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Dunkler Abgrund Ch. 17

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Ihre Augen waren tiefe, dunkle Seen der Dankbarkeit, doch sie fragte: „Schon?"

Er nickte stumm und erhob sich.

„Haben Sie... Ich meine... Haben Sie vielleicht ein Bild von meinen Eltern?", fragte sie plötzlich stockend. „Ich würde gerne... Sie wissen schon. Ob ich ihnen ähnlich sehe..."

Er blinzelte sie überrascht an. „Natürlich." Während er die alten Akten von dem Newlands-Fall öffnete, trat der Beamte mit dem Kaffeebecher ein und stellte ihn selig grinsend vor Grace ab. Bevor er sich zurückzog, streckte er seine Hand nach Grace' Flügeln aus. Wieder bewegten sich diese erstaunlichen Rundungen und duckten sich geschmeidig unter der Hand weg. Auch wenn sie nicht viel Handlungsspielraum hatte, war das Zurückziehen schnell, gleitend und eindeutig. Der Beamte verzog zutiefst betrübt das Gesicht.

Robert händigte ein Familienfoto aus, das kurz nach der Geburt aufgenommen wurde. Es war das einzige Familienfoto, denn die Gemeinschaft, in der sie lebten, verbot jede Art von Technik. Mia, die Mutter, lag auf einem Krankenhausbett und lächelte mit gerötetem, verschwitztem Gesicht auf das Mädchen herunter, während ihr Vater, William, gerade die Stirn seiner Frau küsste. Das Mädchen in Mias Armen schlief, doch in der kleinen Faust hielt es fest den Zeigefinger ihres Vaters. Es war ein schönes Bild. Einfach... schön.

Grace griff danach, presste es an ihre Brust und sah ihn auffordernd an, als wolle sie nicht dabei gesehen werden, wie sie das Bild betrachtete. Robert verstand den Wunsch nach Intimität und nickte den traurig seufzenden Beamten, Agenten und Regierungsmitgliedern zu, die daraufhin langsam den Raum verließen. Nur um eine Tür weiter das Beobachtungszimmer zu stürmen.

Grace sah noch einen Moment länger die Tür an, bevor sie langsam das Bild auf den Tisch legte und es betrachtete. Einen Moment starrte sie fasziniert die Abbildung an. Dann sackte ihr Kopf auf den Tisch.

Es herrschte markerschütternde Stille im Überwachungsraum, als Grace' Körper schlaff von ihrem Stuhl glitt, ihr Hinterkopf hart auf der Sitzfläche des Stuhls aufschlug und dann ebenfalls unter den Tisch rutschte.

*

Irgendwoher kannte Grace das Gefühl, nicht mehr in ihrem Körper zu sein, doch irgendwie war es auch vollkommen neu, denn sie befand sich in keinem anderen Kopf. Normalerweise sollte sie in einem anderen Kopf sein. Dieses Wissen war irgendwo tief in ihrem Inneren verankert. Tiefer als die Erinnerung daran, ob sie tatsächlich Grace hieß. Oder ob sie Spinat mochte oder nicht.

Doch Grace war wirklich nicht in einem anderen Kopf. Sie konnte ihren Arm heben und ihre Hand betrachten, die ihr so vertraut und fremd war. Es war ihre Hand. Die Hand mit der sie in der Höhle aufgewacht war. Die Hand, die seltsam bekannte Linien auf der Innenfläche hatte und die trotzdem erst seit wenigen Tagen zu ihr zu gehören schien.

Sie hob den Kopf und sah sich um, doch viel konnte sie nicht erkennen. Es war nur ein leerer Raum ohne Wände und ohne Möbel. Ein unendlicher, weißer Raum, in dem nichts zu existieren schien, weil es nicht wichtig war, wo sie sich befand. Mit einer seltsamen Gewissheit war Grace klar, dass es hier um etwas anderes ging. Nicht um den Raum. Nicht um Möbel, sondern um etwas anderes.

Eine Frau mit scharlachroten, fast schwarzen Flügeln, die sich bis zu den unteren Spitzen zu einem tiefen Rosa entfärbten, trat in den Raum ein und lief an ihr vorbei, als sehe sie Grace nicht. Ihre tiefdunklen Flügel schleiften schlaff über den nicht vorhandenen Boden. Mit einer seltsam gleitenden Bewegung setzte sie sich mitten in die Luft und zog ihre Knie an das Kinn.

„Hi", sagte Grace unsicher, doch sie fand keine Beachtung. Die Frau sah in die Richtung, aus der sie gerade gekommen war. Als erwarte sie, dass ihr jemand folgte.

Plötzlich erstarrte Grace, als ihr klar wurde, wen sie da gerade beobachtete. „Mom?"

Ihre Mutter, die eisblonde Frau auf dem Bild im Krankenhaus, beachtete sie immer noch nicht und plötzlich wurde Grace klar, dass dies nur eine Erinnerung war. Eine Erinnerung von ihrer Mutter wahrscheinlich! Gespannt wandte sie sich ebenfalls um und wartete auf den Jemand, der ihr folgen sollte.

Tatsächlich tauchte nur einen Moment später ein junger Mann auf. Seine Flügel waren in einem tiefen, dunklen Blau. Doch jede seiner Federn hatte eine schwarze Spitze, die fast wütend nach unten zu weisen schien. Wie eine Forderung an alle, die sie sahen, sich hinzuknien.

„Lamia!", polterte der blaue Engel aufgebracht und baute sich vor ihrer Mutter auf. „Du weißt, dass diese Verbindung nötig ist!"

Ihre Mutter schüttelte langsam den Kopf. Sie sah müde, aber entschlossen aus. „Nein, Vater. Und du weißt auch, dass es nichts bringt, wenn ich mit diesem Scheusal das Bett teile. Er hat mit keinem der anderen Engel ein Kind gezeugt. Genau wie die anderen Männer ist er zur Unfruchtbarkeit verdammt."

Ihr Vater starrte sie hasserfüllt an. „Wie kannst du so etwas sagen? Du weißt, dass wir vom Aussterben bedroht sind! Wir müssen es zumindest versuchen!"

„Damit unsere ach-so-reine Blutlinie weitergeführt wird? Oder damit wir genügend Nachwuchs für einen weiteren hoffnungslosen Krieg gegen die Dämonen haben?" Sie sah ihren Vater mit blitzenden, dunklen Augen an. „Du weißt genau so gut wie ich, dass sich die Feen und Elfen nicht noch einmal auf unsere Seite schlagen werden. Der Kampf ist vorbei; die Dämonen haben gesiegt. Ihnen gehört die Erde."

Die Hände ihres Vaters ballten sich zu Fäusten und seine blauen Flügel zuckten aufgebracht. „Ich werde nicht hinnehmen, dass diese Monster auf der Erde leben, während uns nur dieses lächerliche Versteck bleibt! Und du wirst deine Beine für unseren Nachwuchs spreizen oder ich verstoße dich!"

Mia zuckte müde mit den Schultern. „Dann tue es doch. Verstoße mich. Schicke mich zu den Menschen. Was ändert das noch?"

Ihr Vater schnappte fassungslos nach Luft, als er diese Ungeheuerlichkeit hörte. „Du wirst nicht zu den Menschen gehen! Hast du vollkommen den Verstand verloren? Du bist die letzte verdammte Chance auf reinblütigen Nachwuchs!" Er starrte sie angewidert an. „Willst du wie Adraille enden? Sie hat sich mit einem Menschen eingelassen", spuckte er aus. „Das Kind, ein dreckiges, unreines Halbwesen, hat sie bei der Geburt umgebracht! Und nicht nur das!", geiferte er mit weit aufgerissenen Augen. „Dieser Junge hat die Dämonen vereint und sie organisiert. Er hat ihnen durch unseren Bluteid eine Herrscherklasse gegeben und die Dämonenjäger unseres Volkes angegriffen. Er hat sogar die verdammten Dämonen bei ihrem Krieg zum Sieg geführt. Willst du das auch für dich? Die Mutter eines Monsters sein, dass seine eigene Rasse bekämpft?"

Die Worte bewegten etwas in Grace, als habe sie sie schon einmal gehört. Nur aus dem Mund von jemand anderem. Und mit leicht veränderter Darstellung, als sei der Bluteid keine Erfindung der Engel, sondern... Sie blinzelte und für einen Moment meinte sie eine raunende, dunkle Stimme zu hören. Eine Stimme, aus Samt und Seide, in einem abgeschlossenen Raum, in dem kein Licht brannte. Sie war warm und tief, wie eine Liebkosung und doch... Diese Stimme hatte einen rauen, fast schnarrenden Klang, der ebenso auf einem Schlachtfeld Befehle brüllen, wie intime, verführerische Liebkosungen schnurren konnte. Grace wandte sich um, doch sie sah niemanden, dem diese Stimme gehörte.

Trotzdem klangen die Worte in ihrem Kopf nach: „Vampire haben sich von Anbeginn der Zeit immer als Einzelgänger durchgeschlagen. Natürlich waren sie so leichte Beute für Vampirjäger. Deshalb haben sie vor langer Zeit begonnen, sich in kleinen Gruppen zusammen zu schließen. Das Problem war nur, dass Vampire nicht unbedingt gesellig sind. Sie sind von Natur aus einfach dazu gedacht allein zu sein. Dadurch verwischen eher die Spuren. Diese Gruppen hatten dementsprechend Probleme sich bei den einfachsten Sachen zu einigen.

Und bei den Auseinandersetzungen gewannen die Starken und nicht die Klugen. Das führte natürlich zu Problemen, deshalb erwählten sie schließlich die Weisesten und Ältesten zu ihren Anführern. Die Arkaios. Jeder muss sich den Anordnungen der Arkaios unterwerfen. Ein ganz einfaches System. Jeder musste einen Bluteid leisten und dem Anführer die Treue schwören.

Wer gegen Anweisungen verstößt, kann durch den Bluteid gezwungen werden. Oder er wird einfach ausgelöscht. Der Bluteid zwingt Vampire dazu, zu gehorchen. Ansonsten kann die Verbindung den Arkaios dazu bringen, den Vampir auszulöschen."

Woher kam diese unglaubliche Stimme? Es war wie eine verschüttete Erinnerung und doch ganz nah, fast fühlbar. Sie strengte sich an, doch bevor sich der Schleier lüften konnte, riss ihre Mutter sie aus ihren Gedanken.

„Wir waren eine Rasse, die ihm nur die kalte Schulter gezeigt hat, als er sich vor Hunger krümmte." Mia schüttelte traurig den Kopf. „Du solltest es akzeptieren, Vater: Unsere Zeiten sind vorbei. Unsere Männer verlieren die Fähigkeit Kinder zu zeugen und unsere Frauen sehen sich in der Dämonenwelt nach Geliebten um. Ich werde mich nicht an eine Hoffnung klammern, die zum Scheitern verurteilt ist. Und ich werde nicht mit grausamen Engeln ins Bett steigen, nur um Kinder für einen Krieg zu zeugen."

„Du wirst", schwor ihr Vater hasserfüllt und wandte sich ab.

Die Augen ihrer Mutter weiteten sich entsetzt, als sie die kalten, entschiedenen Worte ihres Vaters hörte. Er hatte tatsächlich jedes Mitleid verloren. Er würde dafür sorgen, dass seine eigene Tochter von allen männlichen Engeln vergewaltigt wurde, um seinen kranken Plan zu Ende zu führen.

Grace schlug die Hände vor den Mund und wollte auf ihre Mutter zustürzen, doch dann straffte sich ihre Mutter plötzlich.

„Das werde ich nicht zulassen", flüsterte sie leise. Ihre Flügel spreizten sich, bevor sie mit zwei kräftigen Schlägen dieser roten Bögen aus dem Raum flog.

Ihre Mutter landete weich auf einem Boden, der ebenso wenig sichtbar war, wie der zuvor. Doch Grace wusste, dass einige Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte vergangen waren und sich der Raum ebenfalls verändert hatte. Für einen Moment waren sie ganz allein und Grace genoss es, ihre Mutter betrachten zu können. Tief in ihr regten sich verschüttete Erinnerungen an Lachen und kitzelnde Haarsträhnen. Ihre Mutter war unglaublich liebevoll zu ihr gewesen und nicht nur zu ihr. Ihren Vater, einen Menschen, hatte sie auch geliebt, auch wenn sie sich anfangs dagegen gewehrt hatte. Doch Grace erinnerte sich nicht an Flügel.

„Schon wieder schwanger?", schnalzten drei weibliche Stimmen missbilligend. Ihr gemeinsamer Tonfall erzeugte in der weißen Umgebung ein seltsames Echo, aber es waren eindeutig drei Stimmen. Doch nur eine Frau löste sich aus dem Weiß. Sie trug einen weißen Umhang wie ihre Mutter, den sie zu einer klassischen Toga gerafft hatte. Sie sah alt aus; tiefe Falten hatten sich in ihr Gesicht gegraben, dass selbst ihre Augen kaum noch unter den schlaff herabhängenden Hautlappen zu erkennen waren.

Grace trat näher, um sie zu betrachten. Aus irgendeinem Grund wusste sie, dass dieses Wesen dennoch nichts sehen konnte, auch wenn sie Augen hatte. Ein Blick unter ihre Augenbrauen bewies es. Milchige, trübe Pupillen blitzten unter der Haut hervor. Grace schauderte.

Ihre Mutter senkte den Blick. „Es funktioniert nicht", murmelte sie leise. „Ich habe alles versucht."

„Enthaltsamkeit wohl nicht, hm?", gackerten die drei Stimmen aus einem Mund. Sie hob die Hand, als wolle sie Mias Antwort unterbinden. „Wir verstehen schon, Lamia, die Liebe..." Drei Stimmen seufzten. „Aber die Kinder willst du trotzdem nicht. Schande über dich."

„Mein Vater wird sie doch nur finden und umbringen. Es ist besser, wenn ich mir und meinem Ehemann das erspare." Ihre Mutter zog niedergeschlagen ihre Flügel ein, sodass sie nicht mehr sichtbar waren. Grace beobachtete das interessiert und legte den Kopf schief. Während die drei-Stimmen-Frau irgendetwas aus dem Weiß zusammensuchte, als seien dort irgendwo Schränke, trat sie langsam näher an ihre Mutter heran. Sie hatte das Tuch in ihrem Nacken gebunden, sodass ihr Rücken nackt war. Keine Flügel.

Grace konzentrierte sich auf ihre eigenen Flügel und versuchte sie einzuziehen. Sie raschelten leicht, drehten sich, spannten sich und spreizten sich. Aber sie verschwanden nicht. Grace seufzte gerade frustriert, als ein Prickeln ihren Rücken entlang glitt. Sie sah über ihre Schulter. Die Flügel waren nicht unter ihrer Haut verschwunden, wie sie geglaubt hatte, sondern hatten sich einfach... in Luft aufgelöst. Fassungslos fasste sie nach ihrem Rücken und mit einem seltsamen Gefühl tauchte das Gewicht ihrer Flügel wieder auf.

Sie probierte es noch ein paar Mal und fragte sich unwillkürlich, ob sie das auch konnte, wenn sie wieder in ihrem Körper war. Das wäre wirklich nicht schlecht. Es war wirklich unangenehm, wenn die Polizisten ständig versuchten die Federn zu berühren. Das war so unglaublich... intim, diese Berührung ihrer Flügel, und verdammt schwer zu verhindern. Bisher hatte sie es irgendwie vermeiden können, doch irgendwann würde sie nicht schnell genug sein. Sie erschauderte, als sie sich grabschende Hände auf den feinen, empfindlichen Gebilden vorstellte. Ihre Flügel waren unglaublich sensibel. Sie zu berühren war so, als würde... Nein, es war nicht vergleichbar. Es war einfach unbeschreiblich intim, intensiv und vertraulich.

Plötzlich riss die alte Frau sie aus ihren Gedanken. „Trink dies. Jetzt."

Ihre Mutter zögerte nicht, sondern nahm kommentarlos den Becher an sich und trank. Nachdem sie den letzten Schluck heruntergewürgt hatte, verzog sie das Gesicht und gab den Becher zurück. „Wie geht es euch, Mora?"

„Nicht gut, nicht gut", murmelte die Frau und sah sie abwartend an. „Deshalb tut es uns auch nicht leid."

Mia erstarrte. „Was meint ihr?"

„Dein Vater hat mit uns gesprochen, Liebes." Die drei Stimmen wurden seltsam unruhig. „Und wir finden, dass er recht hat. Wir Feenvölker dürfen uns nicht mehr verstecken, als seien wir schwach. Wir haben einen Kampf verloren, aber der Krieg..." Sie blinzelte unter dicken Hautlappen. „Der Krieg wird zu unseren Gunsten ausfallen. Wir haben über eine Lösung nachgedacht, Mädchen, wie wir uns aus dem Schatten der Welt erheben können. Und uns ist etwas eingefallen." Die alte Frau nickte sich selbst zu. „Die Zukunft wird uns gehören, Herzchen."

„Wa-was meint ihr, Mora?", fragte ihre Mutter stockend und griff sich an die Kehle. Ihr Blick irrte fassungslos zu dem Becher.

„Das Mädchen, das du bekommen wirst, wird unsere Gabe tragen. Wir haben sie ihr geschenkt." Drei Stimmen lächelten bei diesen Worten.

Nein!", schrie ihre Mutter und schüttelte den Kopf. „Ich will keinen Krieg! Es sind schon zu viele gestorben!"

Mora schüttelten den Kopf. „Es wird niemand sterben, Mädchen. Wir haben keine Chance im Kampf, das sehen wir selbst jetzt noch." Sie wandte sich halb um, als suche sie etwas. „Wir werden bald sterben, wie all die Alten unter uns. Die Krankheit der Alten zwingt uns in die Knie. Aber unsere Gabe wird in den Händen deines Kindes für den Frieden unserer Völker sorgen. Unsere Völker werden wieder frei sein und herrschen."

Mia starrte die Frau an. Mit bebender Stimme fragte sie: „Was habt ihr nur getan?"

„Wir haben ihr das Auge der Moiren geschenkt. Den Blick in die Zukunft, die Gegenwart und in die Vergangenheit. Mehr war nicht nötig, denn dieses Kind hat einen starken Willen. Du wirst es nicht los, wie die anderen."

Plötzlich wurde Grace bewusst, dass ihre Mutter versucht hatte, sie abzutreiben wie ihre Geschwister vor ihr. Fassungslos sah sie die blonde Frau an, die ihr so ähnlich war. Sie hatte ihr das Leben nehmen wollen, nur damit sie weiterhin in Frieden mit Grace' Vater zusammenleben konnte. Ohne belästigt zu werden. Ohne sich diesem blaugeflügelten Mann stellen zu müssen. Die Frau, zu der sie die einzigen liebevollen Erinnerungen hatte, hatte sie umbringen wollen, bevor sie das Licht der Welt erblickte!

Tränen stiegen ihr scharf und schmerzhaft in die Augen, während sie ihre Mutter ansah, die bei dem Gedanken, sie auf die Welt zu bringen, blass geworden war.

„Mein Vater wird versuchen, sie umzubringen", wisperte ihre Mutter und umschlang ihren noch flachen Bauch. „Es spielt keine Rolle, ob ich sie zur Welt bringe. Sie wird sterben und meinem Mann das Herz brechen."

Mora schnalzte wieder missbilligend. „Natürlich wird dein Vater versuchen sie umzubringen. Schließlich ist sie nur ein Mischbalg, das seine Blutlinie verunreinigt. Aber du wirst das schon zu verhindern wissen."

„Wie?", keuchte ihre Mutter. „Wie, verdammt noch mal?! Ich kann ihn nicht bekämpfen. Er ist zu stark!"

Mora seufzte. „Deine Tochter ist ein halber Mensch. Sie wird ihr Leben als Mensch leben und erst durch den Tod die Seite wechseln, wenn ihr menschliches Blut stirbt. Erst dann kann dein Vater sie aufspüren: Wenn sie ein Feenwesen ist."

„Aber er kann jederzeit mich finden!"

Mora lächelte und sah blind über ihre Schulter zu ihrer hysterischen Mutter. „Richtig. Deshalb wirst du auch zu gegebener Zeit sterben, Mia. Dein Kind wird wissen, wann es an der Zeit ist, dass du von der Erde verschwindest. Dein Vater wird keinen Verdacht schöpfen, wenn du nie wieder die Aufmerksamkeit deines Vaters auf das Kind lenkst. Wenn du es aber nicht tust... wird er sich auf die Suche nach dir und dem Kind machen."

Mias Augen weiteten sich verstehend. Langsam schloss sie die Augen und versuchte zu begreifen, was diese alte Frau ihr gerade gesagt hatte. Ihre Lider zuckten sichtbar, während die einzelnen Gedanken durch ihren Kopf stoben, geprüft und verworfen wurden. Schließlich erschauderte sie am ganzen Körper. „Mein Mann wird ganz allein mit meiner Tochter sein", sagte sie mit erstickter Stimme.

Mora schwieg, während ihre Mutter ihre Flügel schließlich ausbreitete und verschwand. Grace folgte ihr seltsamerweise nicht, sondern blieb bei Mora. Die alte Frau bewegte sich, als würde sie aus einem Kessel etwas in einen Becher kippen und lief dann langsam durch den Raum, um sich zu setzen. „Wahrscheinlich bist du jetzt da, nicht wahr, Grace?"

Grace erstarrte. „Du... Ihr könnt mich hören?"

Mora trank einen Schluck aus dem Becher und starrte blind in die Tiefen des Gefäßes. „Wir haben dein Schicksal gesehen. Es tut uns sehr leid für dich, aber manche Dinge müssen geschehen."

„Was für Dinge?"

„Nur wer großes Leid erfährt, wird den Frieden wünschen", murmelte die alte Frau leise. „Und wir brauchen Frieden, Mädchen. Wir kämpfen schon viel zu lange."

„Warum schwenkt ihr dann nicht einfach die weiße Fahne vor den Dämonen?", fragte Grace, obwohl sie sich mittlerweile sicher war, dass auch Mora sie nicht sehen und hören konnte. Doch es kam ihr einfach dämlich vor, hier rumzustehen und zu schweigen.

„Wir haben nichts zu bieten. Weshalb sollten uns die Dämonen gewähren lassen, wenn wir nichts im Gegenzug geben können?", sagte Mora, als habe sie sie gehört. „Sie können uns im Handumdrehen vernichten und müssen sich nie wieder Sorgen um einen Krieg zwischen den Völkern machen." Mora zögerte und ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. „Aber dank dir haben wir nun etwas."

„Dank mir?" Grace sah an sich herunter. Die Polizei hatte ihr ein Hemd geschenkt, bei dem das Rückenteil fehlte und eine viel zu große Hose. „Ich würde nur ungern diese Kleidung eintauschen. Selbst wenn es um so etwas Großes wie Frieden geht", meinte sie ironisch.

„Verhandele mit dem König der Vampire, Alec Slaughter, dem Schwarzen Arkaios. Alle anderen Dämonen ordnen sich ihm unter und werden seine Entscheidung akzeptieren. Bring uns die Freiheit und den Frieden zurück."

„Ähm...", begann Grace und starrte sie an. „Das ist nicht wahr, oder? Ich bin ausschlaggebend für das Ende eines Krieges? Zwischen... Was? Dämonen und Feenwesen? Das kann doch alles nicht wahr sein." Sie schüttelte den Kopf. „Das ist wie eine Wende in einem echt miesen Film. Ich kann das nicht. Ich kann nicht einmal kämpfen! Der Vampirkönig wird mich einfach umbringen!"