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Die Farben des Lebens 02

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„Wie hat dich der Tod von Mutter erreicht," fragte Ron nachdenklich.

„Die vom Sanatorium hatten noch eine alte Adresse von mir", erklärte Dennis.

„Die haben alles notwendige veranlasst, mit der Beerdigung und so."

„Kommt sie zu Vater", fragte Ron. „Wie meinst du dass," fragte Dennis zurück.

„Ich meine, ob sie neben Vater beerdigt wird," antwortete er. „Nein, sie bekommt, glaube ich, ein Einzelgrab. Was anderes wäre auch nicht in ihrem Sinne gewesen," meinte Dennis.

„Wie ist sie gestorben," fragte Ron nach einer Weile. „So weit ich weiß an Herzschwäche, wegen der vielen Medikamente und so," erklärte Dennis.

„Das haben sie mir am Telefon wenigstens gesagt," fügte er noch hinzu.

Die Brüder beobachteten die Szenerie vom Traktor aus, der immer noch lief und schwarze Wölkchen in den Himmel pustete. Sie liefen zur Scheune, drückten die Tür auf und liefen auf die Heuballen zu, die wie eine Stiege aufgetürmt waren.

Sie erklommen den höchsten Punkt, legten sich vor die Wand und schoben ein lockeres Brett der Außenverschalung zur Seite. Sie schauten auf den Hof.

Mutter sprach mit Großvater. Sie gestikulierten hektisch und vorwurfsvoll mit ihren Armen. Großvater drehte sich langsam um und ging in die Werkstatt.

Mutter verließ den Hof in Richtung Garten. Die Brüder vernahmen, wie Großvater mit dem Schmiedehammer im immer gleichem Takt das Eisen bearbeitete.

„Gleich haben wir es geschafft," sagte Ron. Nach ein paar Schritten, erreichten sie die Hütte. „Willkommen im Hallsteig", sagte Dennis lachend und breitete die Arme aus, als würde er jemanden begrüßen. Sie betraten die Hütte und setzten sich an einen, rustikalen Tisch, der in einer Ecke stand.

„Was machst du, wo nun alles vorbei ist, fragte Ron seinen Bruder. „Ich muss wieder zurück nach Hamburg. Bin auf Bewährung. Muss mich jeden zweiten Tag melden. Morgen muss ich in Hamburg sein, sonst geht es wieder ab in die Zelle", sagte Dennis und hielt seine Handgelenke überkreuz. Acht Jahre für so eine kleine Bank, viel zu lange," sagte Dennis und sah aus dem Fenster. „Ihr hättet niemanden verletzen dürfen," meinte Ron vorsichtig. „Ich hab´ nicht geschossen", meinte Dennis laut und schrie fast dabei. „Ist ja gut, sagte Ron beschwichtigend, es ist ja vorbei."

„Und, was machst du, fragte er Ron, gehst du zurück."

„Ich habe nicht mehr so viel Geld, um dorthin zurückzugehen, wo ich gerade hergekommen bin," sagte Ron.

„Komm doch mit mir," sagte Dennis nach einer Weile. „Ich hab´ ne Bude bei einem Kumpel, da passt klein Adlerauge auch noch rein. Da geht öfter mal die Post ab. Wird bestimmt nicht langweilig. Und für `nen ordentlichen Nachmittagsfick reicht die Kohle immer. Vielleicht schlabbert dir Susanne einen umsonst, die wohnt gleich gegenüber.

Komm schon, wir beide", drängelte Dennis, "wie in alten Zeiten."

Es war früh am Abend. Mutter rief die beiden Brüder ins Haus. Ihr Vater war zu sich gekommen und saß an einem Tisch. Er aß.

„Gib mir was zu trinken, sagte er zu ihrer Mutter, sofort." „Du hast doch schon genug," antwortete sie unterwürfig. „Wann genug ist, bestimme ich," sagte er laut, stand auf, ging zum Schrank und suchte nach einer Flasche. Seine Suppe dampfte. Er fand nichts.

Mutter sah die Brüder ängstlich an und bedeute ihnen mit einer Handbewegung nach oben zu gehen. „Gib mir sofort was zu trinken", brüllte er. Großvater kam herein. Er hatte noch die schwertlangen Torscharniere in der Hand, die er ge-schmiedet hatte. Morgen wollte er sie ans neue Gatter oben an der Weide anbringen. Die Brüder gingen nach oben. Ihr Vater schielte zu Großvater hinüber und wurde still. Er stellte die Scharniere in eine Ecke des Raumes, um sie später abzuholen. „Ich gehe kurz in den Stall", sagte er. „Gut," sagte Mutter, „ich mache dir schon mal einen Teller Suppe zurecht." Großvater verließ den Raum. Vater aß seine Suppe. „Krieg ich jetzt endlich was zu trinken, verdammt noch mal, meckert er. Mutter zuckte zusammen. Die Brüder saßen oben auf der Treppe, und erwarteten schweigend das Gewohnte. „Ich haben nichts im Haus", sagte sie leise. „Was hast du gesagt," brüllte Vater und verlor dabei Essen aus dem Mund. Er stand auf und drohte ihr mit der Faust. „Wo ist die Flasche, du Drecksstück, sagte er und schlug Mutter ins Gesicht. „Hör auf, schrie sie, hör auf." „Ich werde dir geben," fauchte er, wie im Delirium. Der Tisch viel um und Teller vielen mit lautem Geschepper auf den Boden. Vater tobte. Plötzlich lief Dennis hinunter und krallte sich an Vater fest. „Hör auf, hör auf," schrie er Va-ter an. Großvater kam herein. Er ging mit ausgestreckten Armen auf Vater zu. Vater griff sich wie von Sinnen eine der schmiedeeisernen Scharniere und schlug ihm auf den Kopf, so dass er zusammensackte. Blut lief um Dennis´ Füße. Ronald saß noch immer oben auf der Treppe und starrte auf die unwirkliche Szenerie.

„Wann gehen wir zum Grab," fragte Ron. „Heute Abend, bevor der Friedhof zumacht. Wir sollten jetzt gehen," sagte Dennis und erhob sich.

Nach vierzig Minuten Fußmarsch erreichten sie das Dorf.

„Hat sich kaum verändert, sagte Dennis.

Manchmal hab´ ich dass Gefühl, als ob hier das Leben rückwärts läuft," sagte er, und nach einer Atempause fügte er hinzu, „stolpert und dann auf den Arsch fällt." Dennis hatte einen seltsamen Humor.

Nach kurzer Zeit, gelangten sie an einen kleinen Friedhof, der mit hohen Tannen umfriedet war. Eine kleine Kapelle mit einem Zwiebeltürmchen auf dem First stand am oberen Ende, vor einer sich steil aufrichtenden Granitwand, die sich zu einem Berg auftürmte. Ein paar alte Frauen standen zwischen den Gräbern, hielten grüne Kannen in ihren Händen und sprachen miteinander. Als sie die beiden Brüder sahen verstummten sie. Die Brüder gingen auf das frische Einzelgrab zu. Ein paar Kränze waren auf das Grab gelegt worden. Ein Kruzifix aus Holz steckte am Kopfende in der Erde. „Wir kommen leider zu spät," sagte Ron leise vor sich hin. „Das waren wir immer," sagte Dennis.

Die Brüder standen davor und schwiegen einen Moment. „Sie hätte uns eh nicht wiedererkannt," sagte Ron nach einer Weile. „Ab und zu hatte sie ein paar klare Momente", erwiderte Dennis. „Jetzt hat sie ihre Ruhe."

Die alten Frauen sprachen wieder miteinander.

Ron sah kurz zu ihnen hinüber. Er glaubte zu sehen, wie eine der Frauen das Wort „Ronald" mit ihren Lippen formte.

„Lass uns gehen," sagte Ron.

Der Zug nach Hamburg hatte Verspätung. „Endlich wieder daheim" sagte Den-nis und zog sich seine Jeansjacke über. Ron nahm seinen Rucksack und die Tasche. Der Zug hielt. Dennis öffnete die Tür. Sie betraten den Bahnsteig. Dennis streckte die Hände aus und reckte sich. „War nicht gerade bequem die Nacht im Abteil, hab´ schon weicher gelegen," sagte er, und schnalzte mit der Zunge.

„Wie gesagt, du kannst bei mir pennen," meinte er, als sie den Bahnhof verließen. Vor dem Bahnhof grüßte Dennis mit nickender Kopfbewegung einige sei-ner Bekannten, die dort herumstanden. Ron überlegte. Es war Marens Stadt, nur deshalb war er doch hierher gefahren. Sie würde in ein paar Monaten hier sein, und er würde sie finden. „Also, was ist," hakte Dennis nach. „O. k.," sagte Ron, aber nur für kurze Zeit, bis ich Arbeit habe." „Gute Entscheidung," sagte Dennis mit einem väterlichen Tonfall, legte eine Hand um Rons Schulter und lenkte ihn so in Richtung Bushaltestelle.

*

Es war eine der feineren Gegenden in Hamburg. Fast in jeder Hauseinfahrt stand ein Oberklasseauto. Die Bungalows und Villen hatten gepflegte Vorgärten.

Ron lief die Straße entlang und studierte die Namensschilder an den Toreinfahrten. Es war ein nasser und kalter Tag im März. Er hatte den Kragen seiner Jeansjacke hochgeschlagen und seine Hände in den Taschen vergraben. Eine Frau mit zwei kleinen Hunden an der Leine ging an ihm vorbei und drehte sich nach ihm um.

Er passte nicht in diese Gegend. Hier war man auf ungebetenen Besuch gefasst.

Fremden gegenüber war man reserviert. Wer wusste schon genau, was sich hier herumtrieb.

Es dämmerte schon. Es gab nicht viele mit Namen Erlenboom. Ron gab nicht auf. Er wusste, er würde sie finden. Es begann zu regnen. Er hatte bereits die halbe Gegend abgeklappert. An der nächsten Ecke befand sich eine Gaststätte.

Ron öffnete die Tür und ging zum Tresen und bestellte sich eine Cola. „Kennen sie eine Familie Erlenboom", fragte er die Bedienung, als sie ihm die Cola brachte.

„Ja", sagte sie knapp. „Und wo finde ich sie", fragte Ron weiter. Die Bedienung schaute Ron skeptisch an. „Sie gehen die Straße hier hinunter und biegen dann links in den Erlenweg. Dann immer geradeaus, sie können es nicht verfehlen".

Ron trank seine Cola in schnellen Zügen leer, bezahlte und ging.

Der Erlenweg zog sich ein wenig hinaus auf die parkähnliche Anlage, die sich vor ihm öffnete. Eine Allee mit alten Bäumen führte auf eine große Villa zu. Zur rechten Hand lag ein kleiner See. Ron ging auf ein handgeschmiedetes Tor zu, das mit bronzefarbenen Spitzen versehen war. In der Mitte war kunstvoll ein Baum aus Schmiedeeisen eingearbeitet. Eine Natursteinmauer führte rings um das Haus. Auf dem bronzenen Namensschild stand der Name Erlenboom in großen Lettern. Ron drückte auf die Klingel. Nach einer Weile hörte der die Gegensprechanlage knacken. „Wer ist da bitte", fragte eine Frauenstimme höflich. „Mein Name ist Ron, ist Maren zu sprechen" antwortete er. Einen Moment geschah nichts. Am Hauseingang ging die Außenbeleuchtung an.

Ein großer Hund begann in seinem Zwinger zu bellen. Der elektrische Türöffner surrte. Das Tor sprang auf. Langsam ging Ron den Weg zum Hauseingang.

Die Tür ging auf und eine elegante blonde Frau um die fünfzig empfing ihn.

„Sie möchten sicher Maren fürs Kino abholen", sagte sie freundlich. „Sie macht sich gerade oben zurecht und wird gleich herunterkommen. Kommen Sie herein, setzen sie sich ans Feuer. Sie sind ja ganz nass. Sind sie nicht mit dem Auto hier. Die Dame war etwas irritiert." „Nein", sagte Ron. „Warten Sie einen Augenblick, ich werde nach ihr schauen". Ron stellte sich vor den offenen Kamin und rieb sich die kalten Hände an der aufsteigenden Wärme. Seine nasse Jacke begann leicht zu dampfen. Die Dame, welche Marens Mutter sein musste ging eine weit geschwungene Wendetreppe hinauf. „Maren," rief sie beim Hinaufge-hen, deine Begleitung fürs Kino ist da." Von oben hörte er Marens Stimme. „Bettina ist aber reichlich früh hier," hörte er sie sagen. „Die Vorstellung beginnt erst in zwei Stunden." „Wieso Bettina..." stotterte ihre Mutter, da ist ein junger Mann, der dich sprechen möchte." Ron hörte schnelle Schritte auf den Marmorstufen. Er drehte sich vom Feuer weg und sah zur Treppe. Maren blieb auf halber Höhe stehen, als sie Ron sah. Ihm stand eine junge, moderne Frau gegenüber. Sie trug die Haare nicht mehr bis zu den Schultern. Sie waren nur noch halb so lang und an den enden nach innen gedreht. Sie trug eine perfekt sitzende, schwarze Edeljeans und einen grauen Kaschmirpullover. Eine goldene Kette mit einem Herz hing um ihren Hals. Sie war wunderschön.

Ron stand wie angewurzelt. Maren ging langsam die letzten Stufen herunter, schritt auf Ron zu, legte ihm ihre Arme um den Hals und drückte ihn fest an sich. Sie weinte leise. Ron nahm ihren Kopf vorsichtig in seine Hände und Küste sie auf die Stirn. „Ich habe dich vermisst und mir sorgen gemacht," sagte sie mit leiser Stimme. Ihr Liedschatten hatte sich auf sein Wangen verteilt. „Hör auf zu weinen meine Blume," sagte er zärtlich. Marens Mutter, die noch am Treppenabsatz stand, kam langsam auf beide zu. „Sie sind der Mann mit dem meine Tochter zusammen auf der Insel gewohnt hat," sagte sie verstehend. „Maren hat mir von Ihnen erzählt".

Maren wischte sich die Tränen ab. Sie setzen sich nebeneinander auf das Ledersofa. Maren hielt Rons Hand. Marens Mutter ließ sie allein. Ron entschuldigte sich dafür, sich nicht eher bei ihr gemeldet zu haben. „Ich haben gedacht, dass du dicht überhaupt nicht mehr melden würdest und das ganze auf der Insel für dich nur ein kleines Abenteuer gewesen ist", sagte Maren mit vorwurfsvollem Blick. Ihre Augen waren leicht gerötet. Er küsste sie zärtlich auf ihre Wange.

„Wie kommst du nur auf einen solchen Gedanken", flüsterte er. „Würde ich achthundert Kilometer quer durchs Land fahren, wenn ich dich vergessen hätte", sagte er und lächelte dabei. „Ich bin verrückt nach dir", setzte er noch hinzu.

Sie hörten wie ein Auto auf das Haus zufuhr. Das Licht der Scheinwerfer spiegelte sich in den bleiverglasten Fenstern. Das elektrische Garagentor summte leise. Das Motorengeräusch des Autos verstummte.

„Das ist Vater", sagte Maren und sah Ron an. Marens Mutter kam aus der Küche zurück ins Wohnzimmer. Sie schaute kurz zu Maren herüber und ging in Richtung Eingangstür. Maren stand auf und nahm Ron an die Hand. Sie bedeutete ihm, mit nach oben zu gehen. Beide gingen sie die Wendeltreppe hinauf in Ma-rens Zimmer. Marens Mutter empfing ihren Mann.

Maren schloss die Tür. Sie hatte ein hübsches, gediegenes Zimmer, dass sowohl den Charakter eines Schlafraumes als auch eines Arbeitszimmers hatte. In einem Winkel des Zimmers stand ein Bett mit einem Baldachin, auf dem drei weiche Kissen und eine Teddybär lagen. An den Wänden standen massive Regal-schränke, die mit allerlei Büchern und Folianten befüllt waren. Ihr Zimmer hatte einen eigenen kleinen Balkon. Vor der halb geöffneten, zweiflügeligen Balkontür stand ein schwerer Schreibtisch, der mit einigen dicken Büchern bepackt waren, die sich mit dem Strafrecht befassten. Ein leichter Windzug zurrte an der Gardine. Maren drehte sich zu Ron, hob ihre Arme um seine Hüften, drückte ihren Kopf an seine Schulter und zog ihren Körper dicht heran, als wolle sie in ihn hineinschlüpfen. Er küsste sie auf ihre Haare. An der Wand gegenüber, direkt an ihrem Bett, sah er in einem Bilderrahmen eine Zeichnung, die ihm einen Schauer über seine Haut rasen ließ und ihn an ein Unvergleichbares Er-lebnis erinnerte. Es war eine in modernem Stil geführte Kohlezeichnung, die unverkennbar einen männlichen Körper darstellte. Ron erkannte sich sofort. Im rechten, unteren Eck hatte sie Initialen hinterlassen, ME. Sie hatte die Zeichnung nach seiner Abreise vollendet.

Ron fühlte sich unwohl, obwohl er Marens Nähe auskostete und sich an ihrem Körper erquickte wie ein Kolibri. Er drückte sie und rieb mit seinen Handflächen über ihren Rücken. Von unten hörten sie leise Stimmen und das klappern von Schuhen auf der Treppe. Die Schritte näherten sich. Maren blickte auf, gab Ron einen flüchtigen Kuss auf die Lippen, ließ ihn los und zog sich den Pullover zurecht. Es klopfte. Die Tür öffnete sich. Marens Mutter stand in der Tür. „Kommt bitte nach unten, sagte sie mit einem gezwungenen Lächeln, ich habe einen Kaffee gemacht". Maren ging voraus.

Ron hatte immer noch seine halbtrockene Jeansjacke an, als er Marens Vater im Wohnzimmer begrüßte. Ein Hüne von Mann. Groß, schlank, ein längliches Gesicht mit schwarzen Haaren und einer rahmenlosen Lesebrille auf der schlanken Nase. Er hatte seine Krawatte etwas am Hals gelöst. Er ergriff Rons Hand und schaute mit seinen dunklen Augen Ron prüfend ins Gesicht. Die New York Times hielt er geöffnet in der anderen Hand.

„Sie sind also der Bekannte meiner Tochter. Marens Mutter hat mir erzählt, dass sie mit meiner Tochter ein paar Tage auf der Insel verbracht haben", sagte er, als würde er vor Gericht die Fakten vortragen. Wobei er die Worte „Bekannte" und „verbrachte" ein wenig hervorhob. Er verzog seinen Mund zu einem Strich, und versuchte ein Lächeln.

„Das ist richtig", antwortete Ron knapp und hatte das Gefühl, zwar die Wahrheit gesagt, aber gleichzeitig eine Schuld eingestanden zu haben. Blitzartig kam ihm ein Bild in den Sinn, wie sie beide, Maren und er, sich auf seinem Bett auf der Insel an jenem Abend vereinigten. Ron wurde nervös.

„Sie studieren hier in Hamburg", sagte er wissend, nachdem er sich in den dun-kelbraunen, englischen Ledersessel niedergelassen hatte. Maren zog Ron an sei-ner Jacke und bat ihn, sie ihr zu geben. Ron setzte sich auf die Couch. „Ja", erwiderte Ron knapp. „Ich habe nach dem Vordiplom das Studium geschmissen," fügte er vorsichtig hinzu, um bei der Wahrheit zu bleiben. „Geschmissen", wiederholte Marens Vater. „Was für ein Fach", fragte er. „Wirtschaft", sagte Ron. Einen Moment war es still.

„Maren hat sich entschieden Rechtswissenschaften zu studieren", sagte Marens Vater ohne aufzublicken. Der Satz hatte die Schärfe und Präzision eines Fallbeils. „Das macht sie sicher mit Freude", sagte Ron und lächelte dabei. Eigentlich wollte er sagen, dass das ein sinnvolles, zukunftweisendes Studienfach sei, für das es sich sicher zu büffeln lohnt. Aber Ron stellte mit Entsetzen fest, dass diese Antwort nur so von Spott strotzte und einen oppositionellen Vorwurf enthielt. Er fügte sicherheitshalber hinzu, dass Maren damit wohl eine gute Entscheidung getroffen habe. Rons Vater blickte kurz zu Maren, die aus der Küche kam und auf einem Tablett gekonnt den Kaffee servierte.

„Sie wird einmal in meiner Kanzlei arbeiten und wenn alles so läuft, wie wir uns das vorstellen, wird sie diese später übernehmen," sagte er mit fester Stimme. „Das erfordert hartes, konzentriertes arbeiten. Maren wird hier wohnen.

Wir betreiben übrigens Segelsport, haben sie auch ein Hobby," fragte er, und abwartend blickte er in die Zeitung wie in ein Manuskript, um sich auf das weitere Verhör vorzubereiten.

„Ich wandere und besteige Berge," erwiderte Ron.

„Ja die Berge und die See, dass sind zwei völlig verschiedene Dinge, konstatierte Marens Vater. Die haben nicht viel gemein. Maren wird nicht viel Zeit haben, neben dem Studium und dem Segelsport anderes zu tun. Ich hoffe sie verstehen das. Aber sie beide haben ja die Möglichkeit sich zu schreiben. Über eine Karte aus den Bergen würden wir uns freuen, nicht wahr Maren," sagte er und setzte sich die Tasse an die Lippen. „Sicher," sagte Maren, stand auf und ging zurück in die Küche. „Ich hole uns etwas Gebäck".

Das Gespräch war im Grunde beendet. Maren kam aus der Küche, stellte einen Teller mit Oblatenplätzchen auf den Tisch und reichte Ron die Hand. „Wir wollten doch noch in die Vorstellung," log sie. „Ja, sagte Ron, dann wollen wir mal." Es hat mich gefreut ihre Bekanntschaft zu machen", log Ron.

Er hatte einen trockenen Hals. Marens Mutter hielt ihm seine Jacke hin. Er schlüpfte hinein. Ron und Maren verabschiedeten sich von den Eltern. Draußen war es dunkel und kalt. Es regnete. Maren ging zu ihrem Auto, dass draußen vor dem Tor stand. Sie schloss auf und beide setzten sich hinein. Ron fühlte sich als habe er in die Augen der Meduse geblickt.

„Es tut mir leid, sagte Maren." Eine Träne rollte ihre Wange herunter und tropfte auf ihren Pullover. Sie hatte den Kopf gesenkt.

„Mit toter Stimme sagte Ron: „Roma locuta, Causa finita." Sie startete den Wagen.

„Wo fährst du hin", fragte er.

„Nirgendwohin", sagte sie mit bebender Stimme.

Sie schluchzte, ihr Gesicht bebte und verzog sich zu einer traurigen Maske.

„Wie hätte ich dir das vorher beibringen sollen. Ich hatte doch keine Adresse, nichts". Sie hielt an einer Straße in der City, ließ den Wagen laufen, hielt sich eine Hand vor den Mund und begann zu weinen.

Ihre tränennassen Augen sahen aus wie die dunkle, aufgewühlte See. Selbst wenn sie weinte, war sie unbegreiflich schön. Ron nahm ihre Hand und küsste sie in ihre Handfläche. Maren sah ihn an, beugte sich zu ihm und kuschelte sich an seine Wange. Sie schluchzte. Ihre Tränen berührten sein Gesicht.

„Vielleicht sehen wir uns einmal, deine Adresse habe ich ja, sagte Ron leise. Sobald ich eine Bleibe habe, gebe ich dir Bescheid".

Sie sollte nicht wissen, wo er untergekommen war.

Ron küsste sie kurz auf ihren Mund. Er schmeckte das salzige Wasser ihrer Tränen. Er stieg aus dem Wagen. Die Tür klappte zwischen ihnen zu. Maren nahm die Hände vor ihr Gesicht. Ihr Oberkörper bebte. Ron schlug sich den Kragen hoch und ging in Richtung Bahnhof. Die kalten Regentropfen schlugen sich wie Eispickel in sein Gesicht.