Fernglas zu ihnen hoch, so hatte man den Eindruck, als hätten sie ihr Bajonett aufgepflanzt. Der Weg machte brav einen Bogen um sie. Er stapfte weiter und ließ die Steinriesen hinter sich. Ron fröstelte. Ein starker, beständiger Wind wehte über den Bergkamm und obwohl die Sonne ihr bestes gab, musste Ron seinen Kragen weit hochschlagen.

Das Gipfelkreuz war nun schon deutlicher zu erkennen. Ein paar Meter noch und er war am Ziel des heutigen Tages.

Ron nahm den Rucksack herunter und lehnte ihn gegen das schmiedeeiserne Gipfelkreuz. Er holte tief Luft. Es war Still. Nur den Wind hörte er leise an seiner Jacke zerren.

*

Die Blendladen klapperten gegen den Fensterrahmen. Der Wind war über Nacht aufgefrischt. Es war kühl. Ron hatte seinen Schlafsack zu einer Decke umfunktioniert. Maren hatte sich ganz dicht an ihn herangekuschelt. Ihr Kopf lag an seiner Schulter. Einen Arm hatte sie über seine Brust gelegt. Ron öffnete seine Augen. Maren schlief. Er nahm ihre Hand, die auf seiner Brust lag, drehte sich zu ihr hin und schaute sie an. Sie atmete ruhig, kaum spürbar.

„Was für ein schönes Mädchen," sinnierte Ron. Vor ein paar Tagen noch waren sie Freunde, und nun ein Liebespaar. Ihr Gesicht war entspannt. Mit einer Hand strich er ein paar Strähnen aus ihrem Gesicht und führte dabei seine Fingerspitzen vorsichtig über ihre zarte Stirn. Die kleinen Sommersprossen gaben ihrem Gesicht eine lustige, freundliche und freche Note. Ein paar von ihnen befanden sich auch oberhalb ihrer Brust und auf ihren Schultern. Das war ihm bislang nicht aufgefallen, obwohl er sie doch jeden Tag sah.

Er fand sie niedlich wie sie da so lag. Völlig vertrauensvoll lag sie in seinem Arm, wie ein kleines Kind. Noch gestern hatte er davon am Strand geträumt,

sie zärtlich zu berühren, sie in den Armen zu halten, sie zu küssen. Und nun war es Wirklichkeit.

Er konnte kaum glauben, dass er sie so nah bei sich hatte. Ihr warmer, nackter Körper lag dicht an seinen geschmiegt, ihre kleinen, sanften Brüste berührten seine Haut. Er spürte ihr Herz klopfen und ihren Atem. Er war fasziniert von dem Gedanken etwas geschenkt bekommen zu haben, dass mehr Wert war, als man mit allen Reichtümern dieser Welt hätte bezahlen können. Er hatte etwas bekommen, wovon er zwar zu träumen gewagt hatte, aber dass es ihm quasi wie von oben in seine Armen gelegt worden war, dass hatte er nie für möglich gehalten. Es lag ihm ein menschliches Wesen in den Armen, dass sich ihm völlig frei und wie er dachte, uneigennützig, ja schutzlos hingegeben hatte. Wieso passierte gerade ihm das. Ron war sicherlich kein religiöser Mensch. Aber was ihm hier passiert war, dass war etwas besonderes. Es war ihm nie so bewusst gewesen, wie in diesem Augenblick. Sicherlich, mit Susanne hatte er ebenfalls schöne Stunden und tollen Sex erlebt und auch sie hatten sich geliebt.

Aber mit Maren war alles anders. Er fühlte sich noch nie so geliebt, wie jetzt.

Es war wie ein Zauber, der sie umgab. Als hätten sie beide ungewollt einen Zaubertrank zu sich genommen, der sie unverwundbar gemacht hatte, gegen alle Zweifel und Dunkelheit.

Und wie sie sich geliebt hatten. Maren war nicht von dieser Welt, dachte Ron. Sie waren in ihrem tiefsten Inneren von etwas besonderem berührt worden. Wenn dass die Liebe ist, und wenn Maren der Grund für dieses Gefühl war, dann war es das Gefühl, welches er für immer in sich tragen wollte. Es war mehr als nur Schmetterlinge im Bauch. Es war etwas darüber hinaus. Dieses Gefühl machte Rons Sinne betrunken. Sein Leben hatte einen Sinn bekommen.

Er schaute sie noch eine ganze Zeit liebevoll an, hielt ihre schlanken Finger in seiner Hand und streichelte sie.

Ron küsste sie auf die Stirn.

Vorsichtig öffneten sich ihre Augen. Sie lächelte ihn an.

„Wie hast du geschlafen", fragte Ron leise.

„Noch nie so gut", erwiderte sie. Sie rutschte zu ihm hoch und gab ihm einen sanften Kuss auf die Lippen. Sie küssten sich zärtlich. Maren schaute Ron eine Weile nachdenklich an.

„Mein Stier", sagte sie lächelnd und kniff ihn leicht mit ihren Fingern in die Brust. Er grinste.

„Wie spät ist es", fragte sie. „Halb Neun, wir haben noch etwas Zeit". Maren gab ein genüssliches Stöhnen von sich, reckte sich kurz und kuschelte sich wieder an Rons Körper, legte ihre Hand auf seinen Bauch und spielte mit den Haaren unter seinem Bauchnabel. Ron streichelte ihren Rücken. Sie schwiegen eine Zeit. „Wann musst du im Klub sein", fragte Ron. „Um Zwölf", antwortete Maren.

„Ich werde heute kurz zu Markus ins Büro fahren, vielleicht hat er einen Kunden für mich", sagte Ron. Maren zog die Decke zur Seite, setzte sich auf und reckte ihre Arme zur Decke.

„Ich setze schon mal Kaffee auf, geh du ruhig zuerst ins Bad", meinte Ron.

Sie frühstückten lange.

„Du brauchst mich nicht zu bringen", sagte Maren, „ich gehe zu Fuß zum Klub. Die zehn Minuten kann ich laufen." „Wie du willst", antwortete Ron. „Was machst du heute im Klub", fragte er. „Eine Bustour ist geplant, ich fahre als Begleiterin mit. Es geht um vierzehn Uhr los. Ich schätze wir werden gegen neunzehn Uhr wieder zurück sein". „Wohin fahrt ihr", fragte er. „Eine Schnuppertour für die neuen Gäste, durch die Stadt und die nahe Umgebung. Nichts aufregendes", antwortete sie. „Na dann viel Spaß", sagte Ron.

Ron gab Maren zum Abschied einen Kuss auf die Wange. „Bis heute Abend, meine schöne Blume". Er schaute sie an, lächelte und zog die Tür hinter sich zu.

Sie hörte wie er den Wagen startete und losfuhr.

Ron quälte sich durch den Straßenverkehr. Mopedfahrer, Fußgänger, Lkws, Autos, keiner schien sich an irgendwelche Regeln zu halten. Aber irgendwie ging es immer weiter, wenn auch langsam und mit viel Geduld. Das Leben hier trat einen Schritt kürzer als daheim. Ron parkte den Wagen in einer Seitenstraße.

Die Nachbarstadt war größer und lebendiger. Hier war auch die Anlegestelle der Fähren, welche die Insel mit allerlei Gütern vom Festland aus versorgten und regelmäßig hier anlegten. Ron erreichte die Häuserzeile, in der Markus´ Büro lag. Die Straßen waren mit großen Steinen gepflastert. Die dreistöckigen Häuser standen in dichter Reihe nebeneinander und machten einen stark sanierungsbedürftigen Eindruck. Der Putz blätterte in kleinen Schuppen von der Fassade, und die Fenster sahen marode aus. Ron drückte die schwere Tür zum Treppenaufgang auf. Markus´ Büro lag im ersten Stock. Markus saß hinter seinem Schreibtisch und telefonierte. Als er Ron hereinkommen sah, winkte er ihn ohne das Gespräch zu unterbrechen heran und deutete mit seiner Hand auf ein Kuvert, den er auf einen Stapel Akten gelegt hatte. Ron nahm es in die Hand. Es war ein Telegramm aus Deutschland von seinem Bruder. Er setzte sich und öffnete es. „Mutter heute verstorben. Beerdigung Mittwoch - Hallsteig. Dennis".

Ron sank in sich zusammen und wurde blass. Markus hatte das Telefonat beendet. „Was ist", fragte er mit besorgter Mine. „Wann ist das gekommen", fragte Ron mit kraftloser Stimme. „Am Sonntag gegen Mittag", gab Markus an.

„Etwas Schlimmes", setzte er hinzu. „Mutter ist tot", antwortete Ron leise.

„Mittwoch ist die Beerdigung". „Oh Gott, das tut mir leid Ron", sagte Markus bestürzt. Ron starrte einen Moment vor sich hin.

„Ich muss sofort los", sagte er plötzlich. „Wann geht die nächste Fähre zurück zur Hauptinsel", fragte er mit leichter Panik in den Augen. Markus schaute auf einen Fahrplan, der an der Wand hing. „Die nächste könntest du noch schaffen. Laut Plan legt sie um sechzehn Uhr an, wird dann gelöscht und wieder beladen. Ich denke, sie wird frühestens um siebzehn Uhr ablegen. Ankunft auf der Hauptinsel gegen zwanzig Uhr. Vielleicht kriegst du den letzten Flieger. Kann ich sonst etwas für dich tun", fragte Markus noch. „Nein danke, sagte Ron, ich muss los" Ron stand auf, steckte das Telegramm in seine Hosentasche, gab Markus flüchtig die Hand und rannte die Treppe runter. „Fahre vorsichtig", rief Markus hinterher. Ron rannte die Straße zurück zu seinem Auto. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen. Jede Handbewegung machte er automatisch ohne nachzudenken. Gedankenfetzen schossen durch sein Gehirn. „Was soll nun werden", dachte er. Er quälte sich durch den Verkehr zurück zum Apartment. Seine Umgebung, nahm er kaum war. Seine Sinne waren wie in Watte gehüllt.

Nach einer Stunde Fahrt, kam er am Apartment an, schloss die Tür auf, rannte ins Schlafzimmer, packte seine Tasche mit dem Nötigsten und steckte seine Reisepapiere in die Jacke. Er stand einen Moment still im Raum und versuchte sich zu konzentrieren. „Alles dabei", fragte er in sich hinein. „Maren!", schoss es ihm durch den Kopf. Er nahm ihren Zeichenblock und schrieb:

Liebe Maren. Habe soeben erfahren, dass meine Mutter verstorben ist. Siehe Telegramm. Wenn du meine Nachricht liest, werde ich wahrscheinlich schon im Flugzeug sein. Sobald ich kann, werde ich mich bei dir melden. Das Auto lasse ich bei Markus. Pass auf dich auf. Ich liebe und küsse dich. Ron.

Er legte das zerknitterte Telegramm auf den Zeichenblock, schaute sich noch einmal um, verließ das Apartment und fuhr zurück in Richtung Stadt.

Ron parkte den Wagen in einer Seitenstraße. Er lief zu Markus´ Büro und warf den Autoschlüssel in den Briefkasten. Bis zum Hafen war es noch fünfzehn Minuten Fußweg. Ron setzte den Rucksack auf, griff seine Tasche und marschierte in Richtung Hafen. Seine Fähre wurde mit den letzten Autos beladen. Er hatte Glück. Ron kaufte eine Fahrkarte, ging an Bord und setzte sich auf das Oberdeck ins Freie. In drei Stunden etwa werde ich am Flughafen sein, dachte er. Hoffentlich geht noch ein Flieger. Ron legte den Rucksack ab und stellte die Ta-che dazu. Erst jetzt merkte er, dass er schweißgebadet war und sein Hemd unter seiner Jacke an seinem Rücken klebte. Er fröstelte. Der kalte Seewind blies ihm ins Gesicht. Es wurde kühler. Ron schlug den Kragen seiner Jacke hoch.

Ein dumpfes Poltern ging durch das Schiff als das Seeschott geschlossen wurde. Die Dieselmotoren ließen das Schiff vibrieren. Die Fähre legte ab.

Die Wellen warfen sich schmatzend gegen den Bug. Der Seegang wurde rauer, je weiter sie auf das offene Meer kamen. Die Hafenmole war kaum noch zu erkennen, nur die helle Silhouette der Stadt. Das Schiff verließ die Bucht und erreichte den offenen Atlantik. Ron starrte auf das dunkle Wasser. Der Wind zerrte an seinen Haaren. Ein Wolkenband hatte sich vor die Sonne geschoben, die sich bereits zum Horizont bewegte. Ron wurde es zu kalt. Er nahm sein Gepäck und ging in die Cafeteria. Er versorgte sich mit einem großen Kaffee, setzte sich an ein Fenster und schaute gedankenverloren aufs Meer.

Der Kaffee war ihm kalt geworden. Ron bemerkte die Kondensstreifen am Himmel, welche die Flugzeuge an den Himmel gesprüht hatten. Bald musste das Schiff den Hafen erreichen. Am Horizont war schon deutlich eine Insel zu er-kennen. Das Licht der blassen, untergehenden Sonne, warf einen fahlen Schein über das Meer. Im Lichte der letzten Sonnenstrahlen, stieg ein Flugzeug in der Ferne wie ein Glühwürmchen in den Himmel. Er dachte an Maren. Gerne hätte er sie jetzt in seiner Nähe gehabt. Die Küste kam immer näher. Noch zwanzig Minuten etwa, dann würde das Schiff anlegen. Ron schaute auf seine Uhr. Von Ferne konnte man schon die beleuchtete Hafenanlage erkennen. Er packte sich den Rucksack auf seine Schultern, nahm die Tasche in die Hand und ging langsam nach unten.

Die Sonne tauchte gerade ins Meer. Der Bug des Schiffes wurde bei Einfahrt in den Hafen allmählich hochgezogen. Der Kapitän steuerte das Schiff behutsam auf den Landungssteg zu. Viele Passagiere hatten sich bereits vor dem Ausgang versammelt. So auch Ron. Die Landungsbrücke wurde auf das Unterdeck am offenen Bug herabgelassen. Der Ausstieg wurde freigegeben.

Ron nahm ein Taxi zum Flughafen. In den frühen Abendstunden war kaum noch Verkehr auf den Straßen. Menschen saßen in den Bars und Restaurants. An ihren Wänden flackerten Kerzen in ihren roten Glaskolben. Die Dämmerung brach über die Stadt herein. Das Taxi verließ die Stadt. Am Horizont tauchte allmählich der Flachbau des Flughafens auf.

Ron bezahlte das Taxi, warf sich den Rucksack über, nahm die Tasche und ging

in die Halle. Es herrschte reger Betrieb. Ankommende Flüge brachten noch Touristen auf die Insel. In den Lautsprechern quäkten unverständliche Durchsagen. Ron steuerte auf einen geöffneten Flugschalter zu.

Der nächste und letzte Flug ging erst um zweiundzwanzig Uhr, mit Zwischenlandung auf dem Festland. Zielflughafen war Frankfurt. Zeit der Ankunft etwa drei Uhr morgens. Er bekam noch einen Platz.

Ron ging in die Wartehalle für die Abflüge. Es war kurz vor halb Zehn.

Er zog sich einen Kaffee aus dem Automaten. Maren hatte bestimmt schon seine Nachricht gelesen. Er wäre jetzt gerne bei ihr.

Die Maschine, welche ihn zurückbringen sollte, landete gerade. Sie brachte Fracht auf die Insel. Sie würde direkt nach dem Auftanken zurückfliegen.

Es war kalt in Frankfurt. Der feine Nieselregen legte sich wie Tau auf sein Haar. Sein Atem dampfte. Ron stieg in eines der Taxis vor dem Flughafengebäude und ließ sich zum nächsten Motel bringen.

Ron war todmüde. Er schloss die Tür seines Zimmers hinter sich ab, warf sich mit dem Gesicht aufs Bett und blieb eine Weile liegen. Er zog langsam seine

Sachen aus. Er stellte die Dusche an. Der heiße, aufsteigende Dampf ließ den Spiegel beschlagen. Ron stellte sich unter die Dusche und ließ das Wasser lange über seinen Körper fließen ohne sich zu bewegen. Mit den Armen stützte er sich von den Kacheln ab. Es sah aus, als müsse er sich einer Leibesvisitation unterziehen. Morgen würde er Dennis wiedersehen, dachte er.

*

Er schloss seine Augen. Marens Gesicht tauchte vor seinen Augen auf.

Ron stellte sich den Abend bildlich vor, wie sie sich liebten, wie sie ihn anlächelte, seinen Köper streichelte, ihn küsste. Er wollte alles daran setzten, sie wiederzufinden. Er fühlte sich für ihre Liebe verantwortlich.

Ron ließ einen Stein durch seine Finger hin und her rollen und hielt dabei seine Augen geschlossenen. Plötzlich holte er aus und warf ihn über die Kante. Mit geschlossenen Augen zählt er. Eins, zwei, drei. Es gab ein klickendes Geräusch. Er öffnete die Augen, nahm erneut einen Stein, legte sich auf den Bauch und schaute vorsichtig über die Kante. Der Berg stürzte sich hier hundert Meter in die Tiefe, Anfangs schräg, dann steil. Er nahm den Stein und warf ihn. Er trudelte durch die Luft und schlug dann knapp neben einen Felsen auf, der von oben gesehen, wie das Gesicht eines Indianers aussah. Er hatte eine Hakennase, zwei tief liegende Augen und an seinen Seiten zwei längliche Wülste, die wie geflochtene Zöpfe aussahen. Kleinere Felsen, die schuppig von einem Felsbruch abgeglitten waren, lagen um den Kopf verteilt, als wären es drei Federn an sei-nem Kopf.

„Na hast du ihn erwischt, Adlerauge", fragte eine raue Stimme hinter ihm. Gleichzeitig fühlte er die Sohle eines Fußes auf seinem Gesäß. Ron erschrak und rappelte sich hoch. „Bist du bescheuert", schrie er und schaute Dennis sauer an. „Hey, Hey, Hey, Kleiner", erwiderte Dennis mit einem breiten grinsen, nun bleib mal geschmeidig". „Wo kommst du denn so schnell her", fragte Ron seinen Bruder, nachdem er sich ein wenig gefasst hatte. „Ich warte schon zwei Stunden auf dich", sagte Dennis, "da, zwischen den Steinriesen" und zeigte mit seiner tätowierten Hand auf sie. „Musst du mich denn so erschrecken", sagte Ron vorwurfsvoll. „Ich habe dich zuerst nicht erkannt, ist schon länger her", erwiderte Dennis. „Ja, stimmt allerdings", meinte Ron. „Man kann nie wissen, was sich hier herumtreibt", knurrte Dennis mit einem fragenden Unterton und kniff dabei seine Augen ein wenig zusammen. „Wer sollte dich hier schon suchen", fragte Ron seinen Bruder. „Man kann nie wissen, ich checke immer erst die Lage, vorher". „Bevor was", fragte Ron. „Bevor ich jemandem in den Arsch trete", antwortete Dennis und lachte laut. Dennis nahm Ron in seine kräftigen Arme und drückt ihn brüderlich an sich. „Zerquetsch mich nicht", sagte Ron. „Ich freue mich einfach dich zu sehen Adlerauge", flachste Dennis.

„Komm", meinte Ron, „lass uns zurückgehen."

Dennis ging vor, sein kleiner Bruder folgte ihm. Sie hatten sich die Gummistiefel übergezogen und verließen das Haus. „Warte auf uns Großvater", riefen beide im Chor. Großvater startete bereits den Traktor. Der alte Motor schüttelte sich hin und her. Sie sprangen auf die Ladefläche des kleinen Hängers, auf dem ein paar Milchkannen standen. Großvater warf den Gang ein und der Trecker machte einen Bocksprung, dass die Milch in den Kannen gegen die Deckel spritzte. Dennis und Ronald lachten aus vollem Halse. Das Gespann tuckerte langsam den Hügel hinunter und schaukelte, wegen der Bodenwellen und Schlaglöcher, wie ein Schaukelpferd hin und her. Gemächlich rollten die Reifen über den Schotter und knirschten sich durch den Kies eines kleinen Bachlaufes, der den Weg kreuzte. Die Sonne stand im Zenit und beleuchtete die Wiesen und Wälder bis hinunter ins Tal. Der Gebirgsbach schlängelte sich wütend durch es hindurch, wie ein Lindwurm. Sie erreichten nach länger Fahrt ihr Ziel. Großvater hielt den Traktor an. Beide sprangen vom Hänger, öffneten die hinter Planke und halfen Großvater beim Abladen. Beide schnappten sich je eine Kanne, griffen sie links und rechts fest in ihre Metallgriffe, hielten sie vor ihren Bauch und wackelten wie Lämmerschwänze Großvater hinterher.

Nachdem sie die Milch bei der Genossenschaft abgeliefert hatten, spendierte Großvater ihnen eine Limonade im nahe liegenden Gasthaus. Sie öffneten die Tür und traten hinein. Die Gaststätte war leer. Sie gingen auf den Tresen zu. Er bestellte die Limonade. Ronald und Dennis, tranken in schnellen Zügen. Die Wirtin zog Großvater beiseite, redete auf ihn ein und zeigte dabei immer wieder auf einen Tisch. Die Brüder sahen hinüber und erkannten ihren Vater, der seinen Kopf vornüber auf seine Arme gelegt hatte und vor sich hindämmerte. Unter seinem Stuhl auf dem er saß, hatte sich eine Pfütze ausgebreitet.

Großvater ging hinüber, packte ihn und hakte sich unter seine Arme ein. Er brachte ihn zum Gespann und legte ihn auf den Hänger. Die Brüder setzten sich dazu und sahen Vater ins Gesicht. Er roch nach Erbrochenem und seine Kleidung war besudelt. Langsam ruckelte der Hänger los. Großvater fuhr zurück. Einige Kühe, die neugierig an einem Zaun am Weg standen, schauten zu ihnen hin und marschierten dann ein Stück mit. Großvater bog auf den Hof. Er legte sich ihren Vater auf die Schulter und schleppte ihn ins Haus. Mutter lief ihm entgegen und machte wie immer ein besorgtes Gesicht.

„Ich dachte, du würdest im Hallsteig auf mich warten", sagte Ron nach einer Weile. „Hatte ich ja auch erst vor, aber ich dachte mir gleich, dass du, wenn du schon einmal hier bist, zum Gipfelkreuz gehen würdest", erklärte Dennis ihm. Der Abstieg ging wie immer zügiger voran als der Aufstieg. „Woher hattest du eigentliche meine Adresse", fragte Ron. „Ich hab´ so meine Beziehungen auf dem Kiez und im übrigen wusste ich ja, dass du in Hamburg studierst. Da habe ich an ein paar Fäden gezogen. Wie heißt die Schnecke noch gleich, Susanne, ja genau, Susanne, die wusste, wo ich dich finden könnte". „Woher kennst du Susanne," fragte Ron erstaunt. „Echt geile Fotze die Alte, sagte Dennis und schnalzte mit seiner Zunge, die kann dir einen blasen, dass du einen Buckel kriegst. Du hast einen echt guten Geschmack, Adlerauge. Aber die ist nichts für dich. Die hält ihren Arsch mittlerweile jedem hin. Erst hat sie für sich selber angeschafft, fürs Studium sozusagen und jetzt für einen Kumpel. Da lernt die Schnalle andere Sachen." Dennis lachte laut. „Wie man sich doch täuschen kann im Leben," setzte er hinzu. Ron war unangenehm berührt. Sie schwiegen eine Weile.

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