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Phantom of my Opera

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Und was für einen. Der Kuss des Phantoms war hungrig und voller Leidenschaft. Erik nahm Sawyers Kopf zwischen seine angenehm warmen Hände, drehte seinen eigenen Kopf dabei, um seine Zungenspitze frivol zwischen Sawyers Lippen zu schieben und anschließend noch tiefer in Sawyers Mundhöhle vorzudringen. Die Augen fest geschlossen, ertappte der sich bei dem innigen Wunsch, dieser Moment möge nie enden...

Doch die Rechnung war ohne Sylvi gemacht.

Die unverbesserlich unsensible Trulla sprang begeistert auf, klatschte einmal in die Hände und rief: »Bezaubernd! Zwar sehr kitschig interpretiert, aber ich bin begeistert! Das war einfach nur hinreißend! Sawyer, wenn du noch etwas mehr Gefühl in deine Stimme legst, bringen wir das Publikum vor Freude zum Heulen! Nächste Wochen probieren wir es ohne Christines Stimme vom Band. Ihr könnt jetzt aufhören, wir machen dann mit der Szene im Opernhaus weiter, in der Monsieur Buquet den Mädchen vom Phantom der Oper erzählt. Zehn Minuten Pause, dann will ich euch auf der Bühne sehen!«

Sylvi noch ein Weilchen ignorierend und nur sehr widerwillig, das spürte Sawyer, löste das Phantom den atemlosen Kuss, hauchte Sawyer mit dunkler Stimme ein verwegenes »ich liebe dich« ins Ohr, sah ihn einen Moment glühend an... und drehte sich dann abrupt um und verschwand wehenden Umhangs hinter dem Vorhang.

Ehe Sawyer darauf in irgendeiner Weise reagieren oder gar darüber nachdenken konnte, WAS zur Hölle da überhaupt gerade abgegangen war, stand die unsägliche Sylvi schon neben ihm, klopfte ihm fröhlich auf die Schulter und strahlte wie die Kerzenleuchter unter der Decke.

»Gut gemacht! Siehst du, so schwer ist der Text doch gar nicht. Noch ein-, zweimal durchlesen, dann hast du's drauf. Ich glaube ganz fest an dich!«

Nicht erwähnenswert, dass Sawyer sie gerade sehr sehr weit weg wünschte...

~

Das mit dem Die-Identität-des-Phantoms-auffliegen-lassen hatte Sawyer sich so gedacht. Wenn er darauf spekuliert hatte, den Darsteller des Eriks beim Umkleiden zu erwischen, so hatte er sich derbe in die Finger geschnitten. Fünfzehn Minuten vor Probenschluss war das Phantom plötzlich nicht mehr auffindbar gewesen und als Sawyer, jetzt wieder in Zivil, Sylvi darauf ansprach, nachdem er ihr sein Kleid in die Hand gedrückt hatte, meinte diese nur mit verhaltenem Kichern: »Unser Erik-Darsteller hat heute Nachmittag noch etwas vor und musste dringend weg. Er ist schon vor zwanzig Minuten gegangen.«

Grrr! Die wusste doch nur zu genau, was hier ablief.

Sawyer, darüber höchst verärgert - was bildete die sich eigentlich ein, sich seinem Glück so frevellos in den Weg zu stellen, diese dämliche Schnepfe! - war wirklich SCHWER versucht, auf der Stelle einen Mord im Affekt zu begehen.

Mit gezwungen freundlichem Tonfall verabschiedete er sich von Sylvi, fest entschlossen, sich nichts anmerken zu lassen. Er sammelte seinen Bruder Preston auf, der noch mit ein paar Mädchen schnackte, welche die Ballettmädchen mimten, wie Sawyer inzwischen herausgefunden hatte, und verließ dann mit großen Schritten die Aula.

Bloß weg von hier!

Und bloß weg von Sylvi...

Dass er beobachtet wurde, wie er die Schule verließ, merkte er gar nicht, so sehr war er mittlerweile in seine Gedanken über das Phantom vertieft.

Wie es aussah, hatte er nicht nur Christines Part übernommen -- er war praktisch zu ihr geworden. Und sein persönliches Phantom hatte das Spiel gerade erst eröffnet und dachte im Traum noch nicht daran, sein Inkognito bereits preiszugeben...

Vorhang Act 2

* * *

Act III

Beneath my mind -- He's everywhere

Der Gedanke vom Phantom ließ Sawyer nicht mehr los. Der Schwarzhaarige hatte keine Konzentration für die Hausaufgaben, kein Interesse an seinen liebsten Hobbies alias Bogenschießen und Rollerskating -- nicht mal mit Klamottenshoppen konnten seine beiden besten Freundinnen Parker und Morrigan aus seinem Schneckenhaus locken. Obwohl das sonst immer als handfestes Bestechungsmaterial funktionierte.

Stattdessen lag Sawyer den ganzen Tag auf seinem Bett, die Ohren mit Kopfhören verstöpselt und sich mit der Musicalmusik vom »Phantom der Oper« zudröhnend, und grübelte über denjenigen nach, der wohl hinter der Maske des Phantoms stecken mochte.

Die Stimme kam ihm definitiv bekannt vor... Nur woher? Wer war es, der ihn, den sonst so unnahbaren Sawyer Finn Ryder, Schlag auf Schlag so dermaßen unerhört verzaubert hatte?

Ein Mädchen in Jungenklamotten?

Oder gar wirklich... wirklich wer Männliches...?

Sawyer drehte sich mit grottenolmtiefem Seufzer auf den Rücken.

Die Option „Mädchen" fiel definitiv weg -- so einen tiefen Alt würde nicht einmal eine ausgebildete Opernsängerin hinbekommen. Nein, die Stimme vom Phantom gehörte definitiv einem Mann.

Womit wir wieder bei der Ausgangsfrage waren: WEM???

Sawyer stöhnte und legte theatralisch seinen linken Unterarm über seine Augen. Wenn er doch bloß Ordnung in sein aufgewühltes Herz bringen könnte! Aber das war eine weitere Unmöglichkeit, die er in seinem derzeitigen Zustand einfach nicht gebacken kriegte.

Er wusste ja nicht einmal, was er davon halten sollte, dass er womöglich und allen Ernstes nach schw-...

Verdammt! Er konnte es ja nicht einmal in seinen Gedanken aussprechen. Wie sollte er sich dann jemals selbst eingestehen, dass er... schw-.... schwu-...

Gottverdammtnochmal, dass er SCHWUL war!

Uwah!

Sawyer atmete tief durch. Warum musste das alles bloß so wahnsinnig kompliziert sein? Das war nicht fair.

Er brauchte jetzt Ablenkung. Oh ja -- guter Gedanke. Ablenkung war super. Ablenkung war perfekt. Sawyer nahm keck seine Unterlippe zwischen die Zähne. Er wusste auch schon genau, welche.

In freudiger Erwartung zuckte es zwischen seinen Beinen, als seine Lust erwachte.

Sawyer richtete sich halb auf, um sich mit einer geübten Bewegung ausm Handgelenk sein dunkles Shirt über den Kopf und seine schwarze Jeans von den Hüften zu streifen und sich dann willenlos seinen ungezügelt schmutzigen Gedanken an ein sinnliches Phantom mit wenig Klamotten am Leib und einer Menge kaum unterdrückter Leidenschaft in den lustverhangenen Augen hinzugeben.

Für irgendwas musste die aufgestaute... - nennen wir es »Lust« - ...ja immerhin gut sein.

~

Er hatte diesen Tag herbeigesehnt. Ihm entgegengefiebert. Es kaum erwarten können.

Jetzt, wo der nächste Theaterproben-Mittwoch entgegen jeglicher Erwartung doch über ihn hereinangebrochen, verfluchte Sawyer seinen leichtsinnigen Wunsch, das Phantom wiederzusehen.

Was hatte er sich nur dabei gedacht?!

Verzagtheit war gar nichts im Vergleich zu dem Sturm, der in seinem Inneren tobte und sich leichtfertig „Gefühlschaos" fluchte...

Konnte er dann bitte eine Gnadenfrist haben? Von so ungefähr fünf Monaten, oder so?

Je näher der Stundenzeiger der hässlichen Uhr über der Tafel auf die schnörkellose Zwei zukroch, desto schneller spürte Sawyer sein Ende herbei nahen. Er wollte sterben! Auf der Stelle! Jetzt! Sofort!

Die spontanen Ausflüge ins Parkinsonsyndrom, die seine Hormone wohl besonders witzig fanden, erschütterten seinen armen hilflosen Körper so mitleidslos, dass er jedes Mal beinahe vom Stuhl kippte. Die leichte Übelkeit, die ihn aus dem Hinterhalt in der Geschichtsstunde gegen halb zehn überfallen hatte, hielt ihn hämisch in ihren hässlichen Klauen. Und zu allem Überfluss war ihm verdammt kalt! Wessen bescheuerte Idee auch immer das weit aufgerissene Fenster war -- derjenige gehörte gelyncht, gevierteilt und anschließend zu Sawyers grimmigen Vergnügen vor der gesamten Klasse ausgeweidet!

Seine morbiden Gedanken lenkten ihn immerhin für wenige Atemzüge von der bevorstehenden Probe ab.

Denn so sehr Sawyer sich auch nach dem Phantom -- wer auch immer unter der porzellanen Maske steckte -- verzehrte, er hatte schiere pure blanke Panik vor ihrem nächsten Zusammentreffen.

Was, wenn er so erschrocken über die wahre Identität des Phantoms war, dass er postwendend in Ohnmacht fiel? Oder aus einem Instinkt heraus Hals über Kopf davonlief???

Oder was, wenn das Phantom ihm eröffnete, das alles sei nur ein Scherz gewesen? Ein Test? Wenn er sich nur über ihn lustig machte und ihn vor versammelter Theatermannschaft bis auf die Knochen blamierte?

Was, wenn... - ARGH!

Stöhnend vergrub Sawyer seinen Kopf in seinen Armen, die er auf dem Tisch aufstützte. Das viele Grübeln führte doch zu nichts, außer zu brennenden Kopfschmerzen, und die konnte Sawyer jetzt nicht gebrauchen!

Seufzend schloss der Dunkelhaarige die Augen.

Komplikationen ohne Ende und nirgends eine Erlösung in Sicht. Dass diese dösige Verliebtheit körperlich schmerzen konnte, hätte man ihm vorher auch ruhig verraten können -- und ehrlich gesagt, hätte er die Wahl, dann würde er es auch lieber gar nicht am eigenen Körper erfahren wollen!

Konnte dann bitte jemand für ihn die vergangenen Tage zurückkurbeln? So bis ungefähr zu dem Zeitpunkt, als er in der verflixten Mathestunde beschlossen hatte, die Rolle der Christine auf nimmernie, nicht mal über seine geschändete Leiche, zu spielen? Und wo wir schon dabei waren, ihn dann auch bitte gleich davon abhalten, in der Aula aufzulaufen, und Sylvi stattdessen einfach auf irgend einem dunklen Flur abfangen, in Grund und Boden schimpfen und sich daraufhin dann nie nie NIE wieder in der Theater-AG blicken lassen???

Aber zu Sawyers grenzenloser Enttäuschung ließ sich die ungnädige Zeit weder auf- geschweige denn vom Weitermarschieren abhalten und erst recht nicht verlangsamen... und so wurde es schließlich halb drei am Nachmittag.

Da half auch kein Wünschen, Hoffen und Beten mehr.

Ergeben beugte Sawyer sich dem ungnädigen Schicksal.

Also gut. Auf ins unabwendbare Desaster.

Kribbelig bis zum Nordpol und wieder zurück, machte sich das schwarzhaarige Nervenbündel mit seinem Zwillingsbruder Preston und der dauergutgelaunten Sylvi, die sie vorm verhassten Physikraum aufgegabelt hatte, im Schlepptau auf den Weg zur Aula.

Sylvi plapperte die ganze Zeit unentwegt fröhlich auf sie ein, aber Sawyer hatte keinen Nerv dafür, wenigstens so zu tun, als würde er ihr zuhören.

Nur sinnbefreite Gesprächsfetzen drangen ab und zu an sein Ohr, aber nicht einmal die nahm er bewusst wahr.

Sylvi registrierte Sawyers Unzurechnungsfähigkeit mit einem skeptischen Blick, sagte aber nichts.

Preston hingegen stellte sich weniger ungeschickt an, obwohl er Sylvi auch keine einzige Silbe lang Gehör schenkte. Er nickte an den passenden Stellen, warf zwischendurch ein überraschtes »achso?« oder ein nachdenkliches »mh okay« ein und war schwerauf damit beschäftigt, keinerlei brüderliche Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Was auch ohne Sylvis neuste Klatsch- und Tratsch-Skandale herausfordernd genug war.

Denn Sylvi plapperte ununterbrochen, kam von Hölzken aufs Stöcksken und wollte einfach keine Gnade mit Prestons angespanntem Nervenkostüm walten lassen: »Oh mein Gott, Preston! Die Aufführung in zwei Wochen... dieser Nervenkitzel! Und dann die Zweitbesetzung vom Erik... weißt du, ich bin mir so SICHER, dass dahinter ein heimlicher Verehrer steckt! Lil ist ihm schon auf die Spur gekommen, stell dir vor... Und weißt du, dass ich nur deshalb keine Zweitbesetzung für die Christine habe, weil... Oh Gott, und ohne Sawyer würde uns eh niemand mehr... Das Phantom und er... so ein zuckersüßes Paar, du müsstest sie echt sehen können! Zu schade, dass du das nicht kannst, durch deine... -- oh, und ich habe übrigens gehört, dass du...«

Geplapper hier, Gerüchte da, Sensationslust überall...

Sie machte es ihm wirklich verdammt SCHWER, sie nicht auf der Stelle zu meucheln.

Preston rieb sich angestrengt die Stirn. Irgendwann würde diesem schamlosen Weib der gerissene Coup gelingen, ihm auch noch den allerletzten Nerv zu rauben! Er seufzte leise, warf Sawyer einen eiligen Seitenblick zu, während Sylvi tief Luft holte für den nächsten Plapperanfall, und gab sich Mühe, seine eigene Kribbeligkeit im Zaun zu halten und weiterhin so zu tun, als wäre nichts und er der gechillteste Mensch des gesamten Planeten.

Ihm war da nämlich etwas höchst Verdächtiges aufgefallen: Schon seit Tagen war sein sonst so schlecht ignorierbar lebender Zwilling auffällig still... und Preston wusste auch genau, warum. Ein Grinsen breitete sich auf seinen Lippen aus, während er an Sylvi gewandt ein interessiert/geschocktes »ernsthaft jetzt?!« raushaute, bevor er sich wieder seinen eigenen Gedanken widmete.

Noch zwei Wochen, und dann war Premiere... Dann konnte der finale Showdown endlich seinen Lauf nehmen.

~

„Durchlaufproben" fluchte sich der Stress, der ab jetzt Programm war für die Schauspieler der Theater-AG.

Sylvi hatte das Probenarsenal auf fünf Stunden ausgeweitet -- pro Tag, verstand sich! - und auch, wenn Mathe dafür flach fiel, kam Sawyer nicht umher, sich seine verfluchten Folterstunden in linerarer Analysis zurückzuwünschen... gegen Sylvis strenges Regime waren Matrizen und Vektoren verglichen harmlos.

Sylvi ließ sie diese verdammte dritte Szene jetzt schon zum dritten Mal wiederholen. Inzwischen kannte Sawyer nicht nur seinen eigenen Text auswendig, sondern konnte auch sämtliche Nebenrollen mitsprechen, inklusive falscher Betonungen, Textverdreher und Verhaspler. Es war zum Davonlaufen, und zwar hakenschlagend!

Genervt verdrehte er die Augen, als Sylvis heiser gebrüllte Stimme sich aufs Neue überschlug, während die kleine Tänzerin -- Ziel der ausufernden Schimpftirade -- auf der Bühne heftig zusammenzuckte, sich die Hände vors Gesicht drückte und schluchzend von der Bühne stürmte. Gefolgt von einem dutzend mitleidig/schadenfroher Blicke -- je nachdem, ob man es aus Perspektive der mitgehangenen Ballettmädchen sah, oder das Privileg genoss, alles vom Logenplatz hinterm Vorhang zu beobachten, wie jemand gewisses Mysteriöses in dunkelrotem Umhang.

Und apropos Phantom:

»So kann ich nicht arbeiten!«, ließ Sylvi erbost verlauten. »Zehn Minuten Pause! Danach will ich Christine und das Phantom auf der Bühne haben. Und wagt es ja nicht, euch mit dem Gepatze dieser... dieser dilettantischen Amateure anstecken zu lassen.«

Sie donnerte ihr adrettes Schreibbrettchen auf den provisorischen Regietisch, den sie zwei Meter vor der Bühne postiert hatte, um alles genau kommentieren, benörgeln und neu arrangieren zu können, und drehte sich zu ihrer Assistentin um, die ihr in weiser Voraussicht einen frisch gekochten Kaffee entgegenhielt. Stark, schwarz und ohne Zucker. Kein Wunder eigentlich, dass Sylvi allmählich verbitterte... Der Stress schlug nicht nur Sawyer gehörig aufs Gemüt. Lagerkoller, nannte sich das.

Sawyer, der bisher halbherzig dem Bühnenchaos zuguckend im Hintergrund herumgelungert hatte, raffte seine vielen Tüllröcke, die zu Christines Kitschkleid gehörten -- Sylvi bestand zu seinem endlosen Leidwesen auf vollständig kostümierten Proben -- und stapfte, so gut es seine Schuhe mit drei Zentimeter Absatz eben zuließen, nach Backstage. Auf dem Weg zur Maskenbildnerin, deren winzige Räumlichkeit hinter der Bühne lag, drängte sich ein völlig aufgelöstes Ballettmädchen an Sawyer vorbei, gefolgt von zwei wild auf sie einredenden Tänzerinnen. Sie waren so mit sich selbst beschäftigt, dass sie ihn beinahe umnieteten. Sawyer konnte sich gerade noch mit einem gewagten Hechtsprung durch die halb offen stehende Garderobentür retten, sonst wäre sein Tüllkleidchen spätestens jetzt Geschichte -- und DAS wollte er Sylvi ums Verrecken NICHT beichten müssen. Ein Komplettausraster ihrerseits fehlten ihm und seinen blankgescheuerten Nerven gerade noch...

»Für gewöhnlich ist mir deine Gesellschaft ja sehr angenehm, aber hättest du was dagegen, wenn ich mich erst umziehe, bevor du wieder über mich herfällst?«

Mitten in seine Gedanken drang DIESE Stimme ein.

Sawyer gefror inmitten seiner Bewegung.

Oh Herr im Himmel, falls es dich wirklich gab, wieso musstest du ihn so strafen...?

Er spürte sanften Druck auf seinen Schultern und wollte herumwirbeln, aber ein warmes Lachen hinderte ihn geschickt daran.

»Bleib so, nur für einen Moment...«

Die Stimme vom Phantom war nur ein leises Hauchen, aber es reichte aus, um prickelnde Gänsehaut über Sawyers Arme zu jagen. Er realisierte, wie nah sie sich gerade waren, und in einem Anflug von Kühnheit lehnte er sich gegen das Phantom. Was er zu spüren bekam, gefiel ihm ausgesprochen gut: Eine flache, allem Anschein nach gewissenhaft trainierte Brust, schmale Hüften... und eine stattliche Beule zwischen den Beinen, die sich sanft, aber selbstbewusst gegen seinen Arsch drückte.

Sawyer atmete tief ein.

Also doch schwul.

Hatte er mit mehr Überraschung über eine potentielle Bestätigung seiner sexuellen Neigung gerechnet, so wurde er gerade positiv enttäuscht: Statt schwer entsetzt davonzustürmen, schmiegte er sich an das Phantom und gestattete sich, ihre Nähe noch einen Moment länger zu genießen. Wer weiß, wann sich jemals wieder die Gelegenheit für einen ähnlich intimen Moment ergab...

Dass solch ein Moment mit Siebenmeilenstiefeln auf sie zuhielt und vermutlich das Verderben in Form von jähem Erwachen am nächsten Morgen gleich mit sich bringen sollte, ahnte Sawyer in diesem selbstvergessenen Augenblick zum Glück nicht.

~

Und dann war der Tag der Aufführung über sie alle hereingebrochen.

Es war ein Samstag und Sylvie hatte für halb elf die Generalprobe angesetzt.

Sawyer, mit tiefen Augenringen und einem ungesunden Puls von gefühlt 300 Beats per Minute, hing nervös auf der Küchenbank und rührte schweigsam in seinem Kaffee herum. Das Toast hatte er gleich links liegen lassen, nachdem schon der Geruch von frisch geröstetem Weißbrot seinen Magen rebellieren ließ.

Sawyer wusste, dass er nie wieder einen Bissen herunter bekommen würde.

Ganz im Gegensatz zu Preston, der mit einem Appetit zulangte, der in Sawyer Übelkeit aufsteigen ließ, und neben einem dicken Pott Kakao und seinem zweiten Glas Orangensaft auch massenweise Toast mit Schinken und Chedderkäse drauf verschlang. Allein vom Zusehen hätte Sawyer schon speien mögen...

Lampenfieber war ja so ätzend!

Aber Kaffee half auf magische Weise. Bildete Sawyer sich zumindest ein und versteckte sich weiter hinter seinem großen Lieblingsbecher, von irgend so einer unbekannten Band namens Devilish, deren alternativen Rock-Stil Sawyer verdammt gut gefiel.

Gegen neun Uhr war es vorbei mit der morgendlichen Idylle, als Rayne und Willow, zwei der Ballettmädchen, bei den Zwillingen aufliefen, um sie einzusammeln. Willows Mutter hatte freundlicherweise angeboten, sie in ihrem geräumigen SUV mitzunehmen zur Aula. Nicht arbeitende Mütter konnten so praktisch sein, stellte Sawyer bei sich fest und ließ sich auf den Beifahrersitz fallen.

Seine Freude währte aber nur kurz: Auf dem gesamten Weg zur Schule jammerte Willow, die direkt hinter ihm saß, unablässig über Lampenfieber und dass sie garantiert ihren Text vergessen würde. Was bei ihrem enormen Text von exakt NULL Wörtern garantiert eine Herausforderung werden würde. Sawyer verdrehte die Augen.

Sein Zwilling hingegen schien gegen solche Allüren gefeit zu sein.

Nicht einmal Raynes wirklich ungeschickter Versuch, sich an ihn zu heranzuschmiegen, um ihm etwas Fadenscheiniges von Nervosität und Beschütz-mich-gefälligst vorzuseufzen, verursachte Prestons guter Laune einen Abbruch. Lächelnd entzog er Rayne seinen rechten Arm und ging gar nicht weiter auf ihre deutlichen Hinweise ein, er möge sich doch bitte angemessen um sie kümmern, so als ritterlicher Gentleman.

Sawyer ging dieses affektierte Verhalten mächtig gegen den Strich, auch wenn er sich nicht wirklich erklären konnte, WAS ihn da eigentlich so eifersüchtig machte -- aber er hatte momentan ja ohnehin andere Sorgen. Soeben fuhren sie nämlich auf den Parkplatz südlich von der Aula und kurz darauf kam der SUV zum Stehen.

»Wir sind da!«, verkündete Willows Mutter das Offensichtliche.

Als wäre es sein Stichwort, sprang Preston auf, kletterte elegant über Willow hinweg und stürmte ins Freie. Konnte es wohl gar nicht abwarten, endlich auf der Bühne zu stehen...