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Eiskalter Sommer

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"Du blödes Arschloch, du bist nicht mein verdammter Vater", begann sie ihren unter die Gürtellinie abdriftenden Monolog, in dem sie Nick Beleidigungen an den Kopf warf, von denen eine fieser und gemeiner war als die Andere. Wie schon so oft, verhöhnte sie Nick, machte ihn für irgendwie alles verantwortlich, was jemals bei ihr schief gelaufen war und zog alles, was er seit dem tragischen Tod der Eltern auf die Beine gestellt hatte, ins Lächerliche. Nick zog es vor, zu gehen, um die Situation nicht noch weiter eskalieren zu lassen. Julia hielt ihn jedoch am Arm zurück, um ihm noch ein paar weitere Gemeinheiten mit auf den Weg zu geben.

Nick merkte, wie allmählich die Wut in ihm hochkochte.

"Logisch, bei dir sind es immer die Anderen. Nur du kannst nichts dafür, dass seit dem Tod von Papa und Mama ...", zischte er, bevor er von Julia jäh unterbrochen wurde.

Sie wusste nicht, was sie dazu trieb und eigentlich wusste sie auch, was sie ihrem Bruder alles zu verdanken hatte, doch irgendwie tat es ihr auch gut, Nick als Prellbock zu missbrauchen und ihren gesamten Frust an ihm auszulassen.

"Da sind wir ja gleich Thema", spie sie ihm entgegen. "Seitdem unsere Eltern tot sind, führst du dich doch auf wie der große Macher, der meint mir alles vorschreiben und mein Leben kaputt machen zu müssen. Wenn du wüsstest, wie sehr ich dich mittlerweile verachte. Obwohl nein, eigentlich hasse ich dich sogar schon und wünschte fast, du hättest mit in dem Auto gesessen."

Noch im selben Moment wurde Julia bewusst, was sie da gerade von sich gegeben hatte. Es tat ihr unendlich leid und sie hätte am liebsten alles rückgängig gemacht, doch es war bereits zu spät. Sie erkannte es in Nicks Gesicht. Für einen kurzen Moment hatte sich unsagbarer Schmerz darin abgezeichnet und sämtliche Farbe war daraus verschwunden. Er war buchstäblich zur Salzsäule erstarrt. Dann jedoch änderte sich Nicks Mimik und versetzte ihr einen tiefen Stich ins Herz. Unvorstellbare Panik keimte in Julia auf, denn es trat genau das ein, wovor sie sich insgeheim schon längere Zeit fürchtete, seit sie damit begonnen hatte, ihren Bruder aufs Übelste zu tyrannisieren.

Sie nahm wahr, wie Irgendetwas in Nick klirrend zerbrach. Seine Gesichtszüge verhärteten sich und in seine Augen trat ein Ausdruck, bei dem Jeder, der Nick nahe stand, wusste, was die Stunde geschlagen hat. Es war keine Wut mehr, es war kein Schmerz, es war ... Gleichgültigkeit.

Nick starrte auf seine Schwester und sah doch gleichzeitig durch sie hindurch. Ganz so, als würde er sie einfach ausblenden. Seine Augen wirkten dabei irgendwie leblos, so, als würde man eine Leiche ansehen.

Julias Augen füllten sich augenblickblich mit Tränen. Einmal hatte sie diesen Gesichtsausdruck in dieser Intensität bereits bei ihrem Bruder gesehen und die dahinter stehende Geschichte hatte mit Sicherheit alles andere als ein Happy End. Julia hatte plötzlich eine Heidenangst davor, dass es sich hier ebenso entwickeln würde.

Nick hatte damals mitbekommen, dass Vanessa, seine Ex-Freundin und große Liebe, mit einem anderen Typen gevögelt hatte. Vermutlich hätte er ihr sogar verziehen, wenn sie offen und ehrlich mit ihm geredet hätte, zumindest bot er ihr diesen Strohhalm an und lenkte das Gespräch in die entsprechende Richtung. Vanessa jedoch wand sich und stritt alles ab, obwohl der Fall eindeutig war. Für Nick brach eine Welt zusammen, doch er reagierte auf die Lügen mit der eiskalten, fast schon brutalen Konsequenz, die so sehr typisch für ihn war.

"Raus!"

Ein einziges Wort nur, doch mit einer Härte gesprochen, dass Vanessa die Beine weggeknickt wären, hätte sie nicht ohnehin gesessen. Sie begann heftig zu weinen, gab plötzlich alles zu und bettelte Nick geradezu an, es noch einmal zu versuchen, doch das Thema war durch. Nick sah Vanessa mit dem gleichen Blick an, mit dem er jetzt Julia bedachte und deutete auf die Tür, ohne auch nur noch ein weiteres Wort zu sagen. Als sie weg war, schloss Nick sich in sein Zimmer ein und litt wie ein geprügelter Hund, sprach mit Niemandem und fraß seinen Schmerz stumm in sich hinein, kam immer nur kurz heraus, wenn er gerade einmal pinkeln musste. Nach zwei Tagen war es dann vorbei, Nick kam zu Julia ins Wohnzimmer und war wieder ganz der Alte, war mit sich im Reinen.

Vanessa war in der Zwischenzeit wirklich ganz unten angekommen und blickte auf den riesigen Scherbenhaufen, den sie angerichtet hatte. Zwei Mal noch versuchte sie, mit Nick zu sprechen, doch auf die Frage, ob sie noch einmal miteinander reden könnten, hatte er noch nicht einmal mehr ein einfaches "Nein" für sie übrig. Kommentarlos ließ er sie stehen.

Während Julia noch ihren Gedanken nachhing, war Nick allmählich wieder in der Lage, sich zu bewegen. Ein Ruck ging durch seinen Körper, bevor er auf dem Absatz kehrt machte und auf den Ausgang zusteuerte.

"Nick ...", schrie Julia ihrem Bruder verzweifelt hinterher und setzte sich direkt in Bewegung, um ihn zurückzuhalten, das Gespräch mit ihm zu suchen. Vielleicht war es ja doch noch nicht zu spät und die Sache könnte geregelt werden. Leider war Julia lange nicht so kräftig wie Nick und brauchte entsprechend länger, um sich durch die Menschenmassen zu wühlen, die die kleine Disco mittlerweile beachtlich füllten. Der Abstand zu Nick vergrößerte sich zusehends und er war bereits aus der Tür getreten, als sie noch gute fünfundzwanzig Meter zurückzulegen hatte.

Als sie endlich den Ausgang erreicht hatte, hastete Julia ins Freie und hörte, wie ein Motor am Ende des Gebäudes laut aufheulte. Sie erkannte ihren Bruder auf seinem Motorrad und rannte so schnell auf ihn zu, wie es ihre hübschen Beine hergaben. Sie konnte noch einen flüchtigen Blick in Nicks Augen erhaschen, bevor er das Visier des Helmes herunterklappte und auf die Hauptstraße fuhr. Julia rannte weiter, doch im nächsten Augenblick riss Nick so heftig am Gashahn, dass das Vorderrad kurz in der Luft hing, während die schwere Maschine mehr und mehr an Fahrt aufnahm. Wie ein Irrer prügelte Nick die Gänge in die Suzuki, und als er kurz einen Blick auf das Tacho warf, konnte er sehen, dass die 110 PS ihn bereits auf 170 Sachen katapultiert hatten. Innerorts, wohlgemerkt, doch es gab nichts, was Nick momentan mehr am Arsch vorbeigegangen wäre. Er musste nur hier weg und die pfeilgerade Straße gab es her. Julia sah ihm weinend hinterher und zitterte am gesamten Körper. Sie starrte noch so lange auf den immer kleiner werdenden und sich rasch entfernenden Punkt, bis er schließlich ganz aus ihrem Sichtfeld verschwunden war. Danach sank sie auf dem Gehweg auf die Knie und begann, bitterlich zu schluchzen.

Etwa zeitgleich bog Nick links ab und steuerte das Motorrad auf die Autobahn, wo er einen wahren Amoklauf aufführte. Er überholte die vereinzelt "kriechenden" Autos, die sich auf der Bahn aufhielten, links, rechts, auf dem Standstreifen, völlig egal. Hauptsache, er konnte der Maschine ordentlich die Sporen geben und spürte das seinen Körper überschwemmende Adrenalin. Die Tachonadel hatte die 200er-Marke bereits vor längerer Zeit passiert, als sein Höllenritt beinahe ein jähes Ende gefunden hätte. Eine ältere Dame hatte allen Mut zusammengenommen, um endlich einen LKW zu überholen und ohne in den Rückspiegel zu sehen zog sie mit ihren wahnsinnigen 85 Sachen auf die linke Spur, auf der Nick sich gerade im Tiefflug befand. Er konnte hinterher nicht einmal mehr sagen, wie er es geschafft hatte, lebend aus dieser Situation herauszukommen. Es war nur ein beschissenes Gefühl, mit 240 auf diesen plötzlich auftauchenden Kleinwagen zuzurasen und holte Nick endlich in die Realität zurück. Er war bedient, und zwar restlos.

An der nächsten Abfahrt verließ er die Autobahn, stellte das Motorrad an der erstbesten Möglichkeit ab und stieg herunter. Er ließ die letzte Viertelstunde noch einmal Revue passieren und atmete in ruhigen, tiefen Atemzügen, bis er das Zittern seines Körpers wieder einigermaßen unter Kontrolle hatte. Anschließend startete er seine Maschine und nahm die Landstraße zurück nach Hause, wohl darauf bedacht, die hier aufgrund der Kurvenlage vorgeschriebenen 80 Km/h nicht zu überschreiten. Letztendlich nahm er jedoch nicht den direkten Weg, sondern fuhr noch einige Zeit plan- und ziellos durch die Gegend. Sein regelmäßig vibrierendes Handy ignorierte er dabei völlig. Wahrscheinlich war es Julia. Immer wieder kreisten seine Gedanken um ihren Auftritt in der Disco und jedes Mal hatte er erneut mit den Tränen zu kämpfen, während sein Mageninhalt den Rückwärtsgang einlegen wollte. Nick war gehörig neben der Spur und als der Fahrtwind an seiner Kleidung zerrte, spürte er plötzlich etwas, das eigentlich seit Jahren Teil von ihm war und das er normalerweise gar nicht mehr wahrnahm. Die silberne Kette um seinen Hals mit dem kleinen Jin und Jang-Anhänger.

Sie war ein Geburtstagsgeschenk seiner Schwester und er konnte sich noch gut daran erinnern, wie die damals 10-jährige auf ihn zugestapft kam und ihm feierlich gratulierte, während sie ihm die Schachtel übergab. Stolz erklärte sie ihm, dass sie das Geschenk selbst ausgesucht hatte und es ihm in Zukunft Glück bringen sollte. Liebevoll hatte er das kleine Geschöpf damals an sich gedrückt, ihr einen Kuss auf die Wange gegeben und die Kette angelegt. Die ersten Wochen kontrollierte sie regelmäßig und mit Argusaugen, ob er ihr Geschenk auch trug und schnell war daraus ein besonderes Symbol der starken Bande zwischen ihnen geworden. Seit dieser Zeit trug er das gute Stück einfach immer und nahm es nur zum Schlafen ab, doch momentan hatte er das Gefühl, als sei kein Anhänger, sondern einer von Obelix´ Hinkelsteinen daran befestigt. Von Sekunde zu Sekunde wurde es schwerer für ihn, sie zu tragen und auch -- unangenehmer.

Es war bereits kurz vor Mitternacht, als Nick wieder zu Hause eintraf. Er wollte jetzt einfach seine Ruhe haben, ein Bier trinken und seine Gedanken ordnen. Er hoffte inständig, dass Julia nicht auf ihn wartete. Er konnte sie jetzt einfach nicht ertragen.

Nick schloss die Tür auf und trat ins Dunkel, Niemand war zu Hause. Er schlüpfte in seine Trainingshose, nahm sich ein kaltes Pils aus dem Kühlschrank und ließ sich in den Sessel fallen. Ein weiteres Mal quälte er sich mit dem Vorfall des heutigen Abends und erneut stellte er sich die Frage nach dem Warum. Egal wie er es auch drehte und wendete, ihm fiel einfach keine Antwort darauf ein. Er stellte, als sein Blick wieder einmal durch das Zimmer streifte, lediglich fest, dass ihn hier einfach alles an Julia erinnerte und ihn schlichtweg erdrückte. Er brauchte einen Tapetenwechsel. Schnellstens.

Nick wollte sich daher kurz bei Timo melden, nahm sein Handy aus der Tasche und schaltete es ein. Wie bereits erwartet befanden sich einige unbeantwortete Anrufe sowie Nachrichten darauf, alle von seiner Schwester. Nick machte sich gar nicht erst die Mühe, sie zu lesen oder Julia zurückzurufen. Mehr und mehr und schälte sich die traurige Wahrheit heraus, dass Julias Befürchtungen beileibe nicht unbegründet waren.

Nicks Kumpel Timo hatte ihm ein paar Tage vorher mitgeteilt, dass er spontan eine Woche Urlaub nehmen wollte. Wie diese Spontanurlaube bei Timo in der Regel aussahen, wusste Nick nur zu gut. Vermutlich hatte sein Bruder Stefan ebenfalls frei und die Beiden würden wie immer in der gut 150 Kilometer entfernten Ferienwohnung ihrer Eltern herumlungern, ein Bier nach dem anderen ziehen und sich gemütlich die Lampen ausschießen. Kein schlechter Zeitvertreib, wie Nick fand und musste dabei schmunzelnd an seine Kumpels denken.

Timo, Stefan, Julia und Nick. Die furchtlosen vier und bis heute eigentlich unzertrennlich. Beinahe ihre gesamte Kindheit verlebten sie gemeinsam und selbst heute noch verbrachten sie den Großteil ihrer Freizeit miteinander. Timo und Nick kannten sich bereits aus dem Kindergarten und waren vom ersten Tag an schon die dicksten Freunde, was sich bis heute durchzog und sie auch über ihre gesamte Schulzeit begleitete. Stefan war ein Jahr jünger als Timo, aber ebenso wie sein Bruder ein Typ, mit dem man Pferde stehlen konnte und ergänzte die damals noch als Dreierriege agierende Gruppe. Erst als Julia ein wenig älter war, stieß sie als viertes Mitglied zu dem kleinen Trüppchen. Aufgrund der familiären Situation hatte Nick die kleine Nervensäge einfach recht häufig an der Backe, doch passte Julia gut ins Team. Sie war sich für keinen Blödsinn zu schade, konnte rülpsen wie ein Flusspferd und war für ein Mädchen geradezu furchtlos, weshalb auch ein vierter Junge ihren Posten nicht besser hätte besetzen können. Selbst die Ferien verbrachte die Clique häufig zusammen, da Timos Eltern entweder so lieb waren, Nick und seine Schwester kurzerhand mitzunehmen oder aber Nicks Eltern ein Ferienhaus in unmittelbarer Nähe seiner Kumpels mieteten. Kurzum, die Vier hingen einfach immer zusammen, wenn es irgendwie möglich war.

Damit war es in Zukunft wohl vorbei, wie Nick schmerzlich und immer stärker feststellen musste, je tiefer er in sich hinein hörte. Er und seine Schwester waren ab sofort geschiedene Leute und würden zukünftig getrennte Wege gehen!

Diese Erkenntnis prallte mit einer immensen Wucht über Nick herein und förderte einen neuen Satz Tränen zutage, doch nachdem dieser Anfall überwunden war, fühlte er sich seltsam befreit. Er hatte jetzt Klarheit und konnte nun damit beginnen, alte Mauern einzureißen und die ihn und Julia verbindenden Bande zu durchtrennen. Dafür musste er hier raus, wie er schon vor dem Anflug von Nostalgie festgestellt hatte, atmete tief durch und tippte eine Nachricht in sein Telefon. Dabei störte es ihn auch nicht sonderlich, dass die Uhr mittlerweile auf kurz vor Eins in der Nacht weitergewandert war.

Wie erwartet hatten es sich Timo und Stefan im Wohnzimmer des Ferienhauses gemütlich gemacht und starrten mit vom Alkohol schon ordentlich verdrehten Augen auf den Flachbildfernseher, auf dem gerade ein Porno lief und es eine süße Blondine mit prallen Möpsen mal so richtig in den Arsch besorgt bekam. Dabei nuckelten die Zwei genüsslich an einem Bier, rauchten und hatten bereits voll einsatzfähige Rohre in der Hose. Es war eigentlich nur noch eine Frage der Zeit, wann der erste Schwängel in Richtung der Zimmerdecke blicken und auf ein wenig Erleichterung warten würde. Timo spielte bereits mit dem Gedanken, als sein Handy ihn in die Wirklichkeit zurückholte.

"Was ist das denn für ein Vollpfosten", gab er ärgerlich von sich, erwartete jedoch nicht wirklich eine Antwort von seinem Bruder und griff nach dem Störenfried, der auf dem Tisch lag und vor sich hin quäkte.

"Is´ von Nick", klärte er seinen Bruder knapp auf und ein ungutes Gefühl schlich sich in seinen vernebelten Kopf.

"Wo bist du?", lautete der knappe Text und sofort war Timo voll da. Er konnte sich nicht daran erinnern, jemals eine Nachricht von seinem besten Freund gelesen zu haben, die ohne einen blöden Spruch in der ersten Zeile oder zumindest einem "CU Nick" am Schluss auskam. Hier fehlte direkt Beides und deutete darauf hin, dass etwas im Busch war. So schnell er konnte sendete er die Antwort.

"Ferienwohnung. Was ist los???"

"Stress mit Julia. Bin Morgen früh da!"

"OK. Schlimm?"

"JA!"

"Wie schlimm?"

"GETRENNTE WEGE!!!!! Bis morgen."

Timo wäre bald von der Couch gefallen, als er die letzte Nachricht erhielt. Er hatte die Augen aufgerissen, starrte auf den kleinen Bildschirm und las den Text wieder und wieder. Stefan sah direkt an seinem Gesicht, dass hier größere Probleme im Raum standen und fragte daher nach.

"Sag´ schon, was ist los?"

Timo war unfähig zu sprechen und hielt seinem Bruder das Handy vor die Nase. Dieser erschrak bis ins Mark und auch er war schlagartig wieder nüchtern.

"Fuck!", rief er, "das meint er doch wohl nicht ernst."

Timo sah Stefan an und zog die Augenbrauen hoch. Sagen brauchte er eigentlich nichts. Auch Stefan kannte Nick gut genug und wenn er sich zu einer solchen Aussage hinreißen ließ, war die Kacke buchstäblich am dampfen.

"Was machen wir denn jetzt? Ich meine, wir müssen doch Irgendwas tun können", sagte Stefan verstört.

"Wie lange kennst du Nick jetzt? Das Einzige, was wir momentan machen können, ist auf ein verdammtes Wunder zu hoffen", erwiderte Timo resigniert.

Stefan nickte und wusste, dass sein Bruder Recht hatte. Er hatte in seinem Leben noch niemanden kennengelernt, der einen größeren Dickschädel besaß als Nick oder auch nur ansatzweise so stur sein konnte wie er. Nick war wirklich ein mehr als gutmütiger Kerl, aber wenn man es einmal geschafft hatte, bei ihm unten durch zu sein, galt es auf Ewig. Das war ein ungeschriebenes Gesetz und eher würde die Hölle zufrieren, als dass er noch einmal von einem gefassten Entschluss abwich. Und dass er sich ausgerechnet bei Julia, die ihm immer über alles ging und der wichtigste Mensch in seinem Leben war, in dieser Art äußerte, machte ihm einfach nur Angst.

Gerade Julia. Teil ihres Vierergespanns und Objekt der Begierde in zahlreichen feuchten Träumen Stefans. Und auch Timo holte sich regelmäßig einen runter, während er an Nicks heiße Schwester dachte. Beide Brüder hätten es sich gewünscht, Julia ihre Freundin nennen zu können, doch würde es niemals so weit kommen. Einerseits war sie ein viel zu heißes Geschoss und konnte wirklich alle Typen haben, die sie wollte, andererseits war sie auch so etwas wie ihre kleine Schwester und damit außer in ihren heißen Träumen einfach tabu.

Die Stimmung war auf dem Nullpunkt angelangt und Nick hatte den beiden mit seiner Hiobsbotschaft eine schlaflose Nacht eingebrockt. Also kümmerten sie sich liebevoll um den restlichen Kasten Bier und überlegten gemeinsam bis fast zum nächsten Morgen, welche Möglichkeiten es gab, Nick dazu zu bewegen, seiner Schwester doch noch eine weitere von zugegebenermaßen mittlerweile sehr vielen Chancen einzuräumen.

Während in der Ferienwohnung fleißig diskutiert wurde, war Nick seinem blinden Aktionismus zum Opfer gefallen. Nicht nur, dass er endgültig mit Julia brechen wollte, er hatte in der Nacht auch den Plan gefasst, von hier wegzuziehen. Von Zeit zu Zeit neigte Nick zu Kurzschlussreaktionen und als er in der Nacht die Fotos betrachtete, auf denen er und Julia in glücklicheren Zeiten zu sehen waren, schlug er die Scheiben kurzerhand mit der Faust ein, gab sich einigen Heulattacken hin und fasste den Entschluss, sich in dem Ort niederzulassen, in dem sich Timo und Stefan gerade befanden. Nicht nur dass er sich dort wohl fühlte, er war auch über die Jahre so etwas wie seine zweite Heimat geworden. Noch in der Nacht holte Nick die Kartons aus dem Keller, die seit ihrem noch gar nicht so lange zurückliegendem Einzug im Keller auf die Entsorgung warteten und begann damit, zu packen.

Zwischenzeitlich wurde er von Gewissensbissen eingeholt, weil er Julia von jetzt auf gleich vor vollendete Tatsachen stellte, doch war dies nicht mehr sein Problem. Sie hatte ihm unmissverständlich klargemacht, was sie von ihm hielt und musste nun leider auch die Verantwortung für ihr Handeln übernehmen. Er würde ihr die Hälfte der Kohle, die sie besaßen, überweisen und damit konnte sie machen, was sie wollte. Eine Wohnung nehmen, unter eine Brücke ziehen und das Geld versaufen, völlig egal. Ende der Durchsage.

Gegen 10 Uhr morgens hatte Nick es tatsächlich geschafft und alles in Kartons verpackt, was er mitzunehmen gedachte. Einen Teil von Dingen, die Julia gehörten und bei ihm herumflogen oder die sie ihm irgendwann einmal geschenkt hatte, packte er separat zusammen und platzierte die Kartons auf dem Wohnzimmertisch. Da sie die Wohnung möbliert bezogen hatten, würde sein Auszug kurz und schmerzlos vonstatten gehen. Nick schätzte, dass ca. 2 Touren mit dem Auto notwendig waren und begann, die ersten Kartons in die Garage zu schleppen.

Als der Wagen beladen war, rief er den Vermieter, einen guten Freund seiner Eltern an und besprach alle wesentlichen Details mit ihm. Nach einem kurzen Telefonat meldete dieser sich noch einmal bei Nick zurück und teilte ihm mit, dass er schon einen Nachmieter hätte, der 14 Tage später gerne übernehmen würde, falls Julia die Wohnung nicht behalten wollte. Nick willigte ein und damit war dieses Kapitel schon einmal abgeschlossen. Auch über das Thema Studium hatte er sich Gedanken gemacht. Jeden Tag fuhr er von hier aus 35 Minuten zur Uni in die nächstgrößere Stadt. Von seinem neuen Wohnort aus wären es 15 Minuten mehr pro Tour, aber dafür hatte er einen sauberen Schnitt und konnte sein Leben neu beginnen. Die Sache stand.