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Fasching Teil 1 von 8

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Gerade wieder in die Küche zurückgekehrt, stand Melissa plötzlich etwas unsicher im Türrahmen. Keine Schminke mehr, kein Vampirkostüm... dafür aber im cremefarbenen, viel zu großen Bademantel. Sie war barfuß, aber ihre Heels hätten jetzt auch etwas seltsam gewirkt. Ich musste grinsen. Das lockerte auf. Sie grinste zurück.

„Waschmaschine läuft schon. Eure Wäsche ist in etwa einer guten Stunde durch. Dann noch mal rund neunzig Minuten für den Trockner und alles ist vergessen."

„Prima."

„Was magst du trinken? Ich hab Kaffee, verschiedene Teesorten, Wein, Sekt, Cola, Wasser, Säfte und selbst angesetzten Glühwein, der schon auf dem Kamin wartet."

„Tee hört sich gut an. Hast Du schwarzen Tee?"

„Klar, ich mach dir schnell einen. Magst du dich kurz setzen?"

Ich wies auf den kleinen Küchentisch mit der Eckbank und den beiden Stühlen. Sie setzte sich auf die Bank und ich sah im Augenwinkel, dass sie darauf achtete, dass der Bademantel nicht aufklaffte. Irgendwie niedlich!

„Wie war denn die Party?"

Ich stellte ein Stövchen auf das kleine, eben vorbereitete Tablett und zündete das Teelicht an.

„Super. Wir waren schon um sieben da. Die „Gunners" waren richtig gut und wir haben fast die ganze Zeit getanzt. Aber jetzt zum Schluss waren da ein paar besoffene Typen, die Streit suchten und alles Weibliche angegraben haben, was bei drei nicht auf den Bäumen war.

Deswegen sind wir schon etwas früher gegangen. Eigentlich wollten wir die Nacht durchfeiern und dann bei Elke schlafen."

Ich hatte eine sehr feine Ostfriesenmischung, natürlich lose und in einer schönen Teedose und ließ Melissa kurz mal schnuppern, wohlwissend, dass da eine regelrechte Geruchsexplosion kam. Ein begeistertes Nicken zauberte mir ein wissendes Lächeln ins Gesicht.

Die Glaskanne aus der „Teekanne"-Werbung stellte ich auf das Stövchen, gab ein paar Löffel Tee in den Glaseinsatz und überbrühte das Ganze mit dem mittlerweile etwas abgekühlten und genau richtig temperierten Wasser. Ein kleines Kännchen Sahne, Kluntjes, die typisch ostfriesischen Kristallzuckerbrocken und zwei Glastassen mit Untersetzer. Ein Bild, wie aus einem friesischen Kaffeehaus. Das machte Eindruck, das wusste ich. Aber mir ging es eigentlich eher darum, den Genuss mit Stil zu praktizieren.

„Macht doch Spaß, wenn man sich etwas mehr Mühe gibt...", kommentierte ich meine Vorbereitungen.

„Ja, sieht schon ziemlich cool aus."

Auf den zweiten Blick wirkte Melissa recht jung. Ich schätzte sie auf etwa Neunzehn. Sie taute zunehmend auf.

„Letztes Jahr war ich auch auf dem Ball. Die hatten mit den „Diamonds" so eine Pink-Floyd-Cover-Band. Ziemlich gut. Ich war übrigens auch Vampir. Aber ich hab damals auch so gegen halb zwei abgebrochen. Die Stimmung war da auch gerade am Kippen. Eigentlich schade."

„Und warum warst du heute nicht mit dabei?"

„Ich bin heute erst am Abend nach einer sechszehn-Stunden-Schicht aus dem Krankenhaus nach Hause gekommen. Ehrlich gesagt, war mir da nicht nach Fasching. Vielleicht mache ich morgen oder am Sonntag was in der Richtung."

„Wir wollen morgen auf den Frankfurter Zug und danach auf die Zugparty."

„Fasching ist Partyzeit? Ihr habt euch da ja einiges vorgenommen."

„Jepp."

„Habt ihr schon was gegessen? Ich hätte in jedem Fall was da."

„Richtig, Essen wollten wir später bei Elke machen. Wird ja jetzt wohl noch etwas dauern. "

„Wir können das ja gleich noch mal ansprechen, wenn die anderen da sind.

So fertig.

Gehen wir rüber in den Wohnraum. Da ist es gemütlicher."

Ich nahm das Tablett und ging vor. Melissa folgte mir und als wir eintraten, merkte ich, wie sie sich staunend und interessiert umsah.

„Meine Eltern waren beide Architekten und bei diesem Haus hier haben sie sich ausgetobt."

„Das ist toll! Ein Traum. Wie ein Palast."

Sie verharrte vor dem Kamin, während ich das Tablett abstellte und ihr eine weiche Wolldecke reichte.

„Hier, eine Decke. Komm, nimm irgendwo Platz. Das Wasser in der Dusche läuft noch. Die anderen beiden werden wohl einen Moment brauchen."

Melissa setzte sich mir gegenüber auf die riesige Sofaecke und sah mir zu, wie ich erst den Tee in beide Tassen gab, dann den Zucker, der charakteristisch und wie immer sehr eindrucksvoll knisterte. Zuletzt gekrönt durch jeweils einen Tropfen Sahne - ein wahres Gesamtkunstwerk.

Helle Wolken waberten in dunklem Tee, als ich ihr die Tasse reichte. Das flackernde Licht vom Kamin und den Kerzen brach sich in der flachen Glastasse.

„Hier, bitte!"

Sie hatte sich in die Decke gekuschelt und es sich bequem gemacht. Bedächtig nahm sie die Tasse entgegen und trank vorsichtig einen ersten Schluck.

„Der schmeckt ja phantastisch."

Ich nippte vorsichtig und nickte bestätigend. Dann wandte ich meinen Blick dem Feuer zu. Welcher Teufel ritt mich hier gerade? Versuchte ich da gerade, mit dem jungen Ding zu flirten? Da würde ich mich ja wohl lächerlich machen. Ich könnte beinahe ihr Vater sein.

Und ich war als Typ mit ziemlicher Sicherheit auch weit außerhalb ihres Beuteschemas.

Das Gespenst der „Midlife Crisis" zog an mir vorbei. Ich konnte es in den Flammen sehen. Deep Purple, „When A Blind Man Cries" -- eine wunderschöne Live-Version mit Ritchie Blackmore an der Gitarre. Diese Melodie, so voller Gefühl, gepaart mit dem Feuer und der Situation. Ich spürte einfach diese in sich geschlossene Melancholie des Augenblickes.

Nur saß ich eben nicht allein in einem leeren Raum, wie der Protagonist dieses Songs.

Auch Melissa hing ihren Gedanken nach, schenkte sich neuen Tee ein und gab auch ein paar Tropfen Sahne hinzu. Zucker war noch in der Tasse.

Oben kam wieder Leben in die Etage. Die Badezimmertür ging und ich konnte die Mädels auf der Treppe hören.

„Sandra? Elke? Wir sind hier unten und warten."

Melissa wirkte erfreut, dass die anderen sich auch endlich einmal die Ehre gaben.

„Wir kommen ja schon!" Die tiefere Stimme von Elke war charakteristisch.

Ich stand rasch auf, empfing die beiden am Treppenabsatz und geleitete sie ins Wohnzimmer.

„Nehmt Platz. Hier sind zwei Wolldecken zum einmummeln. Was darf ich euch zum Trinken bringen? Ich habe Wein, Bier, Cola, Säfte, Kaffee, Tee oder...", ich wies auf den Topf, der auf dem Kaminsims stand, „hausgemachten und wohltemperierten Glühwein."

Elke setzte sich zwischen Melissa und meinen Platz.

„Ich würde gern auch Tee trinken. Der sieht lecker aus."

„Der ist auch lecker, Elke", sagte Melissa

„Ich nehme den Glühwein" Sandra setzte sich neben Melissa auf die andere Seite.

„Glühwein? Geht´s dir wieder besser, Sandra?"

„Ja, jetzt bin ich sauber. Jetzt passt es wieder."

Ich holte schnell noch eine Teetasse aus der Küche und reichte sie Elke. Dann nahm ich einen Becher aus dem Schrank und schenkte Glühwein ein.

Ich sah, wie Sandra zunächst roch, dann nippte und mich überrascht anblickte. Ich lächelte

„Ich glaube, ich werde mir nach dem Tee auch noch ein Tässchen von dem Wein genehmigen, Sandra. Melissa sagte mir, dass ihr wahrscheinlich noch Hunger haben könntet."

Ich blickte kurz in die Runde. Draußen zogen laut grölend noch ein paar Besoffene vorbei.

"Gut, dass wir nicht mehr draußen sind. Ja, was Kleines zum Essen wär schon toll. Aber du hast schon ziemlich viel für uns getan."

„Kein Problem. Ich kann auf die Schnelle eine Lage Pizzabaguettes und einen Salat anbieten. Ich hatte es schon Melissa gesagt: Die Wäsche braucht leider noch eine Weile. Sie hat mir auch erzählt, dass ihr sowieso alle zusammen bei Elke übernachtet hättet.

Mein Vorschlag: Ich habe hier das riesige Sofa. Da können zwei bequem schlafen oder oben im ersten Stock. Da sind zwei Gästezimmer. Eins mit Doppelbett. Ihr könnt gern hier übernachten, ausschlafen, morgen hier frühstücken, frisch gebackene Brötchen, und dann mit gewaschenen Kostümen nach Frankfurt zum Umzug durchstarten.

„Meinst Du das ernst, Kai?"

„Ja. Aber ihr müsst euch nicht sofort entscheiden. Ich geh jetzt mal kurz in die Küche und ihr könnt noch ein wenig beratschlagen, Elke. Ihr seid ja schließlich im Haus eines eigentlich wildfremden Mannes."

„Quatsch, Kai! Das ist voll lieb von dir", entgegnete Melissa mit warmem und von dem Gesagten völlig überzeugten Unterton.

„Und es macht vieles einfacher. So müssen wir nicht in Morgenmänteln durch die Gegend fahren. Ist zwar Fasching und nicht kalt, aber wenn ich ehrlich bin - ich hab hier nichts drunter und so möchte ich nicht gern rausgehen."

„Müsst ihr auch nicht. Ihr könnt auch immer noch jemanden anrufen, der euch geschwind was Anzuziehen vorbeibringt."

„Ich glaube, das geht dann doch nicht so einfach..." Elke warf ihren beiden Freundinnen einen kurzen Seitenblick zu. Melissa nickte, wie ich kurz registrierte, unmerklich mit dem Kopf.

„Also bei mir ist niemand zu Hause. Meine Eltern sind noch drei Tage in China und kommen dann auch nur für ein paar Wochen vorbei. Sandras Eltern denken, dass sie bei mir ist und nicht auf dem Fasching und Melissa ist heute von zu Hause abgehauen. Der Freund ihrer Mutter wollte ihr schon wieder an die Wäsche. Aber die hast ja jetzt du... nur anders."

Elke gluckste leise lachend in sich hinein und ich stand kurz auf dem Schlauch.

„Was hab ich?"

„Melissas Wäsche."

Wir lachten kurz. War wirklich einfach ´ne nette Art, ernste Dinge zu transportieren.

„Du Melissa. Tut mir leid. Kann ich dir irgendwie helfen?"

„Kannst du tatsächlich Kai. Ich hab jetzt so richtig Hunger."

„Ist ja schon gut, ich gehe ja schon in die Küche."

Ich tat ein wenig geknickt, aber in der Tat war ich beeindruckt von der Offenheit, mit der mir die Mädchen begegneten. Wahrscheinlich spielten da gleich mehrere Faktoren eine Rolle. Die „Rettung", ich war Arzt, dadurch auch sicher in Kommunikation und Auftreten... Zu guter Letzt wirkte das Haus hier auch nicht gerade ungepflegt.

In der Küche angelangt, fing ich gleich mit den Vorbereitungen an. Die acht Baguettes waren schnell mit ein wenig zusätzlichem Belag und ein paar Gewürzen versehen, bei zweihundert Grad Umluft wären sie wohl in einer knappen Viertelstunde fertig.

Während ich die Zutaten für den Salat aus dem Kühlschrank holte, ließ ich noch einmal im Geiste die letzte Stunde und meinen unverhofften Besuch Revue passieren.

Wie alt waren die Mädels? Ich hätte sie zwischen neunzehn und zweiundzwanzig geschätzt. Alle schienen noch bei ihren Eltern zu wohnen. Melissa hatte wohl Trouble mit den Eltern und sie schien auch die jüngste zu sein. Mit dem Alter tat ich mich immer sehr schwer, auch im Krankenhaus. Ich wollte sie später mal fragen.

Große Salatschüssel, Zwiebeln, Gurke, Tomaten, Feldsalat, Mohrrüben, Käse, gekochte Putenbrust und noch zwei hartgekochte Eier. Gut, dass ich heute nach Feierabend eingekauft hatte.

Ich war gerade dabei, die Zwiebeln zu hacken als durch das Geräusch angelockt, Melissa wieder im Türrahmen stand.

„Kann ich helfen?"

„Ja, kannst du tatsächlich. Setz dich mal an den Küchentisch." Ich reichte ihr die Zutaten, das Schneidebrett, Messer und die Schüssel rüber.

„Dann kann ich nämlich schon das Dressing vorbereiten und eindecken. Essen wir hier oder drüben?"

„Drüben. Ist einfach gemütlicher."

„Finde ich auch, Melissa."

„Du Kai, ich wollte dich vorhin nicht abwürgen. Bist du wirklich Arzt?"

„Ja, ich leite die Notaufnahme des Kreiskrankenhauses. Ich bin eigentlich Unfallchirurg, aber in der Notaufnahme muss man alles können. Vielseitigkeit ist gefragt und deswegen liebe ich den Job."

„Elke meinte eben, das mit dem Angebot, mir helfen zu wollen, hättest du wahrscheinlich ernst gemeint."

„Ja! Deine Freundin Elke hat eine gute Menschenkenntnis. Eigentlich biete ich privat ziemlich selten Menschen meine Hilfe an.

Bei dir war das eben sehr spontan und aus dem Bauch heraus. Ich finde euch drei ziemlich sympathisch und ja, wenn du Hilfe brauchst und ich irgendetwas für dich tun kann -- und damit meine ich nicht Essen kochen -- dann mache ich das.

Einfach so, ohne dich näher zu kennen und ohne jede Verpflichtung für dich."

Ich sah, wie es in ihr arbeitete. „Schneid dich nicht beim Salatschnippeln! Der Doktor hat Feierabend und auch schon etwas zu viel Glühwein intus", flachste ich, um ihr Augenmerk wieder auf das Schneidebrett zurückzulenken.

Das Gespräch ebbte einen Moment ab. Ich richtete gerade Teller und Besteck auf einem Tablett an und stellte ein paar Gläser und Getränke bereit.

„Er hat nicht nur versucht, mir an die Wäsche zu gehen", brach es aus ihr heraus. „Er ist es! Vor fünf Jahren war das erste Mal. Ich war vierzehn. Da kam er von hinten und presste meinen Oberkörper auf den Tisch. Er riss mir die Hose runter. Ich versuchte mich noch zu wehren. Doch er war stärker. Er „fickte" mich in den Arsch. Ich schrie. Es tat so weh."

Sie hielt kurz inne. Ich musste mich direkt auf den gegenüberliegenden Stuhl setzen. Ich war entsetzt! Fassungslos frage ich: „Und deine Mutter?!"

„Die hat dabeigesessen und gesagt, ich solle mich nicht so anstellen und lieb zu meinem neuen Daddy sein! Sie hängt an der Nadel und der Typ ist Dealer und Zuhälter. Ich geh nicht mehr nach Hause!"

Ich sah sie ernst an. „Musst du auch nicht! Willst du ihn anzeigen?"

„Nein. Da hab ich zu viel Angst um meine Mutter und um mich. Der Typ und seine Kumpels sind ist einfach nur brutal."

„Wie alt bist du, Melissa?"

„Neunzehn."

„Und die beiden anderen?"

„Sandra ist achtzehn und meine Freundin. Wir studieren beide in Frankfurt. Und Elke, Sandras Kusine, ist zweiundzwanzig."

„Wissen die beiden anderen davon?"

„Ja. Deswegen wollten sie mich auch auf andere Gedanken bringen. Fasching, Abfeiern, Saufen, ... all den Scheiß mal für eins, zwei Tage vergessen."

„Kann ich verstehen. Wo kommst Du unter?"

„Für drei Tage kann ich bei Elke unterkommen. Dann kommen aber ihre Eltern zurück und für länger ist die Wohnung einfach zu klein. Auch mit dem Studium... Elke wohnt in Bad Homburg. Das sind ein paar Meter und ich habe gerade erst angefangen, BWL zu studieren. Ich will etwas aus meinem Leben machen! Nicht so, wie meine Mutter."

Sie sprach sehr leise und eindringlich. Sie weinte nicht und blickte, während sie das sagte, unentwegt auf das Schneidebrett, wo sie den Salat weiterverarbeitete.

Ich dachte einen Moment nach.

„Ich kenne vom Job her verschiedene Frauenhäuser hier in der Region, wo man dich unterstützen kann. Das ist leider keine Dauerlösung. Aber da kann man dir definitiv weiterhelfen. Es gibt vorübergehend WGs... Und auch eine Studentenbude im Studentenwohnheim wäre ´ne Alternative! Davon abgesehen... Melissa, Polizei wäre echt gut.

Schon allein, um den Typen hinter Gitter zu bringen."

„Klar. Aber der kennt genug andere und irgendwann ist meine Mutter tot und ich bin es auch. Glaub mir! Der Kerl ist wirklich böse. Der hat ´ne Knarre und prahlt damit, die auch schon benutzt zu haben. Glaub mir! Du willst nicht wissen, wie das ist, das Ding in deinem Genick zu haben. Und das hatte ich mehr als einmal. Und nicht nur dort!"

Unwillkürlich kniff sie ihre Beine zusammen.

Ich schluckte und verdrängte eine gerade hochkommende Erinnerung an eine dramatische Situation in der Notaufnahme, wo eine Polizistin Gebrauch von ihrer Dienstwaffe machen musste, um meine Kollegin zu schützen.

„Du hast Recht. Das will ich wirklich nicht wissen... Echt hart, was du durchmachen musstest."

Es kostete mich wirklich einiges an Selbstbeherrschung, so ruhig zu bleiben. Ich war gerade extrem sauer auf den Typen, aber auch auf die Mutter.

„Melissa, ich kenne da vielleicht aber noch andere Wege, als nur die Polizei."

Sie sah mich fragend an.

„Was glaubst denn du, wen man so alles im Laufe der Jahre zusammenflicken muss. Das Thema medizinische Schweigepflicht kann man, beispielsweise bei Schuss- oder Stichwaffenverletzungen und auch nach offensichtlichen Schlägereien, mitunter auch sehr „umfassend" auslegen. Ebenso, wie jemand zu welchen Verletzungen gekommen, oder ob jemand krankenversichert ist.

Ich kenne deswegen auch ein paar Menschen, aus dem Millieu des Freundes deiner Mutter. Nur sind die wesentlich einflussreicher und ein paar haben mir gesagt, wenn ich mal ein „Problem" hätte, bräuchten sie nur einen Namen."

Sie sah mich mit einer Mischung aus Hoffnung und Erschrecken an.

„Keine Angst. Ich hab nie was Illegales getan! Ich werde auch nicht gleich einen Mord in Auftrag geben!"

Mein Versuch, mit etwas schwarzem Humor dem Ernst der Situation die Spitze zu nehmen, scheiterte, wie ich ihrer Miene entnehmen konnte, gerade ziemlich kläglich.

„Ich will nie wieder nach Hause gehen müssen und ich will auch meine Mutter nie wieder sehen. Kannst du dir vorstellen, wie das ist? ...du liegst mit dem Oberkörper auf so einem Küchentisch", sie beugte sich demonstrativ nach vorn und stemmte sich mit beiden ausgestreckten Armen auf die Tischplatte. „Du drehst deinen Kopf hilfesuchend zu deiner Mutter und die drückt sich gerade einen Schuss, lächelt Dich an und sagt, dass das jetzt gerade richtig geil aussähe, während ihr perverser Macker Dir wortwörtlich den Arsch aufreißt und in dir kommt."

Sie schüttelte den Kopf, als ob sie die Bilder damit loswerden könne.

„Sorry, ich wollte dir nicht den Abend und die Laune verderben. Und ich wollte dich nicht angreifen, Kai. Es tut mir gut, darüber zu reden. Aber ich habe Angst, was die nächsten Tage bringen werden. Ich will nie wieder nach Hause. Aber Frauenhaus? Ich weiß auch nicht so recht."

„Du kannst es dir ja mal ansehen. Ich kann dir einen Kontakt herstellen. Ich kenne da einige von Berufs wegen. Ich werde dir helfen. Und du wirst nicht mehr nach Hause gehen müssen. Auch wenn das jetzt wie eine hohle Phrase klingen mag, dein Leben geht weiter und es wird auch eine ganze Menge Gutes für dich bereithalten. Nach all der Scheiße, hast du dir das einfach auch verdient."

Zum ersten Mal im Gesprächsverlauf lächelte sie wieder. Sie wollte das, was ich da gerade gesagt hatte, einfach nur noch glauben. Wenn das Leben bloß so einfach wäre und ebenso die Lösungen.

Ich stand kurz auf, schaltete den Backofen aus und öffnete ihn. Beinahe entschuldigend sagte ich zu ihr: „Die müssen raus. Sonst gibt es Kohlebriketts. Melissa, ich verspreche dir, dass wir das irgendwie hinbekommen werden."

„Das ist gut. Wir haben uns extra einmal einen Moment zurückgehalten, damit ihr miteinander reden konntet." Elke und Sandra standen im Türrahmen.

„Hast du ihm alles erzählt?"

Melissa nickte. „Fast alles."

„Gibt es irgendetwas, das ich noch wissen sollte?"

Ich glaubte nicht, dass ich jetzt noch mehr ertragen konnte. Ich hatte frei und jetzt Besuch. Was so harmlos wie abwechslungsreich anfing, hatte gerade eine dramatische Wendung genommen! Ich hatte ein Versprechen gegeben und damit auch zu einem gewissen Grad Verantwortung für das Mädchen übernommen. Und der musste ich jetzt gerecht werden.

Melissa schüttelte nach kurzem Nachdenken den Kopf.

„Kai, nichts was im Moment von Belang wäre. Ich muss einfach noch einen Moment nachdenken. Aber ich verspreche dir, ich werde es erzählen, wenn ich soweit bin."

Ich nickte. Sie würde kommen; dessen war ich mir jetzt sicher.

„Ich weiß nicht, wie es euch geht... aber bei dem Geruch habe ich Hunger. Und ein paar Tässchen Glühwein wären jetzt auch nicht schlecht. Ich muss ja nicht mehr fahren."

„War klar, dass das jetzt von dir kommen musste, Elke!", entgegnete Sandra.

„Also bleibt ihr heute Nacht hier!

Essen ist fertig! Nehmt ihr zwei gerade mal die Teller und Becher mit ins Wohnzimmer? Melissa, hier das Kräuter-Yoghurtdressing. Mischst du den Salat geschwind durch und bringst die Schüssel dann mit? Ich gehe schon mal mit den Baguettes in Richtung Wohnzimmer."

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4 Kommentare
MichaL36MichaL36vor mehr als 2 Jahren

Das liest sich wirklich schon mal wie ein tiefgründiger Anfang einer spannenden Geschichte!

disguise51disguise51vor mehr als 2 Jahren

Danke! Endlich mal wieder jemand, der seine Gedanken in eine mit Freude lesbare Form zu setzen versteht. Und dabei ist die Story auch noch so gut, dass ich mich zum Weiterlesen gezwungen fühle. Saubere Arbeit in jeder Beziehung.

andreasmarianandreasmarianvor etwa 3 Jahren

mal sehen, wie sich das entwickelt. Die Grundlagen sind gelegt

Marita_ZMarita_Zvor etwa 3 Jahren

Ja aber hallo...schön, mal wieder von dir zu hören. Und der Anfang ist wirklich vielversprechend. Lass uns nicht so lange hängen....

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