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Eiskalter Sommer

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Lustlos fingerte sie es aus ihrer Tasche und ein winziges Glücksgefühl keimte in ihr auf, als sie die Nachricht von Timo las.

"Hi, Julia. Wo bist du gerade?"

"In der Wohnung. Können wir reden?"

Gebannt starrte Julia auf ihr Telefon und wartete fiebernd auf eine weitere Nachricht oder einen Anruf. Statt dessen hörte sie, wie ein Schlüssel ins Schloss gesteckt wurde und fuhr zusammen. Eigentlich hatte sie mit ihrem Bruder gerechnet, doch plötzlich stand Timo in der Tür, der sich mit dem Ersatzschlüssel zutritt verschafft hatte. Mitleidig sah er sie an und mochte sich gar nicht vorstellen, wie sehr sie gelitten hatte. Julia sah einfach grauenhaft aus.

Nicks Schwester sprang von der Couch auf, rannte auf Timo zu und warf sich ihm schluchzend in die Arme. Timo hielt sie einfach stumm fest und spendete ihr dadurch Trost, gab ihr alle Zeit, die sie benötigte. Nach schier endlosen Minuten ging es ihr ein klein wenig besser und die Zwei machten es sich auf dem Sofa bequem. Timo hörte erst einmal nur zu, was Julia zu sagen hatte. Sie schien die gesamte Tragweite immer noch nicht so ganz zu überblicken und so ging er ganz behutsam dabei vor, sie über alle Details zu unterrichten. Julia war am Boden zerstört und sank immer weiter in sich zusammen. Was Timo ihr gerade erörtert hatte, bedeutete definitiv das Ende. Nick hatte sich also eingeschlossen. Sie hatte es irgendwie geahnt, den Gedanken daran aber bislang erfolgreich verdrängt. Nun schlug die Erkenntnis jedoch mit voller Wucht in sie ein. Julia fühlte sich leer und saß einfach stumm da. Weinen konnte sie nicht mehr, es waren einfach keine Tränen mehr da.

Sie stellte sich vor, wie Nick im Gästezimmer kauerte, litt wie ein Tier und durch die Hölle ging, nur um ein einziges Ziel zu erreichen. Seine Schwester für immer und ewig aus seinem Leben zu tilgen!

Es tat einfach höllisch weh, doch Julia und auch Timo wussten nicht, was sie noch hätten tun sollen. Schweigen breitete sich in der kleinen Wohnung aus und plötzlich fiel Julias Blick auf die auf dem Tisch stehenden Kartons. Instinktiv wusste sie, dass es wahrscheinlich ein Fehler war und ihr in der jetzigen Situation bestimmt nicht gut tun würde, etwas Näheres über deren Inhalte zu erfahren, trotzdem näherten sich ihre zittrigen Finger langsam dem Deckel. Mit einem Ruck hob sie ihn ab und sank leise wimmernd von der Couch auf den Fußboden herab, wo sie geraume Zeit einfach in kniender Haltung verweilte und immer wieder in die Schachtel starrte. Es drehte ihr den Magen um, als sie Dinge sah, die sie Nick einmal geschenkt hatte und die seit Ewigkeiten ihren festen Platz in seinem Zimmer hatten. Figuren, die sie noch im Kindergarten für ihn gebastelt hatte, selbstgemalte Bilder aus früheren Zeiten, Fotos von ihr und ...

Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen, als sie etwas am Rand des Kartons wahrnahm und mit ihren zarten Händen erst ein paar andere Dinge zur Seite schaufeln musste, um Gewissheit zu erhalten. Als sie den Gegenstand endlich erkennen konnte, brach sie schreiend zusammen. Sie krümmte sich auf dem Boden, schrie wie am Spieß und wurde von schlimmen Zuckungen heimgesucht.

Timo kam sich so unsagbar hilflos vor, legte sich neben Julia und hielt sie im Arm. Auf dem Weg zu ihr hatte er noch die Möglichkeit, einen Blick in den Karton zu werfen und selbst er wurde von Nicks Kaltblütigkeit in solchen Situationen schlichtweg überwältigt. Es war eigentlich nur ein winzig kleines Teil, um das es ging und eigentlich schon fast lächerlich, dass es ein solches Gefühlschaos bei Julia auslösen konnte, doch Timo kannte eben auch die Hintergründe. Daher zog es selbst ihm die Eingeweide zusammen, als er den kleinen Jin und Jang-Anhänger erkannte, der achtlos in die Kiste geworfen wurde. Nick hatte sich nicht einmal mehr die Mühe gemacht, den Verschluss zu öffnen, sondern sich die Kette einfach vom Hals gerissen.

Timo kümmerte sich rührend um Julia, zumindest so lange, bis diese aufsprang und ins Bad rannte. Sie schmiss die Tür ins Schloss und im nächsten Augenblick konnte er hören, wie sich Julia lautstark übergab. Timo spürte, wie Wut in ihm aufstieg und in dem Moment hätte er Nick am liebsten eine reingehauen. Doch je mehr er darüber nachdachte, desto mehr hatte er Verständnis für beide Seiten.

Als Julia das Bad verließ, traf sie einen Timo an, der ganz in Gedanken versunken war und sie gar nicht wirklich wahr nahm. Sie kochte einen Kaffee und setzte sich mit zwei vollen Tassen ihm gegenüber auf das Sofa. Eine davon schob sie zu ihm rüber und räusperte sich.

Timo blickte auf und stellte freudig fest, dass es Julia den Umständen entsprechend ein wenig besser zu gehen schien. Er griff nach der Tasse und gönnte sich einen großen Schluck, wobei er sich fast noch die Lippen verbrannte.

"Gott sei Dank, du siehst ein wenig besser aus."

Julia lächelte gequält.

"Nun, ja, ich habe nun Gewissheit, dass es wirklich endgültig ist. Vielleicht war es gut, dass ich in den Karton gesehen habe. Ich werde mir zwar ewig die Schuld geben, aber ich kann es leider nicht mehr ändern und anfangen, die Sache zu verarbeiten."

Timo presste die Lippen aufeinander und nickte.

"Hör´ mal, Julia, es tut mir wirklich leid, wie sich die Sache entwickelt hat und du sollst wissen, dass ich mich auf keine Seite schlagen werde. Ich bin für euch Beide da, wenn ihr etwas braucht."

"Weiß´ ich doch Timo, und ich bin echt froh, einen Freund wie dich zu haben."

Julia lächelte ihn an.

"Wie willst du denn jetzt weitermachen", fragte er vorsichtig.

"Tja, ich werde die Wohnung wohl erst einmal behalten und sehen, ob ich in der Schule noch etwas retten kann, und dann sehen wir mal weiter."

Timo hatte plötzlich eine Eingebung.

"Hmm, vielleicht habe ich eine Idee, wie du dich bei Nick entschuldigen kannst. Es wird dann aber eine harte Zeit für dich und ich kann dir nicht versprechen, dass es klappt."

Julias Augen wurden groß und sie wartete gespannt auf Timos Vorschlag. Gebannt hörte sie ihm zu. Es stimmte, Timos Idee würde eine harte Zeit für sie bedeuten, doch Julia hätte momentan einfach jeden Strohhalm ergriffen, der sich ihr bot. Als er mit seinen Ausführungen fertig war, hatte Julia wieder etwas in sich, das sich zumindest anfühlte wie ein Funken Hoffnung. Sie würde diesen Weg einschlagen und sie würde ihn meistern und wer weiß, vielleicht würde ihr Bruder sich ja dann zumindest ihre Entschuldigung anhören.

Etwa zu der Zeit, als Julia sich entschlossen hatte, Timos Vorschlag in die Tat umzusetzen, hatte Nick die Hälfte seiner Kiste erledigt und befand sich nun im Stadium des Selbstmitleids. Er wusste selbst, dass Alkohol in seinem jetzigen Zustand nicht die beste Idee war, aber drauf geschissen. Es folgten noch drei Bier und irgendwann war es endlich so weit, dass ihn die Müdigkeit überkam. Er schlief bis zum nächsten Morgen durch, gönnte sich einen Abstecher ins Bad und verschwand wieder in seinem Kämmerlein. Die gleiche Prozedur wie am Vortag begann, doch anders als bei Vanessa machte Tag zwei nichts, aber auch gar nichts wirklich besser.

Tag drei schärfte seine Sinne für das Wesentliche ein wenig. Er gestand sich ein, selbst auch den ein oder anderen Fehler im Umgang mit seiner Schwester gemacht zu haben. Auch waren ein paar ihrer Entgleisungen vielleicht gar nicht so schlimm, wie er sie Anfangs empfunden hatte. Verdammt, das Mädel war bei einigen Dingen noch nicht einmal 18 und hatte kurz vorher ihre Eltern verloren. Vielleicht war er manchmal einfach auch über das Ziel hinausgeschossen und ein wenig zu hart mit ihr ins Gericht gegangen. Er wusste es einfach nicht.

Tag vier brachte auch keine neuen Erkenntnisse. Doch immerhin hatte sein Dickschädel endlich gesiegt. Glaubte er zumindest ....

Als Timo und Stefan aus der Stadt zurückkamen, saß Nick frisch rasiert auf der Terrasse und trank ein Bier. Beide freuten sich, ihn zu sehen und es kam ein wirklich langes und gutes Gespräch zustande, bevor sie sich den größeren Mengen an Alkohol zuwandten, die bereits gut gekühlt auf ihre Vernichtung warteten. Beim Thema Julia blockte Nick direkt ab, doch auch Timo war auf seine Art seltsam reserviert. So, als wüsste er etwas, das Nick noch nicht wusste und ...

Ein schrilles Geräusch riss Nick aus seinen Gedanken, ließ ihn erschrocken zusammenfahren und holte ihn in das Hier und Jetzt zurück. Er erblickte wieder den Arsch in Rot vor sich, der den Abstand zu ihm bereits beachtlich vergrößert hatte. Auch konnte er das Geräusch nun richtig zuordnen, als es erneut erklang. Es war eine Fahrradklingel, die ein älterer Herr wie ein Wilder betätigte, weil Nick in seinem Zustand immer weiter zur Seite abgedriftet war und nun auf dem Radweg lief. Schnell korrigierte er seine Position und sah im nächsten Moment das Fahrrad mit seinem den Kopf schüttelnden Besitzer vorbeisausen.

"Hört das denn nie auf", fragte sich Nick und spürte mal wieder, dass er körperlich und seelisch völlig am Ende war. Seinen Körper hatte er seit dem Vorfall wirklich übel gebeutelt. Er hatte knapp fünf Kilo abgenommen, da er immer, wenn die Einsamkeit einfach zu viel wurde, trainierte. Jeden Tag prügelte er wie ein Besessener auf seinen Sandsack oder den blauen Kunststoffdummy ein, oftmals bis zur völligen Erschöpfung. Er wirkte ausgemergelt, doch hatte er auch noch niemals solche Muskeln mit sich herumgetragen. Klar waren sie definiert, zeichneten sich unter seinem engen Shirt ab und mehr als ein Mal hatte er die Blicke der Mädels auf sich gespürt, die ihm allerdings völlig egal waren. Vielleicht brauchte er einfach mal wieder eine Frau. Jemanden, bei dem man sich anlehnen oder zumindest einfach mal wieder das Hirn rausvögeln konnte. Vielleicht bekamen ihm einfach die vier Monate Abstinenz nicht und er sollte es mal wieder krachen lassen.

Nicks seelischer Zustand war mit dem einfachen Wort "kaputt" zu beschreiben. Entgegen seiner damaligen Vermutung brachte Tag vier nicht die gewünschte Erlösung. Tagtäglich vermisste er seine Schwester schmerzlich und war sich sicher, über Kurz oder Lang an der Situation zugrunde zu gehen. Egal wie sehr er es auch versuchte, er bekam Julia einfach nicht aus dem Kopf. Wenn nur sein verdammter Stolz nicht wäre. Zwar stand er mit Timo und Stefan in regelmäßigem Kontakt, doch hatte er Timo vor einigen Wochen eine böse Ansage gemacht, als er wieder einmal von Julia anfing und seitdem bekam er auch keinerlei Infos mehr von seiner Schwester.

Seine Schwester ...

Nicks Gedanken wollten gerade wieder Fahrt aufnehmen und eine neue Runde Höllenqualen spendieren, als er aktiv dagegen ankämpfte. Er beschleunigte seine Schritte, verkürzte den Abstand zur Frau in rot ein wenig und konzentrierte seine Blicke nur noch auf den sich hin und her wiegenden Arsch. Mehr und mehr wurde er von dem Gerät in seinen Bann gezogen und nach einiger Zeit kehrte tatsächlich ein Gefühl in ihn zurück, dass er lange schon nicht mehr gespürt hatte. Lust!

Lange überlegte Nick, ob er das heiße Geschöpf anbaggern sollte, als ihm die Entscheidung abgenommen wurde. An der Kreuzung, an der Nick links abbiegen musste, wandte sie sich nach rechts und war wenig später seinem Blickfeld entschwunden. Als Nick die Distanz bis zur Abbiegemöglichkeit schließlich überwunden hatte und nach rechts sah, war sie einfach weg. Entweder war sie in einem der kleinen Läden verschwunden, oder aber sie wohnte hier und befand sich bereits in einem der Häuser. Nick ärgerte sich über sich selbst, dass er nicht vorher schon mit ihr ins Gespräch gekommen war und schlenderte genervt nach Hause. Eine heiße Nummer mit ihr hätte ihm jetzt sicherlich gut getan und ihn seine Sorgen für einige Zeit vergessen lassen. So aber betrat er seine kleine Wohnung und wurde wie nicht anders zu erwarten von einer beklemmenden Stille empfangen.

Nick ließ sich frustriert aufs Sofa fallen und erblickte das Prospekt des China-Taxis auf seinem Tisch. Da er heute noch überhaupt nichts gegessen hatte, freundete er sich mit dem Gedanken an gebackenes Hühnchen mit Wokgemüse und Reis an und wählte die Nummer. Er gab seine Bestellung auf und sollte in 20 Minuten sein Essen erhalten. Zeit genug also, um noch schnell zu duschen.

Eine Viertelstunde war vergangen und Nick hatte sich gerade seine Wohlfühlklamotten übergestreift, als es auch schon an der Tür schellte. Nick drückte auf den Summer und kramte das Geld zusammen. Mittlerweile meldete sich auch sein Magen in höchster Vorfreude und so sputete er sich, zur Wohnungstür zu gelangen. Er drückte die Klinke, zog die Tür auf und erstarrte mitten in der Bewegung. Vor ihm stand die Frau in rot!

Es war eine absolut traumhafte Erscheinung, die sich dort vor seiner Tür abzeichnete, ein makelloser Körper, heiß geschwungen und mit Titten versehen, bei denen man einfach wieder Säugling sein wollte. Was allerdings so gar nicht passen wollte, war das süße, verweinte Gesicht, dass ihn ängstlich anstarrte und kaum wahrnehmbar "Hallo, Nick" hauchte.

"Jule!", entfuhr es ihm, als er realisierte, dass seine Schwester vor ihm stand. Seine Beine wackelten bedrohlich, sein Körper zitterte und sein Puls begann zu rasen.

"Bitte", sagte sie, "gib´ mir zwei Minuten, danach bin ich wieder verschwunden!"

Flehentlich sah sie ihn an.

Ein innerer Kampf entbrannte in Nick. Wie in einem alten Super-8-Film spulten sich seine Gedanken vor ihm ab. Kindheit, kuscheln, Eltern, Disco, Ferienwohnung -- all das brach erneut und beinahe gleichzeitig über ihn herein. Wie schrecklich hatte er Julia vermisst, wie häufig hatte er mit dem Gedanken gespielt, sie anzurufen? Nun stand sie wahrhaftig vor ihm, hatte alles in die Waagschale geworfen und war extra die 150 Kilometer gefahren, um ihn um lächerliche zwei Minuten zu bitten, in denen sie etwas loswerden musste, das ihr offensichtlich auf der Seele brannte. Sie hatte eine Veränderung durchlebt. Nichts erinnerte mehr an die ein wenig heruntergekommen wirkende Person, die sie zuletzt war. Die ihn immer und immer wieder mit ihren Worten und ihrem Verhalten quälte, wo es nur ging, ihm Dinge an den Kopf warf, die ihn bis in die Grundfesten erschütterten und ihn schließlich zu dem radikalen Schnitt trieben.

Die Julia, die hier vor der Tür stand, hatte so einfach gar nichts mehr gemein mit dem Bild, welches er mit dem Abend in der Disco in Verbindung brachte und das ihm so viele unsagbar schwere Stunden beschert hatte. Der Disco-Julia hätte er höchstwahrscheinlich ohne zu überlegen die Tür vor der Nase zugeknallt, egal, wie sehr es ihn auch nachträglich fertig gemacht hätte. Doch diese Julia hier war wieder ganz der Engel, den er von früher kannte, den er über alles auf der Welt liebte und für den er durch die Hölle gegangen wäre. Das dunkle Zeug hatte sie aus ihren Haaren entfernt und trug es nun wieder in den goldblonden, langen Wellen, die er so sehr mochte und die einen perfekten Kontrast zu ihrem hübschen Gesicht bildeten. Julia sah einfach gut aus und ... unwahrscheinlich heiß! Daran konnte auch der ängstliche und unsichere Blick nichts ändern, der der aktuellen Situation geschuldet war.

Egal, die Schlacht war geschlagen und Nick beschloss, seine Schwester hereinzulassen und sich anzuhören, was sie zu sagen hatte. Er trat zur Seite, gab den Weg in seine Wohnung frei und erschrak im nächsten Moment so heftig, dass er zusammen zuckte und ihm vor Schreck das Geld, welches er immer noch hielt, aus den Händen fiel und über den Boden kullerte. Mit seiner Türklingel hatte er in dem Moment so gar nicht gerechnet, weshalb ihm der schrille Ton bald einen Herzinfarkt beschert hätte. Er lächelte Julia gequält an und drückte kommentarlos den Summer. Wenige Augenblicke später stand auch schon der kleine Asiate vor ihm, der immer das Essen lieferte. Nick ignorierte die im Zimmer verteilten Ein- und Zwei-Euro-Münzen, holte einen Schein aus seinem Portemonnaie und verzichtete wie immer auf das Wechselgeld. Kurz darauf war er wieder mit Julia allein, stellte das Essen auf den Tisch und wandte sich wieder seiner Schwester zu.

Julias Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie war nervös und wusste, dass sie gleich buchstäblich vor Nick die Hosen runterlassen musste. Das anstehende Gespräch würde nicht einfach werden, doch wusste sie bereits von dem Moment an, als die Wohnungstür nicht wie erwartet ohne Kommentar auf sie zuraste, dass Timos Plan aufgegangen war und sie bereits gewonnen hatte. Nicks Augen hatten nicht mehr diesen Leichen-Blick, der einfach durch sie hindurch ging, und wenn sie es richtig erkannt hatte, lag sogar eine Spur Freude darin, als er sie erblickte. Außerdem hatte er sie Jule genannt. Diesen Kosenamen verwendete er eigentlich, seit sie denken konnte und Nick war erst dazu übergegangen, sie Julia zu nennen, als sie kurz vor ihrem 18. angefangen hatte, abzudrehen. Mit tiefer Freude nahm sie wahr, dass er den Weg in seine Wohnung freigab und musste sich sogar ein Lachen verkneifen, als das Geld in hohem Bogen durch die Luft flog, nachdem ihn die Klingel so erschreckt hatte.

Nick sah schlecht aus. Zumindest sein Gesicht ließ erkennen, was er die letzten Monate durchmachen musste und Julia schämte sich dafür. Er hatte abgenommen und noch einmal beachtlich an Muskelmasse zugelegt. Ein heißes Kribbeln durchzuckte ihren Körper, als sie dies realisierte. Wäre die aktuelle Situation eine andere, würde sie sich den wohligen Schauern hingeben und zulassen, wie Nicks Anblick sie erregte. So aber gab es nun erst einmal noch Einiges zu klären.

Julia sah, wie Nick die Tüte mit dem Essen abstellte, sich umdrehte und sie erwartungsvoll ansah. Nun war sie am Zug, sammelte sich, holte tief Luft und begann zu reden.

"Hör mal, Nick, ich habe mir im Kopf tausend Sachen zurechtgelegt, die ich dir gerne sagen wollte und bin sie wieder und wieder im Geiste durchgegangen. Nun ist irgendwie alles weg und ich muss ein wenig improvisieren. Natürlich möchte ich mich bei dir entschuldigen und dir sagen, dass es mir unendlich leid tut, wie ich dich behandelt habe. Ich weiß aber, dass meine Aussage in der Disco durch Nichts zu entschuldigen ist und könnte sogar gut verstehen, wenn du nie wieder etwas von mir wissen wollen würdest."

Dicke Tränen liefen an Julias Wangen hinab, versickerten im Stoff ihres Kleides und hinterließen dort, wo sie auftrafen, kleine, dunkle Flecken.

"Ich möchte aber, dass du weißt", fuhr sie fort, "dass du mit Abstand der wichtigste Mensch in meinem Leben bist und ich dich schrecklich vermisse. Nachdem du weg warst, ist einfach alles um mich herum eingestürzt und ich habe mich zum ersten Mal mit meinem damaligen Verhalten auseinandergesetzt. Ich habe mich in Grund und Boden geschämt, ja mich sogar dafür gehasst und wollte einfach wieder der Mensch sein, der ich einmal war. Ich habe den Kontakt zu den Idioten noch am gleichen Tage eingestellt, bin wieder zur Schule gegangen und habe Tag und Nacht gearbeitet, um das hier zu erreichen."

Mit nervösen Fingern griff sie in die Tasche und holte eine Klarsichtfolie in Din-A 4 hervor, die sie Nick schluchzend und am ganzen Körper zitternd entgegenhielt. Wie ferngesteuert griff Nick danach und erkannte, um was es sich handelte. Es war Jules Abiturzeugnis. Wasser trat in seine Augen und er spürte, wie Stolz in ihm aufkeimte, Stolz auf seine Schwester, die sich scheinbar wirklich wieder gefangen und ihr Leben gemeistert hatte. Durch einen Schleier hindurch sah er Julia an und ein leichtes Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Gebannt hörte er den weiteren Ausführungen seiner Schwester zu.

"Ich bin nicht so naiv zu glauben, dass jetzt alles wieder gut ist. Es hat einen anderen Grund, dass ich dir das da zeigen wollte."

Julia deutete auf die Folie.

"Ich weiß ziemlich genau, wie du tickst und wenn ich mir dich so ansehe, frisst die Situation dich einfach auf und macht dich innerlich kaputt. Daher wollte ich einfach, dass du, auch wenn es keinen Neuanfang mehr für uns gibt ... ."

Julia weinte herzergreifend und rang nach Worten.

"Ich wollte einfach nur, dass du weißt, dass DU alles richtig gemacht hast und dir um mich keine Sorgen mehr zu machen brauchst, großer Bruder. Ich finde, zumindest das war ich dir noch schuldig. Ich hoffe einfach, dass du mir vielleicht irgendwann ... ."